
Bundeskanzler Christian Stocker und Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz
©IMAGO / Gabriel BöhlerWie das Nein von Neos-Mandataren zum türkisen Prestigeprojekt Messenger-Überwachung die ÖVP-Führung massiv beunruhigt. Warum der kleinste Koalitionspartner auf Sicht nicht zum größten Spaltpilz werden dürfte. Wovon ÖVP-Mandatare dennoch schon jetzt für die Zeit nach den nächsten Wahlen träumen.
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- Neue Folge „Politik Backstage“ - der Podcast
- Schwarz-türkiser Zapfenstreich im Hohen Haus
- Neue ÖVP-Planspiele: Stocker Bundespräsident, Kurz Kanzler
- ÖVP-Klubchef über Neos-Gegenstimmen: „Darf nicht wieder vorkommen“
- SPÖ-Koalitionspartner: Neos auch bei Waffenrecht zerrissen
- Kleinster Partner als größter Spaltpilz?
- Unbehagen, aber keine Revolte
So viele ÖVP-Funktionäre auf einmal hatten sich hier selbst in der kurzen Hochzeit von Sebastian Kurz nach seiner erfolgreichen Wiederwahl im September 2019 nie eingefunden. Diesen Dienstag luden ÖVP-Chef Christian Stocker und ÖVP-Klubchef August Wöginger nicht nur mehrere Dutzend ehemaliger Regierungsmitglieder und schwarz-türkiser Mandatare ins Lokal II im Parlament ein, sondern auch die aktuell 51 ÖVP-Nationalratsabgeordneten.
Allein zwanzig Abgeordnete hatten dem Hohen Haus nach der jüngsten Wahl im vergangenen Herbst den Rücken kehren müssen. Einige von ihnen wollten von sich aus Platz machen, das Gros hätte aber gerne weitergemacht. Zudem wurden auch all jene geladen, die bereits im Zuge der ersten türkisen Erfolgswelle 2017 neu in den Nationalrat kamen oder wiedergewählt wurden.
Nach den wechselhaften Koalitionsverhandlungen und dem herausfordernden Regierungsstart hatte sich erst jetzt ein für alle passender Termin gefunden.
Neue Folge „Politik Backstage“ - der Podcast
Hier geht es zur neuen Podcastfolge von Politik Backstage - erzählt von der KI-generierten Stimme von trend-Kolumnist Josef Votzi.
Schwarz-türkiser Zapfenstreich im Hohen Haus
Als - mit knapp drei Jahren – kürzest dienende Mandatare wurden die Niederösterreicherin und Ex-Chefin der Politischen Akademie, Bettina Rausch, sowie der Steirer und Ex-ÖSV-Präsident Karl Schmidhofer hochoffiziell bedankt und verabschiedet. Mit 30 Jahren im Parlament war es am unschlagbar Dienstältesten Karlheinz Kopf – Ex-Klubchef, Ex-Nationalratspräsident, zuletzt Wirtschaftskammer-Generalsekretär –, um stellvertretend für alle Bilanz zu ziehen.
Gut die Hälfte der drei Jahrzehnte hatte der Vorarlberger Wirtschaftsbündler zu Zeiten im Hohen Haus zugebracht, in denen die ÖVP die undankbare Rolle des Juniorpartners in der Regierung innehatte. Dank zuletzt immer schnellerer Rochaden brachte es Kopf am Ende doch noch auf fünf ÖVP-Kanzler, wie er launig anmerkte.
Von den fünf ÖVP-Regierungschefs hatten sich bis auf Wolfgang Schüssel so auch alle zum großen schwarz-türkisen Zapfenstreich eingefunden.
Den meisten Applaus erntete Sebastian Kurz in seiner Rede für die Botschaft: „Freude an der Politik ist das Wichtigste“. Durchaus wohlwollend verabschiedet wurden auch Karl Nehammer und Alexander Schallenberg.
Für ÖVP-Verhältnisse ungewöhnlich viel Anerkennung ohne doppelten Boden gab es für den aktuellen Hausherren im Kanzleramt, Christian Stocker.
Neue ÖVP-Planspiele: Stocker Bundespräsident, Kurz Kanzler
Einige Abgeordnete entwarfen hinterher im kleinen Kreis bereits ein neues Wunschszenario für die erst in ein paar Jahren anstehenden nächsten Weichenstellungen am Ballhausplatz, bei denen dieser weiter eine zentrale, wenn auch ganz andere Rolle spielen soll: „Christian Stocker wird Spitzenkandidat für die Bundespräsidentenwahl 2028 und Sebastian Kurz für die nächste Nationalratswahl. Das wäre die beste Lösung, um die ÖVP wieder nachhaltig zur Nummer eins zu machen.“
Die im Hohen Haus verbliebene und stark dezimierte ÖVP-Fraktion hat offenbar Bedarf nach neuen Sieg-Fantasien und Mut-Injektionen. „Wir geben erfreulicherweise als Partei, aber auch als Regierung nach außen hin ein Bild der Geschlossenheit ab“, resümiert ein langjähriger Abgeordneter. Nicht ohne ein großes Aber nachzuschicken: „Die interne Stimmung ist aber gedrückt. Wir kommen trotz der Bemühung, Aufbruch und Reformen zu signalisieren, in Umfragen nicht vom Fleck.“
Dazu kommt, dass die ersten Gegenstimmen zu einem gemeinsamen Regierungsprojekt vor allem in den machtbewussten Reihen der ÖVP mehr Irritation auslösen als die Parteispitzen nach außen hin zugeben. Zumal bei einem ÖVP-Prestigeprojekt wie der Messenger-Überwachung. Was mit den Grünen noch ein absolutes No-Go war, bekam diesen Mittwoch von Türkis, Rot und Pink grünes Licht.


Geteiltes Neos-Lager: Neos-Klubchef Yannick Shetty mit Stephanie Krisper und Nikolaus Scherak, den zwei Gegnern der Messenger-Überwachung.
© APA / ROLAND SCHLAGERÖVP-Klubchef über Neos-Gegenstimmen: „Darf nicht wieder vorkommen“
Mit dem Neos-Abgeordneten der ersten Stunde und Klubvize, Nikolaus Scherak, und der Menschenrechts- und U-Ausschuss-Expertin Stephanie Krisper stimmten allerdings zwei Regierungsmandatare offen gegen das bereits im Koalitionsabkommen verankerte Vorhaben. Die beiden Neos-Mandatare sehen gemeinsam mit der Opposition bei der beschlossenen Messenger-Überwachung Tür und Tor für Missbrauch geöffnet. „Dass Neos-Abgeordnete gegen einen gemeinsam verhandelten Kompromiss stimmen, geht nur einmal. Das darf nicht wieder vorkommen“, proklamierte ÖVP-Klubchef August Wöginger in der ÖVP-Klubsitzung am Dienstagnachmittag. Der eben erst in dieses Amt gewählte Neos-Klubchef Yannick Shetty müsse seinen Klub „jetzt rasch in den Griff kriegen“.
Türkis und Rot hätten zwar die Messenger-Überwachung dank gemeinsamer Mehrheit – mit einer Stimme Überhang – theoretisch auch ohne die Neos über die Bühne bringen können. Wenn es aber einreiße, dass die Klubdisziplin in den Koalitionsparteien bröckle, dann werde ein gemeinsames Regieren zum Lotteriespiel bei der Suche nach Mehrheiten im Parlament, so der Tenor in ÖVP-Spitzenkreisen.
SPÖ-Koalitionspartner: Neos auch bei Waffenrecht zerrissen
Hinter den Parlamentskulissen gehen Berichte um, dass dies nicht der erste Fall war, wo starke Bruchlinien innerhalb der 18 Neos-Abgeordneten sichtbar wurden. Bei den regierungsinternen Verhandlungen über eine Verschärfung des Waffenrechts nach dem verheerenden Massaker eines Ex-Schülers im BORG Dreierschützengasse in Graz seien abseits der Jäger-Lobby in der ÖVP „die größten Widerstände gegen eine Einschränkung des Waffenverkaufs von Neos-Leuten gekommen“, so ein teilnehmender Beobachter im SPÖ-Klub.
Ergebnis: Die neuen, nur leicht angehobenen Alters- und Eignungshürden seien weit hinter den strengen Regeln geblieben, die anfangs vor allem seitens der SPÖ propagiert worden waren.


Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ), Kanzler Christian Stocker (ÖVP) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos).
© APA / ROLAND SCHLAGERKleinster Partner als größter Spaltpilz?
Unterschiedlich bleiben im Hohen Haus auch die Einschätzungen, ob ausgerechnet der kleinste Partner zum größten Spaltpilz der Regierung werden könnte. Fakt ist, dass Neos-Mann Scherak mit der ersten Gegenstimme gegen ein türkis-rot-pinkes Gesetz nach außen sichtbar gemacht hat, was intern schon lange kein Geheimnis war. Der gelernte Jurist hat zwar einige Kapitel des Koalitionspakts mitverhandelt. Das am Ende vorliegende Paket war ihm aber zu dünn, um darauf eine tragfähige Regierung zu gründen. Scherak schlug daher auch das Angebot aus, den Klubchef zu machen. Öffentlich begründet hat er das mit dem Berufsverbot für Klubobleute: Er wolle sein berufliches Standbein als Personalberater nicht aufgeben.
Im kleinen Kreis hielt Scherak auch nicht mit seiner Kritik hinterm Berg, dass die Neos Ressorts übernommen hätten, mit denen politisch nichts zu gewinnen sei: „Auch der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle war Außenminister. Wo die Liberalen in Deutschland danach standen, sollte uns zu denken geben.“ Die Neos hätten nicht nur frühzeitig Anspruch auf das Finanzressort erheben, sondern bis zuletzt auch stärker darum kämpfen müssen. Widrigenfalls wären sie ersatzweise mit dem Justizministerium weitaus besser bedient gewesen als mit dem Außenamt, um die pinke Handschrift in Sachen Kampf für Sauberkeit und gegen Korruption sichtbar zu machen.
Unbehagen, aber keine Revolte
Mehrere Neos-Insider glauben übereinstimmend, dass vor allem unter den Neos-Mitgliedern eine größere Gruppe das Unbehagen über das pinke Ja zur Messenger-Überwachung teile. Eine Abstimmung bei einer Mitgliederversammlung wäre nur knapp dafür oder gar dagegen ausgegangen, glaubt nicht nur Scherak. Der Neos-Mitgründer spielte gedanklich eine Zeitlang damit, die Probe aufs Exempel zu machen. Die für Juni geplante Mitgliederversammlung wurde im Windschatten der Staatstrauer nach dem Grazer Schulmassaker gleich auf Herbst verschoben.
Eine nachträgliche Abstimmung würde auch in den Augen der Kritiker keinen Sinn machen. Zumal Scherak und Krisper und zuletzt auch Veit Dengler mit ihrer Kritik an der Klublinie im Kreis der Mandatare bislang weitgehend allein bleiben. Ein Neos-Insider resümiert: „Wir sind zwar ein Haufen von lauter Individualisten. Aber es gibt bei allen null Interesse, das Projekt Dreier-Koalition zu gefährden oder die Regierung gar in die Luft zu sprengen.“
Douglas Hoyos, Neos-Generalsekretär, schickte dieser Tage vorsorglich einen Brief an Neos-Mitglieder und Sympathisanten aus, um die da und dort aufkommende Missstimmung zu dämpfen. „Seit dem Start der Regierung mit Neos-Beteiligung treiben wir mutig Reformen voran“, proklamiert der Vertraute von Parteichefin Beate Meinl-Reisinger. Der Parteimanager und Abgeordnete zählt in der Folge Dutzende Beispiele auf. Zwei Gesetzeswerke, die jüngst in der offiziellen Regierungsbilanz von Kanzler Stocker eine zentrale Rolle spielen, lässt er kommentarlos unter den Tisch fallen: Die Einführung der Messenger-Überwachung und das etwas verschärfte Waffenrecht. Beides Regierungsmaßnahmen, bei denen in Neos-Kreisen die Meinungen bislang diametral auseinander gehen.