
Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) inszeniert sich mit neuer Plakatkampagne als Retter der Mieter:innen.
©APA/Roland SchlagerDas Mietpaket als Musterfall für den rissanfälligen Spagat der Dreierkoalition: Wie die XXL-Ansagen von Andreas Babler in Sachen „Mietpreisdeckel” von Türkis und Pink klein gewaschen wurden. Und warum Medienminister Babler aus dem Erbe seiner türkisen Vorgängerin Susanne Raab nun neue Zores drohen könnten.
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- Neue Folge „Politik Backstage - der Podcast“
- SPÖ-Wohnminister feiert „Preisbremse“ im freien Mietmarkt als „historisch“
- ÖVP-Wirtschaftsminister jubelt über „Deckel“ für Klagen gegen Vermieter
- Schellhorn: „Geschwindigkeitsbeschränkung“ statt „Bremse“ bei Mieten
- Warum Doris Bures SPÖ-intern immer öfter den Kopf schüttelt
- Das klammheimliche 29-Millionen-Erbe der toten Wiener Zeitung
- Rechnungshof durchleuchtet Umgang mit Erbe der Wiener Zeitung
- Babler ließ Evaluierungsbericht über Wiener Zeitung durchwinken
- Neos für Privatisierung des Wiener-Zeitungs-Erbes
So will es die ungeschriebene Verfassung der Dreierkoalition: Jede Woche gehört einem anderen der drei Koalitionspartner die Vorderbühne beim Medienfoyer nach der Ministerratssitzung.
Der hehre Regieplan wurde in den ersten Regierungstagen vor sechs Monaten in einer Runde aus Koalitionsspitzen und Koalitionskommunikatoren festgeschrieben. Die wöchentliche wechselnde Drehbühne soll die kleinen und großen Eifersuchtsdramen in Grenzen halten und das mediale Haxelstellen, das in den bislang obligaten Zweierbündnissen bald nach den ersten Honeymoon-Tagen aufkam, beim ohnehin schwierigeren Spagat zu dritt in Grenzen halten.
Wenn jeder regelmäßig gesichert allein glänzen kann, so der gemeinsame Vorsatz, muss niemand mit allen Mitteln um einen Platz an der Sonne kämpfen.
Dieser Regieplan kam zuletzt immer wieder durcheinander. Meist nicht aus böswilliger Absicht, sondern weil sich Politik - zumal in Zeiten multipler Krisen - beim besten Willen nicht immer am Reißbrett planen lässt.
Nach der Sommerpause war auch ein Neustart bei den guten Vorsätzen am Kabinettstisch angesagt. In der ersten Septemberwoche gehörte die Ministerratsbühne zuvorderst der ÖVP: Kanzleramtsministerin Claudia Plakolm zelebrierte dann auch den zweiten Anlauf für ein Kopftuchverbot für Mädchen als Durchbruch an der Integrationsfront. Und, unausgesprochen, als Gamechanger beim großen türkis-blauen Wähleraustausch.
Diese Woche war die SPÖ dran. Vizekanzler Andreas Babler, der als Minister für einen eigenwilligen Themenmix aus Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport verantwortlich ist, hatte schon das ORF-Sommergespräch genutzt, um sich als Robin Hood aller Mieter zu präsentieren.
Die von ihm im ORF angekündigte „Mietpreisbremse“ für Neubauten, wo Mieten - anders als in streng geregelten Altbauten - frei vereinbart werden können, steht zwar schon grundsätzlich im Regierungsprogramm. Auch der Startschuss für die Umsetzung war mit Christian Stocker vom Zeitpunkt her abgesprochen. Inhaltlich waren in den dreieinhalb Wochen zwischen der roten Bremsansage und den sowohl türkis, rot als auch pink genehmen Bremsmanövern aber noch jede Menge Hürden zu nehmen.
Neue Folge „Politik Backstage - der Podcast“
Hier geht es zur neuen Podcastfolge von Politik Backstage - erzählt von der KI-generierten Stimme von trend-Kolumnist Josef Votzi.
SPÖ-Wohnminister feiert „Preisbremse“ im freien Mietmarkt als „historisch“
Die Präsentation der „Mietpreisbremse“ geriet zur „Live-Show einer Regierung, die in einem Korsett aus gegensätzlichen Vorhaben und Vorlieben steckt“, so ein teilnehmender Beobachter im Regierungsviertel, der schon mehrere Koalitionen kommen und gehen sah.
In der Tat: Andreas Babler hatte sich schon in den Tagen vor dem Ministerrat mit einer Extraportion Pathos aufgewärmt und gegen „Steuerbetrüger in Milliardenhöhe“ vom Leder gezogen.
Schon am Tag vor der Ministerratssitzung sparte Babler auch nicht mit Lob in eigener Sache. Bei der Präsentation einer SPÖ-Plakatkampagne („Dein Zuhause, unser Auftrag. Wir machen Wohnen leistbar“) proklamierte er: „Die Immo-Lobbies haben sehr gut verdient in den letzten Jahren. Wir haben schon nach wenigen Tagen in der Regierung einer Million Mietern durch die Mietpreisbremse mehrere hundert Euro erspart.“
Eine Botschaft, die er tags darauf nach dem Ministerrat so erweiterte: Nach den Bewohnern von Altbauten würden nun „Millionen von Mietern“ in Neubauten entlastet. Für Babler „ein historischer Schritt, erstmals greifen wir mit einer Mietpreisbremse in den freien Mietmarkt ein“.
Seine beiden Ko-Präsentatoren, ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer sowie der pinke Staatssekretär und Gastro-Unternehmer Sepp Schellhorn, zuckten ob Bablers Robin-Hood-Pose mit keiner Wimper. Sie relativierten freilich Bablers Ansagen nachhaltig mit Worten und Fakten.
Bablers Inszenierung als neuer roter Robin Hood von Millionen Mietern wurde umgehend demontiert, wie zuvor sein neues Plakat vor der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße. Kaum hatte Babler die Präsentation der neuen SPÖ-Kampagne beendet, fuhr ein LKW vor, löste das Riesenplakat aus den Halterungen und hievte es zum Abtransport auf die Ladefläche.
Zum Erstaunen der noch anwesenden Kameraleute und Fotografen, die den peinlichen Inszenierungs-Fauxpas festhielten. Für Beobachter eine Demontage mit Symbolkraft.
ÖVP-Wirtschaftsminister jubelt über „Deckel“ für Klagen gegen Vermieter
Der ÖVP-Wirtschaftsminister stellte tags darauf nach dem Ministerrat ungefragt demonstrativ mehrmals einen „Deckel“ für Mieten in Abrede. Wolfgang Hattmannsdorfer stellte vielmehr als wichtigste Ansage des neuen Gesetzesplanes eine Art „Deckel“ für ein Vermieterrisiko in die Medienauslage: Künftig können aufgrund eines Höchstgerichtsurteils bis zu 30 Jahre zurückliegende Mieterhöhungen durch klagende Mieter nicht mehr nachträglich annulliert und zurückgefordert werden.


Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) versucht die SPÖ-Mietpreisbremse zu relativieren.
© trend/Lukas IlgnerSchellhorn: „Geschwindigkeitsbeschränkung“ statt „Bremse“ bei Mieten
Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn wiederum sprach beharrlich von einer „Geschwindigkeitsbegrenzung“ statt einer „Bremse“ am Mietmarkt. Angesichts der Erfahrungen in Berlin mit einer massiven Verknappung des Wohnungsangebots ob eines - inzwischen gerichtlich aufgehobenen - Mietendeckels postulierte der pinke Wirtschaftsmann: „Knappe Märkte sind genauso schlecht wie knappe Kassen.“
Das „Mietenpaket“: Ein politisches Vorhaben der Dreierkoalition in drei höchst unterschiedlichen Interpretationen.
Die XXL-Ansagen Bablers als roter Mieter-Robin-Hood wurde diesen Mittwoch mit jeder Wortmeldung seiner beiden türkis-pinken Sitznachbarn auf offener Bühne klein gewaschen. Auch anwesende Journalisten rechneten rasch nach und resümierten: Viel Lärm um wenig. Statt mit hunderten von Euros sei - würde das Gesetz schon gelten - derzeit im Schnitt mit monatlichen Mietminderungen von durchschnittlich fünf Euro zu rechnen.
Die zudem angekündigte Anhebung der Befristung von Mietverträgen von drei auf fünf Jahre trifft nur gewerbliche Vermieter. Ein- und Zweifamilienhäuser, Wohnungen von Gemeinnützigen und Privatvermietern (mit bis zu fünf Wohnungen) sind davon ausgenommen. „Viele, die ihre Wohnungen kurzfristig vermieten und später im Familienkreis nutzen wollen, hätten sich bei uns allen schön bedankt, wenn wir ihnen neue Fesseln angelegt hätten“, sagt ein Spitzentürkiser.
Warum Doris Bures SPÖ-intern immer öfter den Kopf schüttelt
„Es ist nicht das erste Mal, dass vollmundige Ansagen von Andi Babler sich bei näherem Hinsehen weitaus kleiner ausnehmen und oft auch nur heiße Luft sind“, sagt ein SPÖ-Spitzenfunktionär und Babler-Skeptiker der ersten Stunde. „Inzwischen hat diese Methode auch unter seinen Mitarbeitern um sich gegriffen.“ Die dritte Nationalratspräsidentin und Grande Dame der SPÖ, Doris Bures, schüttle darob immer öfter den Kopf, berichten Teilnehmer SPÖ-interner Sitzungen.
Insider beklagen ein halbes Jahr nach dem Wiedereinzug der SPÖ in Ministerien und Spitzenpositionen der Republik mehr denn je: Im Koalitionsalltag des roten Regierungsdrittels dominierten „Entscheidungsschwäche, mangelnde Professionalität und Führung“. Das ließe sich auf Dauer nicht durch „Rückgriffe auf die Kampfrhetorik aus Juso-Tagen übertünchen“.
Ein „Musterbeispiel für den herrschenden Schlendrian und die fahrlässige Schlamperei“ registrierten Regierungsinsider jüngst an einer vorläufig noch harmlosen Nebenfront. Vorletzten Mittwoch wurde im Ministerrat kommentarlos als vorletzter Tagesordnungspunkt ein Bericht aus dem BMWKKMS, so die offizielle Bezeichnung von Bablers Ministerienkonglomerat, durchgewunken.
Es ging zwei Jahre nach der heftig umstrittenen und einst auch von Andreas Babler als SPÖ-Oppositionschef bekämpften Einstellung der Wiener Zeitung um einen hoch offiziellen Bericht über den Zustand der Hinterlassenschaft.
Was in der breiten Öffentlichkeit nie groß Thema war: Eingestellt wurde nur die Druckausgabe der einst ältesten Zeitung des Landes. Ein dahinter stehender Firmen-Apparat mit 150 nicht-journalistischen Mitarbeitern, alten und neuen Subfirmen blieb bestehen. Nur noch eine Online-Seite wird von einem Mini-Team von etwa drei Handvoll Journalisten pro Woche mit ein paar neuen Texten bespielt.


Die dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) scheint unzufrieden mit der Performance von SPÖ-Chef Andreas Babler.
© APA/Roland SchlagerDas klammheimliche 29-Millionen-Erbe der toten Wiener Zeitung
Ein millionenschweres Stück der Hinterlassenschaft wurde noch unter Türkis-Grün wie eine heiße Kartoffel hin und hergeschoben, aber nicht angerührt. Die Wiener Zeitung hatte ein Finanzanlagevermögen von 29 Millionen Euro hinterlassen. Nachdem die einzige wesentliche Einnahmequelle jahrzehntelang die Pflichtveröffentlichung von Unternehmen war, plädierten einige Juristen eine Zeitlang gar dafür, die im Finanzvermögen der Wiener Zeitung verbliebenen Unternehmensbeiträge an diese zurückzuerstatten.
Bei der Erstellung des Budgets entschied sich das Kabinett Babler aber für eine andere Lösung: Formal stehen die knapp 30 Millionen Euro weiterhin allein der alten, eingestellten Wiener Zeitung zu. Doch per Budgetbegleitgesetz wurde die Entscheidungsbefugnis letztendlich ins Medienministerium überführt.
Nachdem auch Babler & Co. querdurch einsparen mussten, glaubte man einen Millionen-Notgroschen in Sachen der verbliebenen großen Überreste der Wiener Zeitung gut gebrauchen zu können.
Die vom Finanzminister verordneten drastischen Budgetkürzungen könnten, ließ die Wiener-Zeitung-Geschäftsführung wissen, mit Rückgriff auf die Millionen-Rücklagen postwendend ausgeglichen werden.
Rechnungshof durchleuchtet Umgang mit Erbe der Wiener Zeitung
Weil sich allerdings intern und extern die Kritik am Umgang mit der Hinterlassenschaft mehrte, sitzen seit gut drei Monaten Beamte des Rechnungshofs im Media Quarter Marx und prüfen nun die Geschäftstätigkeit und Gebarung des neuen Firmenkonglomerats. Dieses ist zu 100 Prozent im Besitz der Republik, in diverse GmbHs aufgesplittet und nun dem Babler-Ministerium als alleinigem Eigentümervertreter unterstellt.
Unter anderem sind dies:
Die mit einem einstelligen Millionenbudget ausgestattete Wiener Zeitung GmbH, die die verbliebene Online-Seite journalistisch bespielt.
Eine Content Agentur Austria, die vor allem im Auftrag Republik Berichte und Broschüren erstellt.
Der Media Hub Austria, der Medienstartups fördert und sich der Journalistenausbildung widmet - ein Faktum, das anfangs großen Argwohn auslöste, weil eine Institution, die direkt der Regierung unterstellt ist, nun journalistischen Nachwuchs ausbildet.
Mit Ende Juni dieses Jahres war, so will es das Gesetz, eine Evaluierung des Umgangs mit der Hinterlassenschaft zwei Jahre nach dem „Neustart“ durch den neuen Aufsichtsrat fällig. Ob erst der Einmarsch des Rechnungshofes hektische Betriebsamkeit ausgelöst hat oder die bürokratischen Mühlen auch in GmbH-Zeiten langsam mahlen, darüber rätseln auch Insider noch.
Babler ließ Evaluierungsbericht über Wiener Zeitung durchwinken
Wie auch immer: Der mit 30.6. datierte Evaluierungsbericht kam erst mehr als zwei Monate danach auf den Ministerratstisch. Das 70 Seiten starke Papier „strotzt vor Allgemeinplätzen und wirkt auch rein optisch schnell zusammengeschustert“, so eine Kennerin der Materie.
Der in der einschlägigen Szene als hoch seriös beleumundete Medienexperte und Top-Jurist Hans Peter Lehofer machte seinem Unmut darüber kürzlich in mehreren Postings auf dem Social Media Kanal Bluesky Luft: „Das schaut aus wie ein schlecht gescanntes Dokument, aus dem ein Word-File gemacht wurde, das dann wieder - ohne draufzuschauen - in pdf umgewandelt wurde: Schriftarten, Absatzeinzüge, Seitenumbrüche und Aufzählungen purzeln wild durcheinander, sogar die Domain ist falsch ‘wienerzeituna.at’“.
Im Babler-Ministerium, dessen Chef einst die Wiederauferstehung der Wiener Zeitung versprach und das den Bericht offiziell in die Regierung einbrachte, hatte und hat man offenbar andere Sorgen und Prioritäten.
„Die Wiener Zeitung ist eine Black Box. Es macht den Eindruck, dass sich hier einige Leute geschickt ihre Jobs erhalten haben und staatlich subventioniert Privatunternehmen im Agentur- und Startup-Bereich Konkurrenz machen. Der parlamentarischen Kontrolle ist das alles ja durch eine Auslagerung in GmbHs entzogen. Gut, dass sich das jetzt der Rechnungshof anschaut“, machte eine pinke Medienexpertin dieser Tage im kleinen Kreis ihrer nachhaltigen Skepsis Luft.
Neos für Privatisierung des Wiener-Zeitungs-Erbes
Neos-Verhandler hatten in Sachen Hinterlassenschaft der Wiener Zeitung schon bei den Regierungsverhandlungen eine „saubere und klare Lösung wie eine Privatisierung statt des Weiterwurstelns mit Budgetmitteln“ urgiert.
Die damalige Medienministerin Susanne Raab, erinnern sich Verhandlungsteilnehmer, sträubte sich dagegen mit Händen und Füßen. Ihre Parole: Nur nicht anstreifen, höchste Verbrennungsgefahr.
Nun liegt die türkise heiße Kartoffel nolens volens im Spielfeld des roten Multi-Ministers Andreas Babler. Der intern mit Spannung erwartete Bericht des Rechnungshofs wird zeigen, ob Bablers Vorgängerin Raab mit ihrem ängstlichen Warnruf Recht hatte: Achtung, Verbrennungsgefahr!