
ÖVP-Chef Christian Stocker und FPÖ-Chef Herbert Kickl
©HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.comNach der Absage an Blau-Türkis ringen FPÖ und Dreierkoalition um den künftigen Umgang miteinander. Warum die ÖVP kurzzeitig einen Waffenstillstand mit Herbert Kickl ausrief. Wie die FPÖ im Herbst neben dem U-Ausschuss nun auch mit Wirtschaftsthemen punkten will.
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Es war einen Tag vor Beginn der dreitägigen Marathonsitzung in der zweiten Juliwoche. Bevor sich das Parlament in die Sommerpause schickte, stand ein Monsterprogramm an. Allein 140 Gesetze waren im Rahmen der noch unter Türkis-Grün beschlossenen Abschaffung des Amtsgeheimnisses zu novellieren. Dazu kamen jede Menge anderer Vorhaben vom Durchbruch bei der Messengerüberwachung bis zur ersten Mini-Pensionsreform.
Unter diesen Voraussetzungen verschafft sich der zunehmende Lagerkoller Luft, und das nicht nur zu später Stunde. Zumal die FPÖ seit Amtsantritt der Dreierkoalition alle Hemmungen verloren zu haben scheint. Es hagelt Zwischenrufe. Redner werden versucht, mit lautem Gelächter aus der Fassung zu bringen, und oft wird der Bihänder ausgefahren, wenn Blaue selber am Rednerpult sind.
Just am Vortag der dreitägigen Redeschlacht verblüffte so ÖVP-Klubchef August Wöginger die Abgeordneten, als er in der Klubsitzung mit großem Nachdruck und besonders ernster Miene die Order ausgab: In den kommenden drei Tagen ist, bitte, Herbert Kickl in keinem Fall zu attackieren. Ganz gleich, wie sehr FPÖ-Mandatare provozieren. Jeder, der das tue, schade damit sich selber, aber auch der ÖVP massiv.
Die Stillhalte-Order des ÖVP-Spitzenmanns in Richtung des FPÖ-Chefs hatte keinen politischen, sondern einen rein persönlichen Grund. Herbert Kickls Vater, Andreas, Jahrgang 1944, war wenige Stunden zuvor verstorben. Der FPÖ-Chef hatte sich schon eine Woche davor aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, weil sein Vater schwer erkrankt war.
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Blau-schwarze Trauerarbeit
Vor allem einigen Mandataren im ÖVP-Wirtschaftsbund kam die – der Pietät geschuldete – Order durchaus zupass. Sie könnten gut und besser damit leben, würde diese in die Verlängerung gehen. „Auf mich kommen immer wieder ÖVP-Leute zu und sagen: Es ist so schade, dass wir nicht zusammengekommen sind“, berichtet ein prominenter FPÖ-Mann.
Nach zähen Verhandlungsrunden zu dritt macht sich auch der eine und andere ÖVP-Mann, der schon bei Türkis-Blau führend mit an Bord war, in kleiner Runde Luft: „Mit den Blauen ist vieles leichter und schneller gegangen.“
Vier Monate nach Start der Dreierkoalition verfestigt sich auch vor diesem Hintergrund das Bild: Vor allem der ehemalige Regierungspartner ÖVP, der Anfang des Jahres drauf und dran war, das Koalitionsversprechen mit den Blauen zu erneuern, tut sich im Umgang mit der FPÖ nach wie vor schwer.
Attackieren oder lächerlich machen?
Weiter total draufhauen nach dem Motto „Mit Kickl ist kein Staat zu machen“ wie im Wahlkampf 2024? Oder doch runter vom Gas und die FPÖ wie ein unreifes Kind im Trotzwinkel verorten? Oder, wie es zuletzt vor allem SPÖ-Mandatare versuchten, Kickl & Co. lächerlich und dadurch kleiner machen?
Der SPÖ-Mandatar und Bürgermeister von Schwarzach im Pongau Andreas Haitzer deklinierte etwa jüngst im Parlament das F im Parteinamen so neu: FPÖ, die „Feige Partei Österreichs“, weil sie nicht den Mumm gehabt habe, Verantwortung für Österreich zu übernehmen.
SPÖ-Chef Philip Kucher, ein gebürtiger Kärntner wie Kickl, duzt den Landsmann auch vom Rednerpult aus konsequent und spricht ihn sehr oft direkt mit „Du, Herbert“ an. Kucher verwendet dabei Sprachbilder, die auch bei FPÖ-Anhängern hängen bleiben. Als Grund für die geplatzten blau-türkisen Verhandlungen proklamierte etwa Kucher in Richtung Kickl: „Wer nix hackelt, kann sich die Hände nicht schmutzig machen.“


SPÖ-Klubobmann Philip Kucher
© APA/MAX SLOVENCIK„Herbert, Du bist auch nicht der Größte“
Als sich Kickl in der neu entflammten Dienstwagendebatte über die Wahl der extralangen Audi-Variante für den „langbeinigen“ Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn lustig zu machen suchte, konterte ÖVP-Klubchef August Wöginger auf der gleichen Ebene: „Du bist auch nicht der Größte und fährst einen S-Klasse-Mercedes. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“
Hin- und hergerissen zwischen Ausbremsen, wo es nur geht, und ins Leere laufen Lassen waren die Spitzen der Dreierkoalition auch beim jüngsten Anlauf der Blauen, den verhassten Ex-Partner ÖVP ab Herbst wieder in einem U-Ausschuss vor sich her zu treiben. Als die FPÖ den Antrag für einen „U-Ausschuss zum ÖVP-Machtmissbrauch“ mit Pomp und Trara in einer eigenen Nationalratssitzung einbrachte, warben SPÖ- und Neos-Spitzen bei als weniger kampflüstern bekannten ÖVP-Leuten um einen gelassenen Umgang. Der vermutlich juristisch angreifbare Themenmix aus Causa Pilnacek und Corona-Aufarbeitung wird nur krampfhaft dadurch verklammert, dass in beiden Fällen das Innenministerium eine Rolle spielt. Da U-Ausschuss-Begehren sowohl vom Zeitraum als auch vom Thema her eindeutig sein müssen, setzten sich in der Koalition am Ende jene durch, die dessen Start nun mit einem mehrheitlichen Nein verzögern. Diejenigen bei Rot und Pink, die dafür plädierten, die Blauen sich in ihrem Kraut- und Rüben-Ausschuss selber verheddern zu lassen, mussten sich der Koalitionsräson beugen.
Die FPÖ wird nun wohl die beiden Themen auf zwei hintereinanderliegende Ausschüsse aufteilen oder, wenn es die Nachrichtenlage gebietet, einen neuen aus dem Hut ziehen. Immer flankiert von der Propagandawalze „Die Einheitspartei will alles zudecken“.


Die FPÖ braucht einen U-Ausschuss als Bühne bis zu den nächsten relevanten Wahlen, den Landtagswahlen in Oberösterreich 2027.
FPÖ nach Absage an Blau-Türkis außer Tritt
Wirklich Tritt gefasst hat freilich auch die FPÖ nach dem gescheiterten Anlauf zurück auf die Regierungsbank noch nicht. Mehr als vier Monate danach ergeben Insiderberichte aus beiden Parteilagern zum Verlauf der Verhandlungen ein unzweifelhaftes Bild: Herbert Kickl – und mit ihm der kleine Kreis enger Vertrauter – bekam Angst vor der eigenen Courage. Der FPÖ-Mann fürchtete, angesichts der Riesenherausforderung in Sachen Budget und dem verbleibenden Mini-Gestaltungsspielraum politisch und persönlich zu scheitern.
Das tragen ihm in der FPÖ vor allem Funktionäre der zweiten und dritten Reihe, die sich wieder an den Futtertrögen der Macht wähnten, bis heute nach. FPÖ-Kenner in der ÖVP resümieren: Weil Kickl spüre, dass er extern und intern deswegen weiter unter Druck ist, suche er sein Heil in der Flucht nach vorne. „Er attackiert uns härter denn je, um seine Wähler und Funktionäre bei Laune zu halten.“
Dazu kommt, dass die nächste Chance für ein nachhaltiges politisches Erfolgserlebnis erst die oberösterreichischen Landtagswahlen im Herbst 2027 bieten, wo sich ÖVP und FPÖ derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Angesichts von zwei wahlfreien Jahren 2025 und 2026 braucht die FPÖ daher dringend ein Vehikel wie einen U-Ausschuss für einen Zwischenwahlkampf.
Blaue Herbstoffensive in Sachen Wirtschaft
In den FPÖ-internen Planspielen für die politische Herbstsaison wollen es Kickl & Co. aber nicht dabei belassen. „Der U-Ausschuss ist das Sahnehäubchen. Wir werden nach den Ferien vor allem die immer dramatischere wirtschaftliche Situation und das Versagen der Regierung dabei thematisieren“, so ein FPÖ-Stratege. Als künftige blaue Brennpunkte auf der politischen Vorderbühne nennt der FPÖ-Mann die nach wie vor hohe Inflation, die Insolvenzrate und die Arbeitslosigkeit und vor allem „die steigende Frustration in ÖVP-Wirtschaftskreisen“.
Hinter den Kulissen beginnen FPÖ-Leute, zeitgleich zu streuen, wie gut beispielsweise die schwarz-blaue Koalition beiden Parteien in Niederösterreich zur Halbzeit tue. Die ÖVP habe sich vom negativen Bundestrend erholt und komme mit 36 Prozent wieder in die Nähe ihres letzten Wahlergebnisses. Die FPÖ liege mit 27 Prozent zwar leicht über ihrem Wahlergebnis, aber mit einem klaren Respektabstand zur Nummer eins. Bedeutungsschwangerer Nachsatz: „Man muss das nur mit dem Zahlen im Bund vergleichen: Würde die ÖVP mit der SPÖ regieren, würde sie deutlich schlechter liegen.“
Das wechselhafte Beziehungsleben zwischen Schwarz-Türkis und Blau wird ab Herbst ambivalenter denn je neu eröffnet.