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Politik Backstage: Alles Deckel oder was?

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Andreas Babler, Christian Stocker und Beate Meinl-Reisinger adressieren die Sorgenkinder Konjunktur und Inflation.

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Roter Deckel bei Mieterhöhungen, türkis-pinker Deckel bei Pensionserhöhungen. Mit einem Last-Minute-Deal rettet sich die Dreierkoalition in die Herbstsaison. In Sachen Wirtschaftsturbo reicht es nur für Goodwill-Signale. Die nächste Riesenhürde wartet schon: Bis Jahresende braucht es neue finanzielle Daumenschrauben für die mächtigen Landesfürsten.

Es sind gut hundert Spitzendiplomaten, die sich Montagvormittag in den Räumen der Diplomatischen Akademie eingefunden haben. Einmal im Jahr treffen sich zu Ferienende alle Botschafter in Wien zu einer gemeinsamen Tagung. Für die neue pinke Spitze des Außenamts war es eine Premiere. Beate Meinl-Reisinger und Sepp Schellhorn nutzten die Gelegenheit, auch jenes Thema zu forcieren, das die ganze Regierung seit Amtsantritt nolens volens umtreibt: Wie kommt Österreich im globalen Wirtschaftswettbewerb von der Kriechspur wieder auf die Überholspur? Die heimischen Botschaften spielen im Zusammenspiel mit den Delegierten der Wirtschaftskammer vor Ort als Türöffner dabei eine nicht unwesentliche Rolle. 

Dafür gab es seitens der Ressortführung nicht nur Lob, sondern auch jede Menge Wünsche und Appelle. Meinl-Reisinger forderte – entgegen einem aufrechten Parlamentsbeschluss – offen grünes Licht für das neu verhandelte Mercosur-Abkommen: „Ich hoffe, dass wir als Österreich entschlossen in diese Richtung gehen.” 

Sepp Schellhorn plauderte aus dem Nähkästchen, dass „die Frau Bundesministerin schon leicht genervt ist, wenn ich in fast jeder Regierungssitzung sage: Jetzt geht es um alles, jetzt müssen wir liefern. Wir haben nur in den nächsten fünf Jahren die Zeit dafür.“ 

Während Meinl-Reisinger und Schellhorn ihre wichtigsten Außendienstmitarbeiter zu noch mehr Anstrengungen an der Exportfront zu motivieren suchten, rüsteten sich die Mitglieder der Koalitionskoordination für eine lange Verhandlungsnacht. 

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Klausur-Poker bis vier Uhr früh

Nicht einmal zwanzig Stunden vor Start der zweitägigen Regierungsklausur zogen sich Montag um 16 Uhr ÖVP, SPÖ und Pink zur finalen Verhandlung jener Maßnahmen zurück, die sie tags darauf formell beraten und in der Regierungssitzung mittwochvormittags in Form eines „Ministerratsvortrags“ auch beschließen sollten. Erst Dienstag gegen vier Uhr früh gingen die Verhandler auseinander – allen voran die Staatssekretär:innen Alexander Pröll (ÖVP) und Michaela Schmidt (SPÖ) sowie Neos-Chefkoordinierer Armin Hübner, zudem die Klubobleute August Wöginger (ÖVP), Philip Kucher (SPÖ) und Yannick Shetty (Neos).

Weitgehend auf Schiene war bereits davor ein klassisches Gegengeschäft beim Abtausch von unliebsamen Maßnahmen.

ÖVP-Kanzler Christian Stocker hatte seinem SPÖ-Regierungsvize Andreas Babler bereits vor gut einer Woche eine Ausweitung des Mietpreisdeckels auch auf den frei verhandelbaren Neubaubereich zugestanden – sehr zum Unmut des ÖVP-Wirtschaftsflügels und der gesamten Neos-Fraktion.

Im Gegenzug holte sich Stocker noch im Vorfeld seines ORF-„Sommergesprächs“ Montagabend von Babler grünes Licht dafür, bei den Pensionserhöhungen den Rotstift anzusetzen.

Als Verhandlungsziel mit den Pensionistenvertretern wurde paktiert: Statt der laut bisherigen Spielregeln 2026 fälligen Erhöhung aller Pensionen um 2,7 Prozent soll der Aufwand für die rund zwei Millionen Ruheständler in Summe nur um zwei Prozent steigen. 

Gesichtswahrende Lösung für die SPÖ: Gespart soll vor allem bei höheren Pensionen werden. Babler kann sich so als jener präsentieren, der „die Mindestpensionisten schützt“.

Signal für Herbstlohnrunde

ÖVP und Neos werten diesen Deckel beim Pensionsplus nicht nur als Sparbeitrag fürs Budget, der im Idealfall bis zu einer halben Milliarde ausmacht. Beiden Koalitionsparteien ist eine Rentenerhöhung klar unter der Inflationsrate vor allem als Signal Richtung Herbstlohnrunde wichtig.

Die letzten besonders hohen Abschlüsse gelten neben den explodierten Energiekosten als die größten Inflationstreiber und haben – sagen auch SPÖ-nahe Ökonomen – zudem die Wettbewerbsfähigkeit Österreich massiv geschwächt. Die Neos heften sich auf die Fahnen, „dieses Tabu“ gebrochen und als erste einen Pensionsabschluss deutlich unter der Inflationsrate auch öffentlich ins Spiel gebracht zu haben.

Bis zuletzt wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag dann noch über das Kleingedruckte im schlussendlich zwölfseitigen Ministerratsvortrag verhandelt. Etwa die Details zur geplanten Preis- und Wettbewerbskontrolle zur Eindämmung der Inflation, offene Details bei der Anhebung steuerlicher Investitionsanreize oder eine Strompreiskompensation für besonders energieintensive Betriebe wie die voestalpine.

Erst die marketinggerechte Addition von längst budgetierten Maßnahmen und ein paar Hundert frischen Millionen machte es möglich, zu proklamieren: Die Regierung macht eine Milliarde als Investitionsspritze für den Wirtschaftsstandort frei.

Poker um finanzielle Daumenschrauben

Nach der dritten groß inszenierten Klausur ist vor der nächsten großen Hürde, die die Dreierkoalition zu nehmen hat. Abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit wurde dieser Tage ein Verhandlungspoker zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gestartet, an dessen Ende nicht einstimmig verabschiedete Absichtserklärungen, sondern harte Zahlen stehen müssen.

In den kommenden drei Monaten muss der sogenannte Stabilitätspakt neu verhandelt werden. Ende des Jahres ist in Brüssel ein belastbares Zahlengerüst vorzulegen, das im vor dem Sommer eröffneten Defizitverfahren eine zentrale Rolle spielt.

Denn die von Türkis-Grün kaschierte Schuldenexplosion hat mehrere Väter. Auch von Ländern und Gemeinden wurde nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ mehr Steuergeld denn je ausgegeben. Nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Gemeinden müssen nun – so die EU-Vorgaben – nachvollziehbar glaubwürdig auf die Ausgabenbremse steigen.

Dieser innerösterreichische Stabilitätspakt regelt die Einhaltung von finanzpolitischen Zielen, insbesondere in Bezug auf Haushaltsdefizite und Schuldenstände, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Er soll sicherstellen, dass Österreich seine Verpflichtungen gegenüber der EU einhält.

Was sich kalt technokratisch anhört, kann nicht nur in den kommenden Wochen zum heißen Konfliktstoff zwischen der Dreierkoalition, Länderfürsten und den obersten Vertretern der Ortskaiser des Landes werden. 

Die regierungsintern „Stabi-Pakt“ gerufenen neuen finanziellen Daumenschrauben für Länder und Gemeinden haben SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer, seine ÖVP-Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl und Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn zu verhandeln.

Das stärkste Druckmittel liegt freilich nicht in den Händen der unmittelbar Beteiligten, sondern in Brüssel. „Wenn beim ‚Stabi-Pakt‘ nix weitergeht, dann kommt eine EU-Troika und geht euch an den Kragen“, formuliert ein Regierungsmann. Sprich: Dann nominiert Brüssel ein Konsortium aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, das vor Ort die öffentlichen Kassen auf Herz und Nieren durchleuchtet und eine Spartherapie verordnet.

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Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn (hinten) streut Gemeindebundpräsident Johannes Pressl (ÖVP) als Reformpartner Rosen.

 © APA/MAX SLOVENCIK

Pinkes Lob für ÖVP-Urgestein

Das bleibt auf Sicht nur eine Drohkulisse, da der „Stabi-Pakt“-Poker gerade erst eröffnet ist und die Verhandler einander derzeit eher Komplimente machen, statt in den Konflikt zu gehen. Neos-Staatssekretär Schellhorn, der selten durch übertriebene Freundlichkeiten auffällt, gerät etwa im kleinen Kreis ins Schwärmen, wenn die Rede auf den Chef des Gemeindebunds, Johannes Pressl, kommt. „Er ist ein Gewinn für die Verhandlungen, weil so auch Druck von unten entsteht. Pressl will nicht noch mehr Ausgleichsgemeinden“ – sprich Gemeinden, die zahlungsunfähig sind und sich nur mit Zuschüssen der jeweiligen Landesregierung über Wasser halten können. 

Was Schellhorn hinter den Kulissen diesen besonders lobpreisen lässt: Pressl ist nicht nur als Sprecher der nach wie vor tonangebenden ÖVP-Bürgermeister im Gemeindebund parteiintern ein gewichtiger Faktor. Er ist als schwarzes Urgestein auch in der nach wie vor gewichtigsten ÖVP-Landespartei Niederösterreich massiv verankert. 

Der Zeitdruck wird freilich zunehmend weniger Gelegenheiten für Komplimente lassen. Parallel zu den Verhandlungen über den neuen „Stabi-Pakt“ sollen in den kommenden Wochen auch die geplanten Gespräche über eine neue Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in die Gänge kommen. Die Verhandler geben sich dafür aufgrund der Komplexität der Materie und Interessen bis Ende 2026 Zeit. Der neue Stabilitätspakt muss aber spätestens zu Jahresende in Brüssel abgeliefert werden. „Wir müssen daher leider das Pferd von hinten aufzäumen und die weniger werdenden Mittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden schon jetzt neu aufteilen“, so ein Regierungsinsider über einen unabänderlichen Schönheitsfehler: „Besser wäre es gewesen, erst über eine Aufgabenreform und dann über die Geldverteilung zu entscheiden.“ 

Einen weiteren Deckel – wie bei Mieten und Pensionen –  drüberzustülpen, wird aber da wie dort nicht ausreichen, um das Ergebnis als Erfolg der Regierung zu verkaufen. 

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