Trend Logo

Politik Backstage: 100 Tage Dreisamkeit oder was?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min

Trio forscht. Drei Politiker, drei Fotografen, ein Bild: Wolfgang Hattmannsdorfer (l.), Peter Hanke (2. v. l.) und Sepp Schellhorn (r.) beim Boehringer-Ingelheim-Besuch Ende März.

©BMK
  1. home
  2. Aktuell
  3. Politik

Wie Türkis-Rot-Pink im Regierungsalltag bisher weitgehend unfallfrei über die Runden kam. Wer jetzt künftig wo mehr Gas geben will. Warum es demnächst erstmals zwischen den Koalitionsparteien hörbar knirschen könnte.

von

Es war in Woche vier nach Start des neuen Regierungstrios Stocker-Babler-Meinl-Reisinger. Die guten Vorsätze waren noch taufrisch. Alle Beteiligten signalisierten beflissen, dem anderen ab sofort ausreichend Terrain zu lassen. Zumal Türkis-Rot-Pink beim ersten Aufgebot an allzu forschen Egos krachend gescheitert war.

Vor diesem Hintergrund wurde eine Lücke für einen gemeinsamen Betriebsbesuch dreier Spitzenpolitiker bei einem Topunternehmen des Landes gesucht und gefunden. Der Ort: Die Firmenzentrale von Boehringer Ingelheim, einem der Top-20-Pharma-Unternehmen der Welt mit rund 55.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 27 Milliarden Euro. Politischer Zweck des Termins: Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmanndorfer, Infrastrukturminister Peter Hanke und Deregulierungs-Staatssekretär Sepp Schellhorn wollten vor Ort den Startschuss zur Erarbeitung der Industriestrategie der Regierung geben.

Neue Folge „Politik Backstage“ - der Podcast

Mühseliger Koalitionsalltag: alles mal drei

Als die drei Regierungsmitglieder ihren jeweiligen Dienstlimousinen in der Doktor-Boehringerstraße in Wien-Meidling entstiegen, war noch alles eitel Wonne. Wie fragil das Vertrauen in der arrangierten Koalitionsehe noch ist, wurde jedoch schlagartig sichtbar. Alle drei Koalitionsspitzen hatten neben Mitarbeitern auch je einen Fotografen mit im Tross. Weil es vor allem in Forschungslabors zuweilen eng und heikel ist, wenn sich darin zu viele Menschen drängen, fragten Firmenmanager höflich, aber durchaus ernst gemeint an, ob nicht der eine oder andere Fotograf draußen vor der Tür bleiben könne. Das türkis-rote Ministerduo bot dem pinken Staatssekretär an, einer ihrer Fotografen würde Fotos in jeder gewünschten Pose mitmachen. Sepp Schellhorn huldigte freilich dem Grundsatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und bestand darauf, seinen eigenen Fotografen mitzunehmen.

Medialen Niederschlag fanden annähernd gleich aussehende Schnappschüsse mehrerer Kameras, die etwas kurios ausfielen, wie immer, wenn sich Politiker in Forschungslabors begeben: Hattmannsdorfer, Hanke und Schellhorn in weißen Firmenmänteln mit begrenzt vorteilhaft anmutenden Schutzbrillen.

Mitte der zweiten Juni-Woche wird die erste Dreierkoalition hundert Tage alt. Anekdoten wie jene über den Besuch bei Boehringer Ingelheim machen zwar nach wie vor die Runde. Wohlmeinende im Regierungsviertel sagen: Diese Anekdoten belegen, dass eine Dreierkoalition eben für alle Neuland, ja schlicht ein Experiment mit offenem Ausgang war und ist. Gemessen daran, sei es in den zurückliegenden drei Monaten im Regierungsalltag erstaunlich ruhig und halbwegs rund gelaufen.

Skeptiker auch in den eigenen Reihen meinen: Die öffentliche Ruhe, die wahrnehmbar ist, sei nur eine Ruhe vor dem Sturm. Beim Doppelbudget habe Türkis-Rot-Pink die Grenzen des gemeinsam Machbaren bereits bis zum Anschlag ausgereizt. „Wenn die Wirtschaft weiterhin schwächelt, der Sparbedarf steigt und Brüssel im Rahmen des Defizitverfahrens den Druck auf Reformen erhöht, wird es unvermeidlich knirschen“, sagen Insider beider großer Lager im Regierungsviertel, die noch die letzten Jahre der rot-schwarzen Regierung aus eigener Anschauung mitgemacht haben. 

Stärkster Kitt Volkskanzler Kickl?

Kritiker vor allem aus den Oppositionsreihen werden zudem nicht müde, zu proklamieren, die Regierung habe nur deshalb die ersten schweren Hürden wie ein milliardenschweres Sparbudget genommen, weil sie vor allem eines eine: die gemeinsame Genugtuung, so weiter den selbst ernannten Volkskanzler Herbert Kickl von den Schaltstellen der Republik und der EU fernzuhalten.

Der weitere Umgang miteinander wird spielentscheidend sein, ob die Optimisten oder Skeptiker künftig Oberwasser haben.

Die Koalitions-Regisseure haben alle Weichen für eine weiterhin halbwegs unfallfreie Fahrt gestellt. Diese Woche demonstrierte Neos-Staatsekretär Sepp Schellhorn gemeinsam mit dem Salzburger ÖVP-Landeschef und aktuellem Vorsitzenden der Landeshauptleute-Konferenz Wilfried Haslauer bei einem erstmals hochrangigen Treffen mit Bezirkshauptleuten aus ganz Österreich den Willen, auch auf dieser Ebene den Entbürokratisierungshebel anzusetzen. Ende der Woche war ein Gipfeltreffen aller Länderchefs mit den Spitzen der drei Koalitionsparteien in Sachen Deregulierung und Reform angesagt. Mehr als einen Startschuss konnte es da wie dort nicht geben.

Kommenden Dienstag wollen Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger öffentlich die ersten gemeinsamen 100 Tage abfeiern und ein paar Leuchtraketen für die kommenden Wochen und Monate zünden.

Das Bundeskanzleramt hatte schon Mitte Mai die Parole ausgegeben, alle Minister sollten möglichst viele Interviews mit Bilanz- und Zukunftsansagen medial platzieren.

ÖVP setzt auf Strafen und Strenge, SPÖ sucht noch tragende Rolle

Die ÖVP trommelt schon seit Wochen einmal mehr ihre Botschaften von mehr Strenge und Strafen bei Integration, Migration und Asyl. In der SPÖ mehren sich daher Stimmen, die monieren: Die Truppe um Andreas Babler sei nach wie vor damit beschäftigt, im Regierungsalltag heimisch zu werden. „Uns fehlt noch immer ein strategisches Zentrum, das politische Schwerpunkte setzt und den öffentlichen Auftritt orchestriert. Die ÖVP kommt eher mit ihren Themen durch, weil wir noch keine starken haben. Die setzen zum hundertsten Mal auf -Sicherheit“, so ein SPÖ-Regierungsinsider.

Andreas Babler suchte zuletzt vor allem bei Premieren, Events und Vernissagen sowie in ersten Interviews, Präsenz als Kulturminister zu zeigen. Zudem sucht er das rote Paradethema „Mietpreisstopp“ medial noch einmal hochzuziehen.

Neos zwischen Audi-Pannenstreifen und Reformturbo

Finanzminister Markus Marterbauer hat koalitionsintern zwar querdurch eine gute Nachrede. Ein ÖVP-Ministerkollege meint jedoch: „Er ist und bleibt ein Wissenschaftler. Ein Politiker mit Zug zum Tor wird er in dem Leben nicht mehr.“

Mit gemischten Gefühlen ziehen hinter den Kulissen auch Neos-Insider eine erste Bilanz. Dass Sepp Schellhorn mit dem Aufstieg zum Staatssekretär aufhören würde, anzuecken, hatten auch pinke Kenner der schillernden Persönlichkeit nicht geglaubt. Das Ausmaß hat freilich die meisten überrascht. Dass Schellhorn einen Audi A8L als neuen Dienstwagen orderte, sei etwa brühwarm aus dem Außenministerium an Medien gespielt worden, heißt es im Regierungsviertel.

ÖVP-Spitzen: „dringender Aufholbedarf bei ÖVP-Wirtschaftskompetenz“

Mit Vorhaben, die für den Koalitionspartner SPÖ heikel sind, halten sich sowohl Neos als auch die ÖVP vorläufig noch zurück. So machen zwar Spitzenleute aus dem Regierungsviertel als auch der Sozialpartner hinter den Kulissen Stimmung für ein Aufschnüren des Beamten-Gehaltsabschlusses. Öffentlich halten sich aber alle noch zurück, das – wegen der damals anstehenden Beamtengewerkschaftswahl – bereits im Herbst 2024 zugestandene Gehaltsplus der Staatsdiener auch für 2026 in Frage zu stellen. Zunehmend mehr Spitzen-ÖVPler in Regierung, Landespolitik und Sozialpartnerschaft lassen im kleinen Kreis wissen: Angesichts der Budgetlage wäre es geboten, bei den Gehaltserhöhungen in Bund, Land und Gemeinden unter der Inflationsrate zu bleiben. Allen voran sollte der Bund daher den „unnötig voreiligen Gehaltsabschluss 2026“ für die Beamten aufschnüren. Selbst wenn dies scheitert, sollten zumindest die Länder, die den Abschluss traditionellerweise übernehmen, diesmal einen Anlauf für einen neuen, budgetschonenderen Abschluss unternehmen. „Das hätte auch einen dringend notwendigen Dominoeffekt auf die Gehaltsverhandlungen in der Privatwirtschaft“, so mehrere prominente ÖVP-Wirtschaftsbundleute unisono.

Für einen ÖVP-Spitzenmann stellen sich diese Fragen auch vor einem politisch größeren Hintergrund: „Wir haben in den letzten Jahren in der Regierung die Wirtschaftskompetenz als einen unserer Markenkerne massiv vernachlässigt und – nicht nur deshalb – auch bei den Wahlen schlecht abgeschnitten. Wir haben daher beim Wirtschaftsprofil der ÖVP dringend Aufholbedarf.“

trend. Newsletter
Bleiben Sie informiert mit dem trend. Newsletter. Die wichtigsten Informationen aus der Welt der Wirtschaft. An Werktagen täglich per E-Mail.
Politik Backstage

Über die Autoren

Logo
Jetzt trend. ab € 14,60 im Monat abonnieren!
Ähnliche Artikel