
Die Covid-19-Pandemie hat weltweit gezeigt, wie schnell die Logistik von Gesundheitsorganisationen an ihre Grenzen stoßen kann und den Anstoß für Maßnahmen zur Stabilisierung der Lieferketten gegeben.
Supply Chain Partners Dialog
In unserem vierten Supply Chain Partners Dialog spricht Ernst Fabian, geschäftsführender Gesellschafter von Supply Chain Partners, mit Josef Newertal, Leiter Vorstandsressort Infrastrukturmanagement des Wiener Gesundheitsverbunds, über die Lehren aus der Krise, den Aufbau eines Logistikzentrums, und darüber, wie moderne Logistik die Versorgung im Gesundheitsbereich effizienter, sicherer und zukunftsfähiger macht.
Herr Newertal, unsere Zusammenarbeit hat vor mittlerweile mehr als 5 Jahren, zum Start der Covid-19-Pandemie begonnen. Seit damals durfte ich Sie bei einigen logistischen Problemstellungen unterstützen.
Sie leiten den Bereich Infrastrukturmanagement in einem der größten Gesundheitsdienstleister Europas. Welche Rolle hat die Logistik in ihrem Wirkungsbereich und welchen Stellenwert hat die Logistik in der Organisation? Können Sie das kurz beschreiben?
Die Infrastruktur eines Krankenhauses ist von klinischen Prozessen, aber auch von nicht-klinischen Prozessen getrieben. Bei den nicht-klinischen Prozessen spielt die Logistik insofern eine zentrale Rolle, weil alle Patientinnen und Patienten, die wir im Wiener Gesundheitsverbund versorgen, Arzneimittel, Beatmungsgeräte und viele andere Dinge benötigen. Da ist es wichtig, dass die jeweilige Ware zur richtigen Zeit, zum richtigen Ort bzw. zur richtigen Patientin und zum richtigen Patienten kommt. Aus diesem Grund ist die Logistik, die die Warenströme in einem Krankenhaus steuert, eine sehr entscheidende Thematik.
Unsere Zusammenarbeit hat damit begonnen, dass Sie mir die Verantwortung für das Pandemielager vor etwas mehr als fünf Jahren übertragen haben. Was waren damals die großen Herausforderungen?
Die große Herausforderung war damals, dass jede der sieben Kliniken im Wiener Gesundheitsverbund ein eigenes Magazin hatte, eine sehr dezentrale logistische Organisation.
Im Zuge der Covid-Pandemie und der Beschaffungskrise mit einem weltweiten Engpass bei Schutzausrüstungsgegenständen, insbesondere FFP2-Masken, mussten wir deren Versorgung sicherstellen und managen. Entscheidend war, eine zentrale Lagerorganisation zu etablieren, die den Wiener Gesundheitsverbund und andere Bedarfsträger wie Pflegewohnhäuser oder die Berufsrettung mit Schutzausrüstungsgegenständen versorgt hat. All diese Organisationen – und meiner Erinnerung nach auch das Burgenland – wurden über unser Pandemielager versorgt.
Die zentrale Organisation war deutlich krisenfester als die sehr dezentrale Organisation.
Welche Rolle haben die Erfahrungen mit dem Pandemielager während der Covid-Pandemie für die Entwicklung des Logistikzentrums gespielt?
Man muss wissen, es gab im Wiener Gesundheitsverbund schon in den Jahren 2010 bis 2018 Überlegungen und Konzepte, eine zentrale Versorgung für Arzneimittel, aber auch für Wirtschaftswaren einzuführen. Die Covid-19-Pandemie und das damalige zentrale Pandemielager haben diese Entscheidung unternehmensintern beschleunigt. Die zentrale Organisation war deutlich krisenfester als die sehr dezentrale Organisation, wo der Fokus auf dem jeweiligen Krankenhaus lag. Zusätzlich haben wir uns durch ein zentrales Lager bessere Einkaufsbedingungen erwartet.
Also ein guter Business-Case?
Ja genau, betriebswirtschaftlich gesehen hat es natürlich auch Vorteile, nur ein Lager zu betreiben. Der Wiener Gesundheitsverbund modernisiert derzeit seine Spitäler. Dazu gibt es einen Gemeinderatsbeschluss aus dem Jahr 2022, der vorsieht, dass alle Spitäler in Wien neu errichtet beziehungsweise umgebaut werden. Da hat es natürlich einen Vorteil, wenn man an den Standorten kein Lager mehr errichten muss und die Effizienzpotenziale eines zentralen Lagers nutzen kann. Bei unserem Modernisierungsprogramm können wir damit Investitionskosten sparen, weil wir weniger Fläche errichten und bewirtschaften müssen.
Betriebswirtschaftlich gesehen, hat es natürlich Vorteile, nur ein Lager zu betreiben.
Was waren die kritischen Erfolgsfaktoren bzw. Knackpunkte am Weg zu einer zentraleren Logistik?
Die kritischen Erfolgsfaktoren waren meiner Meinung nach drei Dinge.
Erstens, dass wir ein Lager finden mussten, welches die Größe hat, alle Wirtschaftswaren des Wiener Gesundheitsverbundes aufnehmen zu können. Das ist trotz der Größe der Stadt Wien gar nicht so einfach gewesen. Wir haben dann mit dem Hafen Wien einen sehr kompetenten Partner gefunden, der nicht nur die Lagerflächen zur Verfügung stellt, sondern auch Kompetenz und Erfahrung in der Lagerbewirtschaftung hat.
Die zweite große Hürde in dem Projekt war – und ist natürlich nach wie vor – die Unterstützung der einzelnen Führungskräfte an den Standorten zu bekommen, denn so ein zentrales Lager funktioniert nur dann, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Standorte dieses Lager akzeptieren, unterstützen und als gemeinsame Organisation im Wiener Gesundheitsverbund sehen. Das „buy-in“ war sicher eine der größten Herausforderungen in dem ganzen Prozess.
Die dritte Herausforderung war, dass es im Wiener Gesundheitsverbund kein zentrales Logistikteam gegeben hat. Die notwendigen Kompetenzen zum Betrieb eines derart großen Lagers waren schlicht nicht vorhanden. Aus diesem Grund mussten wir eine eigene Organisation und Know-how aufbauen. Es galt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die ein derart großes Lager und die Bestellungen der Kliniken managen können. Ich bin sehr stolz auf das neue Team, das die Verantwortung übernommen hat, dass alle Kliniken die Produkte bekommen, die sie brauchen.
Welche Phasen oder Problemstellungen waren Ihrer Meinung nach entscheidend am Weg zur Inbetriebnahme des Logistikzentrums?
Es gab mehrere heikle Phasen, aber ich denke, zwei Problem- oder Themenstellungen, die wirklich entscheidend und interessant sind.
Die eine Themenstellung war, dass wir eine Lagersteuerung benötigt haben, ein neues Software-Modul, das wir eingeführt haben. Der Wiener Gesundheitsverbund verwendet SAP und wir haben im Zuge der Umsetzung des Logistikzentrums SAP-EWM implementiert. Das war sicher eine sehr zentrale Problemstellung und auch in mehreren Phasen sehr entscheidend. In den Dienststellen im Wiener Gesundheitsverbund führen wir zehntausende Artikel. Diese Artikel müssen kompatibel mit den Artikeln sein, die im Logistikzentrum bewirtschaftet werden.
Der zweite wesentliche und entscheidende Punkt war ein großer Meilenstein, die Umstellung der ersten Klinik. Am Stichtag der Umstellung keine Fehler zu machen, damit die Versorgungssicherheit gegeben war und die Stationen keinen Unterschied zur Versorgung davor bemerken. Der Zeitraum rund um diesen Meilenstein war für die Akzeptanz des Teams im Logistikzentrum wichtig.
Soweit ich weiß, sind mittlerweile fast alle Kliniken aufgeschlossen. Wie ist das generelle Feedback?
Das Feedback ist durchwegs positiv, weil alle gesehen haben, dass sie mit dem Logistikzentrum einen kompetenten Partner haben, der sehr bemüht ist, die Bedürfnisse der jeweiligen Klinik zu erfüllen, der aber auch den Fokus auf betriebswirtschaftliche Optimierungen gemeinsam mit dem Einkauf legt.
Viele Artikel, die früher aufgrund der Magazingrößen in den Kliniken nur als Bestellartikel verfügbar waren, können jetzt auch im Logistikzentrum gelagert werden. Das spart dem Wiener Gesundheitsverbund Transport- und Beschaffungskosten und erhöht die Verfügbarkeit dieser Artikel für die Kliniken.
Die Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit sind durch das Logistikzentrum generell gestiegen?
Ja, auf jeden Fall. Man muss bedenken, dass der Wiener Gesundheitsverbund mit seinen 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein sehr großer Player am Markt für Wirtschaftswaren von Krankenhäusern ist. Die Bündelung durch das Logistikzentrum und die Verfügbarkeit von Produkten von unterschiedlichen Herstellern verbessert unsere Situation bei globalen Herausforderungen. Es gab nicht nur die Covid-19-Pandemie, sondern auch die Sperre des Suezkanals, die eine wesentliche Transportroute für Wirtschaftswaren ist, die aus Südostasien nach Europa kommen. Solche Herausforderungen, die das globale Handelssystem mit sich bringen und die sich auch auf den Wiener Gesundheitsverbund auswirken, kann man natürlich mit einem Logistikzentrum auch besser kompensieren.
Wenn Sie an die Zukunft denken, wo sehen Sie da die Entwicklungen in der Krankenhauslogistik? Was gibt es noch zu tun?
Das Logistikzentrum ist ein Baustein unserer Vision, dass jede Station oder jede medizinische Abteilung einfach Produkte anfordern kann und diese täglich geliefert werden. Den Weg des Produktes vom Logistikzentrum an den jeweiligen Standort oder an die jeweilige medizinische Abteilung gilt es weiter zu optimieren. Im Zuge des Modernisierungsprogramms an allen Standorten werden fahrerlose Transportsysteme eingeführt. Durch automatische Umlagerung auf die verwendeten Roboter wird es einfacher und schneller Wirtschaftswaren oder auch Arzneimittel zur jeweiligen medizinischen Abteilung zu bringen.
Ein wesentlicher Baustein ist die weitere Optimierung der Mikrologistik in den medizinischen Abteilungen durch Modullager, die eine deutlich bessere Steuerung der Lagermenge je Produkt in den Stationen ermöglicht.
Vielen Dank für das Gespräch und Ihre offenen Worte.
Ein Spezialist für eine optimierte Supply Chain
Supply Chain Partners (SCP) wurde 2019 von den drei Fachexperten Boris Blazej, Ernst Fabian und Alexander Steinhart in Wien gegründet und bietet eine auf Supply Chain (Planung, Einkauf und Logistik) spezialisierte strategische und operative Beratung und Begleitung an.
Dazu wurde eine eigene Business Intelligence Plattform namens SCIO® für mehr Transparenz und bessere Entscheidungsfindung in der Supply Chain entwickelt.
Zu Ihren Kunden zählen viele renommierte Unternehmen aus Industrie und dem öffentlichen Bereich.