Politik Backstage von Josef Votzi: "Mutti" als steinerner Gast am Ballhausplatz
Angela Merkel spielt bei der heimischen Lockdown-Verlängerung eine wichtigere Rolle als sichtbar wurde. Die diskrete Abstimmung des Anti-Corona-Kurses ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Sebastian Kurz hofft so noch die Osterferiensaison mithilfe deutscher Gäste zu retten.
Angela Merkel und Sebastian Kurz
Es war einmal mehr der Boulevard, der dieser Tage schulterklopfend vermeldete: "Merkel kopiert Ösi-Lockdown – in Österreich wurde gerade der Lockdown verlängert, Deutschland zieht nach: Schule und Kindergärten bleiben bis Mitte Februar zu, dringende Homeoffice-Order, FFP2-Maskenpflicht."
Insider der deutschen und österreichischen Politik können nur müde lächeln, wenn sie Schlagzeilen wie diese lesen. Die nackte Wahrheit hinter der türkisen Propagandameldung ist viel schlichter: Zwischen Berlin und Wien laufen seit Wochen die Telefone heiß wie selten zuvor. Die deutsche Kanzlerin und der österreichische Regierungschef stimmten sich im Vorfeld der jüngsten Lockdown-Verlängerung in beiden Ländern intensiv ab.
Merkels gescheiterte Weihnachtsoffensive
für EU-weite Lockdown-Regeln
Kurz weiß von gemeinsamen Video-Konferenzen und jüngst auch einmal live in Brüssel: Merkel wollte schon in der Zeit um Weihnachten europaweit gültige Lockdown-Regeln, sprich im europäischen Verbund gemeinsam strenger werden.
Das hätte gleich zwei Vorteile: "Epiodemiologisch ist Europa als ein Raum zu sehen", proklamiert Merkel zunehmend. Bei offenen Grenzen und hunderttausenden Arbeitspendlern in den jeweiligen Grenzregionen helfen die strengsten nationalen Lockdowns nicht, wenn beim Nachbarn weitaus lockerere Sitten herrschen. Wo, wenn nicht hier, gilt das geflügelte Wort aus der Corona-Debatte rund um die vorjährige Urlaubssaison: "Das Virus kommt mit dem Auto". Politisch täten sich zudem alle Regierungschefs mit Verweis auf europaweite Anti-Corona-Regeln leichter, die nationalen Lobbys in Schach zu halten.

EU-Gipfel in Zeiten von Corona: Merkel ringt um ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen die Pandemie.
Vor dem jüngsten EU-Gipfel Donnerstag Abend, der diesmal nur per Video stattfand, brachte Merkel die seit Wochen intern schwelende Debatte ungewohnt unverblümt auch öffentlich ins Spiel. Die deutsche Kanzlerin winkte im wahrsten Sinn des Wortes drohend mit dem Zaunpfahl: Wenn es zu keinen gemeinsamen Corona-Regeln kommt, dann drohen über kurz oder lang Grenzschließungen. Soll heißen: Dann müsse sie als deutsche Kanzlerin das tun, wogegen sie sich als Europapolitikerin bisher gewehrt habe: Den ohnehin gewaltig stotternden Wirtschaftsmotor zusätzlich herunterbremsen und lückenlos rigorose Grenz-Kontrollen anordnen, um zumindest ein strenges Test- und Quarantäneregime umsetzen zu können.
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Was das in der Praxis heißt, kann man seit kurzen an den österreichischen Ostgrenzen beobachten. Nach dem Wochenende rückreisende Pendler etwa aus der Slowakei standen vergangenen Sonntag bis zu fünf Stunden im Stau. Jedes Fahrzeug wurde darauf kontrolliert, ob die Insassen über eine pauschale Ausnahmegenehmigung verfügen, um testfrei einreisen zu dürfen. Andernfalls haben sie sich auch als EU-Bürger ab sofort vor der Einreise online zu registrieren und nach Ankunft überprüfbar in Quarantäne zu gehen.
Denn verbindliche gemeinsame Anti-Corona-Regeln in der EU bleiben wohl weiter noch ein Wunschkonzert.
'Lockdown auf, Lockdown zu'
maximiert wirtschaftlichen Schaden
Bis dahin werden wirtschaftlich besonders stark verflochtene Nachbarländer wie Deutschland und Österreich weiter gut daran tun, sich in Sachen Lockdown und Lockerungen bilateral abzustimmen.
Wer hier wen kopiert, bleibt eine akademische Frage. Allein die Größenverhältnisse legen nahe: Der kleinere Partner in diesem Abstimmungsprozess ist leichter und öfter unter Zugzwang zu bringen als der große.
An einem guten Einvernehmen mit Deutschland hängt in Österreich der wirtschaftlich spielentscheidende Tourismus, dessen Verwundbarkeit die Coronakrise so scharf wie nie gezeigt hat. Kurz stand so vor einer doppelt schwierigen Entscheidung: Eine Lockdown-Verlängerung in den Februar hinein bedeutet zum einen auch ein endgültiges Aus für die ganze Wintersaison – denn die Buchungslage in den Februarferien macht gut 40 Prozent des Wintergeschäfts aus.
Am Beispiel Südtirol hatten Kurz & Co studieren können, welchen Scherbenhaufen die Option, die Tür im Tourismus nach Weihnachten versuchsweise aufzumachen, in der Praxis hinterlassen kann. Südtirol hatte Anfang Jänner seine Hotels und Lifte gerade für acht Tage wieder hochfahren können und musste danach den Wintertourismus wegen massiv steigender Infektions- und Hospitalisierungszahlen über Nacht wieder zudrehen. Hoteliers und Restaurants, die sich mit dem Engagement von Saison-Personal und dem Einkauf von Vorräten kurzfristig vorsorglich für die unverhoffte Wiederbelebung der Wintersaison eingedeckt haben, haben nun den doppelten Schaden: Hohe Vorlaufkosten samt totalen Umsatzeinbruch.
Kurz stieg erst last minute
auf die Semesterferien-Bremse
Der österreichische Regierungschef, der unter massivem Druck der Tourismus- und Skibetriebe im Westen Österreichs und der Wirtschaftskammer steht, spielte vorletzte Woche bis zuletzt mit der Überlegung, nach dem ausgefallenen Weihnachtsgeschäft wenigsten die Semesterferien- und Februarsaison zu retten.
In den Telefonaten mit Merkel wurde ihm endgültig klar. Damit würde er gleich zweifach den Ingrimm der deutschen Kanzlerin provozieren: Merkel käme so durch die deutschen Wintertourismusbetriebe zuvorderst in Bayern noch mehr unter Druck. Zudem müsste sie mit einem Pulleffekt für sonnen- und urlaubshungrige Landsleute samt einer höchst unpopulären Debatte über Reisefreiheit und Kontrolle rechnen.
Am Ende gab die Überlegung den Ausschlag: Die deutsche Kanzlerin nachhaltig zu verärgern, die Rest-Wintersaison primär mit österreichischen Urlaubern retten zu wollen und wegen des neuen Briten-Virus auch noch eine Explosion der Corona-Fallzahl zu riskieren – damit würde Österreich einen noch größeren politischen und wirtschaftlichen Schaden bei einem vergleichsweise kleinerem möglichen Nutzen riskieren.
Im österreichischen Regierungsviertel spekuliert man zudem damit, wenigstens die Osterurlaubs-Saison Ende März/Anfang April mithilfe deutscher Gäste zu retten.
Das deutsche Außenamt machte den österreichischen Kollegen hier neuerlich Hoffnung, weiß ein Insider der Pendeldiplomatie: Wenn die österreichische Inzidenz bis dahin zwar weiter über 50 liege, aber doch deutlich unter 100 fällt und dort auf Sicht auch bleibt, dann seien – so das Aviso aus Berlin – Gespräche zwischen den beiden Außenämtern über eine Milderung der deutschen Reisewarnung gegen Österreich denkbar. Ausdrückliche Vorbedingung: Entsprechende Verhandlungen müssten ohne mediale Begleitung stattfinden.
Denn im Moment hängt der Haussegen zwischen der deutschen Kanzlerin und dem jungen österreichischen Regierungschef wieder gerader denn je.
In ihrer nächtlichen Pressekonferenz diesen Dienstag (19. Jänner), bei der Angela Merkel nach langem schweren Ringen mit den deutschen Länderchefs eine Verlängerung des harten Lockdowns bis Mitte Februar verkündete, stellte sie einen Politiker als "wichtigen Gesprächspartner" besonders in die Medienauslage – ihren österreichischen Kollegen Sebastian Kurz.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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