
Endloses Grübeln raubt nicht nur Schlaf und Energie, sondern blockiert Entscheidungen und senkt die Kreativität. Neurowissenschaftlich ist Grübeln kein harmloses Nachdenken, sondern ein Stressprogramm im Gehirn. Der Bewertungszirkel schaltet nicht ab, sondern dreht sich im Kreis. Die gute Nachricht: Mit einfachen Routinen und Strategien lässt sich das Gedankenkarussell stoppen – und wir gewinnen Klarheit, Ruhe und Fokus zurück.
Grübeln – das stille Performance-Problem
Stellen Sie sich vor: 23:47 Uhr. Die Präsentation für morgen ist längst fertig. Eigentlich. Doch statt zu schlafen, läuft das Kopfkino: „War die Folie zu detailarm? Hätte ich die Zahlen anders darstellen sollen? Was, wenn eine kritische Frage kommt?“
Das ist Grübeln. Psychologen nennen es Rumination – Gedanken, die nicht zur Lösung führen, sondern wie auf einer Endlosschleife kreisen. Während konstruktives Nachdenken Probleme löst, senkt Grübeln nachweislich die Handlungsfähigkeit.
Auch Managerinnen und Manager sind davon nicht gefeit. Eine Bereichsleiterin soll entscheiden, ob ein wichtiges Projekt weitergeführt oder gestoppt werden soll. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Analysen sind gemacht. Doch sie dreht sich gedanklich im Kreis: „Habe ich wirklich alle Risiken bedacht? Was, wenn ich mich irre? Sollte ich noch eine weitere Analyse in Auftrag geben?“ Jede neue Überlegung wirft weitere Zweifel auf. Wochenlang wird die Entscheidung verschoben. Das Team verliert an Orientierung, die Motivation sinkt – und am Ende leidet nicht nur das Projekt, sondern auch ihre Glaubwürdigkeit als Führungskraft.
Neurowissenschaftlich betrachtet ist Grübeln das Resultat einer Überaktivität im Stirnbereich des Gehirns über den Augen, dem orbitofrontalen Kortex, wo wir die Konsequenzen von Handlungen abschätzen und unser Verhalten planen. Permanente Signale führen dazu, dass ein Entscheidungsprozess nicht abgeschlossen wird. Statt zu stoppen, wird die Schleife zurückgespult. Die Folge: Das Gehirn kreist immer wieder um dieselben Zweifel.
Sorgen sind demnach der kognitive Aspekt von Angst – Angst, Fehler zu machen, Angst, sich selbst oder dem Unternehmen zu schaden, Angst vor der Entscheidung selbst. Einer Studie nach, die allerdings schon älter ist und nie in einem Fachjournal publiziert wurde, sind 85 % unserer Sorgen vollkommen unbegründet. Auch wenn diese Zahl mit Vorsicht zu betrachten ist, gehört es zu unserer Alltagserfahrung, dass unser Denken oft einen Fehlalarm auslöst.
Warum Grübeln blockiert
Die ehemalige Psychologieprofessorin an der Yale University (USA), Susan Nolen-Hoeksema, entdeckte in Langzeitstudien, dass Menschen mit starker Grübelneigung ein deutlich erhöhtes Risiko haben, depressive Episoden oder Burnout-Symptome zu entwickeln. Grübeln wirkt nach ihren Befunden wie ein Verstärker negativer Affekte und verlängert Phasen seelischer Belastung.
In einer Reihe von Experimenten und Korrelationsstudien belegte der britische klinische Psychologe Edward R. Watkins, dass Grübeln die kognitive Flexibilität mindert – also jene Fähigkeit, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und kreative Lösungen zu finden. Damit trägt Grübeln nicht nur zur Aufrechterhaltung negativer Stimmung bei, sondern behindert auch adaptives Problemlösen.
Grübeln schwächt die psychische Widerstandskraft und mindert die Problemlösefähigkeit. Wer lernt, Grübelschleifen zu erkennen und zu durchbrechen, schützt nicht nur die eigene Gesundheit, sondern stärkt auch die Führungsqualität.
Dies ist die einzige Pflicht auf Erden: ein Wandel in Klarheit und ohne Grübeln.
So durchbrechen wir die Grübelschleifen
Matthew D. Lieberman, Professor für Psychologie, Psychiatrie und Biobehavioral Sciences an der University of California, Los Angeles (UCLA), konnte mit seinem Team zeigen, dass das sprachliche Benennen von Emotionen („Affect Labeling“) die Aktivität der Amygdala reduziert und zugleich präfrontale Kontrollareale aktiviert. Die Amygdala ist unsere Alarmanlage im Kopf, die bei tatsächlichen oder gedachten Bedrohungsszenarien Stressreaktionen auslöst. Aussagen wie „Ich bin besorgt“ wirken beruhigend auf das emotionale Stresszentrum und eröffnen einen neurobiologischen Mechanismus, um Grübelschleifen zu durchbrechen.
Wenn die Gedanken im Kreis kreisen, hilft es, den Kopf gezielt zu beschäftigen. Der 30-Sekunden-Countdown ist eine kleine Konzentrationsübung, die Grübelgedanken unterbricht.
ÜBUNG
So geht’s:
1. Setzen Sie sich bequem hin und schließen Sie die Augen.
2. Stellen Sie sich einen Timer auf 30 Sekunden.
3. Zählen Sie in Gedanken von 30 in Zweierschritten rückwärts: 30, 28, 26 … bis Sie bei Null ankommen.
4. Ziel ist, dass das genau eine halbe Minute dauert. Sie trainieren dabei Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Zeitgefühl.
5. Wenn Sie zu schnell bei Null sind, zählen Sie in Zweierschritten wieder hoch: 0, 2, 4 … bis der Timer klingelt.
Egal, wie die Übung ausgeht – ob Sie die 30 Sekunden genau treffen oder nicht –, Sie profitieren in jedem Fall. Ihr Gehirn erhält eine klare Aufgabe, die volle Konzentration erfordert. Grübelgedanken werden in dieser Zeit zuverlässig unterbrochen und haben keinen Platz. Gleichzeitig trainieren Sie Ihre Fähigkeit, die Aufmerksamkeit gezielt zu steuern – eine Schlüsselfähigkeit, um Grübelschleifen zu durchbrechen. Wiederholen Sie die Übung gerne regelmäßig, auch in ruhigen Momenten. So wird sie zu einem einfachen Werkzeug, das Sie jederzeit einsetzen können.
Klare Entscheidungen mit Hirn – Bauch und Kopf im Team
Wirklich gute Entscheidungen entstehen selten nur aus Intuition oder ausschließlich aus Ratio. Am stärksten sind sie, wenn Bauchgefühl und Verstand zusammenspielen.
Das Bauchgefühl denkt schnell, erkennt Muster und stützt sich auf Erfahrungen – ist aber anfällig für Verzerrungen.
Der Verstand analysiert langsam, logisch und linear – neigt jedoch zu Überkomplexität und Detailverliebtheit.
Wer beide Systeme integriert, nutzt die Stärken beider und bringt Gefühl und Denken in dieselbe Richtung. Das Ergebnis: eine Entscheidung, die nicht nur schlüssig erscheint, sondern sich auch richtig anfühlt – und die man mit Überzeugung umsetzt.
Business-Tipp:
Reflektieren Sie wichtige Entscheidungen bewusst, ohne ins Grübeln abzurutschen. Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl – und bringen Sie es in Worte. Schlafen Sie eine Nacht darüber und wiederholen Sie die Reflexion. So aktivieren Sie Ihr Unbewusstes und Ihre Ratio gleichermaßen. Das Gehirn arbeitet für Sie weiter, auch wenn Sie Pause machen.
Buchtipp: Das Ende der Angst
Ein wertvoller Begleiter zum Thema Grübeln und Sorgen ist das Buch Das Ende der Angst. Darin wird erklärt, wie Angst im Gehirn entsteht, welche Rolle Botenstoffe, das limbische System und die Amygdala spielen – und warum Sorgen und Grübeln nichts anderes sind als Fehlalarme unseres Nervensystems.
Praktisch sind vor allem die vielen Übungen, die dabei helfen, den Teufelskreis aus Angst, Grübeln und Stress zu durchbrechen – etwa durch Atemtechniken, Gedankenstopps oder gezielte Perspektivwechsel.
Für Führungskräfte ist dieses Buch doppelt wertvoll: Es liefert nicht nur neurobiologisches Hintergrundwissen, sondern auch konkrete Werkzeuge, um eigene Sorgen zu regulieren und im Team eine Kultur der Gelassenheit zu fördern.
Quellen
Borkovec, T. D., Robinson, E., Pruzinsky, T., & DePree, J. A. (1983). Preliminary exploration of worry: Some characteristics and processes. Behaviour Research and Therapy, 21(1), 9–16. https://doi.org/10.1016/0005-7967(83)90121-3
Lieberman, M. D., Eisenberger, N. I., Crockett, M. J., Tom, S. M., Pfeifer, J. H., & Way, B. M. (2007). Putting feelings into words: Affect labeling disrupts amygdala activity in response to affective stimuli. Psychological Science, 18(5), 421–428. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.01916.x
Nolen-Hoeksema, S., Wisco, B. E., & Lyubomirsky, S. (2008). Rethinking rumination. Perspectives on Psychological Science, 3(5), 400–424. https://doi.org/10.1111/j.1745-6924.2008.00088.x
Obermaier, P., & Täuber, M. (2019). Gewinner grübeln nicht: Richtiges Denken als Schlüssel zum Erfolg. Goldegg.
Pessoa, F. (2010). Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares (M. Schuch, Übers.). Fischer. (Originalarbeit posthum 1982 veröffentlicht)
Täuber, M. (2025). Das Ende der Angst: Wie sie entsteht – wie sie wirkt – wie du sie besiegst. Die Brain-Changer-Methode des Neurobiologen. Goldegg.
Watkins, E. R. (2008). Constructive and unconstructive repetitive thought. Psychological Bulletin, 134(2), 163–206. https://doi.org/10.1037/0033-2909.134.2.163


Neurobiologe Dr. Marcus Täuber
© WielandZur Person
ist promovierter Neurobiologe, Lehrbeauftragter mehrerer Hochschulen und Leiter der Brain Changer Academy. Als Autor und Keynote-Speaker vermittelt er, wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen, Denken und Handeln wirksam zu gestalten. Mit fundierter Forschung und klaren Praxistools zeigt er Wege, mentale Stärke und nachhaltigen Erfolg zu fördern.
Qualifikationen
• Psychosozialer Berater mit Gütesiegel Impuls Pro der Wirtschaftskammer Österreich
• Unternehmensberater und zertifizierter Business-Coach
• Ehemaliger Head of Training beim weltgrößten Biotechunternehmen