Trend Logo

Politik Backstage: Buddha wird bossy

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
9 min
Christian Stocker hält eine Rede vor farbigem Hintergrund
 © APA/HANS KLAUS TECHT

Nach seiner krankheitsbedingten Abewsenheit zeigt sich Christian Stocker (ÖVP) bossy.

©APA/HANS KLAUS TECHT
  1. home
  2. Aktuell
  3. Politik

Warum Christian Stocker nach vier Wochen Krankenstand die Glacéhandschuhe auszog. Was Schellhorns Entbürokratisierungs-Paket bringt, das der Kanzler in letzter Sekunde zur Chefsache machte. Wie derweil Sebastian Kurz von seinen Fans weiter hofiert wird und mit einem möglichen Börsengang in New York für neue Furore sorgen könnte. 

In den Ministerbüros von Schwarz-Türkis, Rot und Neos herrscht seit Tagen Hochbetrieb. Das Koalitions-Koordinationsteam sitzt dieser Tage besonders häufig und lange zusammen, zumal ÖVP-Koalitionskoordinierer Kanzleramts-Staatssekretär Alexander Pröll erst Mitte der Woche von einem EU-Afrika-Gipfel in Angola zurückkehrte, wo er den kranken Kanzler vertreten hatte. 

Grund für die Marathonverhandlungen ist die nächstwöchige Ministerrats-Sitzung, die zuvorderst vom pinken Deregulierungs-Staatssekretär erst intern und jetzt auch extern zum D-Day einer Entbürokratisierungs-Offensive ausgelobt wurde. In dieser Sitzung soll kein einziges neues Gesetz bzw. keine neue Verordnung auf der Tagesordnung stehen. An diesem Mittwoch der ersten Adventwoche soll genau 100 Vorschriften, Regeln und bürokratischen Hürden einvernehmlich das Lebenslicht ausgeblasen werden.

Stand Donnerstag waren von allen drei Koalitionspartnern 355 mögliche Maßnahmen eingebracht worden. 201 von der ÖVP, 109 von den Neos und vergleichsweise bescheidene 45 von der SPÖ.

Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn hat einen seiner Pläne schon gelüftet: Das Intervall für die Prüfpflicht für Fahrzeuge soll verdoppelt werden, sprich die Kosten für das „Pickerl“ sollen nur noch alle zwei Jahre anfallen. 

Neue Folge „Politik Backstage - der Podcast“

Wunschziel Gewerbeordnung neu: ein Verfahren, ein Bescheid

ÖVP-Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer will vor allem mit weniger bürokratischen Hürden bei der Gewerbeordnung und generell mit der Vereinfachung von Genehmigungsverfahren punkten. Statt mehreren – beispielsweise wasserrechtlichen, baurechtlichen oder umweltrechtlichen – parallelen Verfahren soll künftig das „One-stop-shop“-Prinzip gelten: alles in einem Verfahren und einem Bescheid. Geht es nach der ÖVP, dann sollen außerdem E-Lade-Stationen oder Photovoltaik-Anlagen bis zu einer – noch in Verhandlung stehenden – Größe vollkommen genehmigungsfrei gestellt und ohne jedes Behördenverfahren in Betrieb genommen werden können.

Die SPÖ hielt sich intern und extern vor dem Entbürokratisierungs-Ministerrat bis zuletzt bedeckt. „Die halten uns auch beim Verhandeln nach wie vor hin“, berichtet ein teilnehmender Beobachter. Entbürokratisierung stand, sagen Regierungsinsider, auf der To-do-Liste der sozialdemokratischen Regierungsmitglieder nie ganz oben – also auch noch bevor Christian Stocker den Entbürokratisierungs-Ministerrat diese Woche in letzter Sekunde zum Wohlgefallen der Neos zur Chefsache erklärt hatte.  

Blurred image background

Geht es nach Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) sollen Genehmigungsverfahren vereinfacht werden.

 © APA/HELMUT FOHRINGER

Neustart nach „schwerem Führungsversagen“

Die populäre Ansage war eine der vier zentralen Botschaften, mit denen Stocker bei seinem offiziellen Comeback Mittwochnachmittag aus dem vierwöchigen Krankenstand zu überraschen suchte. Der Kanzler hatte als Buddha vom Ballhausplatz zwar bislang eine weitaus bessere Nachrede, als die ÖVP-Umfragen hergaben. Der 65-jährige spätberufene Spitzenpolitiker war in den letzten Wochen nicht nur in den eigenen Reihen massiv ins Gerede gekommen: zum einen wegen der spärlichen Kommunikation während seiner langen Absenz, vor allem aber wegen der Rolle, für die er sich beim Gagen-Super-Gau in der ÖVP-Wirtschaftskammer entschieden hatte.

Während Stocker bis zuletzt Mahrer die Stange hielt, hatten auf offener Bühne die Landeshauptleute von Ober- und Niederösterreich das Heft in die Hand genommen und den Wirtschaftskammer- und ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef erfolgreich zum Rücktritt gedrängt. 

Oberösterreichs Wirtschaftskammerpräsidentin Doris Hummer preschte als erste der gewichtigen Länderkammer-Mächtigen vor – nicht in eigener Sache, sondern im wohlorchestrierten Konzert mit ÖVP-Landeschef Thomas Stelzer. „Das war ein schweres Führungsversagen“, konstatiert ein gewichtiger ÖVP-Mann, der bislang Stocker mit Vorschusslorbeeren bedacht hatte. Vor allem in Boulevard-Medien wurden gar bereits Listen von möglichen Stocker-Nachfolgern in Partei und Regierung kolportiert. 

Big Spender aus der erweiterten Staatskasse

Bei seinem ersten offiziellen Auftritt sorgte Christian Stocker dann intern und extern für eine Überraschung. Den Buddha-Habit hatte er sichtlich abgestreift. Der gelernte Anwalt wirkte kämpferisch im Ton, pointiert in der Wortwahl und alles in allem auffallend bossy. 

Er suchte sich wie nie zuvor als Herr im Regierungsring zu präsentieren. Auf das von seinen Ministerkollegen eine Woche zuvor in der Regierungssitzung mit Pauken und Trompeten als „Billigstrom-Gesetz“ verabschiedete Paragraphenwerk zur Neuordnung des Strommarkts will er etwa nachträglich eine halbe Milliarde Euro drauflegen. Das Geld soll aus Rücklagen der ÖBAG und Sonderdividenden staatseigener Unternehmen kommen.

Die vollmundige Ansage, die 500-Millionen-Spritze zur Verschlankung der Strompreise werde „außerbudgetär“ finanziert, überlebte freilich nicht einmal einen Tag. Die 500 Millionen werden dafür umgeleitet, bevor sie direkt ins Budget fließen würden, kommentierte ein Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo knochentrocken. 

„Atempause“ für kränkelnde Koalition

Eines ist Stocker aber auf Sicht gelungen. „Er hat mit seinem Auftritt der Dreier-Koalition eine Atempause verschafft und an mehreren Beispielen Reformwillen demonstriert“, resümiert ein Strategieexperte außerhalb des Regierungsviertels. Vor allem bei der Einlösung eines der zentralen neuen Kanzler-Versprechen werden dem in der öffentlichen Akzeptanz kränkelnden Kabinett auch von schärfsten Kritikern mehr als ein paar Wochen zugebilligt: der Neuordnung der Gesundheitsfinanzierung aus einer öffentlichen Hand samt positiver Effekte für die Patienten.

Eine Atempause kann Christian Stocker auch parteiintern gut gebrauchen. Just im Gefolge des Wirtschaftskammer-Desasters sorgte eine Umfrage in Oberösterreich für zusätzliche Nervosität. Diese sieht die FPÖ als haushohen Wahlsieger bei der 2027 fälligen Landtagswahl samt eindeutigem Anspruch auf den künftigen Landeshauptmann. Als Hauptursache des drohenden schweren Machtverlusts sehen Stelzer & Co. den von der Dreierkoalition in Wien erzeugten „massiven Gegenwind“, so ein lokaler Parteimann.

Kurz-Fans wittern Morgenluft

Vor allem in der zweiten und dritten Reihe der Funktionäre rollt nun nach Niederösterreich auch westlich davon ÖVP-intern eine Sympathiewelle für ein Comeback von Sebastian Kurz an. In ÖVP-Zirkeln neuerlich befeuerte einschlägige Planspiele lassen zwar ein konzises Konzept vermissen, wie der türkise Stimmenbringer von gestern auch noch morgen eine haushoch dominierende FPÖ hinter sich lassen könne. Für neues Aufsehen wird aber bei seinen Fans schon demnächst sorgen, dass im Kurz-Team gerade eine Expansion des Cybersecurity-Unternehmens „Dream“ in Richtung USA vorbereitet wird.

Auf US-TV-Kanälen werden seit September erstmals entsprechende Advertorials geschaltet. In einem vor zwei Wochen online gestellten Video erzählt Kurz zudem eine bislang nicht breit verwendete Version, was ihn ganz persönlich motiviert habe, bei Dream als Firmen-Mitgründer einzusteigen. „Bei unserem zweiten Wahlkampf 2019 wurde unser Parteihauptquartier gehackt, alle unsere Daten wurden gestohlen und an Medien weitergegeben, um unsere Wahlkampagne so schwer und hürdenreich wie möglich zu machen. Cyber-Attacken können absolutes Chaos erzeugen.“

Blurred image background

Altanzler Sebastian Kurz wirbt derzeit intensiv in den USA für sein Unternehmen „Dream“.

 © APA/HANS KLAUS TECHT

Dream-Story befeuert Comeback-Träume

Im kommenden Jahr will Dream nach Tel Aviv, Abu Dhabi und Wien auch ein Büro in den USA eröffnen. Der 15-Prozent-Eigentümer des KI-Unicorns sondierte bei seinen jüngsten New-York-Reisen zudem bereits diskret die Möglichkeiten und Hürden, mit Dream an die New Yorker Börse, also an die Wall Street, zu gehen – eine Nachricht, die die Wunschträume von Kurz-Fans in der ÖVP einmal mehr beflügeln dürfte. 

Ein möglicher Dream-Börsengang wird realistischerweise wohl erst in den nächsten ein, zwei Jahren – wo auch immer –  über die Bühne gehen. Dieser könnte dem jüngsten Alt-Kanzler dann aber einen bis zu dreistelligen Millionenbetrag in die Kassa spielen – und so nicht nur Spielkapital, sondern auch ein neues Kapitel für eine Kurz-Comeback-Story liefern.

Über die Autoren

Logo