
Schöne Haut boomt, der Hype auf Social Media belebt auch die heimische Wirtschaft. Kerstin Ortlechner surft mit Sinn für Ästhetik und einem Gespür für Social Media geschickt auf dieser Erfolgswelle.
Glatte Oberflächen, clean und reduziert. Eine Innenarchitektur wie aus dem Instagram-Feed einer High-Class-Influencerin. Die zwei riesigen silbernen Würfel in der Mitte des Raums sind nicht Teil eines futuristischen Kunstprojekt, sondern dienen als Behandlungsräume. Der ebenso silbern glänzende Empfangstisch wirkt fast wie ein Altar. Statt einer Segnung gibt es hier Hautarzt-Termine.
Hätte die Kirche St. Josef in Wien-Neubau einen ähnlich großen Zustrom gehabt wie die umfunktionierte Hautarzt-Praxis, hätte das heilige Haus wohl nie schließen müssen. An die Kirche erinnern heute nur mehr das spitz zulaufende Dach und der Hall, wenn leise Popmusik erklingt. Statt Kirchgängern pilgern heute Beauty-Enthusiasten und Skincare-Liebhaberinnen in die Ordination von Kerstin Ortlechner.
Gut fünf Monate muss man warten, um bei ihr einen Termin zu bekommen, bekannte Stars und Influencer:innen sind mit ihr per Du. Die extravagante Innenarchitektur ihrer Praxis trägt sicher zum Erfolg der Ärztin bei. Aber nicht nur: Ortlechner ist nicht nur Ärztin, sondern auch geschickte Unternehmerin in einer boomenden Branche.
Zwischen Fakten und Verkaufs-Schmäh.
Die Schönheitsindustrie wächst jährlich, auch in Österreich. 2018 gab es noch 810 Dermatolog:innen in Österreich, 989 waren es 2023. Laut McKinsey und dem Euromonitor stieg der globale Verkauf von Beauty-Produkten 2023 auf 446 Milliarden Dollar – das sind um zehn Prozent mehr als noch 2022. Die Analyse von McKinsey prognostiziert bis 2028 ein weltweites jährliches Wachstum von sechs Prozent. Eine Entwicklung, die auch Ortlechner bemerkt: In ihrem Anfangsjahr 2019 hatte Ortlechner noch 200 Patient:innen, heute sind es gut 5.000. Von 2023 auf 2024 stieg der Umsatz ihrer Praxis um 30 bis 40 Prozent.
Das weltweite Wachstum der Beauty-Industrie kommt nicht von ungefähr: Influencer:innen und Hollywood-Stars werben mit Produkten und versprechen glasklare Haut, auch wenn das Produkt medizinisch gar nicht dazu in der Lage ist. Marketing-Schmähs, die aber mächtig Geld bringen.
Mediziner:innen kritisieren die leeren Versprechen der Kosmetikindustrie auch auf Social Media und betreiben wissenschaftliche Aufklärung. Die US-amerikanische Dermatologin Sandra Lee, man kennt sie als „Dr. Pimple Popper“, war eine der Ersten, die sich als Ärzt:innen in die sozialen Medien trauten. Auf YouTube schauen ihr regelmäßig Hunderttausende zu, wie sie Mitesser entfernt oder riesige Zysten entfernt. Ein befriedigendes Gefühl für viele Zuseher:innen, für Ärzt:innen ein gutes Mittel, um mehr Menschen über medizinische Fakten aufzuklären.
Doctor Skinfluencer.
Auch Ortlechners Anpruch ist es, auf Social Media Wissen zu vermitteln. Als sie mit Instagram begann, rümpften Mediziner:innen in Österreich noch die Nase ob der Rolle als seriöse Ärztin auf einer vermeintlich seichten Foto-App. Ortlechner ist da entspannter: In Videos auf Instagram erklärt sie in Social-Media-Manier im Hochformat mit Untertiteln und schnellen Schnitten, wie man trockene Hände im Winter vermeidet oder Beine richtig pflegt. Die Kacheln ihres Instagram-Profils wirken wie eine kuratierte Foto-Ausstellung, die immer einem bestimmten neutralen Farbschma entspricht: egal, ob Selfies, edle Mode oder Persönliches aus ihrem Alltag mit Ehemann und Ex-Fußballer Manuel Ortlecher und dem gemeinsamen Sohn. Auch Influencer:innen zeigen sich gern mit ihr: Schon früh teilte Ortlechner in reichweitenstarken Podcasts ihre Expertise zum Thema Haut.
Der Besuch beim Hautarzt ist für viele keine Fahrt ins Unbekannte mehr. Von Botox-Behandlung bis Akne-Therapie – Influencer:innen nehmen ihre Follower:innen zum Besuch bei ihrer Ärztin mit. Mediziner:innen wie Ortlechner sind keine Götter in Weiß mehr, sondern wie gute Bekannte mit einem Doktortitel.
Natürlich Nachgeholfen.
Ihre außergewöhnliche Praxis, die extravagante Eröffnungsfeier mit Dompfarrer Toni Faber, der die Praxis segnete, die stilvollen Outfits, perfekt auf das Erscheinungsbild ihrer Praxis abgestimmt: Ganz schön schön, ganz schön luxuriös.
Menschen mit österreichischem Hang zum Understatement könnten Ortlechner Oberflächlichkeit unterstellen. Ein Attribut, das ihr aber nicht zusteht. „Ich bin immer zu 100 Prozent ich, ich bin zu 100 Prozent authentisch und loyal geblieben“, betont die 42-Jährige. Das glaubt man ihr auch, wenn sie einen ungeschminkt und mit weitem Pulli in ihrer Praxis begrüßt. Mit ihr ist man schnell per Kerstin. Ihren oberösterreichischen Dialekt hat sie sich erhalten, aufgewachsen ist sie auf einem Bauernhof. Gerne betont sie, wie wichtig ihr es ist, nicht abzuheben.
Ortlechner fällt trotzdem auf, auch den großen Medienhäuser: Magazine wie die deutsche „Vogue“ oder „GQ“ vertrauen auf ihre Expertise – back to the roots quasi, denn ihr Medizinstudium in Innsbruck finanzierte sich Ortlechner zum Teil mit Modeljobs.
Auch ihr Engagement als Botschafterin für L’Oréal mag zu ihrer großen Medienpräsenz beitragen. In dieser Rolle übersetzt sie der Öffentlichkeit Fakten zu den medizinischen Produkten des Kosmetik-Konzerns. Ortlechner bleibt so up to date mit den neuesten Erkenntnissen der ästhetischen Medizin und Dermatologie.
Authentizität ist sicher ein wichtiger Faktor für einen reichweitenstarken Social-Media-Auftritt. Das weiß auch Ortlechner: Mit 30.000 Follower:innen ist die Ärztin im deutschsprachigen Raum eine der bekanntesten Ärzt:innen. Trotz ihrer Popularität auf den sozialen Medien sieht sie die unrealistischen Schönheitsstandards, die dort propagiert werden, kritisch. „Junge Frauen kommen wegen drei Pickelchen in meine Praxis und wollen sich gegen Akne behandeln lassen. Die sozialen Medien tragen sicher zu einem unrealistischen Schönheitbild bei.“ Manche Patient:innen nimmt Ortlechner erst gar nicht an, wenn sie das Gefühl hat, diese kommen aus den falschen Gründen.
Für Ortlechner gilt: Weniger ist mehr. Nicht umsonst wird ihre Behandlung „Ortlechner-Touch“ genannt – das bedeutet nichts anderes, als dass es ihr wichtig ist, so natürliche Ergebnisse wie möglich zu erzielen. Ortlechner beweist, dass die perfekt inszenierte Social-Media-Welt und ein entspannter Zugang zur eigenen Schönheit und zum Altern gleichzeitig existieren können. Eine Philosophie, mit der sie auf jeden Fall viele Patient:innen abholt.