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„Politik Backstage“: Budgetverhandlungen unter Blut, Schweiß und Tränen

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Finanzminister Markus Marterbauer

©picturedesk.com/photonews.at/Martin Juen
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Wo es beim Schnüren des Sparbudgets 2025/26 intern knirschte. Wie Türkis-Rot-Pink bislang gefährliche Klippen nimmt. Warum einige mit Budgetvorbehalt paktierte Schlüsselvorhaben wohl länger als bis 2027 warten müssen.

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Bei der jüngsten Parlamentssitzung, drei Tage vor dem Wahlsonntag in Wien, war es Talk of the Day in den Couloirs des Hohen Hauses. Wer hielt am Vortag am längsten durch? Wer saß auffällig lange mit wem? Und wer hatte sichtlich einen über den Durst getrunken? „Die Stimmung war generell nicht ausgelassen, aber gut“, berichten Teilnehmer unterschiedlicher Lager übereinstimmend. 

Wenn Verteidigungsministerin Klaudia Tanner mit von der Partie ist, gehört es bereits zur Folklore von Events wie diesem, dass die ehemalige niederösterreichische Bauernbund-Direktorin erst einmal die NÖ-Bauernbund-Hymne anstimmt. Um anschließend Schlager à la Freddy Quinn zum Besten zu geben. 

Der Plan, dass sich die wesentlichen Träger der Dreierkoalition in lockerer Atmosphäre quer durch die Parteien durchmischen und besser kennenlernen, ist beim ersten Mal angesichts der zu großen Menschenmenge noch nicht wirklich aufgegangen.

Um die 300 schwarz-türkise, rote und pinke Träger des Experiments der ersten Dreierkoalition hatten die Klubspitzen zum Heurigen Wolff in Wien-Neustift geladen: Neben allen 23 Regierungsmitgliedern, den insgesamt 110 Nationalratsabgeordneten von ÖVP, SPÖ sowie Neos standen auch alle leitenden Mitarbeiter der Parlamentsklubs und der Ministerkabinette auf der Einladungsliste.

„Ich tue mir schon schwer, die Neuen, die bei uns in den Kabinetten und in den Klubs angedockt haben, auseinanderzuhalten. Bei dreihundert Leuten aus drei Parteien verliert jeder beim besten Willen den Überblick“, sagt ein pinker Spitzenmann. „Aber es war gut, dass es die Gelegenheit gab, das gegenseitige Kennenlernen in entspannter Atmosphäre zu verbessern.“

Parole: Enttäuschte auffangen statt Geld geben

Soziale Events als Stimmungsaufheller können Minister, Abgeordnete und Mitarbeiter gut gebrauchen. „Mein Alltag besteht darin, in Gesprächen mit Stakeholdern auszuloten, wo sich gerade die größten Enttäuschungen auftun, und diese halbwegs aufzufangen. Zu verteilen haben wir derzeit beim besten Willen nichts“, sagt ein türkiser Topplayer im Regierungsviertel.

Daran wird sich auf mittlere Sicht auch wenig ändern. Denn die vergangenen Wochen waren intern vor allem dem intensiven Blick in die leeren Kassen der Republik gewidmet. Phase eins des Kassasturzes ging im kleinen Kreis der Koalitionskoordinatoren über die Bühne – angeführt vom türkis-roten Staatssekretärsduo im Kanzleramt, Alexander Pröll und Michaela Schmidt, sowie Neos-Klubdirektor Achim Hübner.

Sie klopften alle im Regierungsabkommen paktierten Vorhaben auf ihre Budgetrelevanz für das Doppelbudget 2025/26 ab, sprich, wo die Einlösung eines Versprechens frisches Geld zu kosten drohe. Künftige Budgetposten durch die Pausetaste beim politischen Wunschkonzert einzusparen geht freilich kurzfristig lautloser über die Bühne als das große Streichkonzert, das derzeit zuvorderst angesagt ist.

Nach dem geplatzten Bündnis Blau-Türkis hatte Türkis-Rot-Pink die Zusage gegenüber Brüssel übernommen, 1,1 Milliarden bei den laufenden Sachausgaben im Budget einzusparen. Die Dosierung der Einsparungsschmerzen für die einzelnen Ministerien war (zu Redaktionsschluss dieser Kolumne) zwar politisch über die Bühne. Gerungen wurde zwischen Finanzministerium und den betroffenen Ressorts aber bis zuletzt noch um die konkreten Einsparungsposten, um rechtzeitig vor der Budgetrede am 13. Mai grünes Licht zum endgültigen Zahlenwerk.

ÖVP-Einspartrick: Militärausgaben auslagern

„Bis zuletzt sind einige Minister mit Zusatzwünschen gekommen und haben mehr Geld für ihr Budget gefordert“, klagte noch zehn Tage vor dem ultimativen Ministerratsbeschluss einer, bei dem die Verhandlungsfäden zusammenlaufen.

Politisch nachhaltig gebröselt hat es, so der Flurfunk in den Gängen der Ministerien, gleich mehrfach. In der ÖVP setzte man darauf, dass die EU-Kommission plant, Ausgaben für die bessere Ausrüstung des Heeres und zur militärischen Sicherheit generell künftig eine Sonderstellung einzuräumen. Alle einschlägigen Ausgaben, so der Plan, sollen bei der Berechnung des Budgetdefizits künftig außen vor bleiben, also nicht relevant für die Maastricht-Regeln sein.

„Dass die ÖVP ihren Anteil an der Einsparung beim Sachaufwand von 1,1 Milliarden großteils nur über die Verteidigung aufbringen will, hat vor allem mit dem SPÖ-Finanzminister für Diskussionen gesorgt“, so ein Regierungsinsider. Kern der Kritik: Reine Rechentricks, Militärausgaben aus dem Budget als nicht mehr Maastricht-relevant herauszurechnen, machen das Zahlenwerk zwar am Papier gegenüber Brüssel schöner, bei den tatsächlichen Ausgaben spart das am Ende aber keinen Cent.

SPÖ-Einspartrick: ÖBB-Infrastrukturmillionen in ÖBB-Investpläne auslagern

Ähnliche heftige Diskussionen gab es vice versa zwischen der türkisen und der roten Reichshälfte im Regierungsviertel rund um das Budget des Infrastrukturministeriums. Hier sei versucht worden, tatsächliche Ausgaben, die am Ende aus dem Budget bedeckt werden, rechnerisch in einen ÖBB-Investitionsplan auszulagern, berichtet ein teilnehmender Beobachter der Verhandlungen: „Da hat es kurz heftig gekracht, dass hier etwas über die Bande gedeichselt werden sollte.“

Fakt ist, dass sich regierungsintern zudem zähneknirschend die Einsicht breitmacht: Nach dem Sparbudget 2025/26 ist vor dem nächsten mageren Haushalt 2027. „Es wird einige weitere Blut-Schweiß-und-Tränen-Projekte geben müssen“, resümiert ein Budgetverhandler nüchtern.

Strategen im Regierungsviertel, die sich nicht als Pessimisten, sondern als Realisten verstehen, glauben daher, dass mit Budgetvorbehalt paktierte Offensivmaßnahmen wie das verpflichtende zweite Kindergartenjahr oder die Senkung der Lohnnebenkosten nicht wie ursprünglich geplant 2027, sondern erst 2028 gestartet werden können.

Hühott mit Zuckerln und Peitsche bei Pensionen

Ein sehr kontrastreiches Bild bietet Türkis-Rot-Pink bei offenen Reformbaustellen wie der Eindämmung der massiv wachsenden Milliardenzuschüsse für die Pensionen. Mitte April verkündeten die SPÖ-Sozialministerin und der ÖVP-Klubchef stolz, der Pflegeberuf solle auch dadurch attraktiver werden, dass Pfleger:innen unter bestimmten Voraussetzungen als Schwerarbeiter:innen bereits mit 60 in Pension gehen können. Eine Ankündigung, die gleich danach ein halbes Dutzend weiterer Gesundheitsberufe auf den Plan rief: Sanitäter, Behindertenhelfer und Ärzte mit 24-Stunden-Diensten wollen nun gleichfalls als Schwerarbeiter früher in Rente gehen können. 

Die Pinken hatten zwar zähneknirschend der Schwerarbeiterregelung für Pflegeberufe zugestimmt, überließen den Verkauf dieser Maßnahme aber liebend gerne allein Türkis-Rot. Mit Argusaugen registrieren sie nun freilich, dass diese eine Ausweitung des Schwerarbeiterprivilegs auf andere Gesundheitsberufe nicht ausschließen. „Vereinbart ist nur die Pflege. Wenn wir das aufmachen, werden wir uns schwertun, Nein zu sagen, wenn als Nächstes die Busfahrer kommen und sagen, auch sie machen sich den Rücken krumm und wollen fünf Jahre früher in Pension gehen“, sagt ein pinker Stratege.

Zu dritt beschließen, zu zweit verkaufen

Besonders lautstarkes Trommeln für erste Schritte zur Anhebung des tatsächlichen Pensionsalters soll offenbar den – aus Sicht vieler Neos-Leute – politischen „Sündenfall“ in Sachen Ausweitung der Schwerarbeiterregelung vergessen machen. Die schrittweise Anhebung des Frühpension-Antrittsalters von 62 auf 63 Jahre wurde kürzlich von den türkisen und pinken Klubobleuten August Wöginger und Yannick Shetty als „die größte Pensionsreform seit 20 Jahren“ angepriesen. Die SPÖ schützte bei der Präsentation Terminprobleme vor, um bei der Vorstellung der „ersten kleinen Daumenschrauben für Frühpensionisten“ (so ein Pinker) nicht dabei sein zu müssen.

Regierungsintern wird es als neues erfolgreiches Modell gesehen, dass politisch heikle Themen zwar einstimmig beschlossen, aber je nach Klientel in unterschiedlicher Besetzung als politischer Erfolg präsentiert werden.

Auf Dauer wird dieses Message Control 2.0 jedoch nicht reichen, um zu dritt kommunikativ halbwegs stolperfrei über die Runden zu kommen, sagen Koalitionsstrategen. „Wir brauchen als Regierung nach der Phase der Budgetkonsolidierung eine gemeinsame Erzählung, die darüber hinausgeht“, sagt ein Kanzleramtsinsider. „Im Moment haben wir aber noch alle Hände voll zu tun, das Netz an vielen Ecken und Enden zu flicken, damit es nicht endgültig reißt.“

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