
Lieferantenmanagement erlebt eine bemerkenswerte Renaissance, gilt es doch als wichtiger Hebel zur Bewältigung regulatorischer Herausforderungen. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff – und wie wird Lieferantenmanagement vom Randthema zum strategischen Kernprozess?
Lieferantenmanagement ist derzeit in aller Munde – nicht als kurzfristiger Hype, sondern als strukturelle Notwendigkeit. Unternehmen sehen sich mit einer Vielzahl regulatorischer Anforderungen konfrontiert, die sie nur bewältigen können, wenn sie ihre Lieferantenbeziehungen intensiver bearbeiten als bisher. Pflichten aus Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzen (CSDDD, LkSG), ESG-Berichtspflichten oder absehbare EU-Regularien zu Informations- und Cybersicherheit zeigen deutlich, dass Verantwortung über Unternehmensgrenzen hinaus gedacht werden muss. Die verstärkte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Funktionen und Abteilungen spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle.
Lieferantenmanagement bedeutet heute nicht mehr nur, Preise zu verhandeln – sondern Verantwortung zu übernehmen.
Worauf es im Lieferantenmanagement ankommt, welche diesbezüglichen Entwicklungen es gibt und was Unternehmen beachten müssen, um das Thema vom Kostenfaktor zum strategischen Steuerungsinstrument zu transformieren, erklärt Einkaufsexperte Boris Blazej von Supply Chain Partners im Interview.


BORIS BLAZEJ, geschäftsführender Gesellschafter bei Supply Chain Partners, ist seit mehr als 20 Jahren im Einkauf engagiert und berät nationale sowie internationale Unternehmen. Produktivitätssteigerung, Unternehmenssteuerung, Risikomanagement und Digitalisierung zählen ebenfalls zu seinen Schwerpunkten.
Warum wandert Lieferantenmanagement momentan in der Agenda des Einkaufs nach oben?
Klar ist, dass Lieferanten einen erheblichen Einfluss auf Kostenstruktur und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens haben. Aktuell rücken jedoch zusätzliche Bewertungskriterien wie Qualität und Innovationskraft, Werteorientierung und ethische Standards, Regelkonformität und Risikosteuerung in den Vordergrund. Unternehmen erkennen zunehmend, dass sie Lieferantenbeziehungen aktiv steuern müssen, anstatt lediglich zu reagieren, wenn etwas schiefläuft. Auch die Fähigkeit, Lieferengpässe, Ausfälle oder Störungen in der Lieferkette abzufedern und damit die eigene Resilienz zu stärken, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Darüber hinaus wächst das Bewusstsein für die Wichtigkeit, bewusst jene Lieferanten auszuwählen und weiterzuentwickeln, die strategisch zum Unternehmen passen, anstatt automatisch auf diejenigen zu setzen, die geografisch nahe liegen oder historisch wichtig waren.
Welche Missverständnisse zum Lieferantenmanagement beobachten Sie?
Ein verbreitetes Problem in der Praxis ist, dass Lieferantenmanagement häufig mit den klassischen Aufgaben des Einkaufs wie Verhandlungen, Bestellungen oder Reklamationen verwechselt wird. Doch in Wahrheit geht es um deutlich mehr. Bewusste Entscheidungen für oder gegen Lieferanten sollten unter Einbezug strategischer, ethischer und risikobezogener Faktoren getroffen werden – nicht nur auf Basis von Preis, Qualität oder kurzfristiger Verfügbarkeit. Zudem bedeutet gutes Lieferantenmanagement, sich aktiv um bestehende Partner zu bemühen, ihre Weiterentwicklung zu unterstützen und Risiken frühzeitig zu identifizieren. Die Annahme, dass verlässliche Lieferanten „schon bleiben werden, weil sie mit uns Geld verdienen“, kann sich in einem angespannten globalen Umfeld rasch als trügerisch erweisen. Umgekehrt müssen viele Unternehmen lernen, ungünstige Lieferantenbeziehungen professionell und effektiv zu beenden und neue Lieferanten für eine Zusammenarbeit zu gewinnen und zu qualifizieren.
Wie funktioniert professionelles Lieferantenmanagement?
Professionelles Lieferantenmanagement stützt sich auf erprobte Prozesse, die aufeinander aufbauen. Zentrale Aktivitäten sind zum Beispiel das Qualifizieren, Bewerten und Entwickeln von Lieferanten auf Basis umfänglicher Transparenz über bestehende und potenzielle Lieferantenportfolios. Professionell durchgeführt erlauben sie es, von reaktiver Problemlösung zu proaktiver Steuerung überzugehen – eine Grundvoraussetzung, um in einem zunehmend regulierten Umfeld bestehen zu können. Die gute Nachricht ist, dass viele Unternehmen die erforderlichen Hebel bereits in der Hand haben – sie müssen sie nur mit Ressourcen ausstatten und konsequent nutzen.
Warum ist die crossfunktionale Zusammenarbeit dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor?
Selbst mit den besten Methoden bleibt Lieferantenmanagement wirkungslos, wenn es nicht organisatorisch verankert ist. Die Realität in vielen Unternehmen zeigt: Lieferantenmanagement ist häufig kein geübter Teamprozess, sondern ein „blinder Fleck“ zwischen Einkauf, Bedarfsträgern und Fachexperten, etwa aus dem Qualitätsmanagement. Immer mehr Unternehmen sind sich dieser Problematik bewusst – so haben wir zum Beispiel im Rahmen eines gemeinsamen Projektes mit den Wiener Linien abteilungsübergreifende Prozesse und Tools im Bereich des Lieferantenmanagements etabliert. Die beschriebenen Herausforderungen sind deswegen nur crossfunktional zu lösen, da die genannten Funktionen alle unterschiedliche Beiträge einbringen können und müssen. Der Einkauf koordiniert den Prozess und seine Konsequenzen, Bedarfsträger entscheiden, ob Lieferanten die Anforderungen erfüllen, und Fachexperten bringen weitere Entscheidungsfaktoren ein wie Qualität, Risiken und die Einhaltung von Regularien. Das verlangt nach klaren Rollen, abgestimmten Prozessen und einer übergreifenden Governance.
Lieferantenmanagement ist keine Aufgabe einer einzelnen Abteilung – es ist eine gemeinsame Verantwortung.
Welche Maßnahmen muss die Führungsebene dafür ergreifen?
Das Topmanagement ist gefordert, die Weichen zu stellen – durch Zielvorgaben, Ressourcen und kulturelle Verankerung. Denn wer jetzt in Strukturen, digitale Tools, methodische Kompetenz und echte interne Zusammenarbeit investiert, erfüllt nicht nur Gesetze und Vorgaben, sondern kann sich mittelfristig Wettbewerbsvorteile sichern.
Die wichtigsten Aktivitäten im Lieferantenmanagement
LIEFERANTENQUALIFIZIERUNG: Bereits vor Beginn einer Zusammenarbeit sollte geprüft werden, ob ein Lieferant die Anforderungen des Unternehmens erfüllt – technisch, organisatorisch, ethisch. Bei der Erreichung geforderter Standards sollten Lieferanten eventuellaktiv unterstützt werden.
LIEFERANTENBEWERTUNG UND -ENTWICKLUNG: Eine kontinuierliche, mehrdimensionale Bewertung der Lieferantenleistung ermöglicht eine faktenbasierte Steuerung. Aus den Erkenntnissen lassen sich individuelle Entwicklungsmaßnahmen ableiten.
SEGMENTIERUNG UND PORTFOLIOMONITORING: Nicht jeder Lieferant ist gleich relevant. Durch die Segmentierung des Portfolios – z. B. nach Risiko, Volumen oder strategischer Bedeutung – können Ressourcen effzient eingesetzt werden.
Ein Spezialist für eine optimierte Supply Chain
Supply Chain Partners (SCP) wurde 2019 von den drei Fachexperten Boris Blazej, Ernst Fabian und Alexander Steinhart in Wien gegründet und bietet eine auf Supply Chain (Planung, Einkauf und Logistik) spezialisierte strategische und operative Beratung und Begleitung an.
Dazu wurde eine eigene Business Intelligence Plattform namens SCIO® für mehr Transparenz und bessere Entscheidungsfindung in der Supply Chain entwickelt.
Zu Ihren Kunden zählen viele renommierte Unternehmen aus Industrie und dem öffentlichen Bereich.