
Kanzler und ÖVP-Chef Christian Stocker fragt seine Spitzenfunktionäre, ob FPÖ-Chef Herbert Kickl (r.) „Ersterer" werden will.
©APA/Helmut FohringerWie sich die ÖVP von Kanzler Stocker abwärts bei einer Geheimklausur von 200 Spitzenfunktionären selber Mut macht. Warum Andreas Babler mit immer neuen Forderungen ohne Absprache mit den Koalitionspartnern vorprescht. Wann seine wachsende Anzahl Widersacher einen Gegenkandidaten als SPÖ-Chef ins Spiel bringen will.
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Das Scalaria Event Resort in der einstigen Wallfahrtsmetropole St. Wolfgang kennt in der Eigenwerbung keine Grenzen bei Superlativen. Es bietet „210 Designer-Rooms“, „atemberaubende Eventlocations“ samt „drei multifunktionalen Bühnen“.
Der unweit des Romantikhotels Weisses Rössl gelegene, ob seiner wuchtigen Dimensionen und gewöhnungsbedürftigen Architektur unübersehbare Gebäudekomplex am Wolfgangsee-Ufer wird gerne von Automobilfirmen zur Präsentation ihrer neuen Luxusmodelle gebucht. Auch die Marketingprofis von Red Bull nutzen das Areal für hochfliegende Präsentationen inklusive Flugshows mit Wasserflugzeugen oder Heißluftballons.
Aber auch ein Unternehmen, das schon bessere Zeiten gesehen hat, zieht sich hier seit einigen Jahren gerne im Herbst diskret zur moralischen Aufrüstung zurück. Montag und Dienstag war es wieder einmal soweit, dass die Spitzen der Österreichischen Volkspartei zur Abgeordnetentagung nach St. Wolfgang riefen. Geladen waren nicht nur die 51 Mandatare des ÖVP-Nationalratsklubs, die 22 schwarz-türkisen Bundesräte sowie die fünf ÖVP-EU-Parlamentarier, sondern auch alle 124 Landtagsabgeordneten, über die die amtierende Kanzlerpartei noch verfügt.
Zuletzt fanden sich hier gut zwei Dutzend mehr ÖVP-Mandatare ein. Allein der ÖVP-Parlamentsklub schrumpfte seit der letzten Wahl um 20 Abgeordnete. Die ÖVP Steiermark büßte mit dem Sturz vom Landeshauptmannthron zugleich ein Drittel ihrer Abgeordnetensessel im Landtag ein.
Das Gros der ÖVP-Landeshauptleute sah sich, vielleicht auch darob, zu Hause unabkömmlich und reiste diesmal beinahe geschlossen nicht zum jährlichen Stelldichein der Mandatare aus Bund und Ländern an. Allein Thomas Stelzer fand sich ein, als Landeschef an den oberösterreichischen Gestaden des Wolfgangsee praktisch Hausherr.
Neue Folge „Politik Backstage - der Podcast“
Hier geht es zur neuen Podcastfolge von Politik Backstage - erzählt von der KI-generierten Stimme von trend-Kolumnist Josef Votzi.
EVP-Chef Weber: „Konservativ geführte EU“
Prominentester internationaler Gast war der Bayer Manfred Weber, Partei- und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP). Der einflussreiche Europapolitiker wollte wohl vor allem jene Mandatare von Wirtschafts- und Bauernbund aufmuntern, die mit der Politik der letzten EU-Kommission bis heute hadern. Stichworte: EU-Green Deal, EU-Renaturierungs-Verordnung und EU-Lieferkettengesetz. Zuvorderst der ehemalige sozialdemokratische Vize von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Frans Timmermans, war als „grüner Taliban“ zur Feindfigur von Wirtschaftsbundfunktionären geworden.
Timmermans ist als oberster Sozialdemokrat in die niederländische Politik zurückgekehrt. Die verbliebene EU-Chefin von der Leyen aus den Reihen der EVP hat die Kompetenzverteilung in der Kommission so organisiert, dass künftig niemand an ihr vorbei kann. Statt grüner soll die EU in den kommenden vier Jahren „wettbewerbsfähiger, sicherer und wirtschaftlich widerstandsfähiger“ werden, so die neuen Parolen aus Brüssel.
„Mit der EVP wird die EU endlich wieder konservativ geführt“, proklamierte EVP-Chef Weber vor den rund zweihundert schwarz-türkisen Mandataren und ÖVP-Spitzen aus Partei und Regierung. Ein Motto, das weder Kanzler und Parteichef Christian Stocker noch Fraktionschef August Wöginger für ihren politischen Wirkungsbereich so in den Mund nehmen konnten oder wollten.


EVP-Chef Manfred Weber und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
© APA/Hans Klaus TechtÖVP-Spitzen beklagen „mühsames Regieren“
Sieben Monate gemeinsames Regieren mit SPÖ und Neos in der ersten Dreier-Koalition des Landes lässt im kleinen Kreis den einen oder anderen Spitzenpolitiker hörbar seufzen. „Das Regieren zu dritt ist an sich schon mühsam, weil jeder Schritt mit zwei anderen abzustimmen ist“, ließ dieser Tage ein ÖVP-Minister wissen. „Aber wenn ich gewusst hätte, wie mühsam das ist, hätte ich einiges von Anfang an im Regierungsprogramm anders verhandelt und festgeschrieben.“
Auf offener Bühne war bei der Klubtagung aber nicht nachträgliche Reue angesagt, sondern positive Stimmung zu machen. Alexander Pröll mühte sich, der versammelten ÖVP-Korona die gebetsmühlenartig proklamierte „Reformpartnerschaft“ samt Neuverteilung der Kompetenzen, Verschlankung der Bürokratie und Nutzung der Chancen der Digitalisierung schmackhaft zu machen.
Elefant im Raum trägt blau
Unübersehbar war einmal mehr der „Elephant in the room“. Christian Stocker nahm auch nach Wahlkampfende vor allem die FPÖ ins Visier und suchte die ÖVP-Spitzenfunktionäre mit einer neuen rhetorischen Volte aufzumunitionieren. Er verstehe nicht, warum die FPÖ andauernd Neuwahlen fordere. „Sie sind ja schon Erster geworden, wollen sie Ersterer werden?“
Allgegenwärtig war in den Reden davor und danach „die Stocker-Formel“. Die vom Parteichef im ORF-Sommergespräch ausgegebenen Zielwerte „Zwei Prozent Inflation, ein Prozent Wirtschaftswachstum und Null Toleranz gegenüber Intoleranten“ zogen sich als „die Stocker-Formel“ durch zahlreiche Referate und Wortmeldungen.
Klubchef Wöginger setzte seinerseits darüber hinaus darauf, die versammelten Mandatare auf eine noch simplere Formel einzuschwören: Es gehe nicht darum, ständig „etwas Neues“ oder „etwas anderes“ zu sagen: „Sagt am besten immer das Gleiche. Damit das, was wir tun, bei den Leuten auch wirklich ankommt.“
Wöginger, der wenige Tage zuvor per Diversion einem karrieregefährdenden Strafurteil wegen einer Intervention bei einer Finanzamts-Besetzung vorläufig entkommen war, wirkte „sichtlich gelöst und erleichtert“, berichten Teilnehmer.
Wöginger muss zumindest noch bis Dienstag zittern
Der nach Türkis-Grün auch als Koalitionskitt für Türkis-Rot-Pink schwer ersetzbare ÖAAB-Chef muss freilich noch bis kommenden Dienstag zittern, ob auch die Fachaufsicht im Justizministerium das Urteil als regelkonform akzeptiert oder der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt die Weisung gibt, die Diversion zu beeinspruchen und Wögingers Postenschacher-Causa neu verhandeln zu lassen.
Im Fall des Falles auch ein hochsensibler Akt für das Regierungsklima. Die SPÖ hat den möglichen Koalitionssprengstoff freilich vorsorglich entschärft: Justizministerin Anna Sporrer, an sich Letztentscheiderin in der Weisungskette, wird das endgültige juristische Urteil über die erstgerichtliche Entscheidung im Fall Wöginger der Leiterin der Strafrechtssektion im Ministerium überlassen und sie damit in diesem Fall zur ultimativen Weisungsspitze machen. Die gelernte Höchstrichterin will sich im Fall Wöginger weder für ein Beibehalten der Diversion noch dagegen stark machen.


ÖVP-Klubchef August Wöginger
© APA/Roland SchlagerNeue desaströse SPÖ-Umfragen sorgen für Nervenflattern
Das Koalitionsklima ist dieser Tage ohnehin schon weitaus mehr als in den ersten Regierungsmonaten strapaziert. In der SPÖ sorgen jüngste Umfragedaten für zunehmende Nervosität. „Wir haben Daten, wo wir Mühe haben, 15 Prozent der Stimmen zu überspringen“, sagt ein SPÖ-Mann.
Im Regierungsviertel ist das auch die ramponierte Kulisse, vor der Parteichef Andreas Babler dieser Tage mit allen Mitteln politisch zu punkten versucht. Seine vor zehn Tage propagierte Blitzintervention an der Inflationsfront mit einer Halbierung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel war weder mit dem SPÖ-Finanzminister noch mit den türkis-pinken Koalitionspartnern abgesprochen.
Diese Woche preschte die SPÖ mit der Forderung nach neuen Strafrechtsparagrafen „gegen Mietwucher“ vor. Auch davon findet sich nichts im Regierungsprogramm. Babler ließ sich diese Forderung erst vergangenen Montag in einer Onlinesitzung des SPÖ-Bundesvorstands politisch absegnen.
Babler-Gegner formieren sich neu für Sturz am Parteitag im März
Die SPÖ-intern aber nach wie vor am heißesten diskutierte Frage war dort vorerst nicht mehr Thema: Wird der auch als Vizekanzler bislang glücklose Andreas Babler beim Parteitag Anfang März tatsächlich ohne Wenn und Aber neuerlich zum SPÖ-Chef gekürt werden?
„Die Unzufriedenheit mit Babler ist weiterhin groß“, sagt ein SPÖ-Spitzenfunktionär. Babler hat dieser Tage zwar die erste Fristenhürde genommen: Ab sofort kann kein Gegenkandidat mehr per Mitgliederbefragung in Stellung gebracht werden. Das SPÖ-Statut erlaubt aber die Nominierung von weiteren SPÖ-Chef-Kandidaten durch den SPÖ-Vorstand bis kurz vor dem Parteitag am 3. März: Bis drei Wochen davor mit einfacher Mehrheit, bis eine Woche davor mit Zwei-Drittel-Mehrheit.
In der SPÖ sind einige bereits dabei, für den Fall des Falles Bündnispartner in den Bundesländern, aber auch in Wien zu sammeln. „Hinter Babler steht als Gruppe halbwegs geschlossen nur noch die Gewerkschaft. Auch die SPÖ Wien hat er mehrheitlich längst verloren“, sagt ein SPÖ-Bundesländer-Spitzenmann: „Wenn das mit dem Niedergang der SPÖ so weitergeht, dann wird sich noch vor dem Parteitag kommenden März im Parteivorstand eine Mehrheit für einen Gegenkandidaten zu Babler finden.“