
Mit hohen Investitionen sorgt die Pharmabranche für die Versorgungssicherheit von Patientinnen und Patienten. Österreichs Produzenten erwirtschaften sogar einen Außenhandelsüberschuss. Doch die Drohung der USA, hohe Zölle einzuführen, und die heimische Bürokratie sorgen für Gegenwind.
Die Erinnerungen sind noch recht frisch: Anfang 2024 – die Corona-Welle war längst abgeebbt – meldete das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen eine Knappheit bei 539 Medikamenten. Diese seien nicht oder nur eingeschränkt lieferbar – immerhin 2,7 Prozent aller hierzulande zugelassenen Arzneimittel. Tatsächlich dürfte der Engpass etwas weniger dramatisch ausgefallen sein, da hier auch unterschiedliche Packungsgrößen berücksichtigt wurden, doch Lieferschwierigkeiten bei speziellen Antibiotika können für bestimmte Patientengruppen zu einem veritablen Gesundheitsproblem werden. Einmal mehr rückte das Problem der Abhängigkeit europäischer Staaten von Pharmaimporten ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit.
Kein Wunder also, dass sich der von Sandoz jährlich veröffentlichte „Austrian Health Report“ in seiner jüngsten Ausgabe dem Thema heimische Erzeugung widmet. 86 Prozent der Teilnehmer an einer von IFES im Sommer 2025 durchgeführten Umfrage bezeichnen darin die Produktion von Medikamenten in Österreich als „wichtiges Anliegen“. Wenn es um Lieferengpässe für unterschiedliche Güter geht, so fühlen sich 64 Prozent der Befragten durch einen Versorgungsengpass bei Medikamenten bedroht. Sogar Engpässe bei Erdöl oder Lebensmitteln werden als weniger bedrohlich wahrgenommen. Bei Medikamenten rechnen hingegen 52 Prozent der Österreicher mit einer Knappheit.
Tatsächlich ist Österreich im Pharmabereich von Importen abhängig. Diese beliefen sich 2022 (jüngere Zahlen liegen der Pharmig, der Interessenvertretung der Pharmaindustrie, nicht vor) auf rund 12,6 Milliarden Euro. Doch die Exporte erreichten 13,72 Milliarden. Somit entlastete der Pharmasektor mit einem Überschuss von rund 1,1 Milliarden Euro die Handelsbilanz deutlich.
MADE IN AUSTRIA.
Humanmedizinische und veterinärmedizinische Produkte, Verpackungslösungen wie Spritzen – die Palette der in Österreich hergestellten pharmazeutischen Produkte ist breit. Insgesamt listet die Pharmig 22 Produktionsstandorte in ganz Österreich auf, vom äußersten Westen – Vetter Development Services betreibt als Tochter eines mittelständischen deutschen Pharmaunternehmens eine Produktionsstätte im Vorarlberger Städtchen Rankweil – bis nach Orth an der Donau, dem östlichsten Produktionsstandort, wo eine Niederlassung des US-Pharmariesen Pfizer beheimatet ist.
Mit einem von Pfizer in Orth hergestellten Produkt haben vermutlich schon viele Österreicher Bekanntschaft gemacht: der Impfung gegen das von Zecken übertragen FSME-Virus. Am 1. Dezember 2014 startete die Herstellung von Impfstoffen. Seither haben mehr als 140 Millionen Wirkstoffdosen an FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) und Meningitis-C-Impfstoff das Werk verlassen. Zudem werden seit 2021 Plasmide, spezielle DNA-Moleküle für die Entwicklung neuer mRNA-Impfstoffe, in Orth hergestellt.
Unter anderem die geografische Nähe zu Deutschland war ausschlaggebend für die Eröffnung des westlichsten Pharmastandortes Österreichs. In Rankweil arbeiten 60 Beschäftigte für das deutsche Pharmaunternehmen Vetter. „Mit nur einer Autostunde vom Hauptsitz in Ravensburg entfernt, konnten wir unseren österreichischen Standort erfolgreich in unseren bestehenden Geschäftsablauf integrieren“, so Vetter-Geschäftsführer Henryk Badack: „Wir sind mit der Entwicklung des Standortes sehr zufrieden und engagieren uns mit unseren mittlerweile rund 100 Mitarbeitenden dafür, die Lebensqualität für Patienten weiter zu verbessern.“
Am 10.000 Quadratmeter großen Standort Rankweil stellt Vetter seit dem Jahr 2022 mit anfangs 40 Mitarbeitenden kleine Mengen innovativer Medikamente für klinische Studien von Pharma und Biotechunternehmen her. Nach erfolgreicher Zulassung werden diese in hoher Stückzahl an den Standorten in Ravensburg und Langenargen in der Region Bodensee-Oberschwaben produziert.
INVESTITIONSSCHUB.
Dass Österreich als Standort für internationale Konzerne interessant ist, zeigen jüngste Investitionspläne. So verkündete Roland Fabris, Leiter der Linzer Produktionsstätte des japanischen Takeda-Konzerns, kürzlich anlässlich des 70-jährigen Bestehens von Takeda Linz, das Unternehmen werde bis 2028 100 Millionen Euro in den Standort investieren. Von Linz aus liefert Takeda Medikamente in mehr als 75 Länder, einige davon für seltene Erkrankungen. Der Linzer Standort wird auch in der japanischen Konzernzentrale geschätzt: Die Japaner verliehen ihrer rot-weiß-roten Niederlassung vergangenes Jahr den intern vergebenen „Facility of the Year Award“, der üblicherweise nach Japan oder Kalifornien geht.
Ebenfalls in Oberösterreich hat das in Wels beheimatete österreichische Pharmaunternehmen Richter Pharma investiert. Um 35 Millionen entstand in Wels eine Produktionsstätte des Tochterunternehmens VetViva Richter, das Medikamente für die Veterinärmedizin erzeugt. Auf der Kundenliste der Welser stehen Abnehmer aus 50 Ländern.


Andreas Prinz, Geschäftsführer von Croma-Pharma, schafft mit dem im niederösterreichischen Leobendorf beheimateten Unternehmen einen Exportanteil von 98 Prozent.
© CromaEXPORTOFFENSIVE.
Zu den am stärksten exportorientierten heimischen Pharmaerzeugern zählt die im niederösterreichischen Leobendorf beheimatete Croma-Pharma: 98 Prozent der Produktion gehen ins Ausland. Das mittelständische Unternehmen konnte auch als erstes eine FDA-Zulassung erreichen. Wer Pharmaprodukte in die USA exportieren will, muss sich der überaus komplizierten Zulassungsprozedur durch die U.S. Federal Food and Drug Administration (FDA) unterziehen.
Schwerpunkt der Croma-Palette sind Produkte für die minimalinvasive ästhetische Medizin, also Botulinumtoxin und Hyaluronsäure-Filler. Wie aufwendig es ist, Medikamente zu exportieren, beschreibt Croma-Geschäftsführer Andreas Prinz: „Wir produzieren ein aus Korea lizenziertes Botulinum-Toxin namens Letybo, für das wir die Zulassung in Europa und jetzt auch in den USA erreicht haben. Wir haben mit einem Kostenaufwand von 70 Millionen Euro drei Zulassungsstudien mit 1.200 Patientinnen durchgeführt.“
Dem sensiblen Thema Antibiotika widmet sich Sandoz mit einer Produktionsstätte in Kundl. Diese wurde im vergangenen Jahr mit einem Kostenaufwand von 50 Millionen erweitert. Ziel ist die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Antibiotika, die zur Gänze in Europa hergestellt werden und die damit die Abhängigkeit bei diesem lebenswichtigen Medikament von Asien verringern. Mit der zusätzlichen Produktionsfläche von 3.000 Quadratmetern kann Sandoz in Kundl jährlich 240 Millionen Verpackungen herstellen.
In den Bereich Biopharmaka investiert der in Basel beheimatete Phramakonzern Novartis in Österreich. „Innovative Biopharmazeutika eröffnen neue Möglichkeiten in der Medizin, wo klassische Medikamente und Therapien an ihre Grenzen stoßen. Sie bieten neue Therapiemöglichkeiten für eine Vielzahl von onkologischen, kardiovaskulären und immunologischen Erkrankungen. Unsere Standorte Kundl und Schaftenau gehören zu den innovativen Produktionsstandorten von Novartis in Europa“, unterstreicht Steffen Lang, President Novartis Operations, die Bedeutung des österreichischen Standorts.
Der Schweizer Pharmakonzern investiert 250 Millionen Euro in zwei neue Zellkulturanlagen an den langjährigen Tiroler Standorten Kundl und Schaftenau. Letztere nimmt mit zusätzlichen 165 Arbeitsplätzen dieser Tage die Produktion auf.
Bereits seit 1948 ist Boehringer Ingelheim mit einer Tochtergesellschaft in Österreich vertreten. 2021 wurde in Meidling mit einer Investition von mehr als 700 Millionen Euro die Produktion von Biopharmaka aufgenommen. Hergestellt werden rekombinante Proteine, Vakzine, Antikörper-ähnliche Moleküle und Plasmid unter anderem für Indikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs. Insgesamt produzierte Boehringer Ingelheim in Wien 40 biopharmazeutische Produkte, die weltweit in etwa 120 Länder exportiert werden.
In einem Zoll- oder Handelsstreit gibt es keine Gewinner. Oberstes Ziel sollte es sein, Zölle auf Arzneimittel zu
vermeiden bzw. abzuschaffen.
GEGENWIND.
Doch auch die Pharmabranche hat mit Problemen zu kämpfen. Da wären zunächst die hausgemachten. „Die Ethikkommission in Österreich wirft einem immer wieder Prügel vor die Beine. Es ist ein schlecht strukturiertes und langsames System“, spart Croma-Geschäftsführer Prinz nicht mit Kritik an der Bürokratie. „Der Ansatz ist hier nicht, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen, sondern zu belehren.“
Am internationalen Parkett tun sich ebenfalls Probleme auf – Stichwort: US-Zölle. Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig: „Nach der letzten Aussage des US-Präsidenten Donald Trump stehen derzeit Zölle von 100 Prozent auf Medikamente im Raum. Diese sind aber von der US-Regierung nicht bestätigt worden.“ Was Lieferungen aus der EU betrifft, gelten allerdings – bislang unwidersprochen – die bereits ausgehandelten 15 Prozent. „In einem Zoll- oder Handelsstreit gibt es keine Gewinner. Daher sollte es aus unserer Sicht weiterhin oberstes Ziel sein, Zölle auf Arzneimittel zu vermeiden bzw. wieder abzuschaffen.“
Einerseits Millioneninvestitionen, andererseits Unsicherheit – die Pharmabranche ist zwar einer der wichtigsten, zugleich aber auch einer der riskantesten Wirtschaftszweige.