
Seit Oktober 2024 steht der 54-jährige Haimo Primas Holcim Österreich vor. Der Betriebswirt ist seit 22 Jahren für das Schweizer Unternehmen tätig und engagiert sich beim Verein CEOs for Future.
©Holcim/Thomas TopfDer heimische Zement-Marktführer Holcim kämpft gegen das schmutzige Image der Branche und will bis 2050 klimaneutral produzieren. Wie das gelingen soll, ist Teil der Diskussionen um die neue Industriestrategie der Regierung.
Im Besprechungsraum von Haimo Primas, CEO von Holcim Österreich, tickt die Uhr. Das Geräusch kommt nicht nur vom analogen Zeitmesser, der das Interieur des modernen, weiß gestalteten Büros der Holcim-Österreich-Zentrale mit Blick auf die WU Wien stilistisch durchbricht. In der Industrie, in der der Zement-Marktführer tätig ist, tickt die Uhr seit Längerem sehr vernehmbar.
Denn noch ist in Österreich die Speicherung von CO2, das unvermeidbar in der Produktion des Baustoffs entsteht, verboten. Um bis zum Auslaufen der Gratis-CO2-Zertifikate 2034 die Speichermöglichkeiten aufgestellt zu haben, muss in den kommenden Monaten das Verbot fallen, fordert der Betriebswirt: „Wenn wir das nicht schaffen, werden wir von anderen Ländern überholt werden.“ Nachsatz: „Wenn es bei uns noch keine Klarheit gibt, wann eine Investition möglich ist, wird der Eigentümer anderswo investieren.“
Holcim Österreich ist die Tochter des Schweizer Beton- und Zementriesen. In Österreich werden 350 Mitarbeiter:innen beschäftigt, das größte Zementwerk des Landes im niederösterreichischen Mannersdorf und ein Werk im südsteirischen Retznei betrieben. 2024 hat Holcim Österreich einen Umsatz von 197 Millionen Euro und ein Ebit von 47 Millionen Euro erzielt. Primas hat 2003 als Werkskontrolleur begonnen, seit einem Jahr steht er als CEO vor.
Ohne CO₂-Speichergesetz keine Investitionen
Mit einem Ausstoß von rund einem Prozent der österreichweiten CO2-Emissionen ist Holcim nach der Voestalpine (rund 13 Prozent) einer der großen Emittenten der heimischen Industrie. Es will und muss dekarbonisieren und plant, dafür sogar 500 Millionen Euro in die Hand zu nehmen. Aber es kann nicht, weil es nicht darf.
Bis Ende des Jahres will die Regierung eine Industriestrategie formuliert haben. Dabei wird auch an der CO2-Speicherung gefeilt, die im Regierungsprogramm festgeschrieben ist. Primas ist bei der Ausarbeitung involviert: „Die Botschaft hat die Politik verstanden. Das Timing und die Geschwindigkeit sind aber ausschlaggebend.“ Bis Ende 2025 will das zuständige Finanzministerium klarstellen, ab wann das Verbot aufgehoben ist.
Investitionen am Standort sind ohne gesetzliche Rahmenbedingungen bei Holcim aufs Wartegleis gestellt. „Es ist ein Henne-Ei-Problem. Wir brauchen zuerst das Gesetz, das die Speicherung erlaubt. Dann können wir Geld investieren und uns die Felder gemeinsam mit einem Partner anschauen. Danach kann ein Pipeline-Betreiber in eine Pipeline investieren“, anders funktioniere das nicht, betont der Steirer, der zwei Kilometer vom Werk in Retznei aufgewachsen ist.
Neue Technologien sollen Emissionen senken
Zwei Drittel der CO2-Emissionen der Zementproduktion entstehen bei der chemischen Umwandlung von Kalkstein, bei der im Prozess CO2 freigesetzt wird und der Klinker entsteht. Dieser Anteil kann nicht gänzlich ersetzt und damit emissionsfrei werden. Holcim pocht deshalb auf Speichermöglichkeiten, versucht aber, zusätzlich den Klinker-Anteil zu reduzieren. Mittlerweile hat Holcim einen neuen Zement am Markt, der den Klinkeranteil durch den Einsatz von Ersatzrohstoffen aus der Kreislaufwirtschaft auf 50 Prozent senkt. Damit können die Emissionen um 17 Prozent auf den Kubikmeter Beton reduziert werden, rechnet Primas vor. Noch ist die Produktion kostenintensiv und das Produkt dementsprechend teurer als herkömmliche Baustoffe. Beim übrigen Drittel der CO2-Emissionen, die auf den Brennprozess entfallen, stellt Holcim seine Energieversorgung um. Der Standort in Retznei wird nur mehr an sieben Tagen im Jahr mit fossiler Energie betrieben. In Mannersdorf beläuft sich der Anteil von Ersatzbrennstoffen auf 85 Prozent.
Zementbranche ringt um Klimastrategie
In Österreich gibt es acht Zementwerke, die versuchen, das in Zeiten der Klimakrise schmutzige Image der Industrie loszuwerden. Nicht alle setzen im gleichen Maße auf die CO2-Speicherung wie Holcim. Ob dies einen strategischen oder wirtschaftlichen Hintergund hat – die CO2-Speicherung ist ein kostenintesives Unterfangen –, bleibt offen.
Beim Alpacem-Zementwerk im Kärntner Wietersdorf versucht man, den Klinkeranteil im fertigen Produkt durch alternative Zumahlstoffe zu ersetzen. 50 Millionen Euro werden dafür in Kärnten investiert, bis 2035 will Alpacem CO2-neutral produzieren. Beim oberösterreichischen Kirchdorfer Zementwerk Hofmann setzt man auf Alternativen zu fossilen Brennstoffen und beobachte die Entwicklungen bezüglich der CO2-Speicherung. Erste Erfolge gibt es bei der Dekarbonisierung mittlerweile: Laut der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie, der Primas als Präsident vorsteht, sind die CO2-Emissionen der Industrie 2024 um 7,0 Prozent auf 2,082 Millionen Tonnen gesunken.
Im Sinkflug befindet sich aber der Inlandsmarkt. Dieser ist durch die strauchelnde Bauwirtschaft zuletzt stark abgefallen. Der heimische Markt ist 2023 um 17 Prozent, 2024 um zehn Prozent zurückgegangen. Anders das Exportgeschäft: Dieses Geschäftsfeld wächst.
Zementindustrie steht vor Umbruch
Der Schweizer Zementriese hat in den vergangenen zehn Jahren knapp 100 Millionen Euro in Energieeffizienz und Dekarbonisierung seiner österreichischen Standorte investiert. „Es ist ein Businessmodell. Weniger Kohle, weniger Koks, weniger Öl macht Sinn aus Kosten-, aus CO2-und auch aus Abhängigkeitsgründen“, argumentiert Primas, der sich bei der Plattform CEOs for Future einbringt. In dem Verein haben sich 100 Topmanager:innen österreichischer Unternehmen zur Förderung und Beschleunigung der nachhaltigen Transformation zusammengeschlossen.
Im Umbau ist auch die Zementindustrie. Das alte Geschäftsmodell ist nicht mehr zu erhalten. Die Branche wird sich in den kommenden Jahrzehnten massiv wandeln, ist der Holcim-CEO überzeugt. „Es braucht Alternativen, und die sehen wir bisher noch nicht. Holcim wird nach wie vor CO2 emittieren.“ Stehen bleiben darf die Uhr also jedenfalls nicht.
Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 10. Oktober 2025 erschienen.
