
Auf die ÖBAG-Bilanz ist Vorständin Edith Hlawati stolz, würde aber gerne mehr zur Standortqualität beitragen, so die Politik sie ließe. Sie schlägt neue Finanzierungswege für Zukunftstechnologien vor.
Mit der neuen Regierung wechselte die ÖBAG vom Finanz- ins Wirtschaftsministerium. Bekommt sie dadurch eine offensivere industriepolitische Rolle?
Lassen Sie mich zuvor noch etwas zu unserer bisherigen Bilanz sagen. Wir haben nicht nur einen neuen Eigentümer, sondern auch geopolitische Spannungen und das dritte Jahr Rezession in Österreich. Die Message der ÖBAG war, in der für die Industrie schwierigen Zeit Ruhe zu bewahren. Und das war richtig, wie sich an objektiven Zahlen messen lässt. Wir schütten heuer zum dritten Mal in Folge weit über einer Milliarde Euro Dividende für das Budget aus, konkret rund 1,4 Milliarden. Nur zum Vergleich: Bei der Vorgängerorganisation ÖBIB waren es 2018 noch 270 Millionen. Zweitens ist unser Portfoliowert auch gegen Trends immer konstant zwischen 30 und 32 Milliarden Euro gelegen. Die ÖBAG hat ihre Rolle also gut erfüllt.
Zwischenfrage zur Dividende: Was ist mit Ihrem Wunsch einer Zweckwidmung zur Stärkung des Standorts, anstatt sie ins allgemeine Budget abzuliefern?
Im Moment ist das nicht realistisch. Für die Budgetkonsolidierung wird jeder Eurocent gebraucht. Ich wollte damit aufzeigen, dass man mit einer Zweckwidmung Investitionen in Zukunftsthemen finanzieren könnte. Das muss am Radar bleiben.
Gibt es Überlegungen, die ÖBAG im Rahmen einer festzulegenden industriepolitischen Strategie stärker einzubinden?
Ob und wie wird sich erst zeigen. Neue Beteiligungen sind ein Dauerthema, nach dem ich immer wieder gefragt werde. Und es ist nicht so, dass wir da nichts tun. Wir schauen uns laufend Projekte an, die an uns herangetragen werden. Eines ist bekannt, AT&S, da waren wir relativ weit. Aus bekannten Gründen ist daraus nichts geworden.
Könnte eine zweite Chance kommen?
Wir haben nichts mehr gehört. Es ist ja auch der damalige CEO der AT&S weg. Die Überlegungen des neuen Vorstandes kenne ich nicht. Unabhängig davon sitzen wir jedenfalls nicht passiv da. Aber die gesetzlichen Möglichkeiten für Neugeschäft sind beschränkt. Sanierungsfälle sind ausgeschlossen. Außer wenn wir per Regierungsauftrag als „Weißer Ritter“ bei einem standortrelevanten Unternehmen einspringen. Man muss also schon sehen, dass wir uns in einem engen Korsett bewegen. Auch die Exit-Möglichkeiten sind ja nicht so wie bei einem privaten Investor, weil ich immer einen Beschluss der Bundesregierung brauche.
Es hat sich schlicht noch keine Transaktion ergeben?
Genau, aus verschiedenen Gründen, die nicht immer beim Eigentümer liegen. Das können auch Investitionspfade sein, die wir so nicht mittragen wollen. Denn wir verwalten Geld der Steuerzahler. Wir können ja nicht wie der klassische Private-Equity-Investor auf ein paar Jahre bis zum optimalen Verkauf planen, weil wir nicht wissen, ob wir dafür dann einen einstimmigen Ministerratsbeschluss bekommen.
Müssten Sie nicht auf Gesetzesänderungen drängen?
Wir würden uns dagegen nicht wehren. Nicht nur fürs Neugeschäft, sondern auch für bestehende Beteiligungen. Denn ein aktives Portfoliomanagement wie bei anderen Staatsfonds ist uns nicht möglich. Ich kann nicht sagen, ich gehe aus einer Industrie raus, weil sie nicht passt oder ich nicht an deren Zukunft glaube – und stattdessen in einen anderen, standortrelevanten Sektor investieren. Wir dürfen – anders als etwa in Norwegen – auch nicht in Aktien oder Fonds investieren.
Was Sie ebenfalls gerne tun würden?
Ja, aber das ist eine Frage des politischen Willens. Einen Teil der Dividende zu behalten, damit Anteile zu kaufen und die Erträge daraus auszuschütten, wäre ein anderer Auftrag, als wir ihn haben – dafür braucht es das Parlament. Für den Standort würde es aus meiner Sicht viel Sinn machen, zum Beispiel mit Banken einen Fonds aufzusetzen, der zweckgewidmet ist für Infrastruktur. Damit würde man auch eine Risikostreuung erreichen, die mit Direktbeteiligungen unter den aktuellen, zu eng gefassten gesetzlichen Vorgaben nicht möglich wäre.
Dieser Fonds würde dann nur in österreichische Unternehmen mit Zukunftstechnologien investieren?
Ganz genau, vorzugsweise als Anker-Investor zusammen mit Private-Equity-Partnern. Die ÖBAG würde dadurch auch viel weniger Geld benötigen. Da ließe sich schon mit einem Betrag in Höhe der Verzinsung unserer Dividende einiges bewegen in Österreich.
Die zuweilen geäußerte Kritik, Sie würden neue Aufgaben für die ÖBAG gar nicht wollen, weisen Sie zurück?
Das ist absurd. Im Gegenteil, wir wenden wirklich viel Zeit und Mühe für diesbezügliche Überlegungen auf. Ich weiß, wir kriegen alle möglichen guten Ratschläge, was wir alles machen sollen. Aber diese Leute sollten zuerst ins Gesetz schauen. Ich stehe nicht auf der Bremse, sehe mich aber zuvorderst dem verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler verpflichtet.
Wird der Wechsel ins Wirtschaftsministerium andere strategische Weichenstellungen erleichtern?
Ich glaube schon, weil es ja auch im Regierungsprogramm steht. Es ist nicht sehr klar formuliert, aber eine aktivere Rolle bei Neuinvestitionen ist angedacht. Den politischen Willen vorausgesetzt, könnten wir zur Gestaltung von Wirtschaftspolitik, für die unser derzeitiger Eigentümer zuständig ist, beitragen. Wir hätten dafür die Ressourcen und die geeigneten Leute. Allerdings lässt das Gesetz es derzeit nicht zu.
Sind Sie in Feierlaune, weil der Vertrag zur Fusion der OMV-Tochter Borealis mit Borouge aus Abu Dhabi trotz einiger Knackpunkte kürzlich finalisiert wurde?
Die Schaffung eines 60-Milliarden-Unternehmens, eines globalen Players – der erste dieser Art und Größe in Österreich – war sicher das Highlight der letzten zwölf Monate. Gleiche Anteile und gleiche Rechte beider Partner zu erreichen, erwies sich schon als eine Herausforderung. Und dass sich während der Verhandlungen die Chance auftat, auch die kanadische Nova Chemicals bekommen zu können, war zwar ein echter Glücksfall, machte die hochkomplexe Transaktion aber nicht einfacher. Jetzt stehen noch behördliche Genehmigungen auf der ganzen Welt aus. Wir erwarten aber keine ernsthaften Probleme bei der Umsetzung.
Ab wann wäre die angekündigte Zweitnotiz des neuen Konzerns Borouge International Group an der Börse Wien realistisch?
Zuerst muss man die Zusammenführung am Börsenplatz Abu Dhabi vollziehen. Dann wird es eine weitere Kapitalerhöhung geben, bei der die Altaktionäre nicht mitziehen, um den Streubesitz von jetzt sechs auf über zehn Prozent zu erhöhen. Das ist die Voraussetzung für die Aufnahme in den MSCI-Index, die vor dem Listing in Wien erfolgen muss. Wahrscheinlich wird das in zwei Jahren kommen.
Was bringt diese Transaktion für die ÖBAG und für alle anderen OMV-Aktionäre?
Sehr viel. Für Borouge International ist ein Börsenwert von 40 Milliarden Dollar prognostiziert. Die OMV, auf die der Wert dieser riesigen Beteiligung durchschlägt, hat derzeit eine Kapitalisierung von rund 13 Milliarden.
Sie haben als Anwältin unzählige Transaktionen begleitet. Ist diese größte der heimischen Wirtschaftsgeschichte auch Ihr persönliches Highlight?
Es ist ein großer Erfolg für die OMV, und ich bin auch persönlich stolz. Es war schwierig, aber wir haben das, davon bin ich überzeugt, gut gemanagt. Wir haben das Headquarter, die Steuerhoheit sowie Forschung und Entwicklung im Land behalten. Die Borealis mit ihren Zigtausenden Patenten ist das Herzstück des neuen Konzerns. Und wir haben die Raffinerien der OMV abgesichert.
Hat sich auch die anfangs umstrittene Ausgliederung der Funkmasten der ÖBAG-Beteiligung A1 Telekom in die EuroTeleSites AG (ETS) ausgezahlt?
Und wie. Diese Spaltung war eine richtige Entscheidung und ist neben der Borealis der zweite große Erfolg. Nehmen Sie den Börsenkurs der Telekom seit Februar 2023 bis jetzt und den Kurswert der ETS. Die zwei zusammen haben den Aktionären einen Wertzuwachs von über drei Milliarden Euro gebracht. Auf das Portfolio der ÖBAG allein entfallen rund 900 Millionen.
Wie steht es um die anderen ÖBAG-Beteiligungen? Dem Verbund brummt die Regierung wieder eine hohe Energieabgabe auf …
Der Verbund ist damit nicht allein. Auch die BIG (Bundesimmobiliengesellschaft, Anm.) ist betroffen, wenn die Mieten für die nächsten Jahre eingefroren werden. Noch mehr die Casinos Austria AG durch die Erhöhung der Glücksspielsteuer. Das schmälert bei allen drei Unternehmen die Ertragsbasis und wird sich auf die Dividenden auswirken. Und es kann auch Auswirkungen auf die Investitionen in den dringend nötigen Ausbau der Stromnetze bzw. in öffentliche Gebäude wie Schulen haben. Die BIG will in den nächsten Jahren zwei Milliarden Euro in die Modernisierung öffentlicher Gebäude investieren. Da werden wir reduzieren müssen. Bei den Casinos reden wir noch gar nicht von Investitionen, da geht es um ein Einsparungsprogramm.
Ist das für den Standort in Summe kontraproduktiv?
Es sind Zielkonflikte. Ich kann das Geld nicht zweimal ausgeben. Wir können nur sehr genau aufzeigen, was gewisse Maßnahmen in Zahlen bedeuten und dass manche nicht den erwarteten Effekt fürs Budget haben. Das ist sehr hilfreich in Verhandlungen. Zum Zweiten können wir intelligente Alternativen vorschlagen, die am Ende genauso Steuererträge bringen, ohne die Ergebnisse der Unternehmen zu schmälern, zum Beispiel indem die Regulierung der Casinos AG mehr Lotto-Ziehungen erlaubt.
Casinos-Chef van Lambaart drohte schon mit der Schließung von Standorten. Ein realistisches Szenario?
Wie es am Anfang aussah, hätte das passieren können. Aber wir waren in der Zwischenzeit nicht untätig – so schlimm wird es nun nicht. Aber dass die Casino-Lizenzen noch nicht ausgeschrieben wurden, ist eine große Belastung. Das ist ein langwieriger Prozess, und wenn es schlecht läuft, stehen wir 2027 ohne Lizenzen da.
Kurz noch zur Post: Deren Kerngeschäft ist stabil, aber wie lange wird die Mehrheitseigentümerin noch dem Trauerspiel der bank99 zuschauen?
Es ist kein Trauerspiel. Die Bank hatte einen schwierigen Start mitten in Covid. Schlechter hätte man es kaum erwischen können. Die Übernahme der österreichischen ING-Kunden war ein guter Schritt. Die bank99 erwartet sogar früher als geplant den Break-even. Sie ist wichtig für die Filialen und auch für die Strategie der Post, mit ihren Services näher an den Kunden zu rücken. So viele Berührungen mit Kunden haben sonst nur die Lebensmittelketten. Die Bank hat schon eine Berechtigung, und vielleicht helfen weitere Konsolidierungen in Österreich beim künftigen Wachstum.
Kommen wir noch einmal zur Strategie für die Industrie zurück. Welche Eckpfeiler müsste eine solche unabhängig von der ÖBAG enthalten?
Auf jeden Fall die Klassiker: Lohnkosten und vor allem Lohnnebenkosten runter, Entbürokratisierung, Aufhören mit Gold-Plating, sprich Regularien über dem EU-Standard. Man muss bei den Energiekosten reagieren, was nicht leicht ist: Wir haben unsere Wasserkraft, aber ansonsten sind wir bei Gas und Strompreisen bis zur Atomenergie abhängig vom Ausland. Deswegen sind Energiekostenzuschüsse ein großes Anliegen. Auch die Senkung des hohen Steueranteils auf Energie hätten wir selbst in der Hand – je nach Rechenart mehr als 50 Prozent bis zu zwei Drittel. Gleichzeitig müssen Investitionen in den Energiebereich kommen. Wenn ich den Netzausbau nicht zulasse oder für die Unternehmen erschwere, wird das nicht funktionieren. Siehe das Blackout in Spanien.
Niedrigere Steuern bzw. Abgaben zugunsten von Investitionen wird es derzeit eher nicht spielen …
Aber das wäre ein Hebel, der sofort wirkt. Mir ist schon klar, dass Geld fürs Budget von irgendwo kommen muss. Aber das ist einer der ganz sensitiven Punkte, den eine Industriestrategie abbilden muss. An neuen Stromnetzen von Verbund führt kein Weg vorbei. Und wenn es für Schul- und Universitätsgebäude der BIG kein Geld gibt, dann sind die gescheiten Leute, die sich mit Zukunftsthemen beschäftigen, bald weg bzw. kommen erst gar nicht.
Sollte sich nicht auch die ÖBAG viel stärker mit Zukunftsthemen beschäftigen, statt nur Beteiligungen zu verwalten?
Das tun wir schon. Wie haben als Holding begonnen, Forschung und Entwicklung zentral organisiert zu bearbeiten. Wir strukturieren den Austausch unserer Portfoliounternehmen mit Universitäten, vor allem bei Themen wie Artificial Intelligence, mit denen sich alle befassen müssen. Wir sind in Österreich bei AI generell weit hinten und könnten in Produktionsabläufen, Logistik und Warenbeschaffung bis zu 40 Prozent kosteneffizienter werden. Da versuchen wir, systematisiert Fortschritte auf Schiene zu bringen. Die Cloud ist ebenfalls ein Thema für alle unsere Beteiligungen, weil wir keine europäische Cloud haben und von den USA abhängen. Das wird immer problematischer. Laut US-Gesetzgebung sind die Cloud-Provider ja verpflichtet, Daten weiterzugeben – auch die europäischer Unternehmen. Sie können jederzeit angezapft werden.
Ein wohl nur auf europäischer Ebene lösbares Problem, oder?
Das stimmt, weil es sehr kostenintensiv ist. Aber wir können schon was beitragen. Die A1 Telekom beschäftigt sich damit intensiv und ist bei Cloud-Technologien sehr weit. Erwähnen möchte ich noch ein ganz anderes Projekt, an dem mir viel liegt: Towers of the Future. Da wird zusammen mit der TU Wien an Mobilfunktürmen ohne Stahl und ohne Beton gearbeitet. Kooperationen dieser Art bei Forschung und Entwicklung fördert die ÖBAG jetzt verstärkt. Unsere Unternehmen freuen sich, dass sie gescheite Leute kriegen. Die Unis freuen sich, dass sie hochwertige Praktika anbieten können. Wir müssen hierzulande unbedingt mehr in die jungen Talente investieren.
Das würde auch für Start-ups gelten, wo sich die ÖBAG aber nicht engagiert …
Weil sie das falsche Vehikel ist. Aber Österreich könnte verschiedene Wege finden, um mehr Mittel aufzubringen, damit Start-ups nicht nach Kalifornien abwandern oder von sonstigen ausländischen Private-EquityInvestoren aufgekauft werden, weil es an der Finanzierung fehlt. Gäbe es etwa einen Fonds für Scale-ups, könnte die ÖBAG sehr wohl mitmachen – falls die Regierung es ihr erlaubt.
Ihr Vertrag läuft noch knapp zwei Jahre. Werden Sie den unter der neuen politischen Konstellation erfüllen?
Von meiner Seite ja. Ich habe noch einiges vor – nicht nur Krisenmanagement wie in den beiden ersten Jahren. Das hat schon Kraft gekostet. Jetzt läuft’s richtig, und die Zukunftsprojekte machen große Freude.
Gibt es Signale für eine vorzeitige Ablöse?
Also mir würde man das wahrscheinlich als Allerletzter sagen.
Realistischer ist, dass die SPÖ einen zweiten Vorstand haben möchte, was Sie wohl auch nicht freuen würde, oder?
Diese Gerüchte sind mir nicht neu. Ich glaube, wir haben seit drei Jahren mit einer kleinen Mannschaft untadelige Arbeit gemacht. Die Strukturen funktionieren, und wir haben Ruhe reingebracht, das war ja meine Kernauftrag vom Aufsichtsrat. Keines unserer Portfoliounternehmen hat jemals besser performt als jetzt. Sehr viel mehr kann man nicht verlangen. Aber wenn, muss der Aufsichtsrat beurteilen, ob es für 25 Leute einen zweiten Vorstand braucht.
Sie waren immer stolz darauf, dass Sie die ÖBAG aus politischen Diskussionen raushalten konnten. Sind Sie zuversichtlich, dass es in der neuen Dreierkoalition so bleiben wird?
Ich gehe davon aus. Und ja, ich bin stolz darauf, dass es gelungen ist, Partei- und persönliche Interessen immer außen vor zu lassen. Seit 2022 wurden 74 Aufsichtsratspositionen besetzt und 29 Vorstände bzw. Geschäftsführer neu bestellt oder verlängert – ohne einen einzigen öffentlichen Wirbel. Das ist schon ein Unterschied zu vergangenen Zeiten.
Das Interview ist im trend.PREMIUM vom 23. Mai 2025 erschienen.