
Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie wird die Arbeitswelt nachhaltig verändern und birgt gerade für Frauen großes Potenzial. Beim Gehalt geht es künftig weniger um Verhandlungsgeschick, vielmehr gelten
objektive, geschlechtsneutrale Kriterien.
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Gehaltsverhandlungen gleichen oft einem Eiertanz: Beide Seiten zögern, ihre Vorstellungen offen auf den Tisch zu legen, aus Sorge, die eigene Verhandlungsposition zu schwächen. Neben taktischem Geschick gelten Selbstbewusstsein und ein gutes Verhältnis zur Führungskraft bislang als essenzielle Ingredienzien für ein erfolgreiches Gespräch über mehr Geld.
Mit der neuen EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die 2023 offiziell beschlossen wurde und bis spätestens Anfang Juni nächsten Jahres in nationales Recht umzusetzen ist, geraten diese nicht für alle vorteilhaften Spielregeln nun ins Wanken. „Die Gepflogenheiten am Verhandlungstisch werden sich grundlegend ändern. Durch die neuen gesetzlichen Vorgaben wird das Gehaltsthema entemotionalisiert, was allen Mitarbeitenden und speziell den Frauen zugutekommt“, sagt Martina Ernst, ehemalige HR-Chefin und heute eine der renommiertesten Gehaltsberater:innen des Landes.
Bisher wurde das Bemühen um Lohngleichheit im Gleichbehandlungsgesetz adressiert. Demnach müssen Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitenden alle zwei Jahre einen anonymisierten Einkommensbericht vorlegen. Da aber keinerlei Sanktionen vorgesehen sind, wenn Betriebe diese Pflicht ignorieren, gelten die Bestimmungen als zahnloser Tiger. Das ist vor dem Hintergrund des Gender Pay Gaps mehr als problematisch. Obwohl die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede in den vergangenen Jahren durch verschiedene Maßnahmen verringert werden konnten, zählt Österreich nach wie vor zu den EU-Ländern mit der größten Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Diese Kluft zu schmälern, ist das Ziel der schärferen Vorgaben aus Brüssel.
„Die EU-Entgelttransparenzricht-linie markiert für Österreich eine Zäsur, weil sie erstmals die Belegschaft aktiv einbindet“, sagt Johanna Schaller, Senior Managerin im Bereich Workforce Transformation bei PwC Österreich: „Ab 2026 sind alle Unternehmen verpflichtet, ihre Mitarbeitenden einmal jährlich über ihr individuelles Auskunftsrecht zu informieren. Dieses Recht eröffnet die Möglichkeit, zu erfahren, wie hoch das durchschnittliche Entgelt in einer vergleich-baren Gruppe von Kolleginnen und Kollegen ist.“
Die PwC-Managerin gibt hierfür ein Beispiel: Fasse man beispielsweise die Bereiche HR, Finanzen und Recht zusammen, würden auf der untersten Ebene Personalverrechner:innen und Mitarbeiter:innen Accounting – eingestuft anhand nachvollziehbarer Kriterien – eine Vergleichsgruppe bilden, an der Spitze dann die jeweiligen Leiter (Head of Finance, HR, Legal). Den einzelnen Gruppen würde dann ein Durchschnittsgehalt oder eine Gehaltsspanne zugeordnet. Mit diesem Wissen sei es besser möglich, seine eigene Einordnung zu überprüfen und Benachteiligungen aufzudecken.
Kriterien statt Taktik
Aber auch die Bewerber bekommen künftig gehaltvollere Informationen. Ihnen muss vor der Einstellung das tatsächliche Einstiegs-gehalt oder die Gehaltsspanne für die Position genannt werden. Zudem bringt die Richtlinie eines der letzten großen Tabus zu Fall: das Schweigen über Geld. Künftig gehören Verschwiegenheitsklauseln der Vergangenheit an. Jeder kann selbst entscheiden, ob er über sein Gehalt sprechen möchte. Die Beschäftigten haben damit einen weiteren Hebel zu mehr Transparenz in der Hand.
Und warum hilft das nun alles den Frauen? Gehaltsexpertin Ernst weiß aus vielen Gesprächen, dass sich etliche schwertun, aktiv ein höheres Gehalt zu verhandeln. „Besonders Frauen glauben, wenn sie einen Job herausragend machen, kommen die Vorgesetzten irgendwann von selbst auf sie zu und bieten ihnen mehr Geld an. Aber das ist reines Wunschdenken“, sagt Ernst.
Die neue Richtlinie komme den weiblichen Mitarbeitenden und Managerinnen entgegen, weil sie explizit insbesondere vier objektive, geschlechtsneutrale Kriterien nennt, die für Unterschiede in der Entlohnung heranzuziehen sind: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. „Mitarbeitende haben nun weniger Mühsal, dass sie möglichst geschickt verhandeln müssen. Sie können vielmehr entlang der genannten Kriterien ihre höheren Gehaltsvorstellungen argumentieren“, erklärt Ernst.
Gesetzesvorlage fehlt
Doch bis sich das alles im Arbeitsalltag zeigen wird, dauert es. Österreich gehört in Sachen EU-Lohntransparenz nicht zu den Vorreitern. Noch gibt es keine Gesetzesvorlage. Die Expertinnen erwarten diese für Anfang 2026. Bis dahin gibt es noch einige Knackpunkte zu lösen. „Die Richtlinie spricht von relativ hohen Sanktionen, die auf nationaler Ebene näher definiert werden müssen – angesichts der schlechten Wirtschaftslage für die Sozialpartner ein Drahtseilakt, hier eine gemeinsame Formel finden“, sagt Schaller.
Und wie gut sind die Unternehmen vorbereitet? „Viele warten noch ab, auch weil der Gesetzgeber noch keinen Erstentwurf vorgelegt hat. Andere Länder wie Schweden und die Niederlande sind da schon weiter“, sagt Schaller. Die Expertin schätzt, dass sich rund ein Drittel vor allem große Unternehmen bereits intensiv mit dem Thema beschäftigt, während rund 30 Prozent eher noch abwarten und beim letzten Drittel die Skepsis überwiegt.
Dennoch: Viel Zeit bleibt nicht. Zumal die Unternehmen abhängig von ihrer Größe künftig umfassendere Einkommensberichte vorlegen und darüber hinaus – was ebenfalls neu ist – eine Entgeltbewertung vornehmen müssen. So sind geschlechtsspezifische Lohndifferenzen von mindestens fünf Prozent zu rechtfertigen oder innerhalb von sechs Monaten zu beheben. Gehaltsexpertin Ernst ist überzeugt: „Die neue Richtlinie wird -kulturell ein Gamechanger.“
EU-Richtlinie zur Lohntransparenz
Für Arbeitnehmer:innen. Hier sieht die Richtlinie zwei wichtige Maßnahmen vor: Beschäftigte haben künftig einen Auskunftsanspruch, ob sie im Vergleich zu Teammitgliedern in vergleichbaren Positionen ein gerechtes Gehalt erhalten. Laut PwC müssen die Unternehmen bei einer Anfrage transparent aufzeigen, „wie das Entgelt im Vergleich zu anderen in ähnlichen Positionen festgesetzt wird“. Zudem sind die Beschäftigten über das Auskunftsrecht jährlich zu informieren. Durch die neue Transparenz sollen sich die Mitarbeitenden besser einordnen und eventuelle Benachteiligungen leichter ableiten können.
Für Österreich ist das Auskunftsrecht laut AK Wien gänzlich neu. In Deutschland gibt es dieses bereits, aber die formalen Hürden gelten bis dato als zu hoch. Zudem gehören mit den neuen EU-Vorgaben Verschwiegenheitsklauseln der Vergangenheit an. Freiwillig kann künftig jeder über sein Gehalt sprechen, was helfen soll, das Prinzip der Lohngleichheit durchzusetzen.
Für Unternehmen. Hier gilt die Beweislastumkehr als eine der brisantesten Verschärfungen. Künftig sind es die Unternehmen und nicht mehr die Beschäftigten, die nachweisen müssen, dass keine geschlechtsbezogene Diskriminierung vorliegt. Darüber hinaus kommen neue Berichtspflichten auf die Firmen zu. Künftig müssen Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten regelmäßig über ihre Lohnstruktur berichten und geschlechter-gerechte Gehälter sicherstellen. Zudem sind Themen wie Boni, Prämien und -Sachbezüge offenzulegen. Die Berichte verbleiben auch nicht mehr im Unter-nehmen, sondern sind an eine nationale Überwachungsstelle zu übermitteln.
Auch nicht ganz ohne: die neuen Vorgaben zur Entgeltbewertung. So müssen Unternehmen geschlechtsspezifische Lohndifferenzen von mindestens fünf Prozent rechtfertigen und binnen sechs Monaten beheben. Die Richtlinie spricht von hohen Sanktionen, die von den nationalen Gesetzgebern näher zu definieren sind. Experten rechnen für Anfang 2026 mit einer voraussichtlichen Gesetzesvorlage in Österreich.
Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 7. Novemebr 2025 erschienen.
