
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann über ein Jahr voller spektakulärer TV-Großereignisse – inmitten politisch und wirtschaftlich höchst angespannter Zeiten. Und über die ORF-Wahl im August.
Olympische Winterspiele, ESC, Fußball-WM – 2026 steht Außerordentliches auf dem Programm. Ist der ORF als Stimmungsaufheller in einem depressiven Umfeld nächstes Jahr geforderter denn je?
Wenn wir dazu beitragen können, die Stimmung im Land zu heben, freut mich das. Genauso wie es mich freut, dass uns die Menschen nutzen. Wir haben tatsächlich die besten Quoten seit vielen Jahren. Und ja, mit den drei von Ihnen genannten Events haben wir fürs kommende Jahr einiges im Köcher.
Das wird aber sicher nicht ganz billig. Wie geht sich das mit dem rigiden Sparkurs des Unternehmens aus?
Der ORF hat zwei große Sparpakete zu absolvieren. Das erste endet nächstes Jahr und bringt rund 325 Millionen Euro an Einsparungen. Zwischen 2027 und 2029 müssen weitere 140 Millionen folgen. Das liegt daran, dass die Haushaltsabgabe nicht valorisiert wird. Mein Credo lautet: nicht mehr Geld ausgeben, als man hat. Im Idealfall merkt das Publikum gar nicht, dass gespart wird. Aber für den ORF ist das eine immense Anstrengung, das muss man auch ganz klar sagen.
Wie viel wird die Austragung des Song Contests kosten?
Derzeit sind 16 Millionen Euro Nettokosten budgetiert. Es wird sparsam, aber spektakulär. Es ist der 70. Song Contest, und wir sehen uns in besonderer Verantwortung diesem Jubiläum gegenüber. „United by Music“ ist Motto.
Der ESC scheint aktuell ein politisches Minenfeld. Wie schafft man als Veranstalter den Spagat -zwischen Haltung und Diplomatie?
Indem man den Fokus bewahrt. Man muss viel kommunizieren und erklären. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass Kan, der unabhängige öffentlich-rechtliche Sender Israels, als unverzichtbare Stimme der israelischen -Demokratie teilnimmt. Faktum ist: Einige Länder haben angekündigt, nicht anzutreten, wenn Israel dabei ist. Das finde ich persönlich traurig, ist aber in einer Demokratie zu akzeptieren.
Ihr Mitarbeiter Martin Thür hat kürzlich auf Bluesky geschrieben, der ORF fahre das härteste Sparprogramm unter den öffentlichen Unternehmen – trotz höherer Durchschnittsgehälter anderswo. Stimmt das?
Ich bin für den ORF verantwortlich und auch dafür, dass wir nun den vierten Lohnabschluss in Folge unter der Inflationsrate abgeschlossen haben. Das war leider notwendig. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihren Teil zum Sparpaket beitragen. Wie es in anderen öffentlichen Unternehmen aussieht, liegt nicht in meinem Aufgabenbereich. Meine Aufgabe ist es, den ORF programmlich und wirtschaftlich auf Kurs zu halten.
Erwarten Sie, dass die ORF-Länderstudio-Struktur wieder in Diskussion kommt? Braucht jedes Bundesland ein eigenes Studio?
Österreich ist ein föderales Land mit neun sehr unterschiedlichen Regionen. Der ORF ist die mediale Plattform für diese Vielfalt. „Bundesland heute“ und die Regionalradios sind höchst erfolgreich und werden vom Publikum sehr geschätzt. In einer digitalisierten Welt ist Regionalität ein Asset, das man sich nicht nehmen lassen sollte. Die Landesstudios schaffen Identität.
Öffentlich-rechtliche Sender stehen europaweit unter Legitimationsdruck. Wie hält der ORF dagegen?
Ihr Befund stimmt. Wir diskutieren seit Jahren Strategien. Klar ist: Wenn wir von allen finanziert werden, müssen wir auch Programme für alle anbieten. Wir messen regelmäßig Akzeptanz und Relevanz und haben neue Formate entwickelt, in denen das Publikum zu Wort kommt. Es muss nicht jeder den ORF lieben, aber jeder soll zum Urteil kommen, dass unsere Berichterstattung Hand und Fuß hat. Ja, wir haben mit der Haushaltsabgabe ein Privileg, aber wir haben auch als einziges Medienunternehmen einen sehr umfangreichen gesetzlichen Auftrag. Gerade in Zeiten von Fake News sind öffentlich-rechtliche Sender ein gesellschaftlicher Kitt.
Und man teilt sich mit privaten Mitbewerbern einen kleiner werdenden Werbekuchen …
Österreich ist ein sehr kleiner Medienstandort. Mittlerweile haben alle verstanden, dass der eigentliche Gegner Google, Meta & Co. heißt, denn dorthin wandern die Werbeetats. Um den Standort zu erhalten, muss man kooperieren. Wir tun das etwa mit VÖZ und VÖP bereits intensiv.
Soll die Politik ein Kooperationsgebot wie in Deutschland formulieren?
Ich halte es prinzipiell für gescheiter, wenn Dinge freiwillig passieren. Ich verweise daher auf Projekte wie das 4Gamechangers Festival, das wir gemeinsam mit Puls 4 umgesetzt haben, oder auf Rechteteilungen bei Sportevents, um nur zwei Beispiele zu nennen. In den letzten vier Jahren ist da enorm viel an Kooperationswillen gezeigt worden.
Bleibt der ORF Teil des Superstreamers Joyn? Es heißt, ein Ausstieg sei nah.
Wir evaluieren das gerade. Klar ist: Wir haben nichts zu verschenken. Gleichzeitig wollen wir ORF-Inhalte über viele Wege unserem Publikum zur Verfügung stellen. Joyn profitierte von ORF-Inhalten und die über Joyn erzielten Reichweiten werden dem ORF zugerechnet.
Stimmt es, dass ein Viertel der ORF-Streamingnutzung von Joyn generiert wird?
Die ORF-Programme sind die meistgesehenen in Österreich, im linearen TV wie im Stream, und werden auch auf Joyn stark nachgefragt. Aber wie gesagt: Wir evaluieren und entscheiden im Laufe des nächsten Jahres, wie es weitergeht.
Was erwarten Sie sich von der ProSiebenSat.1-Puls-4-Gruppe - unter den neuen italienischen Eigentümern?
Eine Frage, die mich tatsächlich beschäftigt. Ich hoffe sehr, dass wir weiterhin mehrere Anbieter in Österreich haben werden.
Sie wurden von der APA-Comm kürzlich als präsentester CEO des Landes ermittelt. Wollen Sie nächstes Jahr diesen Titel verteidigen?
Es ist wichtig, dass man als Generaldirektor des größten Mediums im Land präsent ist. Die Auszeichnung gilt daher dem Unternehmen, nicht mir privat. Angenehm ist es nicht immer – aber wichtig und Teil des Jobs.
Stichwort Titelverteidigung: Treten Sie 2026 für eine zweite Amtszeit an?
Schauen wir. Es ist noch Zeit.
Sie könnten es dem Publikum jetzt schon mitgeben – als Gedankenanstoß über Weihnachten …
Ein Frühstart ist ein Fehlstart. Die Amtsdauer beträgt fünf Jahre, vier Fünftel habe ich bald hinter mir und im letzten Fünftel gibt es noch viel zu tun. Ob ich kandidiere oder nicht, werde ich fristgerecht bekannt geben.
Und zum Schluss die Frage, die zur Jahresmitte 2026 bei vielen im Zentrum stehen wird: Wer wird Fußballweltmeister?
Es wird letztlich jene Mannschaft werden, die es schafft, über mehr als fünf Wochen und damit in der längsten WM der Geschichte fokussiert zu bleiben. Wer das sein wird, darüber rätseln auch die Expertinnen und Experten. Warum nicht Österreich? Es wird in jedem Fall sehr spannend.
Zur Person
Roland Weißmann ist seit über 30 Jahren im ORF tätig. Der gebürtige Oberösterreicher begann seine Karriere im Landesstudio Niederösterreich und war unter anderem Chef vom Dienst bei Ö3. 2010 wurde der heute 57-Jährige Büroleiter der ORF-Finanzdirektion und so Nachfolger von Richard Grasl. 2017 avancierte er zum Vize-Finanzdirektor, 2022 wurde er schließlich ORF-Generaldirektor. Ob er 2026 erneut kandidiert, ist derzeit offen.
Das Interview ist in der trend.Edition vom 19. 12. 2025 erschienen.

