
Für Außenstehende ist die Causa August Wöginger ein Paradefall für eine überfällige Abrechnung mit Postenschacher.
©APA/Tobias SteinmaurerFür Außenstehende ist die Causa ein Paradefall für eine überfällige Abrechnung mit Postenschacher. Doch selbst rote und pinke Parlamentarier sehen in August Wöginger ein „falsches Bauernopfer“. Christian Stocker will „Gust“ auch bei einer Verurteilung wegen Amtsmissbrauch als ÖVP-Klubchef im Amt halten.
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- Neue Folge „Politik Backstage - der Podcast“
- Wögingers Grundsteuer-Notbremse: „Dann sind wir hin“
- 44.000 Euro-Diversionsdeal geplatzt
- ÖVP-Koalitionspartner: „Für mich hat Wöginger null kriminelle Energie“
- Selten klare Beweislage für Postenschacher
- Bei Strafurteil halber Rückzug zum einfachen Abgeordneten?
Die Kehrauswoche im Parlament vor Weihnachtspause und Jahreswechsel begann für die ÖVP-Mandatare wie jede Parlamentssession mit einer vertraulichen Sitzung des Parlamentsklubs. Nach seiner Genesung nahm auch ÖVP-Obmann und Kanzler Christian Stocker wieder teil und suchte mit seinem Eröffnungsreferat Aufbruchsstimmung zu verbreiten.
Kurz vor Start der ÖVP-Klub-Sitzung hatte Monate nach ihrer Gründung erstmals die Steuerungsgruppe für die sogenannte „Reformpartnerschaft“ getagt, um erste Ziele für das Herkules-Unternehmen festzulegen: eine Entflechtung und Neuordnung der Kompetenzen von Bund und Ländern bei den zentralen Staatsaufgaben Gesundheitsversorgung, Bildung und Energie.
Die drei Chefs der Regierungsparteien, Kanzler Stocker, Vizekanzler Andreas Babler und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger, der derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, Mario Kunasek (FPÖ) aus der Steiermark, seine rot-schwarzen Amtskollegen aus Kärnten und Tirol, Peter Kaiser und Anton Mattle, sowie Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl (ÖVP) und Städtebund-Chef Michael Ludwig (SPÖ) gaben nur den Startschuss. Die ersten Nägel mit Köpfen sollen in Arbeitsgruppen gemacht werden, die Bürochefs der drei Regierungsspitzen in monatlichen Runden den Fortgang koordinieren. Die politische Spitzenrunde will erst in drei Monaten wieder zusammenkommen.
„Der Kanzler hat versichert, dass er guten Mutes sei, dass hier etwas gelingen werde“, so der Tenor mehrerer Sitzungsteilnehmer über Stockers sichtliche Entschlossenheit und Motiviertheit im Kreis der ÖVP-Mandatare. In der anschließenden Debatte gab es keine kritischen Wortmeldungen zu den hehren Plänen.
Der eine und andere Mandatar der Bürgermeisterpartei ÖVP ventilierte aktuell handfestere Sorgen: die explodierenden Finanznöte der Gemeinden. Die Grundsteuer, deren Ertrag direkt an die Kommunen geht, böte eine Chance, die mageren Gemeindekassen aufzufetten. Denn diese macht laut Berechnung des ÖVP-dominierten Gemeindebunds für ein durchschnittliches Einfamilienhaus derzeit überschaubare 230 Euro im Jahr aus und ist seit nunmehr drei Jahrzehnten praktisch eingefroren.
Neue Folge „Politik Backstage - der Podcast“
Hier geht es zur neuen Podcastfolge von Politik Backstage - erzählt von der KI-generierten Stimme von trend-Kolumnist Josef Votzi.
Wögingers Grundsteuer-Notbremse: „Dann sind wir hin“
Sympathien für eine Erhöhung hatten in den letzten Wochen SPÖ-Spitzenpolitiker, allen voran Markus Marterbauer, bekundet. In der ÖVP befeuerte das den Verdacht, der SPÖ-Finanzminister forciere eine Erhöhung der Grundsteuer, um sie als Türöffner für eine Vermögens- und Erbschaftssteuer zu nutzen. ÖVP-Klubchef August Wöginger suchte das Aufflammen einer Pro-Grundsteuer-Phalanx von Abgeordneten, die zugleich Ortschefs sind oder waren, schon im Keim zu ersticken. „Wenn wir die Grundsteuer erhöhen, dann sind wir hin“, proklamierte der türkis-schwarze Fraktionschef martialisch.
Wöginger, der seit seiner Inthronisierung als Klubchef durch Sebastian Kurz 2017 ungebrochen auch das Vertrauen von dessen Nachfolgern Karl Nehammer und Christian Stocker genießt, gilt nicht nur ÖVP-intern als selten gewordener Politiker-Typ. Dem auch an Sitzungstagen immer mit einer dicken Mappe durchs Hohe Haus von Besprechung zu Besprechung wieselnden Oberösterreicher ist es nicht nur gelungen, die diversen Interessen der ÖVP-Bünde unter einen Hut zu bringen. Wöginger hält nach Türkis-Grün nun auch Türkis-Rot-Pink nach außen hin weitgehend friktionsfrei am Laufen – wenn es sein muss, dann eben auch mit dramatischen Ansagen wie „Dann sind wir hin“.
Am Tag danach erlebten ÖVP-Mandatare den intern nur „Gust“ gerufenen Klubchef kurz nach Beginn des dreitägigen Marathonsitzungsreigens plötzlich kleinlaut, blass und verstört. „Die Diversion ist aufgehoben“, ließ er Parteikollegen bald nach Betreten des Plenarsaals wissen. Drei Stunden später meldete die Kronenzeitung als erste die Breaking News: „Polit-Hammer: Wöginger-Prozess wird neu aufgerollt.“
44.000 Euro-Diversionsdeal geplatzt
Der ÖVP-Spitzenmann hatte Anfang Oktober ein drohendes Strafurteil wegen „Anstiftung zum Amtsmissbrauch“ in letzter Sekunde mit Verantwortungsübernahme und einer Strafzahlung von 44.000 Euro per Diversion verhindert. Das Oberlandesgericht Linz hatte diesen Entscheid eines Schöffensenats nun aufgehoben. Das mit der Diversion obsolet gewordene Gerichtsverfahren wird nun Anfang kommenden Jahres neu aufgerollt.
Der einst höchst einflussreiche Generalsekretär im Finanzministerium und nunmehrige ÖVP-Gottseibeiuns, Thomas Schmid, wird aus Amsterdam nach Linz anreisen und den Kronzeugen gegen den ÖVP-Klubchef geben – und die Hintergründe jener SMS-Nachrichten ausleuchten, in denen sich Wöginger 2017 für einen Parteifreund als Chef des Finanzamts in Braunau stark gemacht hatte.
Für viele außenstehende Beobachter ist das der überfällige Paradefall, bei dem die jahrzehntelange Praxis des Postenschachers zuvorderst in schwarzen und roten Einflusssphären erstmals juristisch aufgearbeitet wird.
ÖVP-Koalitionspartner: „Für mich hat Wöginger null kriminelle Energie“
In Regierungskreisen hadern freilich nach Aufhebung der Diversion überraschend viele quer durch die Fraktionen damit, dass just Wöginger zum Vorzeige-Missetäter in Sachen Postenschieberei und Machtmissbrauch wird. Selten krachen Fremdbild und Selbstbild der Politik so fundamental aufeinander wie in dieser Causa.
„Mir tut es echt leid, dass ausgerechnet der Gust hier zum Bauernopfer wird“, sagt ein maßgeblicher Koalitionspolitiker, der nicht der ÖVP angehört. „Er hat vieles, aber er hat für mich null kriminelle Energie.“ Ein Spitzen-ÖVP-Mann weiß das Gros der türkis-schwarzen Mandatare hinter sich, wenn er resümiert: „Der Gust lebt für die Politik und nicht primär von ihr. Er ist ein zutiefst anständiger und aufrechter Mensch.“
Wöginger selbst beteuert im kleinen Kreis: „Ich habe nichts Unrechtes getan, sondern nur den Wunsch eines Parteifreunds weitergegeben.“ Einige ÖVP-Mandatare zeihen die Justiz verschwörerisch gar mieser Tricks: „Die haben den Gust in eine Falle gelockt.“
Selten klare Beweislage für Postenschacher
Auch wenn die ÖVP-Spitzen dieser Tage lautstark proklamieren, sie würden einen glatten Freispruch für den ÖVP-Klubchef erwarten, bleibt das wohl ein frommer Wunsch. Strafrechtsexperten und erfahrene Verteidiger rechnen überwiegend mit einem Strafurteil für den Intervenienten. Zum einen habe Wöginger mit der Verantwortungsübernahme und der Geldbuße im Rahmen der Diversion die Tür zu einem Schuldeingeständnis und damit einem Strafurteil aufgemacht. Zum anderen liege aufgrund der geradezu toxischen SMS-Flut der einmalige Fall vor, dass sich ein Fall von Postenschacher schwarz auf weiß belegen lässt.
Bis zum tatsächlichen Urteil wird die ÖVP dennoch die Mauern weiter dicht machen. „Die Aufhebung der Diversion hat dazu geführt, dass sich der ÖVP-Klub noch entschlossener und geschlossener hinter ihn stellt“, sagt ein ÖVP-Spitzenmann. „Auch Christian Stocker ist wild entschlossen, das so durchzuziehen.“ Der Kanzler und Parteichef ließ schon bei seinem ersten Medienauftritt nach seiner vierwöchigen gesundheitlichen Pause auf Fragen zu einer möglichen Wende in der Justiz-Causa des ÖVP-Klubchefs wissen: „August Wöginger ist im Wissen, was ihm vorgeworfen wird, bei der Nationalratswahl wieder gewählt worden.“ In den Augen auch einiger ÖVP-Klubmitglieder eine kühne These, die im Fall eines Strafurteils wenig belastbar erscheint.
„Es wird in dem Fall auch der Druck bei uns steigen, dass ein wegen Amtsmissbrauch verurteilter Klubobmann in einer Koalition ein Problem ist“, meint etwa ein pinker Regierungsinsider: „Am größten wird aber in der Druck in der ÖVP sein, dass Wöginger trotz aller Verdienste auf Dauer in dieser Funktion nicht tragbar ist.“
Bei Strafurteil halber Rückzug zum einfachen Abgeordneten?
Ein erfahrener ÖVP-Spitzenmann formuliert so auch weitaus vorsichtiger als zuletzt der Parteichef: „Was nach dem Gerichtsentscheid sein wird, kann man beim besten Willen noch nicht sagen.“ Mögliche goldene Kompromissbrücke zur Wahrung des Koalitionsfriedens: „Gust“ zieht sich wieder auf die Position eines einfachen Abgeordneten zurück.
Wöginger ist 51 und seit bald 25 Jahren Berufspolitiker. Im Zivilleben war er Angestellter des Roten Kreuzes im Bezirkssekretariat Schärding und zudem acht Jahre Betriebsratsvorsitzender des Roten Kreuzes.
Wie tief Wöginger und damit die ÖVP einmal mehr in Sachen Machtmissbrauch fällt, entscheidet am Ende einer, der einst dabei keine Grenzen zu kennen schien: Thomas Schmid, der im Wöginger-Prozess auch seinen ersten Härtetest als Kronzeuge der Anklage zu absolvieren hat.
In der Postenschacher-Causa, die dann bald ein Jahrzehnt zurückliegt, texteten die beiden Todfeinde von heute damals noch höchst amikal. Thomas Schmid nach Entscheid der Berufungskommission für dessen Protegé und ÖVP-Ortschef in einem SMS an Wöginger: „Wir haben es geschafft (…) Der Bürgermeister schuldet dir was!“ Wöginger postwendend an Schmid: „Echt super! Bin total happy.“
