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Die neue Patientenmacht

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Kritische Onlinebewertungen sind eine bittere Pille für viele Ärztinnen und Ärzte und können die Reputation schädigen. Experten raten, das Netz im Blick zu behalten, den Dialog zu suchen und sich auch zu wehren.

Sie sagte, dass ihr die Zeit zu wertvoll ist, um mir beim Weinen zuzusehen. So etwas Unsensibles habe ich schon lange nicht mehr erlebt. (…) Vollkommen unseriöse Aussagen machen die menschliche Seite dieses Arztes zum Albtraum jedes schwer kranken Patienten. (…) Schlechtester Service seit Langem. Ich fasse es nicht, dass man so abgewimmelt wird, ich benötigte Hilfe und bekam sie nicht. Und das nach zweistündiger Anreise.“ – das sind Auszüge von Online-Bewertungen, die drei unterschiedliche Fachärzte betreffen. 

Wo endet die Meinungsäußerungsfreiheit, und wo beginnt die Rufschädigung? Keine leichte Diagnose – selbst für die auf Medienrecht spezialisierte Anwältin Maria Windhager. „Ärzt:innen müssen sich heute viel mehr Kritik als früher gefallen lassen, das muss man in dieser Deutlichkeit leider sagen. Die Meinungsäußerungsfreiheit deckt viel ab.“ Das legt auch die Klage einer Wiener Ärztin nahe, die über mehrere Instanzen ging und die der Oberste Gerichtshof vor zwei Jahren schließlich abwies.

Mehr Menschen als früher nehmen sich dieses Recht, und manche reizen es bis an die Grenze aus, manche gehen auch darüber hinaus. Es kommt nicht nur vor Ort in Ordinationen und Krankenhäusern vermehrt zu psychischer und physischer Gewalt. Patient:innen teilen ihren Unmut öffentlich in den sozialen Netzwerken, in der Regel anonym. Bewertungen werden da zu Abrechnungen mit mitunter recht rauen Tönen.

Auf emotionale oder unsachliche Bewertungen sollte adäquat, aber keinesfalls aggressiv oder beleidigt reagiert werden.

MARIA WINDHAGERRechtsanwältin
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In einer Umfrage der Wiener Ärztekammer unter 1.100 Ärzt:innen gaben von den niedergelassenen Ärzt:innen 58 Prozent an, ungerechtfertigte oder negative Bewertungen im Netz erhalten zu haben. Zwölf Prozent sogar „häufig“ und 16 Prozent „immer wieder“. Mehr als jede zweite Ordination waren schon mit untergriffigen Kommentaren konfrontiert. Neun Prozent der Befragten haben schon einmal den Klagsweg bestritten. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass die Wiener Ärztekammer Unterstützung in diesen Belangen gibt und eine Ombudsstelle eingerichtet hat, juristisch beraten von Windhager. 

Die Anwältin rät, sich diesen digitalen Entwicklungen nicht zu verschließen: „Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der es für viele Menschen mittlerweile selbstverständlich ist, zu bewerten, und diese Bewertungen tragen für viele andere zur Entscheidungsfindung bei.“

Ärzt:innen, aber natürlich auch andere Gesundheitsdienstleister sollten im Blick haben, was im Netz über sie gesagt wird. „Sich dieser Onlinewelt zu verschließen, ist keine adäquate Reaktion. Auf emotionale oder unsachliche Bewertungen sollte keinesfalls aggressiv oder beleidigt reagiert werden. Am Ende des Tages ist hier Krisenkommunikation gefragt, etwas, mit dem sich viele Unternehmen und auch Ärzt:innen noch schwertun.“ Und, so Windhager weiter, „sich auch für negative Kritik zu bedanken und darauf zu reagieren, ist professionell“ Tipps für die richtige Vorgangsweise finden Sie im Kasten). 

Rezepte für die eigene Reputation

GRATWANDERUNG.

Tatsächlich betreiben immer mehr Ärzt:innen diese Kommunikation auch aktiv, vor allem auch jüngere Mediziner:innen, die sich erst einen Patientenstamm aufbauen. Gerhard Timmel, Geschäftsführer von Docfinder, einem Anbieter für Ärztesuche und Praxismarketing, berichtet von rückläufigen Löschbegehren auf seiner Plattform. „Die Kommentarfunktion wird von manchen Ärzt:innen sehr aktiv genutzt, insgesamt aber noch zu selten“, sagt Timmel, „doch erkennen immer mehr den Mehrwert, aktiv auf Bewertungen zu reagieren.“ 

Auffallend sind im Netz aber nicht nur negative Kommentare, sondern auch das Gegenteil. Bei Ärzt:innen mit ausnahmslos Fünf-Sterne-Bewertungen und preisender wie inhaltsleerer Bewertungsprosa liegt der Verdacht nahe, dass sie es mit dem Reputationsmanagement übertreiben. Ein Verbot, Patient:innen um Bewertungen zu bitten, gibt es seitens der Kammer nicht. Honorarrabatte für Bewertungen sind rechtlich aber nicht erlaubt. Dasselbe gilt für marktschreierisches Auftreten oder Hinweise auf medizinische Exklusivität.

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