Politik Backstage von Josef Votzi: Alles Comeback-Walzer

Auf der Vorderbühne trommelt die Regierung das Comeback der Wirtschaft. Im Windschatten arbeiten die Türkisen mit allen Mitteln am Comeback des angeschlagenen Macher-Images des Kanzlers – auch mit Druck auf Journalisten und Meinungsmacher.

Themen: Politik Backstage von Josef Votzi, Sebastian Kurz - Aufstieg und Fall
Politik Backstage von Josef Votzi: Alles Comeback-Walzer

Kanzler Sebastian Kurz im Umfrage-Tief: Mit Message Controll soll das Image einen neuen Schein bekommen.

Es war ein Interview ganz nach dem Geschmack des Kanzlers. Ein Auftritt von 45 Minuten, der eins zu eins ausgestrahlt wurde, geführt von einem renommierten deutschen Journalist, der sichtlich geschmeichelt ist, den Ösi-Kanzler im XL-Format vor die Kamera zu bekommen. Das Medium, Gabor Steingarts "ThePioneer"-Morning-Briefing: Kein Top-Quotenbringer, aber eine bei deutschen und österreichischen Meinungsbildern angesehene Online-Plattform.

Das Gespräch kreist um Big Shots der Politik von Merkel bis Putin, die großen Fragen von Europa bis Corona. Garniert mit ein wenig Persönlichem, etwa wie viel Flower Power im Chef einer Regierung gemeinsam mit den Grünen stecke und ob er denn jemals gekifft habe: "Nicht gekifft, aber durchaus andere lustige Abende verbracht." Kurz' Lieblingsmusik als Jugendlicher? "Von Nirvana bis Muse."

Gänzlich ausgespart blieb der aktuell am meisten schmerzende Pfeil im Fleisch der Türkisen: Die entlarvenden Chat-Protokolle aus dem türkisen Innenleben. Alles in allem ein Wohlfühl-Termin für den Kanzler, der nichts weniger mag als unerwartetes und lästiges Nachfragen.

Der vergangenes Wochenende publizierte Online-TV-Talk ist nur ein Mosaikstein einer Medienoffensive, bei der das vielköpfige Message-Control-Team im Kanzleramt alle Register zog. Zum Auftakt wurde das 10-Jahres-Jubiläum von Sebastian Kurz zelebriert. Im April 2011 war der Chef der Jungen ÖVP vom – wenig später glücklos versunkenen - ÖVP-Chef Michael Spindelegger als Staatsekretär für Integration installiert worden.

Mit Pauken und Trompeten wurde danach das wirtschaftliche Comeback Österreichs ausgerufen, in kleinen Info-Happen und mit vielen Medienauftritten über mehr als eine Woche gestreckt: Vom Wunschpaket, das Österreich nach Brüssel abschickte, um sich bis zu vier Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Topf abzuholen bis zu einer opulent inszenierten türkis-grünen Regierungsklausur.


Umfrage-Mehrheit für Rot-Grün-Pink beschert Demoskopen Einladung ins Kanzleramt


Wer immer in den vergangenen vierzehn Tagen einen heimischen TV-Sender ansteuerte, ein Online-Portal aufrief oder zum guten alten Print griff, er kam nirgendwo an seiner Omnipräsenz vorbei. Sebastian Kurz spulte nimmermüde sein Erfolgsrezept aus besseren Zeiten ab: „Stay on the message“. Sag überall das Gleiche mit einfachen Worten und plastischen Bildern. Auch beim hundersten Mal wie gerade frisch zubereitet und als sei gerade nichts wichtiger als dies jetzt, hier und nur Dir zu erzählen.

Türkis hat auf der politischen Vorderbühne das wirtschaftliche Comeback Österreichs nach dem erhofften Aus der Corona-Krise ausgerufen. Auf der Hinterbühne geht es der Medien-Control-Truppe im Kanzleramt aber zuvorderst um eines: Das Comeback von Sebastian Kurz.

Denn die vergangenen Wochen haben den erfolgsverwöhnten Türkisen nachhaltig zugesetzt. Die ÖVP liegt in den Umfragen erstmals unter dem vergangenen Wahlergebnis. Kurz kommt bei der fiktiven Kanzlerdirekt-Wahl gar unter den abgestürzten Werten seiner Partei zu liegen. Bis dahin war es umgekehrt: Kurz hatte seine Partei an Beliebtheit klar übertrumpft. Auch die generelle Zufriedenheit mit der Regierung kippte von haushoher Zustimmung noch vor einem Jahr ins überwiegend Negative. Türkis-Grün hätte, wären morgen Wahlen, nicht nur gemeinsam keine Mehrheit mehr.

Selbst die jahrelange Gewissheit gegen die eherne strukturelle rechte Mehrheit und damit gegen die ÖVP könne nicht regiert werden, gerät ins Wanken.
Als schon vor zwei Monaten erstmals eine Meinungs-Umfrage in der "Kronen-Zeitung" auftauchte, dass Rot-Grün-Pink auf dem Weg zu einer gemeinsamen Mehrheit ist, schrillten türkis-intern die Alarmglocken. Der Kanzler und seine Entourage luden den neu am Markt eingestiegenen Meinungsforscher zu einem Gespräch ins Kanzleramt.


Telefonische Nachhilfe durch den Kanzler

himself nach lästigen Reporter-Fragen


Die Nervosität ist hinter den Kulissen allerorten massiv spürbar. Kurz selber ruft Reporter nach Pressekonferenzen an, wenn ihm die Fragen nicht gepasst haben. Kurz-like immer verpackt in vordergründige Höflichkeit. Die Gespräche laufen meist nach dem Muster: Haben Sie ein bisschen Zeit? Danke, super! Ich habe den Eindruck, dass da ein Missverständnis vorliegt und darf zur Aufklärung sagen..."

Was dann folgt, ist ein argumentativ angereichterter Beharrungsbeschluss einer bekannten Position des Kanzlers. Die Botschaft bleibt unmissverständlich: So und nicht anders will ich verstanden werden. Die offensichtliche Spekulation der Kanzler-Truppe: Das könnte und sollte bei aufstiegsorientierten oder sensibleren Gemütern Eindruck machen, um sich Störungen der Choreographie der türkisen Inszenierung bei einem der nächsten Male tunlichst zu ersparen.

Denn geht es nach der Ballhausplatz-Regie, soll es in den kommenden Monaten quer durchs Land und vor allem mit Blick auf den Kanzler heißen: Alles Comeback-Walzer.


Selbstkritischer Spitzen-Türkiser:

"Die Schmid-Chats waren unser Ibiza"


Kurzfristig neuerlich einen Strich durch diese Rechnung machen könnten - fürchten Türkise - eine Ladung neuer Chats des Kurz-Intimus und ÖBAG-Chefs Thomas Schmid.

Bis zum Ende des Ibiza-U-Ausschusses Mitte Juli werden regelmäßig neuer Lieferungen aus dem reichhaltigen Fundus der 300.000 Kurznachrichten des manischen Handy-Users erwartet.

"Das war so etwas wie unser Ibiza" gesteht ein Spitzen-Türkiser ungeschminkt ein. Er ist aber überzeugt, dass sich Türkis davon ähnlich schnell erholen könnten wie einst die Blauen. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos im Mai vor zwei Jahren war die FPÖ in den Umfragen zwar massiv abgestürzt. Schon wenige Wochen danach war sie aber wieder auf Erholungskurs. Der Mainstream an den Stammtischen ("Mit ein paar Gläsern zu viel redet jeder mal Blödsinn") war auch auf die Meinungsumfragen durchgeapert.

Nicht Ibiza, sondern die Spesen-Vorwürfe hatten der FPÖ am Ende ein Wahldesaster beschert und zehn Prozentpunkte an Stimmen gekostet. Die Berichte, Strache hätte auf Partei- und damit letztlich auf Steuerzahlerkosten bei Gucci & Co geshoppt, brachen ihm nicht nur innerparteilich, sondern auch beim Wähler das Genick.


Comeback der Wirtschaft,

Comeback des Kanzlers?


In der ÖVP setzen die Strategen daher darauf, auch eine neue Ladung peinlicher Chats vom Handy des Noch-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid erfolgreich auszusitzen. Denn bislang erzeugen die Chats zwar ungeschminkt hässliche Bilder unverfrorenen Machtmissbrauchs. Auf eines legen die Türkisen in der internen Kommunikation aber besonders viel Wert. Indizien für persönliche Bereicherung à la Gucci-Shopping gab und gibt es auf den Chats keine.

Also gilt einmal mehr die Parole: Angriff ist die beste Verteidigung.

Den Vorwurf des Postenschachers und der Freunderlwirtschaft sucht die ÖVP so nach FPÖ-Vorbild wegzubringen ("Ibiza war eine b´soffene G'schicht"). Wo immer es geht, predigen Kurz & Co die Botschaft, die Chats enthüllten keinen türkisen Sündenfall: "Eine Postenbesetzung durch Bürgerliche ist offenbar ein Verbrechen, eine durch Linke ein Segen."

Unter vier Augen mit Besorgnis registrieren sie, dass die Chats allein so nicht allzu schnell vergessen gemacht werden könnten. Bei ÖVP-Kernwählern sorgt nicht der Postenschacher, sondern anderes für nachhaltiges Kopfschütteln: Der rotzige Umgang mit Kirchenfürsten durch Kurz & Co ("Gib Vollgas") rund um die Drohung, ihnen die Steuerdaumenschraube anzusetzen wenn sie der Regierung weiter widersprechen.

Und: Die vor allem online kursierende Berichte und Gerüchte über pikante private Bilder auf dem Dienst-Handy von Thomas Schmid, die dieser zwar löschen durfte, offenbar danach aber weiter in Ermittler- und Politikerkreisen kursierten.

In diesen beiden Fällen hilft aus Sicht der Türkisen offenbar nur ein Ausweg: Augen zu und durch.


Sorge vor Last-minute-Lockdown wie in Israel


"Jetzt geht es darum, dass wir den Öffnungskurs bei Corona durchziehen. Aber mit strengen Regeln, damit es uns nicht so geht wie in Israel, wo trotz Impffortschritts nach den ersten endgültigen Öffnungsschritten noch einmal mit einem Lockdown die Notbremse gezogen werden musste", proklamiert ein enger Kurz-Vertrauter. "Wenn wir da jetzt gut durchsegeln ist im Herbst vieles vergessen, von den Pannen beim Impfen bis zu den Chats."

Die türkise Hoffnung lebt: Nach Corona ist vor dem Comeback der Wirtschaft – und vor dem dringend erhofften Comeback des massiv angeschlagenen Kanzlers.


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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