
Die Tage von Harald Mahrer sind nun auch als Präsident der Wirtschaftskammer gezählt.
©APA/Tobias SteinmaurerWie der Wirtschaftskammer-Chef bis Donnerstag früh um sein politisches Überleben kämpfte. Warum sein missglückter PR-Move einen Tsunami an Kritik lostrat. Wer nach Interimspräsidentin Martha Schultz Harald Mahrer auf Dauer beerben könnte.
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- Mahrers Sündenfall
- Letzter Kriegsrat bis Donnerstag früh
- Seidene Schnur per Videokonferenz
- Trotziger Abgang
- „Als Nationalbank-Präsident besser gepasst“
- Wesen von anderem Stern
- Kurz-Mann als Schatten-Kanzler
- Große blau-türkise Gegner-Koalition
- Zu späte Entlastungsoffensive
- Ex-Vizepräsident Gady als dauerhafter Mahrer-Erbe?
Montagabend reiste er noch unverdrossen kämpferisch zur Landesversammlung des steirischen Wirtschaftsbunds in Graz an. Offiziell stand die Wiederwahl von Kammerchef Josef Herk als Obmann des Wirtschaftsbunds an. Tatsächlich ging es den ganzen Abend um den seit einer Woche lodernden Sprengsatz, den Harald Mahrer seit Tagen wortreich zu entschärfen versuchte.
Monatelang hatte der Wirtschaftskammerchef höchstpersönlich landauf landab lautstark propagiert: Heuer müssten bei den Gehaltsverhandlungen alle Federn lassen. Nur so können zum einen die Inflation und vor allem das ungesund explosive Wachstum bei Lohnstückkosten gedämpft werden, um auf den Exportmärkten wieder wettbewerbsfähiger zu sein.
Das Mantra trug Früchte: Die Beamtengewerkschaft kübelte erstmals ein bereits gesetzlich paktiertes Gehaltsplus und gab es nachträglich billiger. Auch die mächtige Metallergewerkschaft leistete ähnlich Tribut. Und für hunderttausende Pensionistinnen und Pensionisten bleibt die Erhöhung 2026 unter der Inflationsrate.
Mahrers Sündenfall
Im Präsidium der Wirtschaftskammer winkten im Oktober alle Fraktionen ohne mit der Wimper zu zucken ein Gehaltsplus für die 5.800 Mitarbeiter durch, das mit 4,2 Prozent in Zeiten wie diesen mehr als üppig ausfiel.
Seit „Die Presse” Anfang November den Sündenfall öffentlich machte, legte Harald Mahrer täglich neue Pirouetten zur Schadensbegrenzung hin. Statt reflexartigem Flankenschutz brandeten jedoch auch aus den eigenen Reihen immer mehr offene und nur spärlich verklausulierte Rücktrittsaufforderungen auf.
Bei seiner Visite in der Steiermark wusste sich Harald Mahrer nach stürmischen Tagen endlich wieder auf freundschaftlichem Boden. „Ich habe den Harald auch schon anders erlebt. Aber bei uns hat er an diesem Abend einen exzellenten Auftritt hingelegt”, resümiert ein Teilnehmer.
Der Steirer Josef Herk, der Burgenländer Andreas Wirth und allen voran der Wiener Walter Ruck zählten zum harten Kern der Länderkammer-Chefs, auf den sich Harald Mahrer auch angesichts des zuletzt intern und medial besonders scharfen Gegenwinds verlassen konnte.
Dementsprechend war auch die Stimmung bei der Funktionärsversammlung in Graz. Mahrers Mea Culpa stieß auf offene Ohren: Ja, der Versuch, die Verschiebung der Gehaltserhöhung auf Juli als Halbierung der 4,2 Prozent darzustellen, war ein Fehler. Der bisherige Gehaltsautomatismus werde überarbeitet, die Leistungen und Strukturen von externen Experten durchleuchtet. Als Begleitmaßnahme für einen bereits eröffneten umfassenden Modernierungsschub.
Letzter Kriegsrat bis Donnerstag früh
In der Wirtschaftskammer haben das Sagen, wie überall in der ÖVP, die Länderfürsten. Mahrer konnte anfangs noch folgende Rechnung aufmachen. Von den neun Länderkammern hatten sich vier eindeutig gegen ihn positioniert. Fünf glaubte er weiterhin an seiner Seite. Für den machtbewussten Multifunktionär ein Grund mehr, seine Position als Kammerchef mit Zähnen und Klauen verteidigen zu wollen.
Mittwochabend trommelt er so noch einmal eine Runde von Vertrauten in seinem Büro im 10. Stock der Wirtschaftskammerzentrale in der Wiedner Hauptstraße zusammen. Als die kurzfristig einberufenen Mahrer-Vertrauten von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer bis Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger nach und nach eintrudeln, weiß der Hausherr noch nicht, dass dies sein letzter Abend als Kammerchef sein wird.
Fix ist, dass die Rechnung 5:4 für Mahrer nicht mehr gilt. Stunden zuvor hatte sich auch der Salzburger Kammerpräsident Peter Buchmüller ins Lager der Mahrer-Gegner eingereiht. Der bisher als Verbündete gesehene Spitzenfunktionär steht diesen Freitag im lokalen Wirtschaftsbund zur Wiederwahl an.
Bis weit nach Mitternacht werden Varianten gewälzt, wie Mahrer mit den Rücktrittsforderungen von Partei- und Kammerkollegen, der Protestwelle von Mitgliedern und dem medialen Dauerfeuer umgehen solle: Bleiben und die Zeit bis zum nächsten Wirtschaftsparlament Ende November zum Werben für einen Stimmungsumschwung nutzen? Als Kammer- und Wirtschaftsbund-Chef gehen, die angekündigte Demission zurücknehmen und Notenbank-Präsident bleiben? Oder nolens volens endgültiger Rückzug aus allen Spitzen-Positionen?
Seidene Schnur per Videokonferenz
Mahrer lässt sich die Entscheidung bis Donnerstag mittag offen, absolviert davor noch einmal eine Telefonrunde mit Unterstützern und Kritikern. Für 13 Uhr hat er eine Videokonferenz mit allen neun Landespräsidenten einberufen, die ihm - so eine Wahrnehmung - noch am Sonntag querdurch ihr Vertrauen ausgesprochen hatten. „Wer mich nicht will, soll mir das offen ins Gesicht sagen”, proklamiert Mahrer im Vorfeld. Das Gros der Runde macht diesmal aus seinem Herzen keine Mördergrube.
Vier Stunden danach nimmt Mahrer per Videobotschaft seinen Hut und begründet seinen Rücktritt so: „Ich sehe derzeit keine Möglichkeit verantwortungsvolle Beiträge für eine positive Zukunftsentwicklung zu leisten.” Sein einziges Abschiedsinterview gibt er dem „Kurier”. Sein zentrales Argument für den Rückzug: „Wenn Sachargumente nicht mehr Gegenstand der öffentlichen und medialen Diskussion sind, sondern nur mehr persönliche Ressentiments und blanker Populismus, dann sehe ich in der Debatte keinen Mehrwert.” Und: „Das große Problem der letzten Woche besteht darin, mit unserer redlichen Botschaft nicht durchgedrungen zu sein.”
Trotziger Abgang
Tagelang hatte er es im Büßerhemd mit Mea Culpa und Entschuldigungsbitten versucht. Im Abgang präsentierte sich Mahrer, wie ihn Freund und Feind seit Jahrzehnten erleben: Selbstbewusst bis zum Arroganz-Anschlag. Für Weggefährten und Freunde kommt Mahrers Harakiri mit Anlauf dennoch überraschend. Sie können sich nicht erklären, so einer aus dem engsten Kreis, „wie ein derart kluger und strategisch denkender Kopf so blind in eine politische Falle gehen kann”.


Als heißer Tipp mit Außenseiterchancen als Mahrer-Nachfolger gilt Philipp Gady, geschäftsführender Alleingesellschafter des familieneigenen Unternehmens Gady Family.
© APA/Georg Hochmuth„Als Nationalbank-Präsident besser gepasst“
Hohe Intellektualität und Wissen sprechen ihm auch Spitzenleute in der Nationalbank nicht ab, die seinen Einzug als Präsident des Generalrats sehr kritisch sahen. Er habe dank „großem Fachwissen und Interesse an globalen Entwicklungen” einen guten Job gemacht. „Dort hat er als Präsident auch viel besser hin gepasst als an die Spitze der WKO”, sagt ein Spitzenmann im ÖVP-Wirtschaftsmilieu: „Dort ist er nie wirklich angekommen.”
Einer der Hauptvorwürfe, den sich Harald Mahrer im direkten Vergleich mit seinem Vorgänger nachhaltig erarbeitete: „Christoph Leitl war regelmäßig bei den Unternehmern und Funktionären draußen und hat daher die Stimmung immer sehr gut mitgekriegt. Harald Mahrer war dort selten zu sehen.”
Wesen von anderem Stern
Der Befund eines langjährigen ÖVP-Wirtschaftsbund- und Kammer-Intimus: Für das Gros der Wirtschaftsbund-Basis und Kammerfunktionäre blieb der 1,93-Meter-Mann mit Hang zu ausgefallenen Brillen, modischen Accessoires und rhetorisch geschliffenem Auftreten ein Wesen von einem fremden Stern.
Mahrer kann in seiner Biographie zwar auf die Gründung von mehreren Kleinunternehmen in der Beratungs- und PR-Branche verweisen, startete aber mit dem Handicap, von oben inthronisiert und nicht von unten an die Kammerspitze aufgestiegen zu sein.
Christoph Leitl installierte den damaligen Ex-Wirtschaftsminister 2017 in einer in den Allerheiligenferien handstreichartig angesetzten Sitzung als seinen Nachfolger an der Spitze von Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer. Leitl suchte so dem absehbaren Grabenkampf zwischen den Möchtegern-Nachfolgern Walter Ruck, Wiener Kammerchef, und dem Steirer Josef Herk aus dem Weg zu gehen.
Mit beiden hat sich Mahrer nach seiner Kür bald sehr geschickt arrangiert.
Kurz-Mann als Schatten-Kanzler
Auch dass Mahrer als Staatssekretär von Reinhold Mitterlehner bald die Seiten zu dessen Widersacher Sebastian Kurz gewechselt hatte, spielte im Kalkül Leitls eine Rolle. Die Aussicht, künftig eine Standleitung ins Kanzleramt zu haben, beflügelte die Entscheidung zugunsten Mahrers.
Nach Kurz‘ Sturz sah sich Mahrer zunehmend auch als Schattenkanzler der Republik. Wenn er gewollt hätte, lässt er im kleinen Kreis gerne wissen, hätte er nach dem Abgang von Karl Nehammer auch tatsächlich ins Kanzleramt einziehen können.
Dass die Dreier-Koalition - nach dem Absprung der Neos beim ersten Anlauf zu Jahresbeginn - im März doch noch zustande kam, heftet er sich in der Tat zu Recht auf die Fahnen. „Da haben der Wolfgang Katzian und ich hinter den Kulissen die Weichen gestellt”, lässt er gelegentlich bis heute fallen. ÖVP-intern hat er davor auch tatkräftig dazu beigetragen, dass es nicht zu Blau-Türkis mit Möchtegern-„Volkskanzler” Herbert Kickl gekommen war.
Nach Platzen der Gagenaffäre ließ Mahrer so auch umgehend offensiv wissen, wer als deren Urheber nahe liege. „Aus der FPÖ wurde mir schon bei Bildung der Koalition signalisiert, dass ich bei Herbert Kickl aufgeschrieben bin.” Ob Mahrer tatsächlich an diese Dolchstoßversion glaubt oder sich mit Hinweis auf den blauen Außenfeind primär nur parteiintern zu retten suchte, bleibt offen.
Große blau-türkise Gegner-Koalition
Sie hat aber einen wahren Kern. Mit dem missglückten Versuch, den Super-Gau in Sachen Glaubwürdigkeit schönzureden, hat Mahrer eine Welle der Kritik losgetreten, die sich in ihrer Wucht aus drei Quellen speiste. Sie alle hatten eine offene Rechnung mit Mahrer zu begleichen.
Viele Industrielle, aber auch Unternehmer, die auf Blau-Türkis gesetzt hatten, nehmen Mahrer sein Engagement gegen Kickl und für die amtierende Dreierkoalition bis heute mehr denn je übel. Sie sahen jetzt eine gute Gelegenheit für eine, noch dazu populäre, Gegenattacke.
In und außerhalb der Kammer sorgt in ÖVP-Kreisen schon seit Monaten Harald Mahrers Personalpolitik für Unmut hinter vorgehaltener Hand. Für die tägliche Arbeit in der Kammer installierte Mahrer nach dem Abgang von Karlheinz Kopf als Generalsekretär gemeinsam mit dem früheren niederösterreichischen Klubobmann Jochen Danninger erstmals auch gleich drei Stellvertreter. „Aber keiner der vier obersten Kammer-Manager hat rechtzeitig vor dem absehbaren Gagen-Gau die Notbremse gezogen”, merkt ein Kammer-Insider bitter an. Auch Mahrers engster Buddy im Wirtschaftsbund, Generalsekretär Kurt Egger, gilt ÖVP-intern als Beleg für die These, dass sich Mahrer mit Leuten umgibt, die ihm nicht gefährlich werden können.
Zu späte Entlastungsoffensive
Total unterschätzt hatte Mahrer auch, wie sehr der ungenierte Griff in die Gagenkassa die Pflichtmitglieder der Kammer provozierte. „Da rächte sich, dass Harald in anderen Sphären lebt und sehr selten draußen an der Basis ist”, sagt ein Parteifreund.
So kam am Ende auch eine Entlastungsoffensive von einem höchst gewichtigen Kammer-Herren zu spät, der ihm bei Amtsantritt besonders ablehnend gegenüberstand. Während das Gros der Kammer-Spitzenwelt an Mahrer öffentlich nicht einmal mehr anstreifen wollte, lud Wiens Kammerchef Walter Ruck für diesen Donnerstagabend Wiener Spitzenfunktionäre kurzfristig für 17 Uhr in die prunkvollen Räumlichkeiten der Interessensvertretung am Wiener Stubenring ein. Als Hauptreferent des Abends war Harald Mahrer angekündigt.
Statt dem Wirtschaftskammer-Chef persönlich poppte Schlag 17 Uhr auf den Handys der Anwesenden freilich nur noch dessen kurze Abschiedsbotschaft per Video auf.


Vizepräsidentin Martha Schultz übernimmt die Präsidentschaft interimistisch.
© APA/Eva ManhartEx-Vizepräsident Gady als dauerhafter Mahrer-Erbe?
Als Interims-Präsidentin übernimmt nun auch mit dem Segen des mächtigen Walter Ruck die bisherige Vizepräsidentin Martha Schultz. Die 62-jährige Tourismus-Unternehmerin und rührige Frauen-Netzwerkerin hat aber bereits signalisiert, dass sie nur bis zur Kür einer Dauerlösung für die Mahrer-Nachfolge bleiben will.
Als heißer Tipp mit Außenseiterchancen für eine dauerhafte Mahrer-Nachfolge gilt einer von Schultz’ bisherigen Vizepräsidenten-Kollegen: Philipp Gady, geschäftsführender Alleingesellschafter des familieneigenen Unternehmens Gady Family, eines der größten Landmaschinenhändlers mit 17 Standorten in der Steiermark, Burgenland und in Niederösterreich.
Der 41-jährige hatte Mahrer in den letzten fünf Jahren immer wieder bei Auslandsreisen an der Seite des Bundespräsidenten und Regierungsmitgliedern als Chef von Wirtschaftsdelegationen vertreten. Einem Wechsel an die Kammerspitze, sagen Gady-Kenner, ist der steirische Unternehmer nicht abgeneigt. Er gilt als freundlich und ausnehmend höflich im Umgang, außerdem als umtriebiger Netzwerker.
Expertise im Umgang mit Konflikten könnte sich Gady innerhalb der Familie holen. Sein Bruder Franz Stefan Gady ist Analyst am Institute for International Strategic Studies (IISS) in London und medial immer wieder gefragter Experte für militärische Fragen und Kriegsführung.
