Politik Backstage von Josef Votzi: Kanzler im Lockdown light
Das Virus des Misstrauens gegen das türkis-grüne "VIROLOGISCHE QUARTETT" droht chronisch zu werden. Befürworter und Gegner harter Anti-Corona-Maßnahmen sorgen nun in der ÖVP zunehmend für Konflikte. Ergebnis: mehr Posen statt mehr Politik.
KANZLER KURZ bei einer Videokonferenz in seinem Büro: Jeder zieht in eine andere Richtung, der Regel-Fleckerlteppich ist dabei, Alltag zu werden.
Da ist er wieder. Im Frühjahr tauchte er jeden Abend in den Wohnzimmern der Österreicher auf. Seit einigen Tagen lugt er erstmals wieder keck von den TV-Schirmen. Denn sie sind wieder da. Die Werbespots, die wie eine dröge amtliche Verlautbarung beginnen, wenn eine Stimme aus dem Off in getragenem Ton ankündigt: "Es folgt eine Information der Bundesregierung." Die ersten neuen TV-Spots propagieren das Abstandhalten im Freien: mindestens einen Meter, sodass er dazwischen weiterhin gut Platz hat - der gute alte Babyelefant.
Der geniale Werbeschmäh, "Social Distancing" mit einem knuddeligen Dickhäuter zu propagieren, hat in den ersten Corona-Wochen perfekt funktioniert. Das lästige Verbot, einander wie gewohnt näher zu kommen, bekam ein sympathisches Gesicht.
Der "Babyelefant" wurde zum beliebtesten neuen Haustier der Nation. Kein persönliches Gespräch, in dem er nicht mit einem Augenzwinkern eine Rolle spielte.
Über den Feriensommer verschwand der Babyelefant nicht nur auf den TV-Schirmen, sondern auch im Corona-Alltag von der Bildfläche. Sein herbstliches Comeback will bislang nicht in die Gänge kommen.
Superheld Kurz muss Pause machen
Das in den letzten Augusttagen im Kanzleramt weitergeschriebene Drehbuch sah eine neue Staffel vor, in der Sebastian Kurz einmal mehr die Rolle des Superhelden übernimmt. Und das für den knuddeligen Dickhäuter zumindest weiterhin eine Nebenrolle zulässt.
Die Handlung der ersten Folgen reichte aber gerade, um damit den Wahlkampf in Wien dramaturgisch zu begleiten: Über den Sommer habe zuvorderst Wien im Kampf gegen das Virus versagt. Kurz, wer sonst, müsse nun wieder Tempo machen.
Die PR-Leute des Kanzleramts machten als Begleitmusik zudem hinter den Kulissen Stimmung, dass die fahrlässigen Rathaus-Roten gar einen zweiten Lockdown notwendig machen könnten. Entsprechende Medienberichte sollten so nicht nur den Boden für einen neuen Big Bang - vorsichtshalber erst nach der Wien-Wahl - aufbereiten, sondern auch den Wahlkampf zugunsten des blassen türkisen Frontmans Gernot Blümel in Wien befeuern.
Außer Posen ist bei der Herbstoffensive gegen Corona aber bisher wenig gewesen. Denn die Demoskopen melden seit Wochen, dass die bislang hohe Glaubwürdigkeit der Regierung in Sachen Corona vom Virus des Misstrauens nun chronisch angekränkelt ist.
Auch der grüne Gesundheitsminister mied so vor dem Wien-Wahltag am 11. Oktober wie der Teufel das Weihwasser, auch nur einen neuen Beistrich in einer Corona-Verordnung zu erlassen. Obwohl auch er wusste, dass - abseits des Wahlkampfgetöses - neue Maßnahmen unvermeidlich werden. So kam es zum No-Go eines glaubwürdigen Krisenmanagements: Rudolf Anschober ließ zwar wiederholt wissen, dass er die steigenden Infektionszahlen besorgniserregend fände. Neue Maßnahmen seien indes noch nicht notwendig, er habe sie aber "in der Schublade".
Man vernahm die verräterische Absicht, diese aus Rücksicht auf die Wahl noch nicht zu öffnen, und war verstimmt.
Virologisches Quartett schwächelt
Die öffentliche Erwartung an den ersten gemeinsamen Auftritt des virologischen Quartetts eine Woche nach der Wien-Wahl war daher dementsprechend aufgeladen. Das Ergebnis ließ die breite Öffentlichkeit allerdings total irritiert zurück.
Die "vier im Corona-Jeep" - Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer - hatten in den ersten Krisenwochen schon weitaus bessere Tage und immer wieder kommunikativ erfolgreich gelungene Auftritte.
Nach dem wochenlangen Trommelwirbel vor allem aus der türkisen Ecke blieb diesmal allein ein Bild zurück: Türkis-Grün ratlos unter der Corona-Zirkuskuppel.
Im Kern wurden die gemeinsamen Sitzplätze an einem Tisch im Gasthaus von zehn auf sechs verkleinert. Und theoretisch mögliche Besucherzahlen in Kultur und Sport reduziert, die in vielen Fällen praktisch bereits eingehalten oder unterschritten wurden. Viel Lärm um wenig. Warum?
Das liegt zuerst daran, dass die Kanzlertruppe das Drehbuch für ihren Hauptdarsteller nolens volens kurzfristig umschreiben musste.
Denn in den ersten Corona-Monaten dominierte der unterschiedliche Zugang von Türkis und Grün die internen Debatten: Anschober & Co setzten trotz Rückschlägen unerschütterlich auf Verhaltensänderung durch Aufklärung und Einsicht, Kurz & Co auf dramatische Bilder und Gehorsam durch Angst.
Weil Drama immer lauter ist als alles andere, dominierte der Kanzler als "Mr. Corona" lange die öffentliche Bühne.
Der Westen sympathisiert mit einem mehrwöchigen Lockdown, um die Wintersaison zu retten.
Im Corona-Herbst funktioniert diese Dramaturgie nicht mehr. "Kurz ist einer, der sich gern an die Spitze von Wellen stellt", analysiert ein Regierungsinsider. Im Frühjahr gab er erst den Tempomacher in Richtung Shutdown ("bald wird jeder einen kennen, der an Corona gestorben ist").
In den Tagen vor Ostern präsentierte er sich als oberster Schlüsselgewaltiger beim Wiederaufsperren des Landes ("die schnelle und restriktive Reaktion gibt uns die Möglichkeit, schneller wieder aus dieser Krise herauszukommen und zu einer Wiederauferstehung nach Ostern").
ÖVP-Westen für "Hammer",
ÖVP-Osten für "Tanz
Nach dem kollektiven Schock des wochenlangen Shutdowns gehen die divergierenden Meinungen zu den richtigen Anti-Corona-Rezepten inzwischen quer durch alle Parteien. In Sachen Wirtschaft haben sich auch innerhalb der ÖVP die politischen Kräfte neu formiert.
Vor allem in Sachen Tourismus gehen die Interessen und Wünsche weit auseinander. Im Westen sympathisieren selbst Landespolitiker mit einem mehrwöchigen Lockdown spätestens im November, um die diesjährige Wintertourismussaison vor dem Kollaps zu retten. Von Oberösterreich ost- und südwärts wehren sich die schwarz-türkisen Landesgewaltigen mit Händen und Füßen dagegen. Sie wollen für das Wohlergehen der Skiorte im Westen nicht die eigenen Industrie- und Handelsbetriebe noch einmal dem Gefrierschock eines Shutdowns aussetzen.
"Die westlichen Bundesländer sind im Hammermodus, die östlichen sind im Tanzmodus", sagt ein Ballhausplatz-Insider in Anlehnung an die vielzitierte Anti-Corona-Strategie "The hammer and the dance", die nach harten Lockdowns wieder Lockerungsphasen trotz Corona verspricht.
Grüne Ampel vor
türkisem Comeback
Je polarisierter die Kräfteverhältnisse im eigenen Lager, desto geringer wird auch der politische Spielraum des türkisen Parteichefs. Mit Überrumpelung durch öffentliche Ansagen und Tempomachen ist auch ÖVP-intern kein Staat mehr zu machen. Im Regierungsviertel sorgen so inzwischen nicht primär die Bruchlinien zwischen Kurz und Anschober für Konflikte. Die Reibungsverluste beim Corona-Management im Kanzleramt sind zuvorderst hausgemacht und nehmen im türkisen Lager zu.
Dass Kurz in der ÖVP schalte und walte, wie es ihm gefällt, war schon davor mehr eine Mär als Alltag. In Krisenzeiten suchte er mehr denn je vorab das Einvernehmen mit seinen Landesfürsten.
Da jeder in eine andere Richtung zieht, ist das Ergebnis: Sebastian Kurz schlittert politisch in einen Lockdown light.
Abseits neuer eindringlicher Appelle und symbolischer Maßnahmen wie der Sechser-Regel dominiert derzeit auf Regierungsebene Corona-Business as usual.
Die Anhänger der Corona-Ampel, die mangels gemeinsamen Rückhalts einen kapitalen Fehlstart hinlegte, fühlen sich da und dort bereits rehabilitiert. Ein unübersichtlicher Regel-Fleckerlteppich, der den Ampel-Fans vorgehalten wurde, ist dabei, Alltag zu werden.
Der Westen setzt etwa auf frühere Sperrstunden, nach Wien nun auch immer mehr andere Bundesländer auf Registrierungspflicht. Mit der Salzburger 7.000-Einwohner-Gemeinde Kuchl hat Österreich nun auch seinen ersten lokalen Lockdown. Für diesen Tabubruch erntet Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer freilich quer durch die Reihen Anerkennung und Respekt. Lob allein aus der ÖVP für einen schwarzen Landesfürsten, der einen besonders guten Draht zu Sebastian Kurz unterhält, wäre nicht weiter überraschend. "Mit einem Lockdown macht man sich keine Freunde", zollt auch ein grüner Stratege dem türkisen Gegenüber in der Mozartstadt Respekt.
Haslauer hatte in der Tat massiven Gegenwind zu überwinden. Konflikte im Kleinen wie diese sind angesichts eines stürmischen Corona-Herbstes und harten Corona-Winters erst der Anfang. Da wird auf Dauer das derzeit obwaltende Motto im Wiener Regierungsviertel nicht reichen: Rette sich, wer kann.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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