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„Politik Backstage“: Bangen und Hoffen auf „Brief aus Brüssel“

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Bundeskanzler Christian Stocker und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

©picturedesk.com/APA/Andy Wenzel
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Nach dem Doppelbudget ist vor dem nächsten Kraftakt. In der ÖVP und bei den Neos wollen immer mehr das EU-Defizitverfahren zum Big Bang nutzen: vom Aufschnüren des Plus bei den Beamtengehältern 2026 bis zu Pensionserhöhungen und Lohnabschlüssen unter der Inflationsrate. 

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In Managerzirkeln, die ihre Wurzeln oder Sympathien bei Schwarz-Türkis haben, kommen einige Spitzenleute nach wie vor aus dem Kopfschütteln nicht heraus. „Da gibt der Staat um acht Prozent mehr aus als im Rekordjahr 2024 und das wird als Sparbudget gefeiert.“ Dazu kommt, sagen langjährige Kenner des Innenlebens im Regierungsviertel: „Jeder, der auch nur ein bissel an der Oberfläche des Budgets 2025/26 kratzt, weiß, dass das alles im Vollzug nicht halten wird.“

Es ist nicht nur der Blick auf das große Ganze. Es sind auch scheinbare Kleinigkeiten, die für Irritationen sorgen: „Selbst in der Regierung mit den Grünen haben wir uns erfolgreich gegen die langjährige Forderung nach Mehrwertsteuerbefreiung für Verhütungsmittel und Hygieneartikel gewehrt. In einem Sparbudget spielen die 35 Millionen plötzlich keine Rolle mehr“, moniert ein alles andere als stockkonservativer ÖVP-Mann.

 Je weiter weg man sich dieser Tage aus dem Regierungsviertel bewegt, desto mehr wird offenbar: In Sachen Budget gehen die Sichtweisen immer weiter auseinander. Im Finanzministerium atmen viele nach wochenlangem Ausnahmezustand erleichtert auf. „Ich glaube, da ist uns schon ein großer Wurf gelungen. Wir sind ein bisschen stolz darauf, das in der kurzen Zeit geschafft zu haben“, proklamiert Markus Marterbauer, wo immer er kann.

Vor allem eines wird im ganzen Regierungsviertel hoffnungsfroh registriert: Das Tauziehen um den Staatshaushalt ging nach außen hin lautlos über die Bühne. 

Trotz des gegenseitigen Schulterklopfens ist es freilich ein offenes Geheimnis: Nach der unfallfreien Premiere ist vor dem nächsten wahren politischen Kraftakt. In ÖVP-Kreisen haben Topplayer mit Wirtschaftshintergrund, aber auch immer mehr Länderchefs nicht erst das nächste Budget 2027 im Auge. Sie wollen in den kommenden Wochen und Monaten einige milliardenschwere Budgetbrocken neu auf die politische Agenda setzen.

Vor allem der von der Übergangsregierung Nehammer-Kogler abgesegnete Gehaltsabschluss für die Beamten liegt zuvorderst Spitzenleuten des bürgerlichen Lagers in Bund und Ländern nach wie vor schwer im Magen. Die Bezüge der rund 250.000 Staatsdiener im Bund wurden nicht nur für 2025 im Durchschnitt um 3,5 Prozent erhöht. In einem Aufwaschen paktierten Beamtenminister Werner Kogler und Übergangsfinanzminister Gunter Mayr – Magnus Brunner hatte sich bereits nach Brüssel verabschiedet – im November 2024 auch schon ein Gehaltsplus für 2026. Zuzüglich zur Abgeltung der Inflationsrate gestand Türkis-Grün den Staatsdienern ein zusätzliches Plus von 0,3 Prozent zu.

Der großzügige Doppelabschluss hatte einen simplen Grund: Zwei Tage nach Verkündigung der Einigung zwischen Regierung und Beamtengewerkschaft standen die Personalvertretungswahlen im Bund an. 

Weil traditionellerweise Länder und Gemeinden den Gehaltsabschluss im Bund für ihre mehr als 300.000 Mitarbeiter übernehmen, beginnt sich hinter den Kulissen eine breitere Lobby zum Aufschnüren des Gehaltsabschlusses 2026 zu formieren.

Sparvorschlag 1: Beamtengehaltsabschluss 2026 aufschnüren

„Dieser Gehaltsabschluss muss kurzfristig noch einmal angegangen werden. Da muss man einen Punkt setzen“, lässt ein ÖVP-Länderchef dieser Tage im kleinen Kreis wissen. „Ich rede nicht von einer Nulllohnrunde, das hat etwas Demotivierendes. Aber ein Abschlag von nur einem Prozent vom Gehaltsabschluss bringt sehr viel, vor allem weil das strukturell wirkt und in die nächsten Budgets fortgeschrieben wird.“

Ein ÖVP-Wirtschaftsmann schlägt hinter den Kulissen in die gleiche Kerbe, zumal er sich vom Aufschnüren des Beamtengehaltsabschlusses eine zusätzliche Ausgabenbremse bei Pensionen und eine Vorbildwirkung für die kommenden Kollektivvertragsverhandlungen erwartet.

Sparvorschlag 2: Mageres Pensionsplus als Entlastungsmaßnahme

Tritt die Regierung analog zu den Staatsdienern auch bei den Pensionisten auf die Ausgabenbremse, würde das – so eine erste Überschlagsrechnung – allein bei den Pensionen den Staatshaushalt um rund 900 Millionen entlasten. Werden die Bezieher einer Ausgleichszulage davon ausgenommen, würde das marode Budget immer noch um 800 Millionen entlastet. In Summe würde diese Kostenbremse bei Beamten und Pensionen auf der Ausgabenseite binnen zwei Jahren mit 2,5 Milliarden Euro aufs Budget durchschlagen. 

„Das wäre nicht nur generell inflationsdämpfend, sondern hätte auch Auswirkungen auf die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen“, sagt ein wirtschaftsnaher ÖVP-Insider.

Besonders aufmerksam wurden so auch die jüngsten Budgetanalysen von Wifo-Chef Gabriel Felbermayr registriert. Der Wirtschaftsforscher sieht die These in Frage gestellt, dass es richtig sei, in Zeiten schrumpfenden Wachstums höhere Reallöhne zur Wirtschaftsankurbelung herauszuholen. Im Europavergleich überdurchschnittlich wachsende Einkommen haben zuletzt allein – und das massiv – die Sparquote statt die einbrechende Konjunktur stimuliert.

Sparvorschlag 3: Lohnabschlüsse unter der Inflation

Auch aus Sicht der Beschäftigten könnten daher moderate Lohnabschlüsse die bessere Option sein, so Felbermayr, weil damit ihre Arbeitsplätze gesichert seien. Denn, argumentieren Ökonomen auch abseits von Felbermayr: In Sachen Lohnanstieg hat Österreich im Vorjahr fast die ganze Eurozone auf die Plätze verwiesen. In Sachen Wachstum droht Österreich 2025 aber neuerlich Schlusslicht zu bleiben.

„Es ist eine Tatsache, dass wir als Standort bei den Löhnen und bei der Energie zu teuer geworden sind“, sagt auch ein ÖVP-Spitzenmann. Um gegenüber der Konkurrenz wieder Boden gutzumachen, müsse die Inflation eine Zeit lang nicht die Untergrenze, sondern die Obergrenze bei Lohnverhandlungen sein.

Der Staat müsse daher, so der Tenor nicht nur in ÖVP-Wirtschaftskreisen, dringend ein Zeichen der Trendumkehr setzen und sowohl bei den Beamtengehältern als auch bei den Pensionen auf die Bremse steigen. „Wenn wir als Staat bei den Pensionen vorangehen und bei einer 2.000-Euro-Nettopension statt 60 Euro nur 40 Euro drauflegen, wird deswegen die Republik brennen?“, fragt so ein ÖVP-Wirtschaftsmann rhetorisch.

Das Aufschnüren eines Gehaltsabschlusses, wissen auch jene Politiker, die dafür hinter den Kulissen bereits heftig werben, wäre hierzulande allerdings ein Tabubruch. Pensionserhöhungen unter der Inflationsrate wären zwar ebenfalls ein Kraftakt, aber nicht politisches Neuland. Abschlüsse unter der Teuerung gab es für Rentner immer wieder.

Eine Schlüsselrolle könnte dabei der in den kommenden Wochen erwartete „Brief aus Brüssel“ spielen. Wenn es demnächst zur Eröffnung des erwarteten Defizitverfahrens durch die EU-Kommission kommt, dann gibt es auch Post aus Brüssel, die in der Regel mit Vorschlägen zur nachhaltigen Verringerung des Budgetdefizits aufwartet.

Dieser „Brief aus Brüssel“ wird in der roten Regierungsreichshälfte mit „einem gewissen Bangen“ erwartet, so ein Koalitionsinsider. „Rückenwind erhoffen“ vice versa die Entscheidungsträger der Pinken und der Schwarz-Türkisen. „Das ist auch einer der Gründe, warum es rund um das Budget derzeit so ruhig ist. Es ist die Ruhe vor dem Sturm“, so der Regierungsmann. „Denn das wird kein Faserschmeichler-Brief sein und auch die heiklen Sachen ansprechen, um die wir uns bisher herumgedrückt haben, vor allem bei der Finanzierung der Pensionen und des Gesundheitssystems.“

Einen neuen Anlauf in Sachen Entbürokratisierung und Entflechtung des Kompetenzdschungels wollen Regierung und Länder schon im Vorfeld des „Briefs aus Brüssel“ starten. Vorbild soll der Österreich-Konvent Anfang der 2000er-Jahre sein, aus dem einige gute Reformideen nach wie vor brachliegen.

Klein halten wollen die Promotoren bei ÖVP und Neos den Restart aber personell. Statt damals rund 70 Leuten sollte ein maximal ein Dutzend Personen großes „Clearing Committee“ diesmal den Prozess managen.

„Wir sollten uns dafür die kommenden zwölf bis 18 Monate Zeit nehmen“, proklamiert ein ÖVP-Ländermann. Nicht länger, um die offenen Fragen nicht zu zerreden. Nicht kürzer, um die Chance zu haben, auch tatsächlich zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen.

Selbst langjährige Politprofis halten das nicht für vollkommen naiv. Denn in den kommenden 24 Monaten gibt es keine maßgeblichen Wahlen. Erst im Herbst 2027 steht mit den oberösterreichischen Landtagswahlen wieder ein auch bundesweit relevanter Wahlgang am Kalender. „So ein Mondfenster wie jetzt, dass am Beginn einer Legislaturperiode zwei Jahre ohne Wahlen vor uns liegen, gibt es nur alle paar Jahrzehnte.“ 

Die Newcomer in der Regierung wollen dieses „Mondfenster“ gar nutzen, um ein besonders großes Reform-Rad zu drehen. Die Neos fordern schon länger einen Big Bang im kostentreibenden Kompetenzdschungel zwischen Bund und Ländern: Bildungsangelegenheiten inklusive der alleinigen Zuständigkeit auch für die Landeslehrer im Pflichtschulbereich sollten zum Bund gehen, im Gegenzug die Kompetenzen in Sachen Gesundheitsversorgung zur Gänze an die Länder.

„Nachdenken kann man über alles, aber in der Bildungsfrage gibt es Themen, die nicht unheikel sind. In den Ländern legen viele darauf großen Wert, auch in kleineren Gemeinden eine eigene Volksschule zu haben. Das könnte von einer zentralen Behörde aus anders gesehen werden“, sagt ein gewichtiger ÖVP-Länderpolitiker. Kompetenzverschiebungen bei der Gesundheit wären zudem „eine besonders große Herausforderung“.

Haslauer & Schellhorn nehmen Bürokratiehürden ins Visier

Im Vorfeld der nächsten Landeshauptleutekonferenz in der ersten Juniwoche arbeiten derweil der noch amtierende Vorsitzende des informellen, aber mächtigen Gremiums, Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer, und sein Landsmann Deregulierungs-Staatssekretär Sepp Schellhorn daran, neuen Schwung beim Bürokratieabbau zu erzeugen.

ÖVP-Urgestein Haslauer und Neos-Leitfigur Schellhorn kennen einander seit Jahrzehnten und fassten politisch ausreichend Vertrauen, um demnächst ein erstes Reformpaket zu schnüren. Im Vorfeld waren alle Länder eingeladen, Beispiele für Bürokratiehemmnisse und Lösungsvorschläge vorzulegen.

Eines der Beispiele, das in den Vorgesprächen immer wieder genannt wurde: Die bei einem Besitzerwechsel fällige Grundsteuer wird in der Regel vom Käufer übernommen. Offiziell berappen muss sie freilich der Verkäufer, weil – mangels noch ausstehender behördlicher Registrierung des Deals im Grundbuch – nur diesem ein entsprechender Bescheid ausgestellt werden kann. Bis zur Ausstellung eines entsprechenden Bescheids für den Käufer dauert es im besten Fall Monate, wenn nicht Jahre. Mit einer Gesetzesreparatur ließe sich dieser unnötige bürokratische Aufwand vermeiden.

„Die Verwaltung beschäftigt sich ohne böse Absicht nach wie vor sehr oft mit sich selber“, sagt ein Bürokratie-Kenner. „Wir brauchen hier ein paar ‚Quick Wins‘, um Schwung in das Projekt Bürokratieabbau und Kompetenzentflechtung zu bringen.“

Schnelle Erfolge bei milliardenschweren Brocken wie dem staatlichen Zuschussbedarf für die Pensionen erwarten sich angesichts des erwarteten Widerstands aus SPÖ und Gewerkschaften freilich auch die größten Optimisten in Sachen Reform-Mondfenster bei Neos und Schwarz-Türkis nicht. „Nach drei Rezessionsjahren braucht es aber ein paar mutige Schritte, um raus aus der Spirale nach unten zu kommen“, proklamiert ein ÖVP-Wirtschaftsmann. „Es geht nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen. Aber wir müssen die Zeit nutzen, um – von den Beamten bis zu den Pensionen – die Zuwächse bei den Staatsausgaben jetzt nachhaltig zu dämpfen.“

Die Kolumne ist im trend.PREMIUM vom 23. Mai 2025 erschienen.

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