
Laut einer YouGov-Umfrage haben Menschen mehr Angst im Job als vor Spinnen. Das klingt paradox, ist aber Alltag: Wir fürchten Überforderung, Unsicherheit und die KI stärker als acht Beine im Keller. Mit Folgen für die mentale Gesundheit, aber auch die Leistungsfähigkeit. Die gute Nachricht: Neurowissenschaft und Psychologie zeigen, wie wir dieses Grundrauschen der Angst leiser drehen können – und dadurch klarer, kreativer und mit mehr Ruhe arbeiten.
Mehr Angst vor dem Büro als vor der Spinne
Alles beginnt oft unscheinbar. Sonntag, später Nachmittag. Draußen liegt goldenes Licht über den Häusern, Kinderlachen aus dem Park, ein letzter Kaffee auf dem Balkon. Und dann – dieses Grummeln im Bauch. Erst leicht, dann immer spürbarer. Fast wie eine Magenverstimmung. Kein konkreter Gedanke, eher ein diffuses Gefühl: Morgen wartet die Arbeit.
Die To-do-Liste von Montag schiebt sich vor das innere Auge. Der Präsentation fehlt noch der Feinschliff. Im Posteingang liegt eine unbeantwortete Mail. Und da ist noch das Meeting um 9 Uhr, in dem eine kritische Frage fallen könnte. Plötzlich kippt der Tag – belastet von dem, was kommt. Das ist kein Einzelfall, sondern ein weit verbreitetes Phänomen. Die Psychologie kennt dafür sogar einen Namen: „Sunday Scaries“ – die Sonntagsangst.
Angst als Grundrauschen im Job
Spinnenphobie gilt als Klassiker: Rund 5 % der Menschen reagieren stark, etwa die Hälfte empfindet ein mulmiges Gefühl. Doch der Blick ins Büro wiegt schwerer. Laut YouGov fürchten sich 59 % der Berufstätigen regelmäßig vor ihrer Arbeit, 17 % sogar täglich. Damit ist die Angst im Job verbreiteter als die klassische Spinnenangst.
Doch was macht die Arbeit so angstauslösend? Die Studie benennt drei Haupttreiber: die Sorge vor wachsenden Verantwortlichkeiten, die Unvorhersehbarkeit des Arbeitsalltags – etwa plötzliche Kurswechsel – und die Furcht vor KI und Automatisierung. Hinzu kommt oftmals die soziale Dimension: Angst vor Kritik, vor Gesichtsverlust, vor dem leisen Urteil der Kolleg:innen. Diese Unsicherheiten, das Gefühl die Kontrolle zu verlieren, prägen berufliches Umfeld.
Ein klassisches Experiment mit Ratten zeigt eindrucksvoll, wie sich die Wahrnehmung fehlender Kontrolle auswirkt. Die Tiere wurden wiederholt Stromstößen ausgesetzt. Doch es gab zwei Bedingungen: Eine Gruppe konnte über einen kleinen Hebel den Stromfluss beenden, die andere nicht. Das Ergebnis war eindeutig: Die Tiere mit Kontrollmöglichkeit zeigten deutlich weniger Stress – während die Ratten ohne Hebel Symptome von Angststörungen und Depression entwickelten.
Das berufsbezogene „Angstrauschen“ ist nicht so spektakulär wie der Stromschlag im Käfig, wirkt, aber dauerhaft. Mit Konsequenzen Entscheidungen verzögern sich, Schlaf und Konzentration leiden, die Nervosität zerrt an der Substanz und führt schrittweise Richtung Burnout. Die Daten sprechen eine klare Sprache: Laut Fehlzeitenreport machen psychische Erkrankungen heute rund 10 % aller Krankenstandstage aus – dreimal so viel wie in den 1990er-Jahren. Die Prävention und der richtige Umgang mit Angst sind damit ein bedeutsamer wirtschaftlicher Standortfaktor.
Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.
Es geht um Gesundheit, Produktivität, Retention. Angstprävention und Angstmanagement sind essenzieller Teil moderner Führungskultur. Doch was tun, denn wachsende Verantwortung, Unvorhersehbarkeit und künstliche Intelligenz sind die neuen Realitäten, denen wir schlichtweg nicht entkommen?
Epiktet, der griechische Stoiker, formulierte es vor 2000 Jahren so: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.“
Das ist mehr als ein Kalenderspruch. Angst entsteht im Kopf – und auf die emotionalen Prozesse zwischen den Ohren können wir Einfluss nehmen. Dahinter stecken handfeste wissenschaftliche Fakten, die nachweislich für mehr Ruhe und Leistungsvermögen im Kopf sorgen.
1. Erholung ermöglichen – Natur statt Social Media
Das einfachste Mittel gegen Angst ist oft das naheliegendste: echte Erholung. Doch wer den Arbeitstag mit doomscrolling in Social Media unterbricht, lädt sein Gehirn nicht auf, sondern überreizt es weiter. Studien zeigen dagegen: Schon Zimmerpflanzen, Landschaftsbilder oder kurze Clips mit Naturimpressionen senken Stresshormone innerhalb von fünf Minuten.
Die Wissenschaft liefert dafür zwei Schlüsselmodelle:
Stress Reduction Theory: Der Blick auf Natur löst unmittelbar eine Entspannungsreaktion im Nervensystem aus. Blutdruck sinkt, die Amygdala fährt herunter, der Körper schaltet von Alarm auf Regeneration.
Attention Restoration Theory: Natur bietet „sanfte Faszination“. Sie zieht Aufmerksamkeit mühelos an, ohne sie zu zersplittern – im Gegensatz zu Social Media. Das Stirnhirn, zuständig für Konzentration und Kreativität, kann sich erholen.
Für die Praxis heißt das: Statt endloser Pausen auf Instagram wirkt schon ein kurzer Gang ins Grüne oder – wenn kein Park vor der Tür liegt – eine virtuelle Naturerfahrung, etwa mit Tools wie der Brain Changer® App. Führung heißt hier: Pausen nicht nur zulassen, sondern aktiv als Erholungszeit gestalten.
2. Kontrolle erfahrbar machen – Einfluss statt Ohnmacht
Menschen fürchten nicht primär Belastung, sondern Kontrollverlust. Das zeigte schon das Experiment mit den Ratten und den Stromschlägen. Das Prinzip gilt auch im Job. Wer das Steuer selbst in der Hand hält, erlebt Belastung als Herausforderung statt als Bedrohung.
Der US-Managementberater Stephen R. Covey prägte dafür das Bild zweier Kreise:
Circle of Concern: alles, was uns Sorgen bereitet, aber außerhalb unseres Einflusses liegt.
Circle of Influence: jener Bereich, in dem wir tatsächlich handeln und gestalten können.
Führungskräfte können ihre Teams gezielt in den Einflusskreis lenken: Verantwortung übertragen, Entscheidungsfreiräume öffnen, klare Handlungsspielräume schaffen. Schon kleine Wahlmöglichkeiten – etwa bei Projekten, Tools oder Deadlines – senken Stress und stärken Selbstwirksamkeit. Der Bereich, den wir immer beeinflussen können, ist der im eigenen Kopf. Unsere Aufmerksamkeit ist bewusst steuerbar, und damit auch, wie viel Raum wir welchen Gedanken geben.
3. Sinn und Selbstwirksamkeit stärken – vom Ego zum Größeren
Die berühmten Nonnenstudien aus den USA liefern ein eindrucksvolles Bild: Obwohl Nonnen in denselben Klöstern unter denselben Bedingungen lebten, unterschieden sie sich stark in ihrer Lebenserwartung – um bis zu zehn Jahre. Der Grund: jene, die ein starkes Gefühl von Selbstwirksamkeit hatten, lebten länger und gesünder als jene, die sich den Umständen ausgeliefert fühlten.
Übertragen heißt das: Angst schrumpft, wenn Arbeit nicht als bloßes „Ertragen“, sondern als „Gestalten“ erlebt wird. Noch stärker wirkt dieser Effekt, wenn Sinn ins Spiel kommt. Wer seine Arbeit mit einem höheren Zweck verbindet – sei es für das Team, das Unternehmen oder die Gesellschaft – verschiebt den Fokus vom Ego („Wie wirke ich?“) zum Beitrag („Was bewirke ich?“).
Wer Pausen zur Erholung gestaltet, Handlungsspielräume öffnet und Sinn statt Ego betont, schafft nicht nur ein gesünderes, sondern auch ein wirksameres Arbeitsumfeld. Angst verliert dann ihre lähmende Kraft – und macht Platz für Klarheit, Kreativität und Mut.
ÜBUNG
Fokus Muskel
Zeichnen Sie für jedes wichtige Thema einen Kreis auf ein Blatt Papier und tragen Sie darin alles ein, was Sie aktiv gestalten können – von konkreten Handlungen bis hin zu Ihrer inneren Haltung oder den positiven Emotionen, die Sie mit dem Thema verbinden. So wird sichtbar, wo Ihre Einflußmöglichkeiten wirklich liegen. Wiederholen Sie die Übung regelmäßig: Mit jedem Durchgang wächst Ihr Fokus-Muskel – und damit das Bewusstsein für all das, was Sie tatsächlich beeinflussen können.
Quellen
Covey, S. R. (1989). The 7 habits of highly effective people: Restoring the character ethic. New York, NY: Free Press.
Danner, D. D., Snowdon, D. A., & Friesen, W. V. (2001). Positive emotions in early life and longevity: Findings from the nun study. Journal of Personality and Social Psychology, 80(5), 804–813. https://doi.org/10.1037/0022-3514.80.5.804
Headspace & YouGov. (2021). Workplace stress and anxiety survey. London, UK: YouGov.
Kaplan, R., & Kaplan, S. (1989). The experience of nature: A psychological perspective. Cambridge, UK: Cambridge University Press.
Seligman, M. E. P., & Maier, S. F. (1967). Failure to escape traumatic shock. Journal of Experimental Psychology, 74(1), 1–9. https://doi.org/10.1037/h0024514
Täuber, M. (2025). Das Ende der Angst. Wien, AT: Goldegg Verlag.
Ulrich, R. S. (1984). View through a window may influence recovery from surgery. Science, 224(4647), 420–421. https://doi.org/10.1126/science.6143402


Neurobiologe Dr. Marcus Täuber
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Dr. Marcus Täuber
ist promovierter Neurobiologe, Lehrbeauftragter mehrerer Hochschulen und Leiter der Brain Changer Academy. Als Autor und Keynote-Speaker vermittelt er, wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen, Denken und Handeln wirksam zu gestalten. Mit fundierter Forschung und klaren Praxistools zeigt er Wege, mentale Stärke und nachhaltigen Erfolg zu fördern.
Qualifikationen
• Psychosozialer Berater mit Gütesiegel Impuls Pro der Wirtschaftskammer Österreich
• Unternehmensberater und zertifizierter Business-Coach
• Ehemaliger Head of Training beim weltgrößten Biotechunternehmen