
Vizekanzler Babler, Bundeskanzler Stocker und Außenministerin Meinl-Reisinger beim Trauer-und Gedenkgottesdiensts im Stephansdom.
©APA/Georg HochmuthDer Umgang mit dem schrecklichsten Amoklauf des Landes wird auch zur Belastungsprobe für Türkis-Rot-Pink. Statt politischem Aktionismus im ersten Schock will die Regierung kommenden Mittwoch ein Bündel an Maßnahmen als Antwort auf die „nationale Tragödie“ von Graz vorlegen.
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- Regierungsbilanz der Superlative abgesagt
- Schalter auf Drei-Tage-Staatstrauer rasch umgelegt
- Lagebericht in abhörsicherem Raum
- Schärferes Waffenrecht: SPÖ drängt, ÖVP bremst
- Neos: Mehr psychologische Hilfe für Schüler & junge Erwachsene
- Verhinderter Terror-Akt bei Taylor-Swift-Konzert als Fanal
- Große Mehrheit für Anti-Terror-Maßnahmen
- Security-Check bleibt leeres Versprechen
Die Regierungskommunikatoren hatten seit Wochen mit Hochdruck auf diesen Termin hingearbeitet: Diesen Mittwoch sollte die Angelobung des Kabinetts Stocker-Babler-Meinl-Reisinger am 3. März genau hundert Tage zurückliegen. In Einzelinterviews hatten der Kanzler und viele Minister ab Mitte Mai bereits erste persönliche Bilanz gezogen.
Am Tag vor dem 100-Tage-Jubiläum wollte die Regierungsspitze diese erste Zäsur mit einem gemeinsamen Mediengespräch zelebrieren – in Sparzeiten wie diesen ohne zusätzlichen Aufwand und Inszenierungs-Schnickschnack im Bundeskanzleramt, freilich aber mit einer Präsentationsunterlage, die vor Superlativen strotzte.
Regierungsbilanz der Superlative abgesagt
Gezählte 57 Vorhaben, die schon gesetzlich beschlossen oder gerade in der parlamentarischen Umsetzung sind, listet die erste Dreierkoalition auf. Zieht man wie in jedem anderen Beruf die arbeitsfreien Wochenenden von den ersten 100 Regierungstagen ab, dann haben die türkis-rot-pinken Minister praktisch beinahe jeden Tag politisch etwas Neues ins Laufen gebracht, so die intern ausgegebene Parole.
Allen voran werden breit bekannte Projekte wie das Doppelbudget 2025/26, der Mietpreisstopp in Altbauten, eine steuerfreie Mitarbeiterprämie und ein Handyverbot im Klassenzimmer genannt, aber auch weniger geläufige Maßnahmen wie ein „Made-in-Europe-Bonus“ für Photovoltaik-Anlagen und Stromspeicher oder ein Klimacheck für Gesetzesinitiativen – sowie einige Vorhaben, die noch in der Startphase sind wie die Einsetzung einer Wehrdienst-Kommission „zur Weiterentwicklung von Wehrdienst und Miliz“ (sprich Verlängerung von Wehrpflicht und/oder Milizübungen), die Erarbeitung einer Industriestrategie oder der Start der Task-Force zur Durchforstung von Förderungen.
Schalter auf Drei-Tage-Staatstrauer rasch umgelegt
Mit den ersten Eilmeldungen „Amoklauf in Grazer Schule“ Dienstagvormittag wurde rasch zur Gewissheit: Der für Dienstag, 12.30 Uhr geplante Medienauftritt der Regierungsspitzen muss – wohl ersatzlos – abgesagt werden. Stattdessen verständigten sich die drei Parteichefs binnen kurzem darauf, eine dreitägige Staatstrauer auszurufen.
Christian Stocker machte sich auf den Weg nach Graz und gab die Parole einer „nationalen Tragödie“ aus. Vor Ort fanden sich umgehend auch ÖVP-Innenminister Gerhard Karner, sein SPÖ-Staatsekretär Jörg Leichtfried und Neos-Bildungsminister Christoph Wiederkehr ein.
„In solchen dramatischen Minuten sieht und spürt man, wie es um den Zusammenhalt steht“, resümiert ein Regierungsstratege, „wir haben ohne lange Debatten den Schalter von Regierungsjubiläum auf Staatstrauer umgelegt. Alle Beteiligten haben dann auch vor Ort – dem dramatischen Anlass angemessen – würdige Auftritte absolviert und die richtigen Worte gefunden.“


Innenminister Karner und Bundeskanzer Stocker nach dem Amoklauf in Graz.
© APA/Erwin ScheriauLagebericht in abhörsicherem Raum
Nicht auf Anhieb angetan waren alle Beteiligten von der Idee, den „Nationalen Sicherheitsrat“ für den übernächsten Tag ins Parlament einzuberufen. Der Nationale Sicherheitsrat wurde nach dem Terroranschlag 9/11 in New York, der im Jahr 2001 fast 3.000 Menschen das Leben gekostet hatte, eingerichtet. Die Idee: In dramatischen internationalen und nationalen Bedrohungslagen sollen Vertreter aller Parteien in einem abhörsicheren Raum des Parlaments ein umfassendes Bild vermittelt bekommen – inklusive verfügbarer Geheimdienst-Informationen.
Dem Gremium gehören Kanzler, Vizekanzler, Außenministerin, Verteidigungsministerin, Innenminister, Justizministerin, Mitglieder aller im Nationalrat vertretenen Parteien sowie ein Spitzenbeamter der Präsidentschaftskanzlei, ein Vertreter des Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, der Generalsekretär im Außenamt, der Chef des Generalstabs, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit sowie Spitzenbeamte aus Präsidentschaftskanzlei und Ministerien an.
Vor allem in Neos-Kreisen gab es anfangs Bedenken wie diese: „Ein Amoklauf, so schrecklich dieser auch war, ist keine nationale sicherheitspolitische Notlage.“ Die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrats könnte das Bild erzeugen, dass es sich in Graz um einen Terror-Attentäter handelt und damit falsche Assoziationen wecken.
Nach kurzer interner Debatte setzte sich aber folgende Sichtweise durch: „Der Nationale Sicherheitsrat ist ein sinnvolles Instrument, alle Parteien an einen Tisch zu holen und offen über alles, was wir wissen, zu informieren“, so ein SPÖ-Spitzenmann.
Im Vorfeld wurde zudem regierungsintern die Parole ausgegeben, sich mit der Ankündigung von konkreten Maßnahmen als politische Konsequenz aus dem Amoklauf in allen drei Parteien total zurückzuhalten.
Schärferes Waffenrecht: SPÖ drängt, ÖVP bremst
Eine Devise, an die sich bislang alle gehalten haben – auch wenn, so ein Regierungsinsider, „intern bereits sehr stark spürbar ist, dass vor allem die SPÖ auf eine deutliche Verschärfung des Waffenrechts drängt“. Die ÖVP, so teilnehmende Beobachter, „tut sich bei dem Thema wegen der starken Bauern- und Jägerlobby in den eigenen Reihen sehr schwer“. Fakt ist, rufen Ex-Regierungskollegen der ÖVP in Erinnerung, dass in der Regierungszeit Kurz-Strache das Waffenrecht zugunsten dieser Gruppe aufgeweicht worden war: Jäger benötigen seit damals vor dem Kauf einer Pistole nicht mehr wie jeder andere ein psychologisches Gutachten – eine, wie der Fall des Amok-Schützen zeigt, zwar fragwürdige, aber formal bestehende Hürde.
Jeder, der einen Jagdschein besitzt, kann, sobald er 18 Jahre ist, beim Waffenhändler eine Faustfeuerwaffe ordern – und nach einer Wartefrist von drei Tagen mit nach Hause nehmen. Mit der Drei-Tage-Frist, so die Absicht des türkis-blauen Gesetzgebers, sollen Affekthandlungen vermieden werden.
„Die SPÖ-Position beim Waffenrecht war immer viel kritischer, daher werden wir hier gemeinsam etwas tun“, proklamiert ein roter Spitzenmann.
Neos: Mehr psychologische Hilfe für Schüler & junge Erwachsene
Zusätzlich sollen auch „Maßnahmen für einen besseren Opferschutz“ ins Spiel gebracht werden. Geht es nach den Wünschen aus allen drei Regierungsparteien, könnte es ein Bündel an Maßnahmen geben, das neben einem strengeren Waffengesetz und besseren Opferschutz auch mehr Angebote an psychologischer Unterstützung für Schüler und junge Erwachsene umfasst – wie vor allem von den Neos gefordert. Zudem sollen – die auch im Regierungsviertel empörenden – Hürden bei der Datenweitergabe innerhalb von Behörden geschlossen werden. Stichwort: Der Amokschütze von Graz war vom Bundesheer wegen „psychischer Instabilität“ als untauglich zum Dienst mit der Waffe befunden worden.
Bis kommenden Mittwoch, so der Plan, wollen Türkis-Rot-Pink ein erstes Maßnahmenpaket als Konsequenz aus dem größten Amoklauf Österreichs in den Ministerrat einbringen. Konkreter will sich derzeit auch hinter den Kulissen keiner der Beteiligten im Regierungsviertel in die Karten schauen lassen.
Verhinderter Terror-Akt bei Taylor-Swift-Konzert als Fanal
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Eingeweihte wissen, dass Regierung und Opposition bei einem der letzten Anlässe, den Nationalen Sicherheitsrat einzuberufen, den Mund nachweislich zu voll genommen haben.
Der vorletzten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats im Herbst des Vorjahrs stand tatsächlich so etwas wie eine sicherheitspolitische nationale Notlage Pate. Nach Hinweisen ausländischer Geheimdienste über Pläne für einen Anschlag auf ein Taylor-Swift-Auftritt in Wien wurden zwei Verdächtige von der Polizei festgenommen und die Konzerte last minute durch den Topstar selbst abgesagt.
Im Zuge der Ermittlungen kam der Verdacht auf, dass der mutmaßliche Kopf des Terrorplans unter als Securities angeheuerten Konzerthelfern mögliche Komplizen gehabt habe.


Der damalige Bundeskanzler Nehammer (ÖVP) vor der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats anlässlich des geplanten Anschlags auf das Taylor-Swift-Konzert in Wien.
© APA/MAX SLOVENCIKGroße Mehrheit für Anti-Terror-Maßnahmen
Bei einer umgehend einberufenen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats brachten mehrere Parteien erfolgreich Anträge mit der gleichen Stoßrichtung ein. Security-Firmen sollten gesetzlich verpflichtet werden, alle – auch die kurzfristig zusätzlich für Großveranstaltungen engagierten – Mitarbeiter vorab einem Security-Check zu unterziehen und behördlich registrieren zu lassen. Wörtlich hieß es etwa im Antrag der Grünen, damals noch Regierungspartei: „Bei Veranstaltungen, die kritisch für die öffentliche Sicherheit sind, soll die Überprüfung der Beschäftigten von Sicherheitsunternehmen durch die Behörden des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf ihre Verlässlichkeit evaluiert und verschärft werden.“
Die damals noch in Opposition befindliche SPÖ hielt mit verhaltener Häme Türkis-Grün ihr eigenes Regierungsabkommen als Spiegel vor: „Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres und der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, werden ersucht, gemäß dem Regierungsübereinkommen aus dem Jahr 2020 umgehend ein Gesetz für die Regelung der Ausübung des Gewerbes privater Sicherheitsdienstleister (Sicherheitsdienstleister-Gesetz) vorzulegen. Dieses Gesetz soll vor allem sicherstellen, dass die Zuverlässigkeit von privaten Sicherheitsunternehmen und ihrer Beschäftigten vor allem bei Großveranstaltungen überprüft werden kann.“
Ob dem Mitte August anlaufenden Wahlkampf für die Nationalratswahl am 29. September oder dem Schock ob des knapp verhinderten Blutbads im Ernst-Happel-Stadion geschuldet, ist offen. Fakt ist: Innenminister Gerhard Karner und Arbeitsminister Martin Kocher ließen binnen vierzehn Tagen einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen.
Security-Check bleibt leeres Versprechen
Für mehr reichte es bei Türkis-Grün vier Wochen vor der Wahl aber nicht mehr. „Das ist dann in die Koordinierung gegangen“, sagt ein Top-Grüner. Warum das kurz davor noch als äußerst dringend deklarierte Vorhaben nicht mehr ins Parlament zur Beschlussfassung eingebracht wurde, harrt auch grün-intern noch der Aufklärung.
Ein entsprechendes Vorhaben hat nun ähnlich wie Türkis-Grün auch Türkis-Rot-Pink in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben.
Mitte August 2024 hatte der Nationale Sicherheitsrat nach dem verhinderten Terror-Attentat auf ein Taylor-Swift-Konzert im Hohen Haus mit großer medialer Anteilnahme getagt und dringenden Handlungsbedarf proklamiert. Zehn Monate danach ist in den weiten Hallen des Parlaments in Sachen Schließung der vielfach beklagten Sicherheitslücke bei Security-Diensten nach wie vor keine Bewegung in Richtung Gesetzwerdung auszumachen.