
Fachkräfte fehlen, die demografische Zeitbombe tickt. Dennoch zögern viele Betriebe, ältere Mitarbeitende einzustellen. Zwei Expertinnen wissen um bestehende Vorurteile und erklären, warum die meist falsch sind.
Da passt was nicht zusammen: Unternehmen beklagen Fachkräftemangel und geringe Arbeitsmotivation von Jobeinsteigern, Stichwort Work-Life-Balance. Im Employer Branding und auf Karrierewebsites umwerben sie aber ausschließlich die Zielgruppe junge Fachkräfte. Das Pensionsalter müsse erhöht werden, wir alle mehr arbeiten, tönt es von Wirtschaftsvertretern. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit in der Gruppe 55 plus deutlich an.
Als Personalberaterinnen kennen Susanne Seher und Helga Töpfl die Lage aus Sicht ihrer Klienten, vorzugsweise Familienunternehmen aus den Bereichen Lebensmittelproduktion, Handel, Tourismus, und aus der von Kandidaten, die sich dort auf Jobangebote bewerben. Auch sie erkennen das Grundmuster des beklagten und tatsächlich drohenden Fachkräftemangels auf der einen Seite, während andererseits erfahreneren Arbeitnehmern von Führungskräften und Personalverantwortlichen oft nicht zugetraut wird, diese Lücke auszufüllen.
„Wir sehen in unserem Daily Business vermehrt Bewerbungen von Menschen über 50 Jahren. Die Bereitschaft der Unternehmen, sie einzustellen, fehlt jedoch oft“, sagt Seher. „Dabei argumentieren wir in jedem Briefinggespräch, auch ältere Bewerberinnen und Bewerber in Betracht zu ziehen“, so Töpfl . In der Bewerbungspraxis gebe es aber hart näckig verfestigte Vorurteile, die das vereiteln.
Hoffnung macht ihnen nun eine aktuelle Studie, der zufolge die Gesellschaft älteren Beschäftigten sehr positiv und offener gegenübersteht als vielfach angenommen.
Vorurteile gegen Ältere: Warum Firmen Potenzial übersehen
Warum Unternehmen das etwas anders beurteilen, liege an einer Reihe von verfestigten, teils widersprüchlichen Vorbehalten und Vorurteilen, meint Seher. Sie kennt eine ganze Palette davon, die immer wieder genannt und älteren Bewerberinnen und Bewerbern entgegengebracht wird: Diese seien unflexibel oder jedenfalls weniger flexibel als Jüngere. Sie würden ohnehin bald in Pension gehen, ihre Einarbeitung lohne daher nicht. Sie seien zudem nicht digital affin und daher nicht offen für Möglichkeiten moderner IT, insbesondere von KI. Sie seien auch zu teuer, ihre Leistung rechtfertige nicht das Gehaltsniveau. Und einmal eingestellt, seien sie unkündbar. Oder: Sie sägten an den Sesseln von Vorgesetzten und seien öfter krank.
Die Beraterinnen kontern der Suada mit mindestens so guten Argumenten: „Echt flexibel ist man ab 50, wenn Kinder aus dem Haus sind“, so Seher. Arbeitseinstellung und Leistungsbereitschaft der älteren Generation seien besser, verweist sie auf das strapazierte Work-Life-Balance-Argument. „Wer mit 50 plus aktiv auf Jobsuche ist, beweist Motivation“, so die Expertin. Und zum Pensionsthema: „Mit Mitte 50 bleibt jemand wahrscheinlich bis zum Pensionsantritt. Wer sagt, dass Jüngere zehn Jahre bleiben?“
Die Generation 50 bis 65 sei heute fit und vital, so Helga Töpfl zu Leistungsfähigkeit und Krankenständen: „In unserem Segment geht es um White-CollarBürojobs und Menschen mit positiver Einstellung, die arbeiten wollen.“ Und in Sachen IT: „Auch alle über 50 haben in den letzten Jahren mit IT gearbeitet, der Großteil schon seit der Schulzeit.“ Mit KI müssten sich auch die Jüngeren erst beschäftigen.
Einige vermeintliche IT-Probleme Älterer dürften wohl eher jungen Softwareentwicklern und Programmierern geschuldet sein, deren für die eigene Altersgruppe maßgeschneiderte Schriftgrößen in Menüs und Schaltflächen von Apps oder Programmen auf den Screens mit Alterssichtigkeit schwer kompatibel und kaum bedienbar sind.
Warum ältere Beschäftigte nicht kostspieliger sind
Zu entkräften wäre noch der Mythos von den teuren und unkündbaren Alten. Ersteres treffe bei über Kollektivvertrag dotierten Spezialisten und Managern nicht zu. Ältere, so Töpfl, seien sogar eher zu Abstrichen beim Gehalt bereit als Jüngere, die beim Jobwechsel mit einem Gehaltsplus von zehn Prozent kalkulieren. Und einen rein auf das Alter bezogenen Kündigungsschutz gebe es nicht.
Gegenseitiger Respekt und Kooperation von Generationen, leiten die Beraterinnen aus der Umfrage ab, seien gut für Kultur und Klima im Betrieb. Pauschalaussagen über die Arbeitsmoral Jüngerer oder die Flexibilität Älterer sind hingegen weniger hilfreich.
Ihnen gibt Seher den Tipp, sich nicht so fad-seriös zu bewerben wie vor 30 Jahren gelernt: keine Passfotos, sondern natürliche, extrovertiertere Bilder, die auch Facetten der Persönlichkeit vermitteln. Und der Lebenslauf darf länger als eine Seite sein, um Erfahrungen und Erfolge entsprechend zu zeigen, denn, so Seher: „Bei der Selbstdarstellung sind die Jüngeren meist geschickter.“
Studie: was 55 plus wirklich bremst
Für die Umfrage führte Marketagent mehr als 1.000 repräsentative Interviews mit Altersgruppen von 14 bis 75 Jahren quer durch Bundesländer, Bildungsabschlüsse, Berufstätigkeiten. Die relevantesten Ergebnisse und die Interpretation der Expertinnen Seher und Töpfl:
SECHS VON ZEHN BEFRAGTEN zeigen sich überzeugt, dass ältere Mitarbeitende aufgrund ihres Know-hows gefragt sind und Firmen von deren Erfahrungen und Kompetenz profitieren. Von den über 60-Jährigen sagen das rund drei Viertel, eine Mehrheit findet die Aussage in allen Generationen inklusive Z. „Wobei das Ausmaß der Zustimmung bei den Jüngeren aber sinkt“, merkt Töpfl an.
DASS JÜNGERE VON ÄLTEREN MITARBEITENDEN LERNEN, meinen in Summe 58 Prozent der Befragten. Die Stärke der Zustimmung nimmt dabei noch deutlicher mit dem Lebensalter ab: von Boomern (70 %) über Gen X (60 %), Millennials (54 %) bis Gen Z (50 %), wobei das in der allerjüngsten Gruppe (14 bis 19 Jahre) nur mehr vier von zehn Befragten so sehen.
BELASTBARKEITSPROBLEME bei älteren Beschäftigen befürchtet auch eine Mehrheit von 58 Prozent der Gesamtheit, Frauen (63 %) deutlich stärker als Männer (53 %). Interessant bei diesem Punkt ist die Altersverteilung, denn das sagen am ausgeprägtesten die 20- bis 60-Jährigen; für die Mehrheit der Älteren, aber auch der unter 20-Jährigen hat die Belastbarkeit klar weniger Problempotenzial.
NEUE TECHNOLOGIEN betrachten weder Seher und Töpfl noch die Mehrheit der Befragten im aktiven Berufsalter als Problem. Töpfl: „Mit IT und Computer arbeiten alle seit Jahren, und mit KI müssen sich auch Jüngere meist erst beschäftigen.“
RESÜMEE DER BERATERINNEN: Die Gesellschaft steht einer längeren Erwerbsarbeit älterer Beschäftigter positiv gegenüber und sieht mehrheitlich Vorteile. Im Einstellungsverhalten der Betriebe finde das trotz Fachkräftemangel keine Entsprechung. Dort dominiere, gerade in der Außendarstellung, ein „Jugendkult“.
Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 24. Oktober 2025 erschienen.
