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Wie Panik den Tante-Fanny-Gründer Hinterkörner ausbremste

Aktualisiert
Lesezeit
12 min

"Tante Fanny"-Gründer Gerhard Hinterkörner im Interview über psychische Erkrankungen in der Business-Welt.

©Michael Rausch-Schott
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Warum ein offener Umgang mit eigenen Schwächen eine starke Führungskraft ausmacht: Unternehmer und Tante-Fanny-Gründer Gerhard Hinterkörner spricht offen über seine Panik­attacken.

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Sie haben sich auf der Social-Media-Plattform LinkedIn zu Ihren Panikattacken bekannt. Warum?

Gerhard Hinterkörner

Ein Bekannter auf sehr hoher Führungsebene hat mir am selben Tag im Vertrauen von seiner psychischen Erkrankung erzählt. Er hält sie geheim. Ich fand es einen Wahnsinn, welche große Last er mit sich trägt, von der aber niemand weiß. Ich wollte auf LinkedIn das Tabu brechen. Wenn man darüber redet, sich austauscht, bringt einen das immer weiter.

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Wie war Ihre erste Panikattacke? Wie kann man sich das vorstellen?

Gerhard Hinterkörner

Es war vor etwa 30 Jahren. Ich war damals Ende 20, Vertriebsleiter in einem großen Milchkonzern, habe viel verdient. Von außen war alles gut. Ich hatte meine erste Panikattacke in einer Besprechung mit einem Vorstand. Von einer Sekunde auf die andere hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Es war ein ex­trem intensives Gefühl. Ich musste mich beim Tisch festhalten, um nicht in den Abgrund zu fallen. Das Gefühl hat sich immer weiter potenziert. Ich schwitzte auf einmal überall, und mein Herz begann zu rasen. Ich war mir sicher, ich sterbe jetzt. Ich wollte mich bewegen, ich wollte raus. Ich habe den Termin abbrechen müssen. Mit der Besprechung an sich hatte das alles nichts zu tun. Mein ­damaliger Lebensstil hat die Panikattacke ausgelöst.

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Wie war Ihr Lebensstil zu diesem Zeitpunkt?

Gerhard Hinterkörner

Ich habe ein Doppelleben geführt. Ich habe den Beruf nur wegen des Geldes gemacht. Sobald ich aus dem Firmengelände rausfuhr, war ich ein komplett anderer Mensch.

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Sie müssen sich Sorgen gemacht haben?

Gerhard Hinterkörner

Ich versuchte zuerst, die Situation abzutun. Aber als ich am selben Tag noch drei weitere Panikattacken bekam, konnte ich es nicht mehr ignorieren. Mein Hausarzt hat zum Glück schnell erkannt, was los war. Er hat mir dann Medikamente, sogenannte Benzodiazepine, verschrieben. Zuerst war ich skeptisch. Aber ich merkte schnell, dass sie die einzige Lösung waren, damit ich im Beruf wieder funktionieren konnte.

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Welche Momente haben die Panik ausgelöst?

Gerhard Hinterkörner

Wir hatten das Büro damals neben einem Einkaufszentrum. Der Ort hat sich in einen Ort des Schreckens verwandelt: die vielen Menschen und Reize, der Lärm. Es war, als wäre in meinem Kopf ein Verstärker eingebaut worden. Dadurch fühlte sich die Umgebung noch unangenehmer und bedrohlicher an.

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Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Gerhard Hinterkörner

Niemand außer mein engster Kreis hat davon gewusst. Ich habe geglaubt, wenn ich mich oute, verliere ich meinen Job. Es war ein Tabu, als Führungskraft Schwächen zu zeigen. Ich kann mich an eine Situation bei einer Firmenveranstaltung erinnern. Ich frage mich heute noch, was mein ­Kollege sich damals gedacht haben muss. Ich habe beim Anstoßen eine sehr leichte Panikattacke gekriegt und meine Hände haben gezittert. Der Kollege hat sichtlich irritiert gewirkt. Ich habe genau gewusst, das wird mit Sicherheit falsch interpretiert.

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Wie haben die Panikattacken Ihren Alltag beeinflusst?

Gerhard Hinterkörner

Selbst meiner Familie habe ich verschwiegen, was es wirklich bedeutet, mit Panikattacken zu leben. Die Panikattacke war wie ein Damoklesschwert, das ständig über mir pendelte. Ich habe nie gewusst, wann die nächste kommt. Damals hatte ich zwei bis drei Attacken am Tag. Ich habe mich mit niemandem in der Tiefe austauschen können.

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Glauben Sie, das liegt auch an dem Bild, dass Männer immer stark sein müssen?

Gerhard Hinterkörner

Ganz sicher. Speziell Führungspositionen sind leider nach wie vor sehr stark in männlicher Hand. Es gibt immer noch den Mythos, als Mann immer Stärke demonstrieren zu müssen.

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Ab wann wurden die Panikattacken weniger?

Gerhard Hinterkörner

Der Moment, als ich gekündigt habe, hat alles verändert. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich kein riesiges Netzwerk mehr, keine E-Mails, keine 120 Menschen, für die ich verantwortlich war. Ich war nicht mehr fremdgesteuert. Ich habe mich frei gefühlt. Für mich war das ein „Point of no Return“. Von nun an wollte ich für niemanden anderen mehr arbeiten als für mich. Obwohl ich bei meinem Job in einem Milchkonzern mit Prämien überschüttet wurde, eine Führungsposition hatte, habe ich mich gefragt: Wen interessiert das? Ich wollte nicht mit 50 oder 60 Jahren sagen: Eigentlich wollte ich … Das Leben ist keine Generalprobe. Es ­gehört gelebt.

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ADHS oder Autismus ist für manche Betroffene wie ein Motor für ihr kreatives Schaffen. Glauben Sie, dass die Panikattacken Ihnen geholfen haben, das zu machen, was Sie wirklich wollen?

Gerhard Hinterkörner

Die Panikattacken haben mir auf jeden Fall geholfen zu machen, was ich wirklich will. Als Motor würde ich die Panikattacken aber nicht bezeichnen. Panik ist ein bisschen wie eine rote Lampe, die immer irgendwo im Unterbewusstsein aufblinkt. Ich würde sie eher als Bremse bezeichnen, die einem aufzeigt, dass man nicht mehr über seine eigenen Grenzen geht.

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Wie geht es Ihnen heute?

Gerhard Hinterkörner

Ich habe heute keine Panikattacken mehr. Es gibt schon Situationen wie bei Vorträgen vor vielen Menschen, in denen ich die Panik in mir aufsteigen fühle. Ich habe aber durch Coaching und Yoga-Techniken gelernt, wie ich damit umgehen kann. Auch mit Psychotherapeuten in meinem Netzwerk habe ich mich unterhalten. Nach wie vor habe ich aber Respekt davor. Anderen in einer ähnlichen Situation würde ich zu professioneller Hilfe und Therapie raten. Auch Medikamente können einen unterstützen.

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Was konnten Sie in dieser Zeit für Ihre Rolle als Führungskraft mitnehmen?

Gerhard Hinterkörner

Ab meiner Selbstständigkeit wusste mein Umfeld über meine Panikattacken Bescheid. Mir war Offenheit immer sehr wichtig, auch in meiner Rolle als CEO von Tante Fanny Frischteige. Meine Mitarbeiter:innen hatten bei mir die Sicherheit, dass sie in guten Händen sind und ich ihnen weiterhelfe. Eine Frau vertraute mir sogar an, dass sie in ihrer Beziehung geschlagen wurde. Ich habe natürlich eine Brücke zu professioneller Hilfe gebaut.

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Wie waren die Reaktionen auf Ihr LinkedIn-Posting?

Gerhard Hinterkörner

Ich habe ausschließlich positive Nachrichten und Komplimente für meinen Mut bekommen. Das hat mich total überrascht.

Panik ist ein bisschen wie eine rote Lampe, die immer irgendwo im Unterbewusstsein aufblinkt.

Gerhard Hinterkörner
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Sind psychische Erkrankungen in der Businesswelt überhaupt noch ein Tabu?

Gerhard Hinterkörner

Ja, ganz sicher. Es wird einfach nicht darüber gesprochen. Dadurch könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sie nicht gibt. Das ist genauso, wie keiner jemanden kennt, der die FPÖ wählt. Und dann wählen in manchen Gemeinden zwei Drittel die FPÖ. Man fragt sich: Wo sind die Leute? Diese Tabus sind stark angelernt. Bei einer Knieoperation ist es ganz klar, dass man sich eine Auszeit nimmt, um sich zu erholen. Bei einer Depression gibt es noch immer viele Leute, die meinen, dass man sich einfach zusammenreißen soll. Solche Aussagen sind an Absurdität nicht mehr zu überbieten. Das Gehirn ist ein derart komplexes Organ.

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Glauben Sie, als Mann und Führungskraft ist es noch schwieriger, über psychische Krankheiten zu sprechen, als für andere?

Gerhard Hinterkörner

Vielleicht in den Köpfen. Aber ich bin überzeugt davon, dass das nicht stimmt.

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Studien besagen, dass Führungskräfte häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Warum?

Gerhard Hinterkörner

Weil der Druck extrem groß ist bzw. sich viele selbst ­großen Druck machen. Wenn ich die Anforderungsprofile für Führungskräfte durchlese, denke ich mir oft: Wer traut sich da, sich zu bewerben? Die suchen den absoluten Wunderwuzzi. Die Soft Skills, die ich so wichtig finde, werden komplett vernachlässigt.

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Spielen Alkohol, Tabletten oder Drogen eine Rolle?

Gerhard Hinterkörner

Das ganze Programm. Je dünner die Luft in der Führungsetage, desto stärker kommen diese Kompensationsmittel zum Einsatz. Ich kenne einen Mann, der seit zwei Jahren keinen Alkohol mehr trinkt: Sein ganzes soziales Netzwerk ist weggebrochen. Er wird nicht mehr eingeladen. So verankert ist das bei uns.

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Was würden Sie sich für die Business-Welt im Umgang mit psychischen Erkrankungen wünschen?

trend.

Offenheit. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen ihre Geschichte erzählen. Jeder hat seinen Rucksack zu tragen. Warum sollte es in der Wirtschaft anders sein?

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