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Standort-Poker der Industrie

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MAGNA-STEYR. Beim Grazer Autobauer droht ein Kahlschlag. Österreich ist kein bevorzugtes Investitionsziel mehr.

©APA/Magna
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Nach den üppigen Lohnabschlüssen fordern die Arbeitgebervertreter nun ein Entgegenkommen bei den Lohnnebenkosten: Entweder Steuern und Abgaben werden gesenkt oder Betriebe wandern ab.

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Bundeskanzler Karl Nehammer, dessen Stärken nicht unbedingt im Ökonomischen liegen, geht in seinem Ende Jänner präsentierten "Österreich-Plan" gleich nach der Einleitung auf zentrale Forderungen der Wirtschaft ein: Senkung der Lohnnebenkosten, Steuerbefreiung für Überstunden, um die Leistungsbereitschaft zu fördern, 1.000 Euro Bonus für Vollzeitarbeit, eine Senkung der untersten Lohnsteuerstufe auf 15 Prozent, weniger Bürokratie oder Investitionsprämien statt ausufernder Subventionen.

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), lobt die "positive Signalwirkung" und die Aussicht auf einen "wirtschaftsfreundlichen Kurs". Gleichzeitig müsse man sich aber fragen, ob Österreichs Wirtschaft gerade eine normale Rezession durchlebt oder einen Wendepunkt im System. Neumayer sieht Indizien für Zweiteres: "Deswegen wird es einen größeren Befreiungsschlag brauchen -sonst schmieren wir ab."

Eine Ansicht, die Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer teilt. Auch er hält jetzt "einen großen Wurf" für unabdingbar, um den Produktionsstandort zu sichern. Und er erwartet sich von der aktuellen Regierung zumindest noch entsprechende Weichenstellungen.

Nach vorläufigen Daten schrumpfte die heimische Wirtschaft bereits 2023 um rund 0,7 Prozent -mehr als im krisengeschüttelten Deutschland. Die Wettbewerbsfähigkeit in Österreich nahm in den vergangenen zwei Jahren dramatisch ab, besonders in der Industrie. Die Lohnstückkosten sind seit 2019 nirgendwo in Europa stärker gestiegen, nämlich um knapp 30 Prozent (siehe Grafik). Eine Folge ist die Verlagerung von Investitionen in andere Länder und ein Zurückfahren in Österreich.

Eine zentrale Forderung der Unternehmervertretungen zum Gegensteuern ist die Sicherstellung der Strompreiskompensation im Rahmen der grünen Transformation bis 2030. Derzeit muss jedes Jahr aufs Neue mit der Regierung darum gefeilscht werden. Außerdem gäbe es Spielraum bei der Kommunalsteuer, die aktuell mit vier Milliarden Euro bei den Betrieben zu Buche schlägt.

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© IV / www.peterrigaud.com

Das andere große Thema sind die Lohnnebenkosten. IV und WKO wollen sie - und zwar kurzfristig -zumindest auf das deutsche Niveau gesenkt sehen, wo die Belastung aus diesem Titel um fünf Prozent geringer ist. Das würde hierzulande eine Abgabensenkung um 7,5 bis 8,5 Milliarden Euro im Jahr bedeuten. Nehammer hat bis 2030 jedes Jahr eine Reduktion um 0,5 Prozentpunkte in Aussicht gestellt. Doch die Wirtschaft drückt aufs Tempo. Neumayer wendet ein, "dass Trippelschritte wie in den vergangenen Jahren angesichts der düsteren Lage nicht mehr reichen".

Die Hauptstoßrichtung der Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten sind der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), der sie über sechs Milliarden Euro im Jahr kostet, und die Wohnbauförderung mit etwa 800 Millionen. Harald Mahrer meint: "Der FLAF beinhaltet überwiegend Leistungen für die Allgemeinheit, die aus dem Budget bestritten werden sollten - siehe Schülerfreifahrt. Die ist wichtig, hat aber nichts mit Unternehmen zu tun."

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Eine zusätzliche Idee zur Entlastung, die auch in der IV kursiert, ist so brisant, dass sie bisher nur hinter den Kulissen mit der Politik besprochen wurde: nämlich eine Angleichung des Dienstgeberanteils zur Pensionsversicherung (12,55 Prozent) an jenen der Arbeitnehmer (10,25 Prozent). Die Beiträge der Unternehmen würden sich in diesem Fall um mehr als drei Milliarden Euro im Jahr verringern - um die dann der Zuschuss aus dem Budget höher ausfallen müsste. Der Politik gegenüber wird argumentiert, dass die schon budgetierten Mittel für den Energiekostenzuschuss II ohnehin um ungefähr diese Summe unterschritten wurden. Durchsetzen wird sich diese Maßnahme trotzdem eher nicht lassen.

WKO-Chef Mahrer versichert, dass kein Sozialabbau angestrebt wird: "Niemand will die Pensionen oder Leistungen der Sozialversicherung kürzen." Richtig sei, dass die Ausfälle für das Sozialsystem bei den Lohnnebenkosten aus dem Budget kompensiert werden müssen. Was den Staat zwingt, in anderen Bereichen zu sparen. "Das geht. Jede Regierung hat immer neue Förderungen und Programme aufgesetzt, die jedes Jahr Milliardenbeträge verschlingen. Es ist Zeit, der Subventionitis ein Ende zu setzen. Wir brauchen eine eiserne Prioritätensetzung. Und die erste Priorität muss sein, dass unser ökonomisches Fundament nicht wegbricht."

Mahrer wünscht sich einen Schulterschluss aller Kräfte und geht davon aus, dass SPÖ ("nicht nur der Herr Androsch"), Arbeiterkammer oder Gewerkschaften diesen Kurs mittragen würden, weil sie erkennen, dass wettbewerbsfähige Betriebe die Basis des Wohlstands sind.

Bislang kamen von dieser Seite gegen niedrigere Beiträge der Unternehmen allerdings stets Proteste. IV-Generalsekretär Neumayer: "Durch die beiden letzten, weit über dem europäischen Schnitt liegenden Lohnabschlüsse haben die Unternehmen zu einem starken Anstieg der Haushaltseinkommen und auch der Kaufkraft in Österreich beigetagen. Es ist eine Frage der Fairness, sie jetzt zu entlasten."

Tatsache ist, dass der produzierende Sektor unter anderem durch hohe Lohn- und Energiekosten so stark unter Druck steht wie schon sehr lange nicht. Die Produktivität in der Industrie ist um mindestens vier Prozent gesunken. Die leichten Vorteile bei den Lohnstückkosten gegenüber Deutschland, wo die Hauptkonkurrenz beheimatet ist, gingen verloren.

Mit unübersehbaren Folgen: Der Trend, dass österreichische Unternehmen ihre Investitionen im Inland zugunsten verstärkter Aktivitäten in anderen Regionen zurückfahren, ist evident.

Ein prominentes Beispiel ist Magna Europe. Im Automobilbau von Magna Steyr in Graz, der für große Hersteller wie BMW oder Mercedes eine Reihe von Modellen montiert, fehlen die Aufträge. Das hat einerseits Gründe, die nur bedingt mit dem Standort zu tun haben: den stagnierenden Automarkt in Europa und nicht ausgelastete Kapazitäten der deutschen Autokonzerne. Andererseits sucht der amerikanischen E-Auto-Entwicklers Fisker, der sein Modell "Ocean" in Graz produzieren lässt, nach einem neuen strategischen Partner. Was sehr wohl Kostengründe haben dürfte. Und der Plan von Magna, Modelle von chinesischen E-Auto-Herstellern zu bekommen, die allesamt Produktionskapazitäten in Europa aufbauen, scheiterte bislang, weil man in Österreich laut Insidern um 30 bis 40 Prozent zu teuer ist.

Anders als in der Vergangenheit ist Österreich für Magna kein bevorzugtes Investitionsziel mehr. Zu hören ist, dass bis zu 2.000 Jobs wackeln.

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© trend

Exakte Daten zur Umschichtung von Investitionen sind kaum zugänglich. Ein klares Indiz liefert aber IV-Chefökonom Christian Helmenstein, der sich die aktiven Direktinvestitionen heimischer Unternehmen im Ausland genauer angesehen hat. Die wuchsen zwischen 2019 und 2022 gegenüber der Periode 2014 bis 2018 um das Zweieinhalbfache. "Das könnte man noch als erfolgreiche Internationalisierung werten", so Helmenstein. Wenn aber gleichzeitig die ausländischen, die sogenannten passiven, Direktinvestitionen in Österreich um rund 30 Milliarden Euro niedriger ausfallen, während der Saldo zuvor nur leicht negativ war, sei das beunruhigend: "Deindustrialisierung passiert nicht über Nacht, es ist eine schleichende Erosion, wie man sie etwa in Frankreich gesehen hat."

Die Flucht aus Österreich

Beispiele für bereits erfolgte Verlagerungen von Investitionen zu anderen Standorten gibt es Hunderte. Eine klare Strategie verfolgt Palfinger, der Salzburger Weltmarktführer bei Hebesystemen: "Wir haben bereits einige Werke am Balkan, um die Situation abfedern zu können", erklärt CEO Andreas Klauser: "Ob und wie viel wir verlagern, wird von der Kostenstruktur in Österreich abhängen. Das halten wir offen."

Profitieren könnten andere Weltregionen: Seit zwei Jahren suchen laut WKO auch immer mehr kleinere Unternehmen mit 50 oder 100 Mitarbeitern ihr Heil in osteuropäischen oder südostasiatischen Fertigungen. Die Barrieren sind dramatisch geringer geworden.

Unabhängig davon fließt oft schon zuvor Kapital ab, das dann nur in den seltensten Fällen noch zuhause investiert wird. Unternehmer berichten, dass es derzeit schwierig sei, einen Termin bei Schweizer Banken zu bekommen, weil die vom Ansturm des deutschen Mittelstandes - aber nicht nur des deutschen - überrollt werden: Es locken Steuervorteile und weniger Bürokratie. In dieses Bild passt auch, wenn Familienunternehmer wie etwa Walter Scherb, dem der Lebensmittelproduzent Spitz in Oberösterreich gehört, oder Ernst Kirchmayr, der Eigentümer der Plus City in Linz, ihren Wohnsitz nach Dubai verlegen.

Es wird wohl noch eine deutliche Nachschärfung des "Österreich-Plans" brauchen, um sie zurückzuholen.

Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 9. Februar 2024.
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