
Am Nationalfeiertag am Sonntag nahm Bundeskanzler Stocker seinen letzten großen Auftritt wahr. Am Mittwoch wurde er operiert.
©APA/MAX SLOVENCIKWarum Christian Stocker vor seinem wochenlangen Ausfall im Kanzleramt Babler und Meinl-Reisinger zu einem Geheimgipfel lud. Wo es zwischen Bund und Ländern derzeit am meisten knirscht. Wie die Regierung Anfang Advent eine erste Reformkerze entzünden will.
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Es war sein erster Besuch in Big Apple. „Es ist eine lebendige, junge Stadt, die pulsiert“, so Christian Stocker zu seinen ersten Eindrücken von New York in der vorletzten September-Woche. Für mehr als einen kurzen Spaziergang durch den Central Park und einen Lunch in der Oyster Bar in der Grand Central Station blieb abseits des eng getakteten Programms aus bilateralen Treffen mit knapp zwei Dutzend Regierungschefkolleg:innen, Empfängen und Teilnahme an einigen Top-Terminen der UNO-Generalversammlung keine Zeit.
Stocker waren die Strapazen nicht nur anzusehen. Er machte im kleinen Kreis auch kein Hehl daraus, dass ihn auch während seines viertägigen Trips permanent Schmerzen plagten. „Es meldet sich immer wieder der Ischias-Nerv“, bemerkte der gelernte Rechtsanwalt trocken.
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Stocker will zeigen: Er kann Kanzler
Stocker stand auch diese Reise mit zusammengebissenen Zähnen durch. Denn nach einem sehr verhaltenen Beginn an der Spitze von Partei und Regierung hat er inzwischen Blut geleckt, sagen Intim-Kenner, und ist wild entschlossen, auch den Skeptikern in den eigenen Reihen zu beweisen, dass er Kanzler kann. Die einzige Exekutivfunktion, die er bislang ausgeübt hatte, war die des Vizebürgermeisters von Wiener Neustadt. Der ÖVP-Kanzler, der erst mit 65 den Sprung zum Regierungschef machte, ist seit Wochen sichtlich bemüht, jede Chance wahrzunehmen, um an Kanzlerstatur zuzunehmen.
In einer Dreier-Koalition als Regierungschef Profil zu gewinnen, stößt allerdings mehr denn je an viele Grenzen. Die wichtigste Geschäftsgrundlage des Bündnisses war und ist es, einen Aufstieg des Möchtegern-System-Zerstörers Herbert Kickl zu verhindern. Stocker hat in der Koalition lediglich als Parteichef einer der zwei Mittelparteien ein überschaubares Gewicht. Würde er versuchen, mehr als den primus inter pares zu geben, würde das fragile Machtgleichgewicht durcheinandergewürfelt werden und auf Sicht die Koalition sprengen.
Kanzler-Offensive fordert körperlichen Tribut
Stocker hat sich daher entschieden, die internationale Bühne zur Profilierung zu nutzen. Dort ist derart ausreichend Platz und Spielraum für Auftritte, sodass er sich auch mit der nimmermüden Außenministerin und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger nicht in die Quere kommt.
Ungewohnt viele Flugreisen, das bisweilen endlose Aussitzen von EU-Räten bis in die Morgenstunden und energieraubende internationale Konferenzen zehren freilich mehr an der körperlichen Substanz als Betriebsbesuche und Bundesländervisiten zur Funktionärsaufmunterung zwischen Neusiedler See und Bodensee. Allein im August standen so Auslandsreisen nach Montenegro, Serbien, Zypern und in die Schweiz an. Von dort ging es direkt zum Politiker-Summit im Tiroler Denkerdorf Alpbach. „Stocker war schon im Sommer in Alpbach anzusehen, wie sehr ihm die Reisetätigkeit zusetzt“, sagt ein teilnehmender Beobachter.
Dazwischen gingen sich gerade drei Nächte Grado und ein paar Tage im eigenen Garten in Wiener Neustadt aus. Der viertägige New-York-Trip gab Stocker gesundheitlich dann den Rest. Diese Woche legte sich der Kanzler wegen seiner chronischen Rückenprobleme unters Messer. In der Rehabilitationsphase will er von zu Hause aus mit Laptop und Handy wieder langsam ins Regierungsgeschäft einsteigen.
„Wir hoffen alle, dass er sich danach so regeneriert wie der Bundespräsident“, sagt ein ÖVP-Mächtiger. Auch Alexander Van der Bellen musste sich im Herbst des Vorjahrs wegen Darmbeschwerden einer Operation im Rückenbereich unterziehen und rückte nach einer Auszeit von drei Wochen wieder in die Präsidentschaftskanzlei ein.
Van der Bellen trat schon Monate davor etwas kürzer, seine Mitarbeiter räumten den Terminkalender radikal aus. „Der Kalender des Bundespräsidenten war auch davor nicht mit dem des Kanzlers zu vergleichen“, sagt ein Kenner des Regierungsgeschäfts, „nach der Rückkehr des Kanzlers in der zweiten Novemberhälfte wird sich zeigen, wie belastbar Christian Stocker wirklich weiterhin sein wird.“
Koalitionsinterner Geheimgipfel
Noch vor seiner Zwangspause hatte Stocker einen heiklen koalitionsinternen Termin zu absolvieren. Hauptthema: die zunehmenden, höchst widersprüchlichen Wortmeldungen zum Prestigeprojekt der Dreierkoalition, der sogenannten Reformpartnerschaft. Während hinter den Kulissen wenig weitergeht, deponieren immer mehr Landeshauptleute öffentlich ihre divergierenden Wünsche.
„Sinn des Treffens war, das gemeinsame Bewusstsein zu schärfen, dass wir uns nicht im klein-klein verlieren, sondern daran gemessen werden, große Reformen zu schaffen. Zuvorderst bei der Gesundheit, wo es nicht nur reicht, ein paar Pflaster aufzukleben“, sagt ein Regierungsinsider. Bis zum Sommer geben sich die Koalitionsspitzen zum Verhandeln Zeit, in der zweiten Jahreshälfte 2026 sollen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Energie große Nägel mit großen Köpfen gemacht werden.


Bundeskanzler Stocker (mitte) lud Vizekanzler Babler und Außenministerin Meinl-Reisinger zu einem Geheimgipfel vor seinem Krankenstand ein.
© APA/Helmut FohringerWer muss mehr auf die Schuldenbremse treten
Noch vor Weihnachten muss sich die türkis-rot-pinke Regierung mit den türkis-rot-blauen Landesgewaltigen allerdings bereits auf einen neuen Stabilitätspakt geeinigt haben. Was technisch kalt klingt, birgt heißen Konfliktstoff: Wie viel dürfen Bund, Länder und Gemeinden in den kommenden Jahren jeweils an neuen Schulden machen? Die Verhandlungen drehen sich seit Wochen entlang der höchst diversen Startpositionen im Kreis: Sowohl der Bund als auch die Länder und Gemeinden wollen ihren Schuldenspielraum jeweils zu Lasten der anderen deutlich erhöhen.
Eine Kraftprobe, deren Ausgang auch das Verhandlungsklima für die weitaus größeren Reformbrocken entscheidend prägen wird: eine Straffung oder gar Neuordnung der Zuständigkeiten für Gesundheit, Bildung und Energie.
D-Day für Schellhorns Gesellenstück
Fix ist bisher nur, dass die Regierung am 3. Dezember einen Akt setzen will, der sowohl real, aber wohl noch mehr symbolisch von Gewicht sein könnte. In der ersten Ministerratssitzung im Dezember soll kein einziges neues Gesetz oder neue Verordnung beschlossen werden. Auf der Tagesordnung soll allein Bürokratieabbau stehen. Die Regierungsrunde soll ein möglichst großes Paket zur Abschaffung von überkommenen Gesetzesparagraphen und im Alltag behindernden Verordnungsbestimmungen absegnen.
Das könnte zugleich auch das Gesellenstück des pinken Staatssekretärs für Bürokratie und Deregulierung, Sepp Schellhorn, werden. 140 entsprechende Vorschläge wurden dieser Tage bereits in die Runde der Koalitionskoordinierer eingebracht. Im von VP-Staatssekretär Alexander Pröll gern „Maschinenraum der Koalition“ genannten Kreis bestehend aus ihm, SPÖ-Staatssekretärin Michaela Schmidt, dem Neos-Mann Armin Hübner sowie den Klubobleuten Wöginger, Kucher und Shetty, muss jedes Vorhaben auf gemeinsame politische Verträglichkeit und allfällige Abtauschfähigkeit abgeklopft werden. Ein teilnehmender Beobachter feixt: „Beim gemeinsamen Nein-Sagen tun wir uns vielleicht alle etwas leichter, das haben wir ja schon beim Budget schmerzhaft geübt.“
