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Industriestrategie 2035: Warten auf Klarheit

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Die Präsentation der Industriestrategie ist auf Anfang 2026 verschoben. Die Regierungsparteien ringen untereinander, welche Maßnahmen wie finanzierbar sind. Umschichtungen im Budget gestalten sich schwierig. Die SPÖ spielt auf Zeit. Die Unternehmen fordern sofort wirksame Unterstützung und drohen mit Aufstand.

Vor mehr als 13 Jahren kündigte der damalige ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger eine Initiative an: „Unternehmen Österreich 2025: Strategien für eine Spitzenstellung unseres Landes“. Die besten Köpfe sollten Maßnahmen „für eine nachhaltige Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ ausarbeiten. Das ist gründlich schiefgegangen. 2025 hat Österreich enorm an Wettbewerbsfähigkeit verloren; sogar innerhalb der EU. Die privaten Nettoanlageninvestitionen haben sich laut Agenda Austria in den letzten Jahren – preisbereinigt – mehr als halbiert. In der Industrie grassieren Abwanderungsgedanken. Bei etlichen Parametern sind wir das Schlusslicht Europas. Und so tüftelt die aktuelle Regierung nunmehr an der „Industriestrategie 2035“.

Die lässt auf sich warten. Ursprünglich für Spätherbst angekündigt, kommt sie erst Anfang 2026. In drei Sounding Boards haben zahlreiche Unternehmer, Topmanager und Experten jede Menge Input geliefert. Aber die heiße Phase steht noch bevor: die politischen Entscheidungen, was angesichts der Rekordverschuldung wie finanzierbar ist. In den nächsten vier Wochen stehen noch etliche Abstimmungstermine der Sozialpartner und Regierungsparteien an, im Zuge derer versucht wird, sich zusammenzuraufen. Bei Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer laufen die Fäden zusammen.

Budgetstarre bremst die Industriestrategie aus

Wirklich rund lief es bislang nicht. SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer pocht zu Recht auf Einhaltung des Budgets. Aber die Sozialdemokraten legen sich auch bei Umschichtungen innerhalb des Budgets quer – wohl aus Sorge, Mittel zugunsten der Unternehmer könnten auf Kosten von Sozialausgaben verschoben werden. „Es gibt keinen Grund, wieder aufzumachen, was im Regierungsprogramm vereinbart wurde“, sagt einer, der für die SPÖ dabei ist. Umschichtungen, auch wenn sie sinnvoll wären, scheuen aber alle Ministerien. Das legt nahe, dass man überwiegend nur umsetzen wird, was möglichst kein Geld kostet, zumindest nicht in den nächsten zwei Jahren.

In der SPÖ wird auffallend oft betont, dass die Industriestrategie ja bis 2035 geht. Es bleibe also genug Zeit, um nach der Konsolidierung 2027 in die Offensive zu gehen. Die ÖVP, die direkt für das Desaster bei den Staatsfinanzen verantwortlich gemacht werden kann, steht unter deutlich größerem Druck seitens der Unternehmer, schnell zu liefern.

Infrastrukturminister Peter Hanke, der rote Chefverhandler mit guten Kontakten in die Wirtschaft, wirke in seiner Partei ein bisserl isoliert, berichten Teilnehmer an diversen Debatten. Reinhold Binder, der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft Pro-GE bringe sich hingegen häufig aktiv ein, wobei ihm auch die politische Konkurrenz konstruktiven Zugänge bescheinigt. „Bei Teilen der SPÖ ist allerdings kein allzu großer Sense of Urgency festzustellen“, beklagen Vertreter der Unternehmerorganisationen das zähe Ringen um Ergebnisse. Besonders oft richtet sich die Kritik gegen die Arbeiterkammer, „der es in allen Punkten nur um Umverteilung geht.“ Um nicht noch mehr Unruhe reinzubringen, will jedoch niemand die Reibereien öffentlich machen.

Kostenlast und Reformstau: Unternehmen drängen auf Entlastung

In den Sounding Boards nannten die Wirtschaftslenker ziemlich einhellig die Personal- und die Energiekosten sowie die Bürokratie als die drängendsten Probleme, die auf Lösungen warten. In der Kritik stehen vor allem die hohen Lohnnebenkosten, wobei Abhilfe hier besonders schwierig zu schaffen ist, weil sich jede Senkung direkt in den öffentlichen Haushalten niederschlägt. Ein Modell wird aber zumindest einmal angedacht. Es adressiert den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), den Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer nicht mehr über die Lohnnebenkosten, sondern aus Steuermitteln finanziert haben wollen. Weil das derzeit weniger denn je möglich ist, gibt es die Idee, die Abschaffung der Kalten Progression für drei Jahre wieder aussetzen. Dadurch würden in Summe fünfeinhalb Milliarden Euro zusammenkommen. Geld, das nicht ausgegeben, sondern angespart werden soll, um danach die FLAF-Beiträge aus dem Steuertopf bestreiten zu können. Und zwar nicht einmalig, sondern dauerhaft, weil ja die Staatseinnahmen auch in allen folgenden Jahren stets höher wären als ohne eine solche Sistierung.

Die Personalkosten der Unternehmen würden um fast 3,5 Prozent sinken, allerdings erst frühestens 2029 – wenn diese Entlastung überhaupt je kommt. Denn die SPÖ ist naturgemäß wenig gewillt, den Arbeitnehmern höhere Steuern aufzubrummen, damit sich Betriebe etwas ersparen. Und die ÖVP hat mit der Kalten Progression ihren einzigen Erfolg der letzten Jahre gefeiert, was sie ungern konterkarieren würde.

Netzausbau wird zum Kostentreiber

Die Senkung der Energiepreise ist ebenfalls ein komplexes Unterfangen. Oberste Priorität haben die Stromnetze, die durch verstärkte Nutzung erneuerbarer Energie massiv ausgebaut und modernisiert werden müssen. Was sehr teuer ist.

Bei gesetzlichen Änderungen für schnellere Genehmigungsverfahren sind die Regierungsparteien halbwegs einig. Bei der Finanzierung weniger. Die ÖVP will beim angedachten Infrastrukturfonds Energie auch privates Kapital über Private-Public-Partnerships mobilisieren. Etwa durch Einbindung der Banken, die signalisieren, dass sie sich im Gegenzug zur Abschaffung der Bankenabgabe, derzeit rund 500 Millionen Euro, am Netzausbau beteiligen könnten. Auch Versicherungen sind interessiert. Der Fonds soll die Finanzierungskosten der Netzbetreiber spürbar senken. Mittelfristig könnten sich dadurch die Netzkosten, die rund 25 Prozent des Strompreises ausmachen, für die Industrie halbieren, so die Hoffnung. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian kann sich so ein kombiniertes Fonds-Modell dem Vernehmen nach vorstellen. Andere in der SPÖ, die Infrastruktur nicht einmal teilweise aus der – öffentlichen – Hand geben wollen, sind weniger begeistert.

Reformpartnerschaft zielt auf Einschnitte bei Energieunternehmen

Um den Unternehmern zu signalisieren, dass der Staat auch bei sich selbst ansetzt, sucht die Regierung im Rahmen der Reformpartnerschaft von Bund, Ländern und Gemeinden nach Möglichkeiten, wie die mehrheitlich staatliche Verbund AG und die Landesenergieversorger einen Beitrag zur Senkung der Preise leisten können. Das würde auch mit sich bringen, dass die Dividenden, die in die Landesbudgets fließen, niedriger ausfallen. Ein echter Plan liegt noch nicht vor. „Aber wir sind weiter, als viele glauben“, meint ein Verhandler: „Der Personalabbau in Betrieben, denen das Wasser bis zum Hals steht, steigert die Handlungsbereitschaft.“

Eingriffe in die Gebarung der Versorger, die vor allem bei den börsennotierten Gesellschaften Verbund und EVN heikel wären, werden sogar in ÖVP-Kreisen gerechtfertigt: Wenn Europa ein schnelleres Tempo bei Energiewende einschlage als andere Teile der Welt, müssten Abstriche bei der Energiemarktliberalisierung gemacht werden, so der Tenor.

ÖBAG mit gebremstem Spielraum

Fix ist, dass die Beschaffung im öffentlichen Sektor künftig innovationsorientierter aufgestellt wird, statt stur am Billigstbieterprinzip festzuhalten. Österreichische bzw. europäische Technologien sollen bei Aufträgen gezielt gefördert werden. Infineon-Chefin Sabine Herlitschka hat sich dafür immer eingesetzt und auf die große Hebelwirkung solcher Investitionssteuerung hingewiesen. Eine tragende Rolle soll dabei künftig das Bundesheer spielen, dass stark aufrüstet und bei seinen Bestellungen als Innovationsmotor dienen kann. Zur Förderung der von Infrastrukturminister Hanke definierten fünf Schlüsseltechnologien von KI bis Quanten-Computing wird zumindest angedacht, Geld innerhalb der Fördertöpfe umzuschichten. Ansonsten sind die Konzepte zur Finanzierung von Hightech dünn. Der Österreich-Dachfonds für Start-ups bleibt weiter unkonkret, obwohl er im Regierungsprogramm steht. So wie auch der Kapitalmarkt ganz generell immer noch unterbelichtet ist.

Die Staatsholding ÖBAG arbeitet im Auftrag von Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer an eigenen Überlegungen, die dann in die Gesamtstrategie einfließen sollen. Ihr Spielraum ist momentan sehr eingeschränkt. Es wird aber ein Kapitel geben, was sie im Falle gesetzlicher Änderungen beitragen könnte.

ÖBAG-Chefin Edith Hlawati skizzierte in einem trend-Interview bereits, dass es für die ÖBAG durchaus Sinn machen würde, zusammen mit Finanzinvestoren Scale-ups, also Neugründungen, die bereits eine gewisse Größe erreicht haben, zu finanzieren. Dafür brauche es aber Exit-Möglichkeiten, die nicht wie jetzt an einen Ministerratsbeschluss geknüpft sind. Aus der Politik ist zu hören, es werde 2026 ein Papier zur Änderung des ÖBAG-Gesetzes vorgelegt – mit mehreren Optionen, was die Definition des Privatisierungsauftrages und des Portfoliomanagements betrifft.

Wirtschaft warnt vor Eskalation, wenn Entlastung ausbleibt

Außer Erleichterungen durch den Bürokratieabbau, den NEOS-Chef Sepp Schellhorn verantwortet, liegt wenig am Tisch, was die Betriebe kurzfristig handfest entlasten würde. In der Wirtschaftskammer (WKO), die als Sozialpartner an der Industriestrategie mitwirkt, wird argumentiert, dass schon klare Entscheidungen, die Planungssicherheit vermitteln und den Weg vorzeichnen, wie der Standort künftig wieder an Attraktivität gewinnt, den Unternehmen die nötige Zuversicht geben, wieder zu investieren.

Ob Zukunftsaussichten wirklich reichen, ist zu bezweifeln. Die Unternehmen bauen jetzt Personal ab. Allein bei KTM, AVL List, Fronius, Lenzing, Hella und Magna sind es über 2.000 Arbeitsplätze. Die Elektro- und Elektronikindustrie verlor seit Anfang 2024 über 3.000 Stellen, Produktionen werden verlagert, vielfach nach Osteuropa. Laut WKO-Daten werden die schon stark zurückgegangenen Exporte 2026 wieder um 0,4 Prozent sinken, die Anlageninvestitionen um noch einmal 0,3 Prozent.

Viele Unternehmen erwarten sofort Unterstützung. „Es reicht nicht, auf einer Metaebene Strategien zu formulieren. Wir brachen konkrete Maßnahmen, die schnell wirken und messbar sind“, sagt stellvertretend der CEO von Austria Email, Martin Hagleitner. Dabei geht es nicht nur um Instrumente, die den Staat Geld kosten. Zum Beispiel werden auch Anreize fürs mehr oder längeres Arbeiten oft genannt bzw. die Streichung von Anreizen, weniger zu tun. „Zumindest die vorhandenen Produktivitätspotenziale müssen wir ausschöpfen“ (Hagleitner).

Ein auch in der Industriellenvereinigung aktiver Unternehmer sendet schon einmal eine Warnung an die Regierung: „Wenn nichts kommt, was uns sofort hilft, dann wird es dieses Mal laut werden und ordentlich rumpeln.“

Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 7. 11. 2025 erschienen.

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