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Jie Mei: Die Forscherin, die KI und Gehirn verbindet

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Im Kopf die Intelligenzforschung, am Hals die „Big Five": Professorin Jie Mei, 32.

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Die KI-Revolution stellt auch Karrieren auf den Kopf: Jie Mei gerade 32 Jahre alt, ist eine der Gründungsprofessor:innen an der neuen Linzer Digitaluni IT:U und forscht dort über die Zusammenhänge zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz.

Mit Sepp Hochreiter, der Linzer KI-Koryphäe, teilt sie sich regelmäßig den Bus zur Uni. „Das ist schon eine recht nette Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen“, sagt Jie Mei. Dabei plaudern die beiden, ein ungleiches Paar, nicht etwa über das Wetter. Es gäbe laufende Ideen zu Kooperationen, erzählt die 32-Jährige. „Fünf Monate später könnte ich vielleicht mehr darüber erzählen“, sagt sie etwas geheimnisvoll, „aber im Moment stehen wir noch ganz am Anfang.“ Es klingt so, als ob in Linz beim täglichen Busfahren derzeit Zukunft gemacht wird.

Jie Mei erforscht das Denken – im Gehirn wie in der KI

Mei ist in China geboren, hat in neun Ländern gelebt und ist eine von elf Gründungsprofessor:innen der Linzer International Transformation University, kurz IT:U. Dort verbindet sie die beiden Fachbereiche Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften.

Auffällig ist das Tattoo an ihrem Hals. Vor drei Jahren hat sie sich die „Big Five“, ein Set von Neurotransmittern, tätowieren lassen: Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin und Histamin – allesamt Symbole, die ihre Leidenschaft des letzten Jahrzehnts widerspiegeln.

Anfang September hatte sie ihren ersten großen Auftritt in einer Coverstory des „Spiegel“, der ihren Namen in einem Atemzug mit OpenAI-Gründer Sam Altman und Mark Zuckerberg nannte. „Einfach wow, das ist eine große Zeitschrift“, so Mei, die mit ihren Medienauftritten die Aufmerksamkeit auf KI-Systeme und ihre Grenzen lenken will: „Das ist eine sehr gute Gelegenheit, zu vermitteln, dass menschliche Fähigkeiten spezialisiert und kontextabhängig sind.“ KI hingegen wird oft als universell einsetzbare Technologie angepriesen, die die menschliche Intelligenz schon bald mit links überholen soll. So einfach sei das allerdings nicht.

Um das zu beweisen, muss Mei nur eines ihrer vielen Forschungsergebnisse zitieren. Das Gehirn rechnet demnach flexibel und konzentriert sich dabei auf sogenannte Neuromodulatoren. Das sind Botenstoffe, die die Kommunikation zwischen Nervenzellen steuern. Anders als ursprünglich angenommen, haben diese Substanzen nicht nur einfache, isolierte Aufgaben, sondern wirken in komplexen Interaktionen miteinander.

„Das macht es schwieriger, sie zu untersuchen“, erklärt Mei. Die Herausforderung bestehe darin, zu erkennen, was tatsächlich aus dem Gehirn kommt und was durch experimentelle Manipulationen beeinflusst wird. Schon auf vergleichsweise einfacher Ebene zeigt das Gehirn die Fähigkeit, sich an die Umgebung und an aktuelle Signale ­anzupassen. „Das ist wichtig, denn viele KI-Modelle reagieren nicht adaptiv auf aktuelle Kontextänderungen.“

Wie Jie Mei in Linz die Zukunft der Intelligenz erforscht

Warum aber ausgerechnet Linz, eine überschaubare Stadt ohne jeden Metropolcharakter? Mei ist eine Frau, der Wien und New York zu groß sind, der Geld nicht die Welt bedeutet, aber die Freiheit, das zu erforschen, was sie interessiert, umso wichtiger ist. Sie beschreibt ihr Leben als ein Hin und Her rund um den Globus. Den Fokus legte sie dabei stets auf natürliche und künstliche Intelligenz. „Ich habe versucht, dieses Feld zu studieren, wo immer ich den besten Ort dafür finden konnte.“

Also absolvierte sie ihren Master in Kognitionswissenschaften an der École Normale Supérieure in Frankreich. 2019 schloss sie einen Ph.D. in medizinischer Neurowissenschaft an der Charité in Berlin ab, dem zwei Postdoktoratsstipendien in Kanada folgten. Vor ihrer Berufung an die IT:U war sie Assistenzprofessorin an der renommierten Universität Tokio. Jetzt ist Österreich an der Reihe, und Mei hat vor zu bleiben.

Dabei hätte sie definitiv das Zeug, an einer Top-Uni wie der NYU in New York oder der Université de Montréal in Kanada zu forschen. Doch zu große Strukturen oder jahrhundertealte Traditionen haben sie abgeschreckt. „Ich hatte das Gefühl, dass wirklich alles schon vorhanden ist und es nur wenig gibt, was du noch hinzufügen kannst.“ An der IT:U sei das anders. Es gäbe keine festgelegten Narrative. Die Uni ist neu, klein und agil. „Hier habe ich die einmalige Gelegenheit, etwas von Grund auf neu zu starten“, so die Neurowissenschaftlerin.

Für Österreich findet sie nur lobende Worte: „Das Land ist perfekt, aber niemand weiß das. Ich sehe klar, dass sich ein attraktives KI-Zentrum entwickeln kann, und ich möchte meine nächsten Projekte hier aufbauen.“ Die Bekanntheit in ­Europa und weltweit müsse nur noch steigen, denn im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz ziehen nur wenige Forscher:innen Österreich als Standort in Betracht.

Ihren Enthusiasmus begründet sie folgendermaßen: Zum einen gibt es eine Reihe spannender KI-Initiativen, etwa Hochreiters Start-up NXAI – mit dem Rad nur 19 Minuten von der IT:U entfernt –, die neue Initiative AI for Health an der MedUni Wien oder das ISTA in Klosterneuburg. An ihrer eigenen Forschungseinrichtung, der IT:U, kooperiert man etwa mit lokalen Krankenhäusern, um das Verständnis von Neurowissenschafts- und Neurologiedaten mithilfe von KI zusätzlich zu KI-gestützter Diagnose und Bewertung voranzutreiben. Beim Aufzählen der Möglichkeiten kommt Mei aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus.

In ihren Augen stimmt die Basis, um Österreich als KI-Hotspot zu positionieren. Sowohl im Bereich der Grundlagenforschung sei man gut aufgestellt als auch auf der Anwendungsseite. Dazu zählen neben technischer Kompetenz eine starke Forschung sowie staatliche Unterstützung – auch finanziell.

Gerade am Industriestandort Linz werde es bald darum gehen, wie KI in ganzen Produktionszyklen sicher und effizient skaliert werden kann. „Potenzial sehe ich auch im Chipdesign. Am Ende wird es darauf ankommen, wie proaktiv man in Österreich die nächsten Schritte plant.“

Abseits von KI und Neuro greift Mei gerne zu japanischen Mangas, die von posthumanistischen Dystopien erzählen, und geht gerne im Dunkeln spazieren. Sie beschreibt sich als Kleinstadtmensch und „indoorsy“, obwohl sie vor Kurzem mit einem Freund aus Großbritannien den Ausblick vom Pöstlingberg genossen hat. „Das war für mich das bisher schönste Bild von Linz.“ Was die Größe angeht, sei die oberösterreichische Hauptstadt perfekt, obwohl es oft geschäftiger als an ihrem vorherigen Wohnort ­Trois-Rivières in Kanada zugehe.

Drei Dinge, die sie liebt: „Comfort Food, Katzen und das Gehirn.“ Außerdem trägt sie gerne stylishe Kleidung. Wenn sie nicht Neurowissenschaften studiert hätte, sagt sie am Ende, wäre sie vielleicht Ärztin oder Bäuerin geworden.

Die KI-Revolution stellt auch Karrieren auf den Kopf.

Autorin: Julia Isabelle Gerber

Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 26. September 2025 erschienen.

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