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Mentale Intelligenz – wie kluges Denken das Gehirn verändert

In Kooperation mit Dr. Marcus Täuber.
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15 min
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„Ich weiß genau, was ich tun sollte – und tue es trotzdem nicht.“ Ein Satz, den viele Führungskräfte oder Mitarbeitende unterschreiben würden. Wir wissen, was uns guttut – oder was im Job richtig wäre: auf den Glimmstängel verzichten, regelmäßig Sport treiben, das unangenehme Gespräch führen, den Fokus wahren, das Projekt abschließen, statt noch eine Runde Social Media zu drehen. Und doch greifen wir zum Falschen, suchen Ablenkung, finden Ausreden.

Mentale Intelligenz

bedeutet, genau diese Mechanismen zu erkennen und zu steuern. Sie ist die Fähigkeit, den eigenen Geist zu führen, statt von ihm geführt zu werden. Mit einfachen Strategien aus der Hirnforschung ist das möglich.

Das „lebende Fossil“ im Kopf

Wenn Führungskräfte unter Druck geraten, die Zahlen nicht stimmen, die Märkte sich wandeln, greifen sie oftmals instinktiv zu Kontrolle. Sie wollen alles selbst prüfen, jede Entscheidung absegnen, jede Präsentation überarbeiten: Mikromanagement.

Dahinter steckt kein Mangel an Vertrauen, sondern der unbewusste Versuch, Sicherheit herzustellen – ein urzeitlicher Reflex, der auf Unsicherheit mit Kontrolle reagiert. Das limbische System im Gehirn, Ort der emotionalen Prozesse, interpretiert Unvorhersehbarkeit als Gefahr.

Legen Sie Ihren Unterarm mit der Handfläche nach oben auf den Tisch. Drücken Sie Daumen und kleinen Finger fest gegeneinander und beugen Sie leicht das Handgelenk. Sehen Sie in der Mitte der Beugefalte einen Strang hervortreten? Das ist der Musculus palmaris longus – ein unscheinbarer, aber interessanter Muskel.

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Musculus palmaris longus

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Falls Sie ihn nicht finden: kein Problem. Rund zwanzig Prozent der Menschen besitzen ihn gar nicht. Und das macht keinen Unterschied. Denn dieser Muskel war einst wichtig, als wir auf allen vieren gingen und auf Bäume kletterten. Heute ist er funktionslos – ein kleines lebendes Fossil unseres Körpers.

Doch nicht nur im Körper tragen wir Relikte aus der Steinzeit. Auch in unserem Denken. Viele unserer mentalen Programme stammen aus einer Epoche, in der Überleben wichtiger war als Nachdenken. Unser Gehirn reagiert auf Stress, Kritik oder Veränderung noch immer so, als stünde ein Säbelzahntiger vor uns – mit Alarm, Adrenalin und Fluchtimpulsen. Diese Mechanismen sind tief im limbischen System verdrahtet – ein archaisches Netzwerk, das in der modernen Arbeitswelt häufig Fehlalarm auslöst.

So erklären sich viele paradoxe Phänomene des Business-Alltags: Warum Führungskräfte in Krisen zu Mikromanagement und Kontrolle neigen. Warum Mitarbeitende sich gegen Veränderung wehren, obwohl sie ihr Potenzial kennen. Oder warum ein negatives Feedback stärker wirkt als zehn positive Rückmeldungen. Im Grunde tendiert unser Gehirn dazu, ängstlich, träge und egozentrisch zu sein – und uns zu täuschen, um Energie zu sparen. Das sind keine Charakterschwächen, sondern evolutionäre Altlasten – lebende Fossile im Denken. Und sie lassen sich nur durch eines überwinden: Mentale Intelligenz – die bewusste Fähigkeit, diese alten Programme zu erkennen und umzuschreiben.

Mentale Intelligenz – Die Kunst, 5.000 Elefanten zu reiten

Der US-amerikanische Sozialpsychologe Jonathan Haidt führte die Metapher vom Elefanten und Reiter für die Funktionsweise unseres Geistes ein. Er beschreibt den bewussten Verstand als Reiter und das emotionale, intuitive Unbewusste als Elefanten. Der Reiter steht für rationales Denken, Willenskraft und bewusste Kontrolle. Er kann den Elefanten lenken, aber nur sehr begrenzt. Denn wenn der Elefant – aus Intuition, Gewohnheiten und automatischen Prozessen – nicht mitzieht, ist jeder Plan zum Scheitern verurteilt.

Doch es kommt noch dicker: Wenn wir die Informationsverarbeitung von Verstand und Unbewusstem in mathematisch korrekte Relation setzen, tritt das wahre Ausmaß des Ungleichgewichts der Kräfte zutage: Der Geist ist wie ein Reiter, der eine Herde von nicht weniger als 5.000 Elefanten lenken soll. Mentale Intelligenz heißt, diesen Elefanten bewusst die Richtung zu geben – nicht mit Zwang, sondern mit Strategie. Sie nutzt die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu verändern: Neuroplastizität.

Mentale Intelligenz umfasst vier Kernkompetenzen

  1. Selbstwahrnehmung – Gedanken erkennen und verstehen. Nur wer wahrnimmt, was in ihm vorgeht, kann etwas verändern.

  2. Selbstmanagement – Gedanken, Emotionen und Verhalten steuern. Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum – hier beginnt Freiheit.

  3. Selbstdesign – Denken gezielt einsetzen, um neuronale und körperliche Prozesse positiv zu beeinflussen. Mentale Intelligenz nutzt Gedanken als Werkzeug.

  4. Integration – Die Wechselwirkungen zwischen Geist, Gefühl und Körper verstehen – bei sich und anderen.

Kurzum: Wer seine Aufmerksamkeit lenkt, sich der eigenen Gedanken bewusst wird und diese hinterfragt, verändert seine neuronalen Netzwerke.

Metakognition – Denken über das Denken

Das zugrunde liegende Prinzip nennt sich Metakognition – das Denken über das Denken. Sie erlaubt, den eigenen Gedankenstrom zu beobachten, während er fließt. Neurobiologisch geschieht dabei etwas Bemerkenswertes: In dem Moment, in dem wir unsere Gedanken wahrnehmen, übernimmt der präfrontale Kortex die Steuerung, während das limbische System – die emotionale Alarmzentrale – zur Ruhe kommt. Aus Reaktion wird Reflexion.

Der amerikanische Psychologe John H. Flavell, der den Begriff in den 1970er-Jahren prägte, definierte ihn als „Wissen über die eigenen kognitiven Prozesse und alles, was damit verbunden ist“. Er unterschied zwischen metakognitivem Wissen (das Bewusstsein über das Denken) und metakognitiver Regulation (die bewusste Steuerung des Denkens).

Diese Fähigkeit lässt sich trainieren – und sie verändert das Gehirn messbar. Forschende um Sara Lazar an der Harvard Medical School zeigten, dass acht Wochen bewusster Selbstbeobachtung die Dichte der grauen Substanz im präfrontalen Kortex erhöhen und die Aktivität der Amygdala verringern. Auch Richard Davidson an der University of Wisconsin und Tania Singer am Max-Planck-Institut belegten, dass Metakognition die Verbindung zwischen rationalem Denken, Emotion und Empathie stärkt. Kurz gesagt: Wer sein Denken denkt, formt sein Gehirn – und führt sich selbst.

Erfolg beginnt mit der Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu kontrollieren.

Dr. Marcus Täuberpromovierter Neurobiologe, Lehrbeauftragter und Leiter der Brain Changer Academy.

Mentale Intelligenz im Business

In der modernen Arbeitswelt entscheidet nicht mehr Fachwissen, sondern Selbstführung über Erfolg. Mentale Intelligenz zeigt sich genau dort, wo Druck, Komplexität und Emotionen aufeinandertreffen. In vielen Unternehmen ist Überforderung längst Normalzustand. Führungskräfte hetzen von Meeting zu Meeting, reagieren auf jede Mail sofort, kontrollieren jedes Detail.

Mentale Intelligenz setzt genau hier an: Wer innehält und fragt: „Muss ich das wirklich jetzt tun?“, unterbricht das automatische Reiz-Reaktionsmuster. Diese Sekunde Metakognition verändert alles – Entscheidungen werden klarer, Delegation fällt leichter, Stress nimmt ab. Gezielt nutzbar ist auch die Kraft bewusster Pausen. Vor Diskussionen kurze Momente der Stille – zehn Sekunden, in denen niemand spricht. Diese kleine Intervention hat große Wirkung: Die Dynamik wird ruhiger, Konflikte seltener, Ideen durchdachter. Statt impulsiv zu reagieren, entsteht Raum für Reflexion – und genau darin wächst Kreativität.

Metakognition kann auch zum Bestandteil der Unternehmenskultur avancieren. Nach Projektphasen wird nicht mehr nur gefragt: „Was haben wir getan?“, sondern auch: „Wie haben wir gedacht, bevor wir gehandelt haben?“ Dieses bewusste Nachdenken über die eigenen Denkprozesse stärkt Lernfähigkeit, Innovationskraft und psychologische Sicherheit im Team. Unternehmen, die Metakognition zur Routine machen, handeln nicht schneller, sondern klüger.

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Mentale Intelligenz gezielt entwickeln

Mentale Intelligenz ist wie ein Muskel. Mit jedem bewussten Gedanken, jeder Unterbrechung des Autopiloten verändert sich das Gehirn – neue neuronale Verbindungen werden gefördert, alte Muster lösen sich. Schon kleine, bewusste Routinen reichen aus, um den Geist zu schärfen und das Gehirn spürbar zu verändern. Jede dieser Übungen dauert kaum eine Minute, wirkt aber nachhaltig auf Klarheit, Selbststeuerung und emotionale Balance.

Das folgende Fünf-Minuten-Programm lässt sich mühelos in den Arbeitsalltag integrieren. Es stärkt den präfrontalen Kortex – das Steuerzentrum für Selbstführung – und fördert Fokus, Gelassenheit und mentale Stärke.

  1. Mentales Innehalten – Klarheit vor Aktion
    Vor wichtigen Entscheidungen, Meetings oder schwierigen Gesprächen lohnt sich ein kurzer Stopp. Drei tiefe Atemzüge – und die Frage: „Was denke ich gerade – und hilft mir dieser Gedanke?“ Diese Sekunde des Bewusstseins unterbricht automatische Reiz-Reaktionsmuster. Das Gehirn schaltet vom limbischen Alarmmodus in den reflektierenden Modus des präfrontalen Kortex. Entscheidungen werden klarer, Kommunikation ruhiger – und die Amygdala, das emotionale Zentrum, beruhigt sich messbar.

  2. Die Reflexionsminute – Mentale Hygiene am Tagesende
    Am Ende des Arbeitstags kurz innehalten und drei Fragen beantworten: Was hat mich heute gestresst? Wann war ich im Autopilot? Wo war ich bewusst bei mir? Dieses einfache Ritual verschiebt den Fokus vom Problem zur Selbstwahrnehmung. Es stärkt die Fähigkeit, das eigene Denken zu beobachten – die Basis mentaler Intelligenz. Neuropsychologisch wird damit die Verbindung zwischen Bewusstsein, Emotionsregulation und Lernprozessen gefestigt.

  3. Mentale-Intelligenz-Pause – Reset im Stressmoment
    Wenn Druck oder Hektik überhandnehmen, hilft eine kurze mentale Pause. Blick vom Bildschirm lösen, Atmung spüren, Schultern entspannen. Dann den inneren Kommentar – etwa „Das wird zu viel“ – durch einen neuen ersetzen: „Einen Schritt nach dem anderen.“ Diese bewusste Umdeutung reduziert die Stresshormone im Blut und gibt dem rationalen Denken wieder Raum. So entsteht Gelassenheit, wo zuvor Druck war.

  4. Die 60-Sekunden-Meta-Review – Denken über das Denken im Team
    Nach Projekten oder Besprechungen lohnt ein Moment gemeinsamer Reflexion: „Wie haben wir gedacht, bevor wir gehandelt haben?“ Diese einfache Frage offenbart unbewusste Muster, stärkt psychologische Sicherheit und fördert Lernkultur. Teams, die regelmäßig über ihr Denken sprechen, entwickeln mehr Empathie, Innovationskraft und gemeinsame Klarheit.

  5. Mentales Priming – Bewusster Start in den Tag
    Noch vor dem ersten Blick aufs Smartphone drei bewusste Sätze formulieren: Was ist heute wichtig? Wie möchte ich mich fühlen? Was will ich beitragen? Diese kleine Morgenroutine richtet Geist und Emotion positiv aus. Sie aktiviert das dopaminerge Motivationssystem und sorgt dafür, dass der Tag mit Fokus und Energie beginnt – statt mit Reizüberflutung. Mentale Intelligenz entsteht nicht durch Wissen, sondern durch Bewusstheit im Moment.

Diese fünf Übungen dauern zusammen kaum zehn Minuten am Tag – und verändern doch die Art, wie wir denken, führen und entscheiden. Wer regelmäßig innehält, reflektiert und bewusst lenkt, trainiert nicht nur Konzentration und Gelassenheit, sondern gestaltet aktiv sein neuronales Netzwerk neu.

Quellen

  • Davidson, R. J., & Begley, S. (2012). The emotional life of your brain: How its unique patterns affect the way you think, feel, and live—and how you can change them. New York, NY: Hudson Street Press.

  • Flavell, J. H. (1979). Metacognition and cognitive monitoring: A new area of cognitive–developmental inquiry. American Psychologist, 34(10), 906–911. https://doi.org/10.1037/0003-066X.34.10.906

  • Haidt, J. (2006). The happiness hypothesis: Finding modern truth in ancient wisdom. New York, NY: Basic Books.

  • Lazar, S. W., Kerr, C. E., Wasserman, R. H., Gray, J. R., Greve, D. N., Treadway, M. T., … Fischl, B. (2005). Meditation experience is associated with increased cortical thickness. NeuroReport, 16(17), 1893–1897. https://doi.org/10.1097/01.wnr.0000186598.66243.19

  • Singer, T., Kok, B. E., Bornemann, B., Zurborg, S., Bolz, M., & Bochow, C. A. (Eds.). (2016). The ReSource Project: Background, design, samples, and measurements (2nd ed.). Leipzig: Max Planck Institute for Human Cognitive and Brain Sciences.

  • Täuber, M. (2021). Falsch gedacht! Wie Gedanken uns in die Irre führen und wie wir mit mentaler Intelligenz zu wahrer Stärke gelangen. Wien: Goldegg Verlag.

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Neurobiologe Dr. Marcus Täuber

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Zur Person

Dr. Marcus Täuber ist promovierter Neurobiologe, Lehrbeauftragter mehrerer Hochschulen und Leiter der Brain Changer Academy. Als Autor und Keynote-Speaker vermittelt er, wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen, Denken und Handeln wirksam zu gestalten. Mit fundierter Forschung und klaren Praxistools zeigt er Wege, mentale Stärke und nachhaltigen Erfolg zu fördern.

Qualifikationen
• Psychosozialer Berater mit Gütesiegel Impuls Pro der Wirtschaftskammer Österreich 
• Unternehmensberater und zertifizierter Business-Coach 
• Ehemaliger Head of Training beim weltgrößten Biotechunternehmen

In Kooperation mit:
Mental Health
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