
Es gibt diese Tage, an denen Führung leicht wirkt. Der Kalender ist voll – und doch bleibt der Kopf klar. Entscheidungen fallen schnell, Gespräche sind präzise, Druck macht wacher statt müde. Alles greift ineinander. Und dann gibt es die anderen Tage. Die Ziele sind definiert, die Maßnahmen abgestimmt, die To-do-Listen lückenlos. Und trotzdem stockt es. Energie versiegt, Widerstände wachsen, Motivation fühlt sich an wie eine knappe Ressource.
Der Unterschied liegt selten in Kompetenz, Fleiß oder Strategie. Er liegt fast immer in der Qualität der Ziele. Denn Ziele sind keine neutralen Planungswerkzeuge. Neurobiologisch betrachtet sind sie Aktivierungsprogramme für Fokus, Motivation und Durchhaltevermögen. Sie entscheiden darüber, ob unser Gehirn in den Gestaltungsmodus schaltet – oder in inneren Widerstand. Genau hier beginnt das Dilemma moderner Führung: Wir machen Ziele präzise messbar, aber oft erstaunlich wirkungslos.
Die SMART-Formel
Einen wissenschaftlich fundierten Rahmen hierfür liefert die Zielsetzungstheorie von Edwin Locke und Gary Latham. In der Managementpraxis wird diese Theorie häufig mit dem sogenannten SMART-Prinzip verknüpft. Beide Ansätze ergänzen sich ideal und bilden gemeinsam ein wirksames Instrument strategischer Unternehmensführung.
Locke und Latham konnten in zahlreichen empirischen Studien nachweisen, dass konkrete und herausfordernde Ziele die Leistungsbereitschaft signifikant steigern. Ihre Forschung zeigt:
Spezifische Ziele führen zu besseren Ergebnissen als vage Absichten.
Anspruchsvolle Ziele erhöhen die Motivation stärker als leicht erreichbare Ziele.
Feedback ist essenziell, um Fortschritte messbar zu machen.
Das Commitment der Mitarbeitenden entscheidet über den Erfolg.
Ziele wirken demnach nicht nur steuernd auf das Verhalten, sondern beeinflussen auch Ausdauer, Konzentration und die Entwicklung neuer Lösungsstrategien.
Das SMART-Modell überträgt diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in ein einfach anwendbares Managementwerkzeug. SMART steht für:
S – Spezifisch: Das Ziel muss eindeutig formuliert sein.
M – Messbar: Der Zielerreichungsgrad muss überprüfbar sein.
A – Attraktiv (oder akzeptiert): Das Ziel sollte motivierend und akzeptiert sein.
R – Realistisch: Das Ziel muss mit vorhandenen Ressourcen erreichbar sein.
T – Terminiert: Ein klarer Zeitbezug ist erforderlich.
Damit operationalisiert SMART exakt jene Faktoren, die auch Locke und Latham als leistungsfördernd identifiziert haben: Klarheit, Herausforderung, Feedbackfähigkeit und Commitment.
Doch Jahrzehnte später zeigt die Praxis eine paradoxe Entwicklung: Neujahrsvorsätze scheitern. Corporate Objectives versanden in Kennzahlen-Friedhöfen. Mitarbeitende klagen über Ziel-Inflation bei sinkender innerer Beteiligung. Präzise Ziele gibt es mehr denn je – wirksame immer seltener.


Das SMART-Prinzip ist eine Methode zur effektiven Zielsetzung, bei der Ziele nach fünf Kriterien formuliert werden. Es hilft, Ziele klar, konkret und umsetzbar zu definieren, Fortschritte zu verfolgen und die Motivation zu steigern, indem es die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs erhöht.
Das Gehirn bei sinnlosen versus sinnvollen Zielen
Moderne Neurowissenschaft liefert heute ein erstaunlich klares Bild davon, warum manche Ziele uns antreiben – und andere trotz bester Planung innerlich kaltlassen. Denn unser Gehirn unterscheidet sehr genau zwischen bloß messbaren Zielen und bedeutsamen Zielen mit Sinngehalt. Und es verarbeitet sie in völlig unterschiedlichen neuronalen Netzwerken.
Reine Kennzahlen – Umsatzziele, Quartalsvorgaben oder Effizienzmetriken – aktivieren vor allem den dorsolateralen präfrontalen Kortex, also jene Hirnregion, die für Analyse, Selbstkontrolle und rationales Entscheiden zuständig ist. Das funktioniert hervorragend für Planung, Struktur und Disziplin. Was dabei jedoch oft fehlt, ist emotionale Bindung. Das Gehirn arbeitet – aber es brennt nicht. Genau deshalb erleben viele Führungskräfte, dass Zahlenziele zwar verfolgt werden, jedoch selten echte Begeisterung oder langfristige Energie freisetzen.
Ganz anders verhält es sich, wenn Ziele zusätzlich Sinn, Bedeutung oder ein persönliches „Warum“ enthalten. Dann springt neben der rationalen Steuerung auch das mesolimbische System an – unser zentrales Motivations- und Belohnungsnetzwerk. Hier entstehen Antrieb, Lernlust, Ausdauer und emotionale Verstärkung.
Besonders bekannt wurde in diesem Zusammenhang die Forschung von Daniel Pink in Zusammenarbeit mit der Northwestern University. In experimentellen Studien aus dem Jahr 2009 zeigte sich, dass Menschen deutlich leistungsfähiger arbeiten, wenn sie ihre Ziele nicht nur als Aufgabe, sondern als Beitrag zu etwas Sinnvollem erleben. Sobald ein „größeres Warum“ ins Spiel kam, stieg die Aktivität im ventralen Tegmentum – dem wichtigsten Dopamin-Produktionszentrum des Gehirns – um rund 40 Prozent. Dopamin ist dabei weit mehr als ein Glücksbotenstoff: Es steuert Fokus, Lernfähigkeit, Durchhaltevermögen und mentale Energie. Mit Sinn bleibt das Gehirn länger aufmerksam, arbeitet kreativer und ermüdet deutlich langsamer.
Parallel dazu zeigte sich eine verstärkte Aktivierung des posterioren cingulären Kortex, einer Hirnregion, die eng mit Selbstbild, Identität und innerer Haltung verknüpft ist. Vereinfacht gesagt unterscheidet das Gehirn dann nicht mehr nur zwischen „Das muss ich tun“, sondern wechselt in den Modus: „Das bin ich – und das will ich werden.“ Genau hier entsteht jene intrinsische Motivation, die sich nicht erzwingen lässt, aber enorm leistungsstark ist.
Wie stark dieser Effekt ist, zeigen auch groß angelegte Studien zu motivations- und sinnorientierten Zielsetzungen. Die neurologische Botschaft dahinter ist klar – und für moderne Führung hoch relevant: Zahlen aktivieren den Verstand, Sinn aktiviert den Menschen. Wer Ziele nur misst, bekommt Kontrolle. Wer ihnen Bedeutung gibt, bekommt Energie, Identifikation und nachhaltige Leistung.
ZRM – Ziele, die das Unbewusste mitnehmen
Unser Verhalten wird nicht nur vom bewussten Verstand gesteuert, sondern maßgeblich vom limbischen System – jenem evolutionär älteren Hirnareal, das Emotionen, Gewohnheiten und automatische Reaktionen kontrolliert. Klassische Zielsetzung aktiviert primär den präfrontalen Kortex, das „rationale Gehirn“. Doch nachhaltige Veränderung braucht das limbische System, das „emotionale Gehirn“. Genau hier setzt das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) an.
Das ZRM wurde von Dr. Maja Storch und Dr. Frank Krause an der Universität Zürich entwickelt und verbindet drei wissenschaftliche Disziplinen: Motivationspsychologie, Neurobiologie und Embodiment-Forschung. Der zentrale Durchbruch: Nachhaltige Ziele beginnen nicht mit Leistung – sondern mit innerer Haltung.
Statt klassischer Leistungsziele formuliert das ZRM sogenannte Motto-Ziele. Keine Zahlen, keine Deadlines, keine messbaren Ergebnisse. Sondern körperlich spürbare Haltungen, die das gewünschte Verhalten von innen heraus stabilisieren:
„Ich gehe meinen Weg ruhig und klar.“
„Ich trete innerlich aufrecht auf.“
„Ich handle mutig und gelassen.“
„Ich bin präsent und offen für Neues.“
Was zunächst ein wenig esoterisch klingen mag, ist neurobiologisch hochpräzise: Motto-Ziele aktivieren limbische Netzwerke, koppeln Kognition mit Körperempfinden und stabilisieren Verhalten auch unter Stress – genau dort, wo rationale Ziele versagen.
Klassische Ziele wie „10 % Umsatzsteigerung bis Q3“ aktivieren primär den dorsolateralen präfrontalen Kortex – jene Hirnregion, die für analytisches Denken und bewusste Kontrolle zuständig ist. Das funktioniert solange gut, wie wir ausgeruht und fokussiert sind. Unter Stress, Zeitdruck oder emotionaler Belastung übernimmt jedoch das limbische System – und rationale Ziele verlieren ihre Steuerungskraft.
Motto-Ziele wirken anders: Sie aktivieren das anteriore Cingulum, eine Hirnregion, die bewusste Intention mit emotionaler Bewertung verknüpft. Gleichzeitig sprechen sie somatische Marker an – jene körperlichen Empfindungen, die der Neurowissenschaftler Antonio Damasio als „emotionale Wegweiser“ für Entscheidungen identifizierte.
Dr. Maja Storch konnte in fMRI-Studien zeigen: Menschen mit ZRM-trainierten Motto-Zielen weisen eine stärkere Konnektivität zwischen präfrontalem Kortex und limbischem System auf. Mit anderen Worten: Kopf und Bauch arbeiten besser zusammen. Das Ergebnis sind Entscheidungen, die nicht nur rational sinnvoll, sondern auch emotional stimmig sind.
Ein Schlüsselelement des ZRM ist die Embodiment-Komponente: Jedes Motto-Ziel wird mit einer körperlichen Haltung oder Bewegung verknüpft. „Ich gehe meinen Weg ruhig und klar“ wird beispielsweise durch aufrechte Körperhaltung, bewusste Atmung und ruhige Schritte verkörpert.
5 Praxistipps
für bessere Zielvereinbarungen
1. Beginnen Sie jedes Ziel mit dem „Warum“, nicht mit der Kennzahl
SMART-Ziele starten meist bei der Messgröße – moderne Motivation startet beim Sinn. Fragen Sie vor jeder Zielvereinbarung zuerst: Wofür ist dieses Ziel gut – für das Team, die Kund:innen, die Organisation?
2. Verknüpfen Sie jedes Leistungsziel mit einem Haltungsziel
Reine Ergebnisziele aktivieren vor allem Kontrolle – nicht innere Stabilität. Ergänzen Sie deshalb jedes klassische Ziel um eine innere Haltung.
3. Reduzieren Sie Ziel-Inflation – das Gehirn kann nicht alles gleichzeitig verfolgen
Praxisregel: Nie mehr als drei echte Schwerpunktthemen pro Quartal. Alles Weitere wird automatisch zum Nebenkriegsschauplatz.
4. Machen Sie Ziele identitätsfähig – nicht nur erreichbar
Ziele entfalten besondere Kraft, wenn sie nicht nur sagen, was erreicht werden soll, sondern auch, wer man damit wird.
5. Verankern Sie Ziele körperlich – nicht nur sprachlich
Verknüpfen Sie jedes zentrale Ziel mit einer körperlichen Geste, Haltung oder Bewegung – als neurobiologischen Anker für Stresssituationen.
Quellen
Damasio, A. R. (1994). Descartes’ error: Emotion, reason, and the human brain. New York, NY: Putnam.
Doran, G. T. (1981). There’s a SMART way to write management’s goals and objectives. Management Review, 70(11), 35–36.
Locke, E. A., & Latham, G. P. (1990). A theory of goal setting and task performance. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.
Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation: A 35-year odyssey. American Psychologist, 57(9), 705–717. https://doi.org/10.1037/0003-066X.57.9.705
Oscarsson, M., Carlbring, P., Andersson, G., & Rozental, A. (2020). A large-scale experiment on New Year’s resolutions: Approach-oriented goals are more successful than avoidance-oriented goals. PLOS ONE, 15(12), e0234097. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0234097
Pink, D. H. (2009). Drive: The surprising truth about what motivates us. New York, NY: Riverhead Books.
Storch, M., & Krause, F. (2014). Selbstmanagement – ressourcenorientiert: Das Zürcher Ressourcen Modell ZRM® (6. Aufl.). Bern: Hogrefe.
