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Die fünf Kräfte der Führung: Wie die Big Five unser Leadership formen

In Kooperation mit Dr. Marcus Täuber.
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Es gibt Führungskräfte, die selbst dann Ruhe ausstrahlen, wenn um sie herum die Welt Kopf steht. Sie sind der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Andere inspirieren durch ihre Energie, ziehen Menschen in Meetings in ihren Bann und füllen Räume mit ihren Ideen. Und wieder andere arbeiten leise, präzise, verlässlich und geniessen in Gesprächen grosses Vertrauen, selbst wenn der Schuh bei persönlichen Dingen drückt.

Was genau erklärt diese Unterschiede? Es sind weniger Ausbildung oder Erfahrung, sondern vielmehr etwas Tieferes: die Persönlichkeit. In der Wissenschaft wird diese über einen psychologischen Goldstandard gemessen und erforscht: die fünf grossen Persönlichkeitsfaktoren, die Big Five. Neue Ansätze machen es möglich, die Big Five objektiv zu bestimmen und mit diesem Wissen noch bewusster die eigenen Eigenschaften an Teams und Organisationen anzupassen.

Wie Persönlichkeit ein Team führt

Ein Transformationsprojekt steht an. Die Projektleiterin ist brillant, kreativ, visionär. Ihre Stärke: Offenheit. Ihre Schwäche: dieselbe Offenheit. Sie denkt schnell, verbindet Themen intuitiv, erkennt Muster, die anderen erst Wochen später auffallen würden. Für sie ist Veränderung kein Risiko, sondern Rohstoff. Ihr Kopf produziert Möglichkeiten in Serie, wie ein Ideenlabor im Dauerbetrieb.

Doch was in ihr als natürlicher Denkfluss entsteht, trifft im Team auf ein völlig anderes Tempo. Die konservativeren Charaktere wirken zunächst interessiert, nicken höflich, schreiben mit. Doch je weiter die Projektleiterin in ihre gedankliche Zukunft springt, desto mehr verlieren die anderen den Anschluss. Die ersten Blicke wandern zu den Notizblättern, dann zum Boden, schliesslich ins Nichts.

Was die Projektleiterin als inspirierenden Aufbruch erlebt, wirkt auf die anderen wie ein Sturm, der keine Pause lässt. Ein Teil des Teams fühlt sich gestresst, weil die Richtung ständig wechselt. Andere fühlen sich überfordert, weil sie nicht wissen, wie sie die Fülle der Ideen in konkrete Schritte übersetzen sollen. Einige ziehen sich innerlich zurück.

Genau hier zeigt sich die stille Macht der Persönlichkeit: Dieselbe Offenheit, die Innovation ermöglicht, kann in einem Team ohne psychologische Puffer zu Reizüberflutung führen. Die Projektleiterin spürt davon zunächst wenig. Sie interpretiert die Stille als Zustimmung, die Zurückhaltung als Vorsicht, das Schweigen als Nachdenklichkeit. In Wahrheit ist es Überforderung.

Persönlichkeit wirkt. Immer und überall. Auch dann, wenn nichts ausgesprochen wird. Und gerade in Momenten grosser Veränderung kann der mentale Stil einer Führungskraft stärker über Erfolg oder Stillstand entscheiden als jede Strategie.

Die Wissenschaft erfolgreicher Führung

Amy Cuddy, Susan Fiske und Peter Glick zeigten, dass Menschen andere innerhalb von Sekunden entlang zweier Dimensionen einordnen: Wärme (meint die Person es gut?) und Kompetenz (kann sie auch etwas?). Aus diesen Achsen entsteht eine Matrix mit vier Wahrnehmungsfeldern. Wer warm und kompetent wirkt, erhält Vertrauen und echte Gefolgschaft. Warm, aber inkompetent erzeugt Sympathie ohne Respekt. Kalt, aber kompetent schafft Effizienz, jedoch Distanz und oft unterschwellige Anspannung. Und kalt wie inkompetent führt zu Misstrauen und Widerstand.

Diese beiden Dimensionen erklären einen Grossteil menschlicher Wahrnehmung, auch im Business. Für Führung bedeutet das konkret: Menschen folgen nicht nur Ideen, sondern in erster Linie den Menschen dahinter. Wärme öffnet, Kompetenz führt. Nur die Kombination beider Dimensionen erzeugt jene Wirksamkeit, die Teams in Veränderungen brauchen.

Das Fundament lässt sich präziser mit den Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen beschreiben. Offenheit steht für Neugier, Kreativität und die Fähigkeit, Neues zu denken. Gewissenhaftigkeit beschreibt Struktur, Zuverlässigkeit und den inneren Antrieb, Dinge sauber zu Ende zu bringen. Extraversion steht für Energie, Kontaktfreude und Wirkung nach aussen. Verträglichkeit beschreibt Empathie, Kooperation und die Fähigkeit, Beziehungen stabil zu gestalten. Und Neurotizismus zeigt, wie emotional stabil oder stressanfällig jemand ist. Zusammen erklären diese fünf Faktoren einen Grossteil unseres Verhaltens und damit auch, wie Wärme und Kompetenz in der Führung wahrgenommen werden.

Keiner der Big Five ist per se gut oder schlecht, entscheidend ist, wie bewusst eine Führungskraft ihre Ausprägungen einsetzt. Offenheit schafft Innovationskraft, wenn sie von klaren Prioritäten begleitet wird. Gewissenhaftigkeit bringt Struktur und Verlässlichkeit, solange sie nicht in Kontrolle kippt. Extraversion motiviert, verbindet und gibt Richtung, wenn sie Raum für andere Stimmen lässt. Verträglichkeit stärkt Beziehungen und psychologische Sicherheit, solange sie nicht Konflikte scheut. Und Neurotizismus, oft missverstanden, bietet ein feines Radar für Risiken, sensible Teamstimmungen und unterschwellige Spannungen, wenn er gut reguliert wird. Jede dieser Eigenschaften wird zur Ressource, sobald Führungskräfte verstehen, wann sie nach vorn treten darf und wann sie bewusst dosiert werden muss.

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Fallbeispiel Big Five und Führung

Ein etwa 50-jähriger Vertriebsleiter zeigt folgendes Persönlichkeitsprofil: hohe Offenheit, ausgeprägte Gewissenhaftigkeit, geringe Verträglichkeit, niedrige Extraversion und ein erhöhtes Mass an Neurotizismus. Ein Ergebnis, das deutlich macht: Diese Person führt selten laut, dafür analytisch, kritisch und visionär.

Gleichzeitig ist sie stärker auf innere Sicherheit angewiesen, als viele moderne Führungsmodelle es vermuten lassen. Rasante Marktveränderungen oder grössere Umstrukturierungen gehen an ihm daher nicht spurlos vorüber. Bevor er sein Team durch Change-Prozesse führt, muss er sich selbst stabilisieren, mental, emotional und strukturell.

Auffällig ist zudem seine kritische, ehrliche Art und das geringe Bedürfnis nach Harmonie. Er will nicht primär gemocht werden, wichtiger ist ihm Sachlichkeit. Konfrontation schreckt ihn nicht, im Gegenteil: Direkte Rückmeldungen, auch wenn sie unangenehm sind, fallen ihm leicht. Für einen Vertriebsleiter ist das ein Vorteil: Entscheidungen werden klar kommuniziert, Erwartungen transparent formuliert, Fehlleistungen ohne Umschweife angesprochen.

Mit diesem Wissen kann diese Person ihre Führung optimieren, vorausgesetzt, es wird bewusst ein- und umgesetzt. Damit dieser Vertriebsleiter sein Potenzial voll entfalten kann, braucht er vor allem eines: Rhythmen, die zu seinem inneren Tempo passen. Nach intensiven Gesprächen oder öffentlichen Auftritten sollte er bewusst Rückzug einplanen, kurze Phasen ohne Reize, in denen er seine Energie wieder aufladen kann. Diese Pausen sind kein Luxus, sondern die Grundlage seiner Leistungsfähigkeit.

Veränderungen darf er nicht sofort treiben müssen, er braucht die Chance, sie selbst erst einmal zu verdauen. Wenn er neue Vorgaben oder Marktimpulse in Ruhe durchdenkt und für sich sortiert, kann er sie später klarer, verständlicher und souveräner an sein Team weitergeben. Aus diesem Grund ist es hilfreich, wenn er Veränderung in konkrete Fakten, Schritte und Konsequenzen übersetzt, bevor er Kommunikation nach aussen sucht.

Seine Tendenz, Risiken und mögliche Probleme früh zu spüren, ist eine Stärke, solange sie nicht in Alarmstimmung kippt. Deshalb braucht er Strategien zur inneren Stabilisierung: feste Routinen, klare Prioritäten, kurze Achtsamkeitssequenzen, Naturpausen, Bewegung. Diese Massnahmen stärken seine Resilienz und sorgen dafür, dass sein feines Sensorium für Risiken produktiv bleibt, statt ihn zu überlasten.

Auch seine Direktheit kann zu einem mächtigen Führungsinstrument werden, wenn er sie gezielt dosiert. Er muss sich nicht verstellen, aber er kann jede klare Botschaft mit einem Satz einleiten, der Sicherheit vermittelt: „Mir ist wichtig, dass wir gemeinsam erfolgreich sind.“ So bleibt seine Klarheit wirksam, ohne verletzend zu wirken.

Und weil er Bewährtes schätzt, gewinnt er besonders dann an Stärke, wenn Prozesse stabil sind. Wiederkehrende Abläufe, klare Sales-Routinen, strukturierte Meetings, all das gibt ihm Halt und hilft ihm, unter Druck nicht in Überforderung zu rutschen. In solchen stabilen Rahmen kann er seine ruhige Analyse, seine Ehrlichkeit und seine Genauigkeit voll ausspielen.

Kurz gesagt: Er führt am besten, wenn er zuerst sich selbst sortiert, bevor er andere sortiert. Wenn er Veränderungen erst innerlich verarbeitet, bevor er sie kommuniziert. Wenn er Pausen nutzt, bevor er Entscheidungen trifft. Und wenn er Struktur schafft, bevor er Tempo macht. Dann wird sein Profil zur Stärke und nicht zur Bremse.

Mini-Selbsttest

Im Internet finden sich verschiedene Anbieter, bei denen Sie online eine Big-Five-Analyse durchführen lassen können. Achten Sie dabei auf die Abkürzungen NEO / NEO-PI-R / NEO-FFI. Diese weisen auf wissenschaftliche Validierung hin.

Der grosse Nachteil solcher Persönlichkeitstests ist allerdings, dass sie vollständig auf Selbsteinschätzung beruhen. Menschen füllen Fragebögen oft so aus, wie sie gerne wären, nicht so, wie sie tatsächlich im Alltag denken, fühlen und handeln. Wir neigen dazu, unsere Stärken zu überschätzen, Schwächen zu glätten oder einen Idealzustand zu beschreiben, der mit unserem Verhalten nur teilweise übereinstimmt. Dieses Manko lässt sich durch genetische Analysen umgehen.

Die Genetik unserer Persönlichkeit

Unsere Persönlichkeit wird in ihren Grundlagen durch die Genetik beeinflusst. Je nach Big-Five-Merkmal liegt der genetische Anteil bei rund 40 bis 60 Prozent. Kein Mensch besitzt dieselbe genetische Sequenz, ausgenommen eineiige Zwillinge. Diese individuellen Unterschiede, man spricht von genetischem Polymorphismus, wirken sich auf jene biologischen Systeme aus, die Denken, Fühlen und Verhalten steuern: die Menge und Wirkung von Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und die Art, wie unser Gehirn Stress verarbeitet. Genau hier setzen moderne genetische Analysen an.

In der Regel beginnt alles mit einem einfachen Speichel- oder Bluttest. Das Labor analysiert bestimmte Genvarianten, von denen wir wissen, dass sie Einfluss auf Eigenschaften wie Impulskontrolle, Stresssensitivität, Belohnungsverhalten oder emotionale Reizverarbeitung haben. Daraus ergibt sich eine Analyse des Big-Five-Persönlichkeitsmodells.

Auf Grundlage der Ergebnisse lässt sich in einem Business-Coaching-Prozess aus der Reflexion über die Merkmale erarbeiten, wie diese Eigenschaften optimal im Führungsalltag eingesetzt werden können. Selbstverständlich lassen sich auch Veränderungen erzielen, zum Beispiel wenn jemand an Offenheit gewinnen möchte. Doch auch hier steht die Selbsterkenntnis an erster Stelle. Denn Veränderung geschieht nur mit der Persönlichkeit eines Menschen, nie gegen diese.

In der Praxis wird dieses Konzept aus Genetik und Business Coaching am Institut für mentale Erfolgsstrategien in Zusammenarbeit mit Permedio Int GmbH angeboten.

Führungstipps für jede Big-Five-Dimension

  1. Offenheit
    Niedrig:
    Wenn Neues Sie eher stresst, zerlegen Sie Veränderungen in konkrete Schritte. Nehmen Sie sich bewusst Zeit, um sie selbst zu verstehen, bevor Sie Ihr Team durch den Prozess führen. Ihre Stärke ist Klarheit, nutzen Sie sie als Navigationshilfe.
    Hoch:
    Wenn Ihr Kopf voller Ideen sprudelt, dosieren Sie Input. Präsentieren Sie nicht alles, was möglich ist, sondern nur das, was jetzt nötig ist. Ihr Team braucht Kuratoren, keine Ideenlawine.

  2. Gewissenhaftigkeit
    Niedrig:
    Verlassen Sie sich nicht auf spontane Struktur. Nutzen Sie einfache Tools: Kalenderblöcke, klare Deadlines, kurze Prioritätenlisten. Diese kleinen Rituale schaffen die Verlässlichkeit, die Führung braucht, ohne Sie zu überfordern.
    Hoch:
    Achten Sie darauf, dass Ihre Ordnungsliebe nicht zu Kontrolle wird. Setzen Sie bewusst „Unschärfefenster“: Räume, in denen das Team selbst entscheiden darf. Sie entlasten andere und letztlich auch sich selbst.

  3. Extraversion
    Niedrig:
    Planen Sie nach jeder grossen Interaktion (Meeting, Präsentation, Kundentermin) einen kurzen Rückzug ein. Dadurch bleibt Ihre Energie stabil. Ihre ruhige, konzentrierte Präsenz wirkt, nutzen Sie sie punktgenau.
    Hoch:
    Nutzen Sie Ihre soziale Energie, aber achten Sie darauf, nicht alles mitzureissen. Fragen Sie bewusst nach stillen Stimmen im Raum: „Wer hat noch ein Argument, das wir hören sollten?“ So wird Ihre Energie zur Kraftquelle und nicht zum Überroller.

  4. Verträglichkeit
    Niedrig:
    Ihre Direktheit ist wertvoll, rahmen Sie sie mit Beziehung. Ein einziger Satz wie „Ich sage das, weil mir Ihr Erfolg wichtig ist“ verwandelt klare Ansagen in konstruktiven Einfluss.
    Hoch:
    Ihre Harmonieorientierung macht Sie beliebt, aber manchmal zu vorsichtig. Üben Sie, Konflikte früh und sachlich anzusprechen: nicht härter als nötig, aber früher als bequem. Das stärkt Ihre Führungsautorität enorm.

  5. Neurotizismus
    Niedrig:
    Ihre emotionale Stabilität gibt Teams Halt, achten Sie allerdings darauf, nicht unbeteiligt zu wirken. Teilen Sie ab und zu Ihre Gedanken oder Gefühle. Das schafft Nähe und macht Ihre Ruhe anschlussfähig.
    Hoch:
    Stärken Sie Ihre Resilienz aktiv: feste Abläufe, Pausen nach Druckphasen, Natur, Bewegung, Atemfokus, mentale Entlastung. Wenn Sie Ihr Nervensystem beruhigen, funktioniert Ihr sensibler Radar präzise und wird zur echten Führungsstärke.

Quellen

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