Trend Logo

Ausgebrannt

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
19 min
Artikelbild
  1. home
  2. Business
  3. Karriere

Führungskräfte gelten als stark und unerschütterlich. Doch hinter der glänzenden Fassade brodelt nicht
selten eine stille Epidemie: Burnout. Denn nicht nur Mitarbeitende können an ihre Grenzen geraten – das Risiko lauert auch ganz oben.

Ich saß auf dem Fensterplatz im Flugzeug und freute mich auf den Urlaub. Von einer Sekunde auf die andere begann mein Herz zu rasen, ich rang nach Luft und irgendetwas presste meinen Brustkorb zusammen. Ich war schweißnass und zitterte am ganzen Körper. So etwas hatte ich noch nie erlebt und ich konnte nur denken: "Ich habe gerade einen Herzinfarkt!‘“ Doch der gebürtige Linzer Günter Niederhuber, damals seit 20 Jahren in leitender Position im Rechnungswesen, hatte Glück. So erschreckend solche Symptome auch sind – es war nur eine Panikattacke.

Nach dem dramatischen Vorfall verbrachte er dennoch eine entspannte Woche auf einer griechischen Insel. Niederhuber: „Am Tag des Abflugs erlitt ich die nächste Panikattacke. Wieder in Wien angekommen, hatte ich solche Anfälle drei- bis viermal am Tag. Mein Arzt stellte die Diagnose Burnout, und ich verbrachte sieben Monate im Krankenstand. Da war mir klar, dass ich in meinen alten Beruf nicht mehr einsteigen kann. So habe ich mich entschieden, eine neue Ausbildung zu machen und damit in die Selbstständigkeit zu gehen.“

Niederhuber ist heute Experte für Burnout, Burnout-Prävention und Stressmanagement. Er führt eine Coaching-Praxis in Wien und betreut Betroffene persönlich und online. Getreu seinem Motto „In der Ruhe liegt die Kraft“ berät er Personen, die einem Burnout vorbeugen möchten, solche, die bereits daran leiden, und diejenigen, die nach erfolgreicher Behandlung wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wollen. Außerdem hält er Vorträge und Seminare zum Thema in Unternehmen. Der Experte: „70 Prozent meiner Klient:innen sind Führungskräfte.“

Blurred image background

Günter Niederhuber ist Supervisor und Coach mit Schwerpunkt auf Burnout-Prävention und Stressmanagement in Wien.

70 Prozent meiner Klient:innen sind Führungskräfte.

Günter NiederhuberSupervisor und Coach

Chefs am Limit.

Burnout hat längst die Vorstandsetagen erreicht. Immer mehr Entscheidungsträger:innen stoßen an ihre mentalen, emotionalen und körperlichen Grenzen. Dabei geht es nicht um Schwäche oder mangelnde Belastbarkeit, sondern um ein System, das ständig auf Hochleistung drückt, ohne Pausen, ohne Nachdenken, ohne echte Strategien für mentale Gesundheit. Was als stressige Phase beginnt, endet nicht selten in totaler Erschöpfung, Entscheidungsunfähigkeit und dem Verlust von Innovationskraft. 

In einer Befragung von 1.079 Führungskräften zeigt der Hernstein Management Report (2024/2025), dass 70 Prozent der Leader:innen heute viel mehr Stress erleben als vor 20 Jahren. Neun Prozent geben an, dass sie sich in ihrer Freizeit „gar nicht oder so gut wie nicht erholen“ können.

Auch eine aktuelle Gallup-Studie (2025) belegt, dass Führungskräfte emotional angespannt sind, im permanenten Krisenmodus handeln und nur 26 Prozent nach Feierabend abschalten können. Der emotionale Rückhalt im Unternehmen ist schwach, die innere Distanz wächst. Die globale Umfrage unter fast 10.800 Personen der Chefetagen zeigt zudem, dass immerhin 40 Prozent bereits überlegt haben, die Position aufzugeben, um ihr Wohlbefinden zu verbessern. Das ist ein potenzieller Hinweis auf drohenden Exodus in Führungspipelines. Besonders hohe Belastungswerte zeigen sich mit 65 Prozent bei Frauen und interessanterweise mit 72 Prozent in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen.

Bei den Studien ist offen, ob die Befragten wahrheitsgemäß geantwortet haben. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffern noch höher sind. Denn als Führungskraft „auszubrennen“ ist nach wie vor ein Tabu. Dabei spielen sowohl klassische Belastungen wie Arbeitsverdichtung als auch neue Faktoren wie digitale Transformation, hybride Arbeit und die KI-Einführung eine Rolle. Ebenso können private Probleme verstärkend wirken.

„Burnout beginnt oft schleichend“, erklärt Ulrike Kuzio, Allgemeinmedizinerin für Unternehmer:innen, Führungskräfte und High Performer in Wien. „Erste Anzeichen sind Müdigkeit, die sich auch durch Schlaf oder Urlaub nicht bessert, innere Unruhe und das Gefühl, alltägliche Aufgaben seien plötzlich überfordernd. Viele beschreiben eine bleierne Erschöpfung, die sie schon morgens beim Aufstehen quält.“

Typisch ist, dass zunächst mehr Aktionismus folgt. Das bedeutet noch längere Arbeitszeiten und noch perfektere Lösungen, was nach außen wie besonders hoher Einsatz wirkt. Tatsächlich ist es oft der Anfang einer Abwärtsspirale, und irgendwann wird daraus ein Burnout.

Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Krankheit an sich, sondern um ein Zusammenkommen von bis zu 160 relevanten Symptomen. Diese können im Zusammenhang mit beruflicher Überlastung und meist auch zwischenmenschlichen Konflikten und Beziehungsproblemen auftreten.

Das muss aber nicht immer der Fall sein. Die Ärztin betont, dass tiefe Erschöpfung nicht allein durch einen hohen Workload entsteht. Viele Menschen arbeiten sehr viel, ohne jemals ein Burnout zu entwickeln. Kritisch wird es, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen: chronische Überlastung, wenig Einfluss auf die eigene Arbeit, ungelöste Konflikte, mangelnde Wertschätzung, ein perfektionistischer Anspruch an sich oder dauerhaftes Missverhältnis zwischen Einsatz und Belohnung. Erst dieses Zusammenspiel macht den Boden fruchtbar für ein Burnout.

Blurred image background

Ulrike Kuzio ist Allgemeinärztin für Unternehmer:innen, Führungskräfte und High Performer in Wien.

Burnout endet nicht mit dem Therapieabschluss, entscheidend ist die Rückfallprophylaxe.

Ulrike KuzioAllgemeinärztin

Gesundes Selfleadership.

Um es gar nicht so weit kommen zu lassen, gibt es verschiedene Strategien, die aber gerade für Führungskräfte nicht immer so einfach umzusetzen sind. „Burnout-Prävention ist kein Luxus, sondern eine echte Führungsaufgabe, denn hier geht es um gesundes Selfleadership“, betont Andrea Auinger, Psychotherapeutin und Coach für Führungskräfte und Mitarbeiter:innen: „Das bedeutet, auch als Führungskraft Nein zu sagen, sich abzugrenzen und eine sogenannte Ekpathie zu entwickeln, also eine gesunde Distanz zu gewissen Themen einnehmen zu können, ohne die Wertschätzung und Empathie zu verlieren.“ So bleibt die Handlungsfähigkeit erhalten.

Ein zentraler Punkt in der Prävention ist der Umgang mit Stress. Selbstwirksamkeit – also das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können – ist ein zentraler Faktor zur Stressreduktion. Führungskräfte, die ihre Selbstwirksamkeit stärken, bleiben auch in komplexen Situationen handlungsfähig und fokussiert. Die wirksamste Prävention ist daher nicht noch mehr Resilienz-Training, um sich damit für immer stärkeren Druck fit zu machen, sondern systemische Entlastung. Expertin Auinger: „Das bedeutet Delegation, klare Prioritäten, eine Kultur der Anerkennung und sich rechtzeitig Unterstützung in Form von Coaching oder Therapie zu holen. Das wäre auch eine Vorbildfunktion für Mitarbeitende, wenn der Chef ebenso einmal Schwäche zeigen darf.“

Für eine erste Selbsteinschätzung können frei zugängliche Online-Fragebögen nützlich sein, zu finden etwa unter netdoktor.at/selbsttests/burnout-test. Sie helfen dabei, das eigene Risiko oder den aktuellen Zustand in Bezug auf Burnout einzuschätzen. Es ist jedoch wichtig, zu beachten, dass diese Tests keine professionelle Diagnose ersetzen.

Eines der Unternehmen, das präventive Unterstützung zur Verfügung stellt, ist Mavie Work. Geschäftsführer Christoph Schnedlitz: „Wir bieten mit über 20 Jahren Erfahrung ganzheitliche Gesundheitslösungen direkt am Arbeitsplatz an, die Führungskräfte und Mitarbeitende bei chronischem Stress, mentaler Überlastung und Burnout unterstützen. Das geschieht rasch, online, persönlich, präventiv und gezielt in Krisen.“ Außerdem können Betroffene auf eine mehrsprachige 24/7-Service-Hotline und ein Selbstlernportal zugreifen. Mavie Work betreut zahlreiche Unternehmen wie zum Beispiel Henkel, Canon, Lkw Walter, ÖBB oder Siemens. Das Honorar für die Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz wird von den Unternehmen selbst übernommen.

Inwieweit sich KI rund um Burnout bei Führungskräften präventiv einsetzen lässt, zeigt eine Studie der University of Denver aus dem vorigen Jahr. So können KI-Systeme durch die Analyse von Überstunden, Schlafdaten aus Wearables oder teaminterner Kommunikationskultur helfen, Risikomuster früh zu erkennen. In Pilotprojekten wurden E-Mail-Zeiten, Meetingdichte und Sprachmuster ausgewertet, um Überlastung zu prognostizieren. Allerdings darf KI keine Überwachung sein, sondern muss Mitarbeitende schützen.

Blurred image background

Andrea Auinger ist Psychotherapeutin und Coachin für Führungskräfte in Ansfelden.

Burnout-Prävention ist kein Luxus, sondern echte Führungsaufgabe, denn hier geht es um gesundes Selfleadership.

Andrea Auingersychotherapeutin und Coachin

Überfordert und leer

Atemtechnik und Achtsamkeit.

Neben den etablierten Methoden bei psychischen Belastungen wie Verhaltenstherapie, Psychoanalyse und systemischen Therapien finden sich heute viele Angebote, die zwar noch nicht alle wissenschaftlich anerkannt sind, aber nach Erfahrungswerten hoch wirksam sein können. Dazu zählen Therapieformen, die den Körper miteinbeziehen wie zum Beispiel EMDR, Somatic Experiencing, Embodiment, Atemtechniken und Biofeedback.

Auch das Thema Achtsamkeit gewinnt an Bedeutung. Dabei wird die Aufmerksamkeit bewusst und ohne Bewertung auf den gegenwärtigen Moment gerichtet. Es geht darum, Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und Sinneseindrücke wahrzunehmen, wie sie gerade sind – ohne sie sofort ändern, festhalten oder wegschieben zu wollen. Bildgebende Verfahren zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeitspraxis zu positiven Veränderungen in Gehirnregionen führt, die für Aufmerksamkeit, Emotionsregulation und Selbstwahrnehmung zuständig sind.

Ein neues, pharmakologisch unterstütztes Verfahren ist die Ketamin-gestützte Psychotherapie. Niedrig dosiertes Ketamin in Kombination mit Psychotherapie zeigt schnelle antidepressive Effekte.

Das neue vermeintliche Allheilmittel KI sollte in einer Therapie hingegen nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Psychotherapeutin und Coachin Auinger: „ChatGPT wird bereits in Behandlungen verwendet, wenn Klient:innen gerade keinen Termin mit einer physischen Person haben. Das kann eine zusätzliche Intervention sein, aber solche Toolkits ersetzen keine menschliche Beziehung.“ Problematisch daran ist auch, dass Therapeut:innen später nicht wissen, was Klient:innen mit dem Chatbot besprochen haben. Unter Umständen haben sie im Schutz der Anonymität Themen zur Sprache gebracht, die sie den Behandler:innen aus Scham nicht sagen möchten. Das wäre dann eher kontraproduktiv.

Bei Burnout in die Klinik.

Für statio-näre und ambulante Behandlungen bei Burnout stehen auch Kliniken und -Rehabilitationszentren zur Verfügung. Seit 2010 ist der Sonnenpark Neusiedlersee – pro mente Reha einer der möglichen Orte, um wieder gesund zu werden. Vom Kostenträger wird ein Zuzahlungsbetrag auf Basis des Einkommens berechnet. Der ärztliche Leiter Paul Kaufmann: „Wir haben auch Führungskräfte in Behandlung, die ihre Position im Unternehmen lieber nicht allgemein bekannt machen wollen – im Gegensatz zu Ex-Politikern, die klarerweise nicht inkognito auftreten konnten und die sich sehr wohl gefühlt haben.“ Wermutstropfen: Die Wartezeit beträgt oft bis zu ein Jahr.

In der Privatklinik St. Radegund, die auf psychische Erkrankungen und psychiatrische Rehabilitation spezialisiert ist, besteht dagegen für Selbstzahler:innen die Möglichkeit einer Sofortaufnahme. Vorteile sind zudem eine geschützte und diskrete Umgebung sowie keine Informations- und Datenweitergabe an Versicherungen und Behörden. Die leitende Ärztin Claudia Draxler-Fürst: „Diese Option wird zunehmend häufiger in Anspruch genommen, da sie eine rasche, individuelle und unkomplizierte Behandlung ermöglicht.“

Ein Aufenthalt als Selbstzahler unterscheidet sich in mehreren Punkten von einem von der Krankenkasse finanzierten sechswöchigen Rehabilitationsaufenthalt. Wichtigste Besonderheiten sind neben der Sofortaufnahme die flexible Aufenthaltsdauer sowie Planung und Berücksichtigung von Wunschterminen. Bereits vorab findet eine telefonische Kontaktaufnahme mit Betroffenen statt, um die Symptome abzuklären und die individuellen Therapieinterventionen zu besprechen.

Die Rehaklinik Wien Baumgarten bietet auch ambulante Burnout-Behandlung an. Der medizinische Verantwortliche der Abteilung, Psychiater Shahriar Izadi: „Führungskräfte kommen zwar seltener, aber wenn, dann bekommen wir die Rückmeldung, dass sie sich sehr wohl gefühlt und von den Therapieinhalten profitiert haben.“

Die ambulante Behandlung hat den Vorteil, dass die Patient:innen täglich nach Hause gehen und das neu Gelernte gleich umsetzen können. Die sechs-wöchige Rehabilitation findet viermal in der Woche statt. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit, in zwölf Monaten an einem Tag in der Woche für zwei bis vier Stunden bisher erlernte Fähigkeiten nach-haltig zu festigen.

Denn gerade auch die Nachsorge ist im Burnout-Fall besonders wichtig. „Burnout endet nicht mit dem Therapieabschluss, sondern entscheidend ist die Rückfallprophylaxe“, weiß Burnout-Spezialistin Kuzio, „dazu gehören regelmäßige Reflexion, Selbst-Assessments oder gelegentliche Auffrischungstermine bei Therapeut:innen.“

Besonders für Führungskräfte ist es wichtig, neue Ressourcen wie Hobbys ohne Leistungsdruck, Sport, soziale Kontakte oder Me-Time zu pflegen. Unternehmen können unterstützen, indem sie Supervision, Resilienztrainings oder gesundheitsorientiertes Führungscoaching anbieten.

Denn Burnout in der Führungsebene ist kein Einzelfall mehr, sondern ein strukturelles Risiko. Wer heute führt, braucht mehr als Strategie und Zahlenverständnis. Für High Performer sind auch mentale Klarheit, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit zur Selbstregulation erforderlich. Das ist kein Nice-to-have, sondern ein Überlebensfaktor für modernes Leadership. Unternehmen, die ihre Managementteams gezielt stärken, investieren nicht nur in deren Gesundheit, sondern in Innovationskraft, Teamdynamik und nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Denn echte Krisenfestigkeit beginnt im Kopf und zahlt sich am Ende in jeder Bilanz aus.

trend.MedMental Health
Logo