
Die Achse zwischen Kanzler Christian Stocker (l.) und dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig soll die Reformpartnerschaft ankurbeln.
©picturedesk.com/APA/Georg HochmuthNach dem Spar-Budget ist vor dem Gürtel-Enger-Schnallen in Ländern und Gemeinden. Warum deren Neuverschuldung neuerlich zu explodieren droht. Wie die Regierung vom Kanzler abwärts den drohenden Bankrott von immer mehr Kommunen für einen Staatsumbau nutzen will.
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In der „Presse“ formulierte er milieugerecht: „Manche Länder krachen budgetär wie die Kaisersemmel.“ Im „Kurier“ griff er zu einem konträren Bild: „Der Staat ist zu fett.“ In „Heute“ attackierte er unverblümt direkt: „Der Staat treibt die Inflation an.“ Und auf Oe24 packte der gelernte PR-Fachmann den extragroßen Bihänder aus: „Die Spitzenpolitik schläft in der Pendeluhr.“
Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer gab in den ersten Herbsttagen flächendeckend Interviews. Der Chef des ÖVP-Wirtschaftsbundes nahm in seinen Rundumschlägen gegen eine zu lahme politische Führung des Landes auch die Kanzlerpartei nicht aus.
Nicht nur Parteifreunde runzelten darob die Stirn. Ist Mahrer angesichts weiter steigenden Wählerzuspruchs für die FPÖ bereits dabei, sich zeitgerecht von der Dreierkoalition abzusetzen? Will er die ÖVP auf Blau-Schwarz umpolen, bevor sie, weiter dezimiert, zur noch leichteren Beute für Kickl & Co. wird? Da und dort wurde er im kleinen Kreis auch direkt gefragt, ob und warum er die Regierung sieben Monate nach Amtsantritt bereits abgeschrieben habe.
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Was Mahrers Mahnrufe wollen
Der Wirtschaftskammer-Chef versicherte, dass er seit Jahren nach dem Restart des Politbetriebes im Herbst möglichst viele Interviews gibt, um die Anliegen der Wirtschaft verstärkt in die Medienauslage zu stellen. Auffallend bleibt, dass er diesmal besonders spitz formulierte. Funktionäre meinen: Das liegt auch daran, dass die Sorgen in Unternehmerkreisen besonders tief sitzen und der Frust über ausbleibende Gegenmaßnahmen der Regierung besonders groß ist.
„Wir haben in der Regierung bisher vor allem Sicherheitsthemen forciert, von der Messenger-Überwachung bis zum Kopftuch-Verbot für unter 14-Jährige. Mit diesen Symbolthemen glaubt man, schnell Punkte zu machen, und außerdem kosten sie praktisch nichts“, sagt ein ÖVP-Spitzenmann. Für spürbare Maßnahmen gegen die tief sitzende Flaute bei Konjunktur und Investitionslust fehle jedoch just in schweren Krisenzeiten wie diesen schlicht der budgetäre Spielraum.
Um diese Riesenhürde wissen Player in- und außerhalb des Regierungsviertels. Vor allem auch jene wie Harald Mahrer & Co., die sowohl beim Regierungsprogramm als auch beim Sparbudget an vorderster Front mitgemischt haben. Umso heftiger machen sie jetzt vor und hinter den Kulissen Druck, damit das zweite zentrale Versprechen der Dreierkoalition eingelöst wird.


Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer gab zuletzt viele Interviews, um die Anliegen der Wirtschaft verstärkt in die Medienauslage zu stellen - inklusive Kritik an der Regierung.
© picturedesk.com/APA/Georg HochmuthSchlankheitskur für „verfressenen Staat“
Um nach den ersten Bremsmanövern beim Doppelbudget 2025/26 die großen Kostentreiber im Staatshaushalt nachhaltiger in den Griff zu bekommen, hat sich Türkis-Rot-Pink einer „Reformpartnerschaft“ verschrieben. Auch wenn es viele zu oft folgenlos gehört haben: „Der Staat braucht eine Schlankheitskur. Er ist auf allen Ebenen und ungesund verfressen“, proklamieren vor allem türkise und pinke Strategen. Angesichts klammer Kassen und im Regierungsabkommen ausgeschlossener Alternativen wie neuer Steuern ziehen bislang auch rote Spitzenplayer mit.
Das Ziel: Freiraum für unternehmerische Aktivitäten erhöhen und den Kostendruck auf die Budgets in Bund und Ländern verringern. Binnen 18 Monaten will Türkis-Rot-Pink hier Nägel mit Köpfen machen. Vor der Sommerpause schwor der scheidende Salzburger Landeschef Wilfried Haslauer bei seiner letzten Landeshauptleutekonferenz in Leogang die Kollegen auf einen Schulterschluss mit den Regierungsspitzen in Sachen Staatsreform ein. Bevor die Kompetenzen in den Fokus genommen werden, sind bis Jahresende auf Länder- und Gemeindeebene freilich noch fehlende Hausaufgaben in Sachen Ausgabenbremse fällig.
Westachse macht Reformdruck
„Es gibt aber noch nicht bei allen ausreichend Leidensdruck und eine entsprechende Einsicht“, berichtet ein Topverhandler. Bis Dezember ist aber bereits ein neuer Stabilitätspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden fällig – sprich ein föderal gültiges Abkommen über verbindliche Obergrenzen bei Defizit und Schuldenquote quer durchs Land. Danach ist volle Kraft bei den bereits anlaufenden Gesprächen in Sachen Reformpartnerschaft angesagt.
Wie Verhandler berichten, ist jedoch in den großen und besonders ausgabefreudigen Bundesländern Wien, Nieder- und Oberösterreich weitaus weniger Reformwille auszumachen als in den kleineren westlich von Linz. Dieser Tage kam es, so ein Eingeweihter, daher zu einem „Geheimtreffen der Länderchefs der ÖVP-Westachse“. Dabei ging es vor allem darum, die zähen Gespräche in Sachen Stabilitätspakt wieder flottzumachen.
Diese Verhandlungen werden federführend von SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer, seiner ÖVP-Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl und Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn geführt. Im und um das Regierungsviertel wird aufmerksam registriert, wie sich parallel dazu die Regierungsspitze und der Kanzler für die Umsetzung des Versprechens eines Staatsumbaus rüsten. Diesen sehen viele im Regierungsviertel auch als den „dringend benötigten Stimmungsaufheller“ vor allem für Investoren und Unternehmer.


Der frühere Kämpfer gegen die Kammer-Pflichtmitgliedschaft Sepp Schellhorn kooperiert mehr und mehr mit Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer im Kampf gegen Bürokratismus jenseits des Kammerstaats.
© picturedesk.com/APA/Hans Klaus TechtStocker baut an Achse zu Ludwig
Teilnehmende Beobachter wissen von ersten Treffen zwischen Christian Stocker und Michael Ludwig zu berichten, der sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene nach wie vor als wichtigster Weichensteller in der SPÖ gesehen wird. Der Kanzler ist nach einer ersten Schnupperrunde mit dem Wiener Bürgermeister nun gerade dabei, auszuloten, was in den eigenen Reihen möglich ist. Die ersten Fäden bei der geplanten Entflechtung des Kompetenzdschungels laufen bei Stockers Kabinettschef Michael Buchner zusammen.
„Stocker geht das sehr ernsthaft an und ist fest entschlossen, im kommenden Jahr ein Ergebnis vorzulegen“, sagt ein ÖVP-Mann. „Er macht das wie bei seinen vielen Auslandsreisen vor und über den Sommer, um sich außenpolitisch zu profilieren: sehr dienstbeflissen, aber er glänzt nicht.“
Als breit sichtbares Zeichen der Trendumkehr soll bei einer Ministerratssitzung im Laufe des November demonstrativ keine einzige neue Regel, kein Gesetz und keine Verordnung beschlossen werden. Auf der Tagesordnung wird vielmehr ein ganzes Bündel an Regeln, Gesetzen und Verordnungen stehen, die abgeschafft werden. Vor allem Bezirkshauptleute aller Couleurs haben hier „viele wertvolle Tipps und Hinweise“ geliefert, so Deregulierungsstaatssekretär Sepp Schellhorn. Eine Arbeitsgruppe von Bezirkshauptleuten ist gerade dabei, einen finalen Vorschlag für den geplanten Bürokratiestreichtag am Kabinettstisch zu erarbeiten.
Der Druck macht auch unerwartete Allianzen zwischen bisherigen Widersachern möglich. Der – ausgerechnet in der Zentrale des diplomatischen Dienstes verankerte – streitbare ehemalige Gastro-Unternehmer Schellhorn wurde ja bislang nicht müde, ein Aus der Pflichtmitgliedschaft für die Wirtschaftskammer zu fordern. Dieser Tage traf er mit deren amtierendem Präsidenten Harald Mahrer zusammen, um das Kriegsbeil zu begraben und Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Bürokratismus jenseits des Kammerstaates zu suchen und zu finden. „Beide stehen unter Druck, Signale des Aufbruchs an die Wirtschaft zu liefern“, berichtet ein Regierungsinsider über den Verlauf des Treffens. „Sie haben sich entschieden, es sich nicht doppelt schwer zu machen, sondern zu kooperieren.“
Weniger freundliche Worte sind im Regierungsviertel dieser Tage über den einen oder anderen Landeshauptmann zu vernehmen: „Fast täglich baut wie zuletzt Lenzing ein Betrieb Hunderte Mitarbeiter ab. Pleiten und Betriebsstilllegungen wie zuletzt Unimarkt nehmen zu. Da müssten doch auch bei den Länderchefs längst alle Alarmglocken schrillen und die Reformbereitschaft anspringen.“
Erfahrene Taktiker im Regierungsviertel setzen auf die normative Kraft des Faktischen. Nachdem die unbedeckten Mehrausgaben vor allem in den Kommunen schon im Vorjahr den Staatshaushalt endgültig ins Kippen gebracht hatten, rechnen Regierungsinsider damit, dass die Überschuldung von Ländern und Gemeinden 2025 weiter explodiert: Statt mit zuletzt knapp fünf Milliarden Neuverschuldung wird für 2025 allein hier mit einem Sprung auf rund sieben Milliarden gerechnet.
Regierungsstrategen gewinnen solchen Horrorzahlen auch eine gute Seite ab: „Da werden wir aus den Ländern, die am Ende für besonders marode Gemeinden einspringen müssen, nicht mehr nur zu hören bekommen, was alles nicht geht. Sondern vielleicht, was gemeinsam doch geht, um aus diesem Milliarden-Schlamassel herauszukommen.“