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Politik Backstage: Werben in New York, Herbst-Blues in Wien

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In New York werben Kanzler Christian Stocker und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen) für einen Einzug Österreichs in den UNO-Sicherheitsrat. 

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Ein Jahr nach dem FPÖ-Wahltriumph am 29. September 2024 haben ÖVP und SPÖ mit dem weiteren Niedergang in der Wählergunst zu kämpfen. Wie die Staatsspitzen bei einer New-York-Visite den gemeinsamen türkis-rot-pinken Spirit auffrischten. Warum Stocker und Babler aber schon vor den nächsten Testwahlen Ungemach drohen könnte.

„Little Owl the Townhouse“ im West Village sticht im reichhaltigen Angebot an italienischen Restaurants in New York nicht nur der exquisiten Küche wegen hervor. Es bietet sich seit Jahren auch als „charmante und geschichtsträchtige -Location für Hochzeitsfeiern“ an.

Diesen Montag luden hier zwei politisch Frischvermählte, Christian Stocker und Beate Meinl-Reisinger, zu einem Medienabend. Nur für den Dritten in diesem politischen Bund, Andreas Babler, war von der Funktion her keine Rolle vorgesehen. Zur „High-Level-Woche“ bei der UNO-Generalversammlung in New York reisen aus Österreich traditionellerweise die Staatsspitzen an, also die jeweiligen Amtsinhaber in der Hofburg, am Ballhausplatz und im Außenamt.

Für den Kanzler war es auch persönlich eine Premiere. Der 65-Jährige war das erste Mal in New York und nicht nur vom Big Apple beeindruckt, sondern auch von der politischen Bühne, die sich hier einmal im Jahr bietet. Die UNO hat im 80. Jahr nach Gründung zwar mehr denn je mit Geldsorgen und damit zu kämpfen, in der Weltpolitik von US-Präsident Donald Trump nicht endgültig an den Katzentisch verwiesen zu werden. 

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Speeddating in New York

Aber noch gehört es zum Pflichtprogramm von Staatsspitzen aus aller Welt, sich in der dritten Septemberwoche am UNO-Stammsitz zum Speeddating einzufinden. Rund 140 Staats- und Regierungschefs sind heuer angereist. Im Hotel, in dem Kanzler und Außenministerin untergebracht sind, ist rund um die Uhr ein Lift von den Sicherheitsleuten für den dort residierenden kanadischen Premierminister Mark Carney blockiert.

Alexander Van der Bellen, Christian Stocker und Beate Meinl-Reisinger waren auf New Yorker Boden selten einmal mehrere Tage zusammen. Auch wenn der Kalender in den drei Tagen, die sie parallel hier verbrachten, noch dichter getaktet war als zu Hause.

Eng aufeinander abgestimmt teilten sie sich sechzig bilaterale Termine auf. Die meisten davon, um Stimmung für einen Einzug Österreichs in den UNO-Sicherheitsrat zu machen. Gemeinsam mit Österreich bewerben sich Deutschland und Portugal um einen der zwei frei werdenden Sitze als rotierende Kurzzeitmitglieder in der „Weltregierung“, die freilich seit Längerem durch Vetos von einem der ständigen Mitglieder, meist den USA oder Russland, blockiert wird.

Auch UNO-Experten ohne Patriotismusverdacht sagen: Die Chancen, dass einer der Sitze für zwei Jahre von Österreich eingenommen wird, stehen gut. Noch läuft der „Wahlkampf“, der dieser Tage in New York seinen Höhepunkt hatte, weil beinahe alle Entscheidungsträger hier für wenige Tage persönlich greifbar waren. Von allen 193 UNO-Mitgliedsstaaten formell darüber abgestimmt, wird erst in gut einem halben Jahr. Bis dahin müssen Österreichs Staatsspitzen noch warten, ob die Hoffnung auf die prestigeträchtige Nachricht aufgeht: Österreich hat die Chance, für zwei Jahre auf der Weltbühne eine neue Rolle zu spielen.

Für gute Stimmung am Ankunftstag in der „Stadt, die niemals schläft“ sorgen seltene „Good News“ aus der Heimat von der Wirtschaftsfront. Das Kalkül von Stocker & Co., mit dem vorsichtigen Bremsmanöver bei den Pensionserhöhungen und bei den Beamtengehältern auch die Richtung bei den Lohnrunden vorzugeben, scheint aufzugehen. „Der Gehaltsabschluss der Metaller ist ein positives Zeichen und trägt dazu bei, das Inflationsziel von zwei Prozent im kommenden Jahr zu erreichen“, proklamierte der Kanzler von New York aus erleichtert.

Gute Nachrichten wie diese könnte die Dreierkoalition freilich im Dutzend gut gebrauchen. Denn ein Jahr nach der Wahl ist die Koalition umfragemäßig „mausetot“, sagt ein Meinungsforscher. Sowohl die Kanzler- als auch die Vizekanzler-Partei haben gegenüber ihrem desaströsen Wahlergebnis vom 29. September 2024 weiter an Vertrauen verloren. 

Die FPÖ legte damals auf knapp 29 Prozent zu, die ÖVP fiel auf etwas über 26 Prozent, die SPÖ fuhr mit leichten Stimmverlusten mit 21 Prozent neuerlich ihr schlechtestes Wahlergebnis ein. Als zweiter kleiner Wahlgewinner konnten sich die Neos mit neun Prozent über einen Prozentpunkt mehr freuen.

Koalition im Sympathie-Keller

Ein Jahr danach stehen in aktuellen Umfragen die zwei größeren der drei Koalitionsparteien als Kaiser ohne Kleider da. Die SPÖ kommt erstmals unter 20 Prozent der Stimmen zu liegen, die ÖVP nur noch knapp darüber.

Die FPÖ hat inzwischen die 30-Prozent-Marke klar übersprungen. „Wenn das so weitergeht, dann werden Schwarz und Rot nicht einmal gemeinsam auf so viele Stimmen kommen wie die FPÖ“, malt ein anderer Demoskop die Aussichten für die einstigen Träger einer „Großen Koalition“ zappenduster.

Der Dritte im Bunde hat bislang nichts vom Koalitionsmalus abbekommen. Die Neos können ihren Stimmenanteil von der letzten Wahl halten, in einigen Umfragen legen sie den einen oder anderen Prozentpunkt zu.

Licht am Ende des Tunnels ist nicht auszumachen. Glück im auf Sicht einzementierten Umfrageunglück: Umfragen kommen und gehen, die Machtverhältnisse in Regierung und Parlament bleiben davon zumindest noch zwei Jahre vollkommen unberührt. Dafür, dass sich die Koalition demnächst selber in die Luft sprengt, gibt es weder nachhaltige Anzeichen noch nachvollziehbare Gründe.

Der ÖVP bliebe danach nur die Option, sich reumütig dem Joch von „Volkskanzler“ Herbert Kickl zu unterwerfen. Eine Aussicht, für die es in der Noch-Kanzler-Partei nach wie vor nur wenige Anhänger gibt. In der SPÖ bleibt es, solange die Truppe um Babler den Ton angibt, keine Option, der ÖVP den Sessel vor die Türe zu stellen und die Kurve Richtung Blau-Rot zu kratzen.

Bei den Pinken als Greenhorns am Kabinettstisch ist am wenigsten einschätzbar, wie frustrierend das Rendezvous mit der Realität des Regierens ist. „Zur Not können wir auch zu zweit weiterregieren“, merkt ein ÖVP-Spitzenmann an. Die gemeinsame Mehrheit von Schwarz-Türkis und Rot sei nach wie vor mit einer Stimme Überhang abgesichert.

Ein politisches Selbstmordattentat der Neos gilt als unwahrscheinlich. „Die wissen ganz genau, die Chance des Mitregierens kehrt nicht so bald wieder“, so der Tenor bei Rot und Schwarz-Türkis.

Weitaus wahrscheinlicher ist, dass es innerhalb der beiden größeren Parteien im Laufe des kommenden Jahres zu Verwerfungen kommt. Denn nach dem Wahlkalender stehen im Herbst 2027 Landtagswahlen in Oberösterreich und Tirol, Anfang 2028 in Niederösterreich und im Laufe des Jahres auch in Kärnten und in Salzburg an.

Oberösterreich und Niederösterreich sind ÖVP-Schlüsselländer, in denen nicht nur über deren Verbleib an der Landesspitze, sondern mittelfristig auch an den zentralen Schalthebeln im Bund entschieden wird. 

Jüngste Umfragen in Oberösterreich sahen die Landeshauptmann-Partei ÖVP nur noch drei Prozentpunkte vor den Blauen, derzeit auch offizieller Koalitionspartner im Land. Auch in Niederösterreich glauben Spitzenleute die parteiinterne Propaganda nicht mehr, dass die ÖVP mit zumindest zehn Prozentpunkte Abstand deutlich vor der FPÖ und ziemlich nahe am letzten Landtagswahlergebnis von 40 Prozent liege. Sie halten die jüngsten Umfragen für glaubwürdiger, die Johanna Mikl-Leitner & Co. nur noch sechs Prozentpunkte vor Udo Landbauer & Co. ausweisen.

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ÖVP-Kanzler stehen und fallen mit der Gunst der Landeshauptleute – Oberösterreichs Thomas Stelzer (l.) behält sich „seinen“ Minister Wolfgang Hattmannsdorfer als Kanzlerreserve im Ärmel.

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Nervenprobe für Buddha Stocker

Oberösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer ließ jüngst im kleinen Kreis angesichts ernüchternder Umfragen wissen: „Ich schaue mir das noch bis zum Sommer an.“ Wenn die Umfrage-Talfahrt anhalte, werde er die Regierung in Wien vor die U-Bahn werfen, bevor er selbst im Jahr darauf bei den Landtagswahlen vor den Bus geworfen werde.  

Sprich: Schafft es Stocker nicht, seine gute öffentliche Nachrede in Stimmenzuwächse umzumünzen, schlägt aus oberösterreichischer Sicht die Stunde von Wolfgang Hattmannsdorfer. Der ÖVP-Wirtschaftsminister war ja schon beim Rücktritt von Karl Nehammer der Wunschkandidat der Oberösterreicher als ÖVP-Chef und Kanzlerkandidat.

Mit einer Rochade an den Schaltstellen in Wien glauben Stelzer & Co., im Fall einer anhaltenden Umfrageflaute im Bund auch die Stimmung in Oberösterreich so zu drehen, dass die Landesführung gesichert in ÖVP-Händen bleibt.

Noch werden Stocker auch parteiintern primär Rosen gestreut. Obleute, die bei ihren Landeshauptleuten aber keinen Rückhalt mehr haben, haben in der ÖVP eine sehr kurze Halbwertszeit. „Wenn Stockers gute Imagewerte nicht auf die Parteiwerte durchschlagen, wird auch er vom Retter in der Not zum Problemfall“, so ein ÖVP-Insider.

Weiterhin alles andere als komfortabel ist schon jetzt die Lage für SPÖ-Chef und Vizekanzler Andreas Babler. Auf offener SPÖ-Bühne ist – bis auf regelmäßige oppositionelle Zwischenrufe aus dem Burgenland – weitgehend Ruhe eingekehrt. Mit den neuen Parteichefs in der Steiermark und in Kärnten, Max Lercher und Daniel Fellner, wurde aber der Doskozil-Flügel gestärkt. Auch der neue oberösterreichische rote Landeschef, Martin Winkler, lässt – entgegen der Bundesdoktrin – die Tür zur FPÖ offen.

Babler bleibt angezählt

„Die Unzufriedenheit mit Babler ist groß“, sagt ein Spitzenfunktionär. „Wir stecken auch als Partei in einer verfahrenen Situation.“ Der rote Multiminister hatte sich erst per Statutenreform als Parteichef einzementiert. Er kann nur per Mitgliedervotum seines Amtes enthoben werden. Jeder Herausforderer am nächsten Parteitag muss noch vor einer Kampfabstimmung diese Hürde nehmen und binnen vier Wochen 1.500 Mitglieder als Unterstützer mobilisieren. Babler ließ den erst in einem Jahr fälligen Parteitag auf 7. März 2026 vorziehen. Bei der einschlägigen Abstimmung schrammte der Parteivorstand ob mangelnden Interesses an der Teilnahme knapp an der Beschlussunfähigkeit vorbei. „Wenn der Absturz in den Umfragen aber so weitergeht, muss Babler damit rechnen, dass die Stimmung im Parteivorstand endgültig kippt.“ Laut Statut kann das Gremium bis drei Wochen vor dem März-Parteitag einen Gegenkandidaten nominieren.

Abseits desaströser Umfragen für Missstimmung sorgen Erzählungen über Bablers Führungsstil. Der Vizekanzler und Multiminister für Wohnen, Kultur, Kunst, Medien und Sport sei auch für seine engste Vertraute und Kabinettschefin Sandra Breiteneder oft für anstehende Entscheidungen nicht greifbar. „Breiteneder ruft in ihrer Not daher immer wieder Wolfgang Katzian an“, weiß ein SPÖ-Insider. Ihr Ex-Vorgesetzter in der Privatangestellten-Gewerkschaft und nunmehriger ÖGB-Chef wisse zwar bisweilen nicht, wie er dazu kommt. Diese oft notgedrungene Entscheidungsachse trägt aber freilich dazu bei, dass der ÖGB mit Bablers Kurs innerhalb der SPÖ besser als viele andere kann.

Von Babler komme, wenn ihn Mitarbeiter doch einmal für eine Entscheidung erreichen, wiederholt die Aussage: „Bitte macht ihr das, ihr findet schon eine Lösung“ – so ein weit verbreitetes rotes Ondit.

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Neuwahlen mit einem „Volkskanzler“ Kickl als möglichem Ergebnis sind für keine der Koalitionsparteien eine Option – das hält sie zusammen.

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Reformschmerzen im Proporz?

Langjährige und nach vielen Turbulenzen schwer erschütterbare SPÖ-Spitzenfunktionäre geben indes die Parole aus: Ein Jahr nach einer Wahl sei vollkommen offen, ob die Abwärtsspirale zum Markenzeichen von SPÖ wie ÖVP und damit auch für die Dreierkoalition wird.

„Es war uns allen bewusst, dass angesichts des Budgetdesasters mit dem Regierungseintritt kein Blumentopf zu gewinnen ist. Jetzt heißt es einmal weiter die Zähne zusammenbeißen und alles tun, damit die Teuerung runter und es mit der Wirtschaft aufwärts geht.“

In allen drei Koalitionsparteien mehren sich Stimmen für eine sehr österreichische Lösung in Sachen Radikalkur. „Wir machen zwei Reformen, die uns als ÖVP und Neos wehtun“, sagt ein ÖVP-Spitzenmann, „die SPÖ stimmt im Gegenzug zwei Reformen zu, die ihr politisch wehtun.“

Um ein Beispiel gebeten, heißt es aus mehreren Ecken im Regierungsviertel: ÖVP und Neos lassen eine neue staatliche Bremse bei den horrenden Energiepreisen zu, die nach wie vor als größter Inflationstreiber gelten. Die SPÖ wiederum gibt ihren Widerstand gegen eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters auf.

In Sozialpartnerkreisen geht dazu in den letzten Wochen lauter denn je als Parole um: „Nur so durchbrechen wir den Teufelskreis der Angst, seine eigene Klientel zu riskieren. Wenn der Schmerz gerecht verteilt ist, gehen weitaus mehr Wähler mit, als dadurch verprellt werden.“

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