Politik Backstage von Josef Votzi: Warum Wien rosarot blinkt
Mit Rot-Pink könnte Michael Ludwig nicht nur endgültig aus dem Schatten Michael Häupls treten. Mit der Aufwertung der Neos in Wien wollen die Roten auch Türkis-Grün im Bund das Leben schwerer machen.
ROTER ZORRO. Michael Ludwig kann sich mit der Wahl des Partners auch von Michael Häupl emanzipieren.
Die pinken Werbestrategen stellten ihre Wahlkampfwaffen im Finale besonders zielgruppenscharf. Die Wiener Neos ließen ausgerechnet auf die Titelseite des "Falter", des Lieblingsmediums der rot-grünen Wiener Intellektuellen- und Kulturszene, eine Postkarte mit der kecken Ansage kleben: "Pink up your Ludwig 2020".
Die Pop-up-Fusion des roten Wahlkampfclaims "Ludwig 2020" war in grellem Rosa gehalten, die Werbebotschaft unmissverständlich: "Wer den 'Falter' liest, ist jedenfalls eines: ein kritischer Geist mit Herz. Dieses Herz möchte ich diesmal für die Neos gewinnen. Dass Michael Ludwig der nächste Bürgermeister wird, wissen wir schon lange. Die Frage ist nur: Mit wem wird er regieren? Das sind einmal die Grünen, der in Bund und Land beliebteste Partner. Sie geben Werte wie Menschlichkeit oder Kontrolle an der Garderobe der Macht fein säuberlich ab (...) Wenn Sie wollen, dass in der Stadtregierung jemand Michael Ludwig auf die ,starken Hände' schaut, dann wählen Sie Neos! Danke! Bitte! Ihr Christoph Wiederkehr."
Wie auch immer diese Botschaft die Wähler bis zum 11. Oktober tatsächlich erreichte, die Message hat mehrfach erfolgreich verfangen. In der SPÖ gewann bereits Wochen vor der Wahl die Idee, künftig auf Rot-Rosa statt Rot-Grün zu setzen, immer mehr Anhänger. Einzig offene Frage: Bringt der Newcomer mit der leichtgewichtigen Klassensprecher-Attitüde genug Stimmen für eine gemeinsame Mehrheit auf die Waage?
Die offensive Ansage der Neos hat zwar nicht massenhaft, aber fürs Erste ausreichend verfangen. Die 2012 als Sammelbecken unzufriedener Ex-ÖVP-Mitarbeiter und übergangener politischer Talente gegründete Partei ist in Wien so nach dem zweiten Antreten bereits in der Poleposition für Regierungsämter. Die Grünen haben gut ein Vierteljahrhundert gebraucht, um erstmals auf Landesebene ins Mitregieren zu kommen.
Vom gelegentlichen Frust
zur totalen Abneigung
Die Ökos sind ungewollt Matchmaker dieser neuen politischen Liaison. Zehn Jahre nach Start von Rot-Grün ist in den letzten zwei Jahren der gelegentliche Frust in totale Abneigung gekippt. Die beiden ehemaligen Studentenfunktionäre Michael Häupl und Maria Vassilakou hatten sich rasch aufeinander eingespielt. Zwischen dem klassischen roten Funktionär Michael Ludwig und der gelernten Sozialarbeiterin Birgit Hebein wollte es von Anfang an nicht klappen. Aus gelegentlichen Differenzen wurde nicht nur in den roten Flächenbezirken, sondern auch im engsten Kreis um Ludwig persönliche Ablehnung.
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"Die Hebein ist wirklich ein Ungustl", formuliert ein mächtiger Rathaus-Roter ungeniert uncharmant, "sie hat zuletzt alles getan, um uns zu ärgern." Ihr versuchter Wahlkampfcoup, die Wiener Innenstadt weitgehend autofrei zu machen, sei nicht einmal mit der eigenen Fraktion abgesprochen gewesen. Die Vassilakou-Nachfolgerin habe daher nach Scheitern der Neuauflage von Rot-Grün auch in den eigenen Reihen mit Unbill zu rechnen.
Denn Rot-Grün, die Dritte, dürfte es mit Michael Ludwig nicht spielen. Zumindest solange Birgit Hebein bei den Ökos das Sagen hat.
Der SPÖ-Wien-Insider macht eine einfache Rechnung auf: "Rot-Grün war 2010 sexy, das hat sich aber auch persönlich auseinandergelebt. Wenn wir mit der ÖVP zusammengingen, löst das weder da noch dort Jubel aus. Rot-Schwarz hatten wir schon zur Genüge. Mit den Neos haben auch wir den Charme des Neuen."
Ein anderer Rathaus-Roter war selbst erstaunt, dass er in der Wahlnacht vergangenen Sonntag keinen einzigen SPÖ-Funktionär getroffen habe, der ein Regierungsbündnis mit den Neos für keine gute Idee gehalten habe.
"Modernisierung würde
auch uns guttun"
... sagt ein Roter mit Blick auf eine
SPÖ-Neos-Regierung.
Was keiner offen ausspricht: Michael Ludwig kann mit Rot-Pink auch endgültig aus dem Schatten von Michael Häupl treten, der sich 2010 mit Rot-Grün politisch ein Denkmal gesetzt hatte.
Nachdenklichere Rote, die selbst unter den Verkrustungen in der Rathaus-Bürokratie leiden, sagen zudem: "Ein Modernisierungsschub und eine Frischzellenkur würden auch uns selber guttun." Mit Verweis auf den liberalen Koalitionspartner ließen sich auch Widerstände der eigenen strukturkonservativen Gewerkschafter da und dort leichter lockern. Die SPÖ überlegt, den Pinken das Bildungsressort anzubieten, in dem vor allem die rote Lehrergewerkschaft eine Herausforderung ist.
Mit einem breiten Wunsch nach Privatisierungen rechnet die Rathaus-Mehrheit "in Corona-Zeiten nicht. Denn es haben alle gelernt, wie wichtig jetzt ein starker Staat ist".
Rote wollen mit Rosa
Türkis und Grün spalten
Gegen eine Fortsetzung von Rot-Grün und für Rot-Rosa sprechen aus Sicht der Rathaus-Roten und der Bundes-SPÖ auch langfristigere strategische Gründe. "Bei den Grünen, die im Bund mit der ÖVP regieren und in Wien mit uns regiert haben, gab es immer wieder Loyalitätskonflikte", analysiert ein Rathaus- Roter, "diese gingen wie zuletzt in der Moria-Flüchtlingsfrage immer zugunsten der ÖVP aus. Da haben sie mit uns zwar im Gemeinderat für die Aufnahme von 100 Kindern gestimmt. Weil die ÖVP aber dagegen war, haben sie sich in der Bundesregierung aber damit begnügt, ein paar Zelte nach Griechenland zu schicken."
Eine Neuordnung der politischen Landschaft - hie Rot-Pink in Wien, dort Türkis-Grün im Bund - sei "auch für den Wähler überschaubarer". Das ist für zunehmend mehr Rote des pinken Pudels Kern: "Eine Rot-Rosa-Koalition kann auch über Wien hinaus Strahlkraft entfalten. Dann müssen sich auch die Grünen überlegen, ob sie künftig bei einem liberalen Projekt dabei sein wollen oder weiterhin bei einem konservativen Projekt", so ein SPÖ-Stratege.

PINKE SPITZEN CHRISTOPH WIEDERKEHR UND BEATE MEINL-REISINGER. Der Schlachtruf "Neos! Bitte! Danke!" wurde gehört.
In der Bundeshauptstadt hat das rotgrün-pinke Lager am 11. Oktober in der Tat gemeinsam derart deutlich an Stimmen zugelegt, dass die Idee der Van-der Bellen-Koalition kurzfristig eine Renaissance erlebte. Nach Einbruch des blauen Lagers auf ein Drittel seiner Wählerschaft von 2015 kommen Rot, Grün und Neos in Wien gemeinsam rechnerisch beinahe auf eine Zweidrittelmehrheit.
Alles in allem bleibt eine nachhaltige Verschiebung der politischen Lager aber ein kühne Vision. Denn außerhalb von Wien ticken vor allem für Rot und Pink die Uhren anders - eine gemeinsame Mehrheit wie in der Bundeshauptstadt bleibt hier weiter Chimäre.
In Österreich dominiert seit mehreren Jahrzehnten eine Mitte-rechts-Mehrheit. Ob sich nach der Implosion der Blauen Rot-Pink-Grün auf Sicht ausginge, bleibt so eine offene Frage.
Auch wenn Michael Ludwig bei seiner Koalitionsentscheidung mehr Wien als den Bund im Auge haben wird: Strategisch erscheint Rot-Pink in Wien versus Türkis-Grün im Bund für die gesamte SPÖ als eine neue ausbaubare Option.
Pamela Rendi-Wagner
bleibt Parteichefin auf Abruf
Sicher ist nur, dass bei den Roten nun das Duo Michael Ludwig und Hans Peter Doskozil mehr denn je den Ton angeben wird. Das könnte bei der seit Jahren in einer Identitätskrise steckenden SPÖ Veränderungen auf Raten bringen. Wenn Pamela Rendi-Wagner nicht von sich aus das Handtuch wirft, wird an der Parteispitze aber vorläufig alles beim Alten bleiben.
"Jetzt eine Personaldebatte zu führen, wäre ein Schuss ins eigene Knie", sagt ein Rendi-Wagner-Vertrauter. "Ludwig wird keinen Druck auf Rendi-Wagner machen, zu gehen, im Gegenteil, er wird innerparteilichen Druck von ihr nehmen", sekundiert ein Bürgermeister-Intimus: "Jetzt beispielsweise jemanden aus der Partei oder gar einen Quereinsteiger zu installieren, macht keinen Sinn.
Für diesen gäbe es mangels Mandat oder Funktion keine ausreichende Bühne. Mittelfristig muss das aber gelöst werden." In der Wiener SPÖ wurde daher noch am Wahlabend die Parole ausgegeben: "Jetzt muss wieder Ruhe in der ganzen Partei einkehren."
Die Wiener Partei und Gewerkschaft waren immer die wahren Machtzentren in der SPÖ. Sie haben nach dem Wahlerfolg in Wien kein Interesse, neue Unruhe in die SPÖ zu bringen. Über den richtigen Spitzenkandidaten oder die richtige Spitzenkandidatin werden Michael Ludwig, Wolfgang Katzian & Co erst ein paar Monate vor der nächsten Nationalratswahl entscheiden, die - sofern Türkis-Grün so lange durchhält - erst im September 2024 fällig ist.
Türkise und Grüne
gehen sich auf die Nerven
Vor allem für die Grünen könnte eine politische Neuaufstellung mit Rot-Pink in Wien eine zusätzliche Herausforderung bringen. Die Wiener Grünen werden von den Oppositionsbänken das eigene Regierungsteam am Ballhausplatz noch schärfer ins Visier nehmen. Für unzufriedene Schwarze könnten die aufgewerteten Neos als rettender Hafen vorm rigiden türkisen Kurs attraktiver werden.
Denn zwischen Türkisen und Grünen nehmen ein Jahr nach Regierungsstart die Reibungsverluste zu. Die Grünen sind vor allem mit der Abwehr taktischer Scharmützel der Kurz-Truppe über die richtige Anti-Corona-Strategie beschäftigt. Die Türkisen empfinden die Grünen wiederum mal als lästige Bremser, mal als starrsinnig weltfremd.
Fakt ist auch, dass mit Streit
über richtige Anti-Corona-Rezepte
weiterhin wenig zu gewinnen ist.
In den Tagen vor der Wien-Wahl streute das Kanzleramt massiv Gerüchte, dass demnächst ein neuer Lockdown drohe. Am Vorabend der Wien-Wahl wurde die Gerüchte-Melange vor dem Millionenpublikum im ORF gar zu einem unmittelbar drohenden Szenario aufgekocht.
Die taktische Zielrichtung dieser Message aus der türkisen Sudelküche war klar: Die steigenden Corona-Zahlen im roten Wien würden nun dem ganzen Land neuerlich Ausgangsbeschränkungen und massiven Schaden für die Wirtschaft bescheren. Es war last minute ein letzter Versuch der türkisen Message-Controller, das Wiener Wahlergebnis zu Ungunsten der SPÖ zu drehen. Die türkise Strategie, das heimtückische Virus tiefrot einzufärben, ging nicht auf. Dass Wien bei Testtempo und Contact-Tracing massive Defizite hat, ist auch in türkisen und grünen Regierungskreisen ein offenes Geheimnis.

GRÜNE SPITZEN WERNER KOGLER UND BIRGIT HEBEIN. Nicht nur in roten Flächenbezirken, auch im engsten Umfeld von Michael Ludwig überwiegt die Abneigung gegenüber Hebein.
Fakt ist aber auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung Corona als Naturkatastrophe sieht und weder Kurz-Anschober noch Ludwig-Hacker als Schuldige sieht. Im Gegenteil: Auf Versuche, das Virus zu politisieren, reagiert das Gros der Wähler nach wie vor allergisch. Eine Erkenntnis, die auch am Ballhausplatz für Nachdenklichkeit sorgen könnte: Mit Streit über die richtigen Anti-Corona-Rezepte - von mehr Ampel bis zu generellem Lockdown - ist weiterhin wenig zu gewinnen.
Blümels "Wien macht krank"
ging nach hinten los
Auch Gernot Blümel & Co haben mit ihrem unausgesprochenen Slogan "Diese Stadt macht krank" nicht reüssiert. Ältere Semester erinnert dieser an eine Kampagne, mit der die ÖVP schon vor Jahrzehnten in Wien baden ging. Damals suchten die Schwarzen die erdrückende rote Vormacht mit der Parole "Diese Stadt ist krank" aufzubrechen.
Gernot Blümel, der die ÖVP vor fünf Jahren nach Absturz auf neun Prozent übernommen hatte, hatte zwar durchaus Grund, die Verdopplung der Stimmen zu feiern. Die Türkisen mussten aber schmerzlich registrieren, dass sie damit unter ihrem Potenzial blieben.
Sebastian Kurz war ein Jahr davor bei der Nationalratswahl drauf und dran, mit 25 zu 27 Prozent der Stimmen der SPÖ in Wien den ersten Platz streitig zu machen. Der Kanzler beherrscht das Doppelspiel "hart und herzlich" besser als sein langjähriger Intimus. Da half es auch nichts mehr, dass Gernot Blümel wenige Tage vor der Wahl die Tonart wechselte und propagierte: Auch er liebe Wien, aber "die Liebe zu Wien darf nicht blind machen".
Alle Wahlanalysen ergeben: Der Spitzenkandidat zog die Partei hinunter, statt sie zu beflügeln. Er hatte seine persönlichen Zustimmungswerte im Laufe des Wahlkampfs von 20 auf zwölf Prozent beinahe halbiert. Blümel, der im kleinen Kreis weitaus lockerer und sympathischer rüberkommt, verlor im Laufe der Wahlkampfwochen immer mehr an Statur und spulte sein Marathonprogramm als Wiener Spitzenkandidat, ÖVP-Finanzminister und Regierungskoordinator farb- und energielos herunter.
Auch für türkise Wahlanalytiker ist unübersehbar: Sebastian Kurz hat mit Hans Peter Doskozil und Michael Ludwig neue starke SPÖ-Männer als unerwartete Konkurrenz bekommen. Beide blinken in Migrations- und Sicherheitsfragen Mitte-rechts. In Sozialfragen hat Hans Peter Doskozil allerdings den linken Blinker auf Schnellfeuer geschaltet: vom 1.700-Euro-Nettomindestlohn bis zur Anstellung pflegender Angehöriger.
Michael Ludwig sicherte sich mit dem "Schnitzel"-Gutschein für alle und Taxibons für Pensionisten nicht nur die gute Nachrede bei Opionionleadern wie Gastwirten und Taxifahrern, sondern auch das Wohlwollen der Wähler.
Alles in allem setzen der Wiener und der burgenländische SPÖ-Chef auf einen strammen Mitte-rechts-Kurs in Ausländerfragen und Wohlfahrtsstaatsrezepte der 1970er-Jahre, die auch in der SPÖ zuletzt nur noch im Kreisky-Museum bewundert wurden.
"Man kann daraus nur lernen", sagt ein prominenter Roter, der in der Partei bisher weder dem Ludwig- noch dem Doskozil-Lager zugerechnet wurde.
Das interne Tauziehen um die Neuausrichtung der maroden Roten ist nach der Blutauffrischung in Wien ab sofort neu eröffnet.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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