
Beim diesjährigen Empfang des Ex-Bundeskanzlers in Salzburg fanden sich mehr Wirtschaftsgrößen und „Seitenblicke“-Promis, aber weniger Politiker als sonst ein.
©picturedesk.com/Franz NeumayrTürkise der ersten Stunde geben Schwarz-Rot-Pink maximal zwei Jahre, Sollbruchstelle Pink. Im Regierungsviertel wurde derweil ein erster brisanter Konflikt bei den Neos geräuschlos unter den Teppich gekehrt. Just der offensive Promotor der neuen Trinkgeld-Regelung, Sepp Schellhorn, gab es einigen in Partei und Fraktion zu billig.
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Bereits zum dritten Mal hielt am Abend der Festspieleröffnung jüngst Sebastian Kurz im Salzburger Parade-Café „Bazar“ Hof. Es regnet in Strömen, aber nicht einmal eine Viertelstunde nach Einlass um 20 Uhr wimmelt es vor Menschen. Mit 300 Gästen, werden seine PR-Leute später vermelden, markiert der Abend einen neuen Rekord.
An Zulauf mangelt es dem Ex-Regierungs- und ÖVP-Parteichef auch vier Jahre nach Rückzug von der Politbühne nicht. Wirtschaftsleute und „Seitenblicke“-Promis dominieren das Bild. Aktive Politiker sind diesmal weniger auszumachen. Aufmerksam registriert wird: An einem größeren Tisch haben sich einmal mehr die Spitzen der Wiener FPÖ, angeführt von Dominik Nepp, eingefunden. Die ÖVP-Spitzenliga ist mit Johanna Mikl-Leitner, Alexander Pröll und Christian Stocker vertreten. Der amtierende Kanzler trifft erst kurz vor Mitternacht ein.
Mit dabei ist selbstredend die Riege der türkisen Minister a. D. von Gernot Blümel bis Elisabeth Köstinger sowie der engsten Kurz-Mitarbeiter von Stefan Steiner bis Gerald Fleischmann.
Der politische Small Talk kreist um die Performance der aktuellen Regierung und – je vertrauter die Gesprächspartner miteinander sind – um das Perpetuum mobile in ÖVP-Kreisen, die Comeback-Gelüste und Chancen von Kurz.
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Türkise: „Zeit für Comeback noch nicht reif“
Im innersten Kreis der Türkisen gilt allein diese Version über die bewegten Tage am Dreikönigswochenende, als Karl Nehammer nach Platzen des ersten Anlaufs für eine Dreikoalition hinschmiss: Sebastian Kurz hätte sofort wieder übernehmen können. „Er ist nach längerem Überlegen zur Entscheidung gekommen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist.“
Soll vice versa heißen, der innerste Kreis rund um Kurz ist überzeugt: Ein Comeback von Kurz & Co. sei nur noch eine Frage der Zeit.
Über die aktuelle ÖVP-Führung und deren Performance kommt aber, soweit für Dritte wahrnehmbar, im innersten Kreis der Türkisen kein böses Wort auf. Kritisch beäugt werden, wenig überraschend, Andreas Babler und einige SPÖ-Minister. Für nur mehr eine Frage der Zeit halten es Kurz-Vertraute, bis nachhaltig Widersprüche zwischen der Neos-Regierungstruppe und Neos-Mandataren sowie Parteifunktionären aufbrechen, die da und dort schon jetzt Verrat an der pinken Sache wittern. „Spätestens in zwei Jahren, wenn das nächste Budget ansteht, fliegt die Dreierkoalition in die Luft“, orakelt ein Türkiser. Unterschiedlich sind allein die Einschätzungen, ob Schwarz und Rot mit nur einer Stimme Mehrheitsüberhang im Parlament weitermachen oder in Neuwahlen abspringen.
Neos-Spitzenleute tun solche Szenarien querdurch als „wishful thinking“ ab. Wie unberechenbar das innere Gleichgewicht zwischen Regierungspragmatikern und Hütern der reinen pinken Lehre schon ist, war parteiintern beim Ringen um den staatlichen Zugriff aufs Trinkgeld bereits auszumachen.
Als sich kurz nach Regierungsantritt die Meldungen häuften, dass die Sozialversicherung bei Gastrobetrieben mit bis zu dreistelligen Nachforderungen von Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträgen auf – längst unter den Mitarbeitern verteiltes – Trinkgeld vorstellig wurde, nahm öffentlich wie regierungsintern die Debatte um die leidige Trinkgeld-„Besteuerung“ Fahrt auf.
Weil das Aufrunden der Rechnung beim Zahlen im Wirtshaus, im Taxi oder beim Friseur immer öfter via Karte passiert, wird das via Registrierkasse auch für die Finanz sichtbar. Das weckte umgehend und massiv die Begehrlichkeiten der Sozialversicherung: Alles, was über den bislang angenommenen Pauschalbetrag pro Mitarbeiter an Trinkgeld hinausging, wurde nachträglich in Rechnung gestellt. Besonders gut mit Trinkgeldern bedachte Mitarbeiter und Unternehmen mussten davon zusätzlich etwas abgeben.


Der diesjährige Empfang von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz im Salzburger „Café Bazar“.
© picturedesk.com/Franz Neumayr„100 % steuerfrei. 100 % Trinkgeld.“
Der Neos-Unternehmerverband Unos startete eine Petition für vollkommen abgabenfreies Trinkgeld, also eine Unterschriftenaktion, die bei genügender Unterstützung auch auf der Parlamentsagenda aufschlägt. Kampagnenmotto: „100 % steuerfrei. 100 % Trinkgeld.“
Als sich Boulevardmedien und von diesen getrieben auch die ersten Landeshauptleute wie Johanna Mikl-Leitner und Thomas Stelzer für die ÖVP, aber auch SPÖ-Solist Hans Peter Doskozil für total abgabenfreies Trinkgeld starkmachten, war regierungsintern endgültig Feuer am Dach. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause sollte die leidige Frage gelöst werden, gaben die Koalitionskoordinatoren als Parole aus.
In der ÖVP rauchten zuvorderst in der Wirtschaftskammer die Köpfe, wie die vielen divergierenden Wünsche und Interessen der betroffenen Fachgruppen sowie der bisher unterschiedlich agierenden Bundesländer unter einen Hut zu bringen sind. „Mit jedem Tag der internen Beratungen ist weniger weitergegangen. Es gab immer mehr Bedenken als Lösungsvorschläge“, sagt ein teilnehmender Beobachter.
Die ÖVP sei daher drauf und dran gewesen, die Causa mit hoffnungsvollem Blick auf die Polit-Sommerferien einschlafen zu lassen.
Das machte nicht nur einige weiterdenkende Politiker in der ÖVP nervös. Das strapazierte auch den – ohnehin nicht ausnehmend dicken – Geduldsfaden beim pinken Verhandler Sepp Schellhorn. Der Gastronom weiß aus nächster Nähe um die hohe Sensibilität des Themas. Wirte und Kellner sind zwar eine kleine Wählergruppe, aber als Meinungsmacher bei den Gästen ein gewichtiger Faktor für die politische Stimmung.


Tippgeber: Der Ex-Wirt Sepp Schellhorn hätte die Rechnung beinahe ohne die Bedenkenträger in der eigenen Partei gemacht.
© BeigestelltSchellhorn: „Ging allen auf die Nerven“
Der Staatssekretär für Deregulierung ging, wie er dieser Tage im kleinen Kreis resümiert, „allen massiv auf die Nerven, endlich eine saubere Lösung beim Trinkgeld zu finden“. Eines seiner wichtigsten Druckmittel: „Wenn wir da nix zusammenbringen, haben wir ein Sommerthema, das nur wieder der FPÖ nützt.“ Gemeinsam mit dem einflussreichen Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, Beppo Muchitsch, holte Schellhorn hinter den Kulissen auch die ÖVP-Wirtschaftsspitzen zurück ins Boot, allen voran Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer. Ergebnis: Ein Sozialpartnerkompromiss inklusive Generalamnestie bei offenen Nachforderungen der Sozialversicherung. Diese rückwirkende Befreiung von zum Teil horrenden Nachzahlungen war vor allem vom pinken dritten Rad am schwarz-roten Wagen mit Nachdruck hineinreklamiert worden.
Bei der bestbedienten Gruppe, den Zahlkellnern, sollte künftig das abgabenpflichtige Trinkgeld mit 95 Euro im Monat pauschaliert werden. Alles, was darüber hinausgeht, sollte dem staatlichen Zugriff entzogen werden, anders als bisher.
Der pinke Wirt hatte die Rechnung jedoch offenbar ohne die Bedenkenträger in der eigenen Partei gemacht. Vor allem die Unos machten partei- und fraktionsintern Druck auf Nachverhandlungen. Sie seien, argumentierten sie, mit einer parlamentarischen Petition für null Abgaben ausgeritten und könnten nun unmöglich mit einer Erhöhung der Trinkgeldpauschalen heimkommen. Da hälfen auch die Deckelung der Abgabenpflicht und die Generalamnestie für offene Nachforderungen nichts – beides Verhandlungsergebnisse, die Schellhorn als Atouts des schwarz-rot-pinken Deals sah und sieht.
Neos pfeifen ihren Topverhandler zurück
Pink-intern wurden aber die Weichen auf Nachverhandlungen gestellt. Mit dem nach außen hin propagierten Argument, bei einem Sozialpartner-Kompromiss würden die Pinken per definitionem keine Rolle spielen. Dass ihr Staatssekretär dabei als Antreiber Pate gestanden war, zählte plötzlich nicht mehr.
Schellhorn war da gerade am Sprung zu einem einwöchigen Urlaub. Von der eigenen Partei ausgebremst, trat er „not amused“ seinen Urlaub auch an und überließ das finale Feilschen Neos-Wirtschaftssprecher Markus Hofer. Ergebnis der Nachverhandlungen war ein Etappenplan, der im Fall des Herzeigebeispiels Zahlkellner die ursprünglich vereinbarte Trinkgeldpauschale um rund ein Drittel auf 65 Euro im Monat reduzierte. Innerhalb von drei Jahren steigt diese in Etappen auf 100 Euro, danach entsprechend der Inflation. „Es ist der gleiche Blumenstrauß, nur anders aufgemascherlt“, kommentiert ein Regierungsinsider das Ergebnis nüchtern.
Den politischen Verkauf des endgültigen Kompromisses überließen die Pinken dann allein Sepp Schellhorn. In einem Video verkündete er: „Das Trinkgeld bleibt steuerfrei.“ Der Neos-Staatssekretär pries zudem die Generalamnestie bei offenen Nachzahlungen als Riesenerfolg an und bedankte sich ausgesucht höflich „bei den Sozialpartnern und Regierungskollegen“.
Die pinkinterne Krisenstrategie von Partei- und Klubführung war aufgegangen, den innerlich kochenden Ex-Gastronomen einzufangen und nach außen hin nur ja keinen Ärger aufkommen zu lassen.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob es in allen drei Parteien auch künftig auf diese Weise gelingt, den Deckel bei innerparteilichen Konflikten rechtzeitig draufzuhalten.