Josef Votzi Politik Backstage: Türkise Angst vor Straches Rache
Kogler & Co zeigen Zähne. In Wirtschaftskreisen kocht es ob des "Corona-Wahnsinns". Probiert Kurz den Befreiungsschlag mit "Wähler-Flex" Nehammer statt Blümel bei der Wien-Wahl?
INNENMINISTER KARL NEHAMMER. In Umfragen wird gerade getestet, ob er nicht der bessere ÖVP-Spitzenkandidat für die Wien-Wahl am 11. Oktober wäre.
Ist Grün schon das neue Rot? Oder Rot gar das neue Grün? Im grünen Kulturministerium gibt ab sofort eine Staatssekretärin mit lupenreiner SPÖ-Karriere den Ton an. Sozialisiert bei den sozialistischen Studenten, in die Spitzenpolitik geholt und bis zur Sektionschefin von SPÖ-Ministern geadelt.
Ihre Parteimitgliedschaft hat die rote Leihgabe auf dem grünen Regierungs- Ticket, Andrea Mayer, mit Amtsantritt stillgelegt.
Auch in das Vorzimmer des grünen Gesundheitsheitsministers zieht eine gelernte Topbeamtin mit rotem Lebenslauf ein. Rudolf Anschobers neue Generalsekretärin Ines Stilling war zuletzt - auf diskrete SPÖ-Empfehlung hin - Frauenministerin in der Expertenregierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein. Stilling startete ihre Karriere im Kabinett der damaligen Frauenministerin Doris Bures, die bis heute als rote Strippenzieherin zugange ist.
Im ÖBB-Aufsichtsrat nimmt eine Ex-SPÖ-Spitzenfrau wieder Platz, die vom FPÖ-Verkehrsminister über Nacht geschasst worden war: Brigitte Ederer kehrt auf ausdrücklichen Wunsch der grünen Ressortchefin Leonore Gewessler in das einflussreiche Kontrollgremium der Staatsbahn zurück.
Rotes Wunschdenken Partnertausch
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Während auf der Bühne tageund elendslang über ein Budget debattiert wurde, das ohnehin nicht hält, sorgten diese nachhaltigeren Personalia so hinter den Politkulissen im Parlament für weitaus heftigere Spekulationen. Der eine oder andere rote Abgeordnete analysierte hoffnungsfroh: "Schön langsam kommen auch die Ökos drauf, dass die ÖVP ein schwarzes Loch ist, das alles verschlingt, wenn man es lässt. Es ist an der Zeit, dass sich die Grünen Optionen jenseits der ÖVP strategisch aufmachen und offenhalten."
Hat die türkise Machtmaschine schon derartige Frustrationen bei den Grünen ausgelöst, dass diese bereits an Partnertausch denken?
Im Moment ist das nicht mehr als Wunschdenken auf harten roten Oppositionsbänken. Die auffällig rotlastige Welle bei der jüngsten grünen Spitzenpersonal-Kür hat eines Gemeinsames: Personalnot. Die Entscheidung für die seit Studententagen in der SPÖ verankerte neue Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer war eine schlicht pragmatische. Ulrike Lunacek war von Werner Kogler als grüne Stimme auf dem komplexen EU-Parkett gesetzt. Die Funktion "Kulturstaatssekretärin" war nicht mehr als ein besseres Türschild, um die in Brüssel querdurch anerkannte Ex-Vizepräsidentin des EU-Parlaments im türkis-grünen Regierungs-Organigramm unterzubringen. Dann kam Corona, und der Etiketten-Schwindel wurde zum Super-Gau, den ihr Erfinder und Chef als letztverantwortlicher Kulturminister, Werner Kogler, bei ihrem Abgang erst gar nicht lange camouflierte: "Ulrike Lunacek konnte ihre Fähigkeiten nicht ausspielen."
Dem Parteichef dämmerte bereits in den Wochen davor, dass bei den Grünen nach wochenlangem Corona-Schulterschluss Feuer am Dach ist. Der Unmut der hochsensiblen Kulturszene war ein Vorbote eines Gegenwinds, der auch anderen Spitzenplayern des grünen Regierungsprojekts drohen könnte. In einer internen Info-Offensive ließ Kogler seine Parteifunktionäre wissen, dass er nicht nur türkisen Anti-Corona-Plänen "die Giftzähne gezogen" hätte, sondern auch "Groscherlzählern" bei den Hilfspaketen erfolgreich den Kampf angesagt habe (trend 20/20: "Der grüne Mister Corona").
Grüne Ego-Offensive
In mehreren Zeitungs-Interviews berühmt Kogler nun auch offen, dass die Grünen noch mehr Corona-Widrigkeiten verhindert hätten: etwa totale Ausgangssperre (ohne grünes Licht fürs Spazierengehen oder Sport) und eine verpflichtende Anti-Corona-App. Türkis "ist eine gut geölte Maschine", tat Kogler offenherzig kund, aber "niemand ist mit absoluter Macht ausgestattet".
Der Kurz-Vize verpackte die grüne Ego-Offensive in ein Kompliment: "Das Umfeld von Kurz versteht das Handwerk der Machtpolitik. Aber die letzten Tage haben gezeigt, dass wir uns auch stärker aufstellen und schnell lernen. Wir bauen jetzt unser Team und unsere Ressorts um."
Kogler &Co zeigen auch regierungsintern mehr Zähne. Der neue Zug zum Tor wird zum einen dem Wechsel von Stefan Wallner ins Vizekanzler-Büro zugeschrieben. Der neue Kogler-Generalsekretär war als Bundesgeschäftsführer das Mastermind hinter den Wahlerfolgen in der Ära Glawischnig, polarisierte mit seinem entschiedenen Führungsstil aber auch intern. Zum anderen treten auch die grünen Regierungsmitglieder intern und extern zunehmend selbstbewusster auf. "Die Debatten vor Entscheidungen haben zugenommen", sagt ein teilnehmender Beobachter des Regierungsalltags.
Schwache türkise Ministerriege rächt sich
Bei den Türkisen löste das neue Selbstbewusstsein der Grünen zwar Irritationen aus. Das Gesprächsklima scheint auf allen Regierungsebenen aber auf Sicht weiter in Takt zu sein. Auch Kurz weiß, dass Streit gerade in Corona-Zeiten wie diesen beiden Partnern schaden könnte.
Seine Energien und Nerven sind zudem an mehreren Fronten in den eigenen Reihen schwer strapaziert. Der 33-jährige hat sich in der Corona-Krise als starker Leader positioniert. Jetzt rächt sich, dass er sein Regierungsteam auf die Rolle von besseren Sektionschefs reduziert hat, die nur jene Partitur vorsingen dürfen, die die Messagekontrollore für sie vorgeschrieben haben. Ein Konzept, das nur in Hochkonjunkturzeiten länger gut geht, aber nicht in Krisenzeiten. "Kurz spürt, dass er allein dasteht", sagt ein Mitstreiter am Kabinettstisch.
Auffällig oft kommandierte die türkise Führung Nehammer ab, um die rote Rathausmannschaft zu attackieren.
Dazu kommt: Bei Wegreden der Probleme mit Propaganda hat sein PR-Team mehrfach augen- und ohrenschmerzend übersteuert. Das lancierte Foto der Arbeitsministerin Christine Aschbacher als Euro-Hunderter verteilende Wohltäterin ging krachend nach hinten los. Die mediale Gegenoffensive aus dem Kurz-Team gegen den prominenten Cafétier Bernd Querfeld kostete in den eigenen Reihen noch einmal Sympathien. Der ÖVP-Unternehmer hatte unverhohlen kritisiert, was sich viele nicht offen zu sagen trauen, aber immer wütender macht: Die versprochene Milliarden-Hilfen kommen nur tröpfelnd an.
Verblasst Blümel im Anti-Corona-Stimmungstest?
Dass Finanzminister Gernot Blümel durch einen Flüchtigkeitsfehler um ein Haar auch zahlungsunfähig zu werden drohte, befeuert nun ein türkis-internes Planspiel. Der glücklose Kurz-Freund hat am 11. Oktober in Wien nicht nur eine Schlüsselwahl, sondern den ersten Post-Corona-Beliebtheitstest in harter Wählerwährung zu bestreiten.
Die türkise Truppenführung kommandierte jüngst Innenminister Karl Nehammer auffällig oft ab, um die rote Rathausmannschaft als gefährliche Risikogruppe bei der Bekämpfung des Coronavirus zu attackieren. Das war nicht nur ein erstes Vorwahlgeplänkel. Das ist auch ein Test, ob Nehammer in Wien auch als "Wähler-Flex" tauge. Statt mit Dominik Nepp nur ein blasses Gegenüber tritt mit Strache jetzt ein zweiter und zäherer Widersacher im türkis-blauen Nahkampf um rechte Wählerstimmen an. Kurz hat vor dem Rachefeldzug seines Ex-Partners mehr Sorge, als er zugibt. Denn die von Strache &Co befeuerte Stimmung "Stoppt den Corona-Wahnsinn" hat mehr Anhänger, als dem türkisen Regierungschef lieb sein kann.
Umfragen sollen nun testen, ob der kantige Nehammer nicht das wirksamere Gegenüber wäre als der in der Anti-Corona-Stimmung verblassende Blümel.
Noch lassen sowohl der ÖVP-Finanzminister als auch der ÖVP-Kanzler diese Planspiele entschieden dementieren.
Eines ist bereits gesichert: Der türkise Parteichef hat eine Schlüsselstelle in einem der vielen Interviews, die sein Idol a. D. Wolfgang Schüssel anlässlich seines 75ers am Pfingst-Wochenende gab, besonders aufmerksam studiert. Als Hauptgrund, warum er 2006 das Kanzlerbüro wieder räumen musste, nennt Schüssel eine Urangst, die dieser Tage auch Sebastian Kurz wieder verstärkt umtreibt:"Wir waren uns zu sicher, dass die freiheitlichen Wähler, die zu uns wechselten, auch bleiben würden. Die Hälfte ist zwar geblieben, aber die andere wieder gegangen. Da hätte uns mehr einfallen müssen."
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend beleuchtet er wöchentlich Österreichs Politik.
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