
ENVER SIRUČIĆ
©trend/Wolfgang WolakFreundlich, gelassen, diplomatisch - diese Eigenschaften zeichnen den neuen Bankenverbandspräsidenten Enver Siručić aus. Sie könnten ihm dabei helfen, das Image der Banken wieder aufzupolieren.
Aussagen wie diese hört man in dieser Branche selten. „Ich bin kein Gegner von Regulierung“, sagt Enver Siručić, „meist steckt hinter den Regeln eine gute Absicht, aber oft haben sich Regulator und Banken im Detail verloren.“ So diplomatisch und gelassen würden die Überregulierung wohl nur wenige Banker kommentieren. Enver Siručić, Vizechef der Bawag, ist seit Mai dieses Jahres auch Präsident des Bankenverbands. Sein Wort hat also einiges an Gewicht.
Auch die von der Regierung neu eingeführte Bankenabgabe entlockt dem Bawag-Manager, anders als anderen heimischen Bankern, kein böses Wort, nur: „Die Situation ist, wie sie ist, und wir sind alle nicht sehr glücklich darüber.“ Dennoch, so versichert der neue Bankenverbandschef, würden die Banken die Abgaben nicht an die Kunden weiterreichen: „Würden die Banken sie weitergeben, wären die Kreditzinsen in Österreich viel höher – das kann ich nicht sehen.“ Nachsatz: „Wir haben sehr hohen Wettbewerb im Bankgeschäft.“ Ein Gespräch mit Finanzminister Markus Marterbauer zu der Abgabe habe jedenfalls noch nicht stattgefunden, würde an der Situation vermutlich aber auch nichts ändern.
Siručićs Weg an die Spitze des Bankenverbands
Siručićs Gelassenheit, die der Buddhas gleicht, lässt sich zum Teil wohl mit seiner Vergangenheit erklären. Denn in seiner Kindheit flüchteten seine Eltern mit ihm aus Bosnien-Herzegowina vor dem Krieg nach Österreich. „Als Zehnjähriger habe ich damals noch nicht richtig verstanden, was da mit mir passiert. Aber heute weiß ich: Die Flucht aus Bosnien-Herzegowina hat mich bestimmt stärker gemacht“, erzählt der Hobbyfußballer. Auch dass er als immigrierter Jugendlicher in Österreich von manchen als Außenseiter betrachtet wurde, habe ihn resilienter gemacht, so der 43-Jährige. Alles Eigenschaften, die ihm in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als oberstem Bankenvertreter bestimmt zugutekommen.
In der heimischen Bankenszene kam seine Ernennung einem kleinen Erdbeben gleich. Im Mai dieses Jahres wurde er – für viele überraschend – für drei Jahre zum Präsidenten des Bankenverbands gewählt, jenes Verbands also, der die Interessen der als Kapitalgesellschaften organisierten Kreditinstitute in Österreich vertritt. Insgesamt umfasst der Verband aktuell nicht weniger als 68 Mitglieder, von der A1 Bank bis zur Wüstenrot Bank.
Seit vielen Jahren war dieses prestigeträchtige Amt fest in der Hand der Chefs der Bank Austria. Hinter vorgehaltener Hand sprechen manche Banker sogar von „Erbpacht“. Auf Willibald Cernko folgte 2016 Robert Zadrazil, der das Institut heuer verließ und auch sein Amt im Bankenverband niederlegte. Weder Ivan Vlaho, der neue Chef der Bank Austria, der auf das Amt angeblich verzichtete, weil sein Deutsch nicht ausreichend war, noch seine Finanzchefin Hélène Buffin, die man in der heimischen Bankenszene kaum kennt, kamen als Nachfolger für Zadrazil in Frage. Der im Präsidium des Bankenverbands längstgediente Vertreter, Oberbank-Chef Franz Gasselsberger, wiederum machte den Weg für jemand anderen frei, denn: „Meine Amtszeit läuft ja nur mehr bis Mitte 2027, und ich bin doch ein Mensch mit Ecken und Kanten“, meint er selbstkritisch.
Also kam Siručić mit seinem ausgleichenden Charakter ins Spiel. „Enver Siručić ist Banker von der Pike auf und er kennt das Gremium gut. Wir brauchen jemanden, der dem aktuellen Zeitgeist entspricht“, erläutert Gerald Resch, Generalsekretär des Verbands. Auch Vizepräsidentin Susanne Riess-Hahn ist mit der Wahl mehr als zufrieden: „Der Bankenverband ist sehr heterogen. Da gilt es, viele Interessen unter einen Hut zu bringen. Siručić mit seiner überlegten, positiven Art ist da sicher der Richtige“, glaubt die Wüstenrot-Chefin. Siručić selbst freut sich, dass die Wahl einstimmig ausfiel: „Ich habe mich für die Position nicht aufgedrängt, aber ich übe sie sehr gerne aus.“ Auch wenn der 43-Jährige nach wenigen Wochen bereits merkt, dass das Amt aufwendiger ist als gedacht: „Es ist nicht bloß ein Teilzeitjob.“
Große Aufgaben für den neuen Bankenchef
Neben einigen akuten Themen für die Banken wie der Bankenabgabe, dem digitalen Euro oder dem Auftreten gegen den Entwurf des Nachhaltigkeitsberichtsgesetzes warten auf den obersten Bankenvertreter auch langfristige Themen wie Finanzbildung, die richtige Balance zwischen Filial- und Digitalgeschäft und vor allem, das Image der Banken wieder auf Vordermann zu bringen. Das ist auch Riess-Hahn ein großes Anliegen: „Die Banken sind immer die Buhmänner der Nation. Anders als Versicherungen sprechen Banken zu wenig mit einer Stimme. Das wird mit Siručić sicher besser“, ist sie überzeugt.
Dieser will das Problem an der Wurzel packen: „Österreichs Bankensektor ist in vielen Belangen erfolgreicher als der deutsche oder französische, und dennoch trauen wir uns nicht, die Erfolge in die Auslage zu stellen.“ Auch hier könne Finanzbildung nützlich sein, um besser zu verstehen, was Banken eigentlich tun. „Als ich begonnen habe, bei der Bank zu arbeiten, hatte ich anfangs auch keine Ahnung. Eine Bank ist ein hochkomplexes Wesen und viele ihrer Funktionen finden hinter den Kulissen statt“, so der neue Bankenpräsident, der der Bevölkerung bewusst machen möchte, dass eine Bank mehr ist als bloß eine Filiale und ein Bankomat.
Er muss es wissen, denn er hat das Geschäft wirklich von der Pike auf gelernt, sprich, er hat etliche Stationen selbst durchlaufen. Als frischgebackener Volkswirt, der eigentlich nicht unbedingt Banker werden wollte, startete er kurz vor der großen Finanzkrise 2008 im „Regulatory Reporting“ und im Risikomanagement der Bawag, wechselte später ins Asset & Liability Management und landete schließlich im Finanzmanagement des Instituts. Seit 2017 ist er Finanzchef und zeichnet für das Österreich-Geschäft der Bawag verantwortlich. „Ich mag Banking sehr“, sagt Siručić mit einem Lächeln, „auch wenn es nicht Liebe auf den ersten Blick war.“ Und auch die Bawag dürfte er sehr mögen, ist der Vater eines minderjährigen Sohnes doch bereits fast 20 Jahre in dem Institut tätig. „Viele meiner Kollegen sind schon lange dabei. Es gibt in der Bank so etwas wie eine familiäre Dynamik.“
Mittlerweile ist er zum Gesicht der Bank nach außen geworden, denn der Großteil seiner Vorstandskollegen wohnt gar nicht in Österreich und spricht auch kaum Deutsch. Das prädestiniert ihn dafür, den Kontakt zu Behörden oder Ministerien wahrzunehmen. Auch dabei kommt ihm seine überlegte Art zugute. Gut möglich, dass Siručićs Gelassenheit auch von seinem finanziellen Erfolg herrührt. Immerhin kann er sich als Finanzchef der Bawag über einen Reingewinn von 760 Millionen Euro freuen. Mit einem Jahresgehalt von 7,5 Millionen Euro und einem Aktienpaket im Wert von rund 30 Millionen Euro zählt er zu den Spitzenverdienern und gleichzeitig zu den vermögendsten Menschen des Landes.
Zur Person
Enver Siručić, geboren 1982 in Bosnien-Herzegowina, kam mit seinen Eltern als Zehnjähriger nach Österreich. Er trat 2006 nach absolviertem Volkswirtschaftsstudium in Wien in die Bawag ein und ist bis heute dort geblieben. Seit 2017 ist er Finanzchef und seit 2020 stellvertretender CEO. Im Mai folgte er Ex-Bank-Austria-Chef Robert Zadrazil als Präsident des Bankenverbands. Siručić ist verheiratet und hat einen sechsjährigen Sohn.
Der Artikel ist im trend.PREMIUM 26. September 2025 erschienen.