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Export: Neue Chancen in Armenien, Ghana & Co.

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Englisch Dekor liefertert die Stoffe für die Renovierung der Oper in der armenischen Hauptstadt Jerewan.

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Österreichs Exporte sinken, weil bewährte Handelspartner auslassen. Also müssen neue, unbeachtete Märkte erschlossen werden. Einige KMU zeigen, was möglich ist und wo die Fallen liegen.

Die Entscheidung fiel bereits vor dem letzten Akt: Die Besucher aus Armenien waren in der Wiener Staatsoper nicht nur von dem Geschehen auf der Bühne angetan, sondern auch vom Ambiente. Konkret den fein bezogen Sitzen. Und weil in Armeniens Hauptstadt Jerewan gerade die Oper von Grund auf renoviert werden sollte und die Delegation für die Umsetzung dieses Vorhabens in offizieller Fact-Finding-Mission in Wien war, wurde aus dem Kulturabend ein Großauftrag für Englisch Dekor: Einige Monate später lieferte der Wiener Möbelstoff- und Vorhang-Spezialist 4.000 Laufmeter Velours für Vorhänge, Sitze und Balustraden der Oper nach Armenien. Projektvolumen: deutlich über 100.000 Euro. 

Jeder kennt die verstörenden Fotos von Menschen, die in Afrika in Badeschlapfen auf Müllbergen nach Metallen und anderen noch verwertbaren Materialien suchen. Die Bilder lösen Gedanken über Umweltschutz und Ungerechtigkeit aus, aber auch den Wunsch nach Lösungen. Die kommen jetzt von einem österreichischen Unternehmen: Der steirische Abfall- und Recycling-Spezialist Komptech hat in Ghana bereits zwei Großanlagen für die Verarbeitung von Hausmüll errichtet sowie 13 semimobile Anlagen geliefert. Umsatzvolumen: 60 Millionen Euro. 

Bewährte Märkte bröckeln

Ob Ghana oder Armenien – die Beispiele zeigen, dass es auch abseits ausgetretener Exportpfade Chancen gibt, auch für Klein- und Mittelbetriebe. Selbstverständlich ist das oft mit Risiken und Komplikationen verbunden. Wer nach Deutschland liefert, hat keine Sprach- und meist nur geringe Verständigungsprobleme und bewegt sich in einem vergleichbaren Rechtsrahmen, was für die meisten exotischen Märkte eher nicht gilt. Dennoch: Gerade die aktuellen Exportzahlen belegen, wie notwendig es ist, den Blick auf Länder zu richten, die bisher nicht auf der Landkarte möglicher Absatzmärkte verzeichnet sind.

Denn die klassischen Exportmärkte bröckeln. Die aktuellen Zahlen von Statistik Austria zeigen, dass der Handel mit acht der zehn bedeutendsten Exportpartnern zuletzt zurückging, allen voran mit den USA (minus 25 Prozent), mit Deutschland (minus 2,4 Prozent) und mit der Schweiz (minus 10,5 Prozent). 

In Summe sanken die Exporte zwischen Jänner und August 2025 im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 5,1 Prozent auf 121,32 Milliarden Euro. Das klingt zwar immer noch viel, aber da mehr Waren importiert wurden, kippte die Handelsbilanz mit 7,25 Milliarden Euro ins Minus – nach einem Plus von 2,6 Milliarden im Vorjahreszeitraum. 

Schwierige Rahmenbedingungen im Inland und schwächelnde Exportmärkte sind keine gute Kombination. Eine mögliche Antwort: „An den hohen Energiekosten und Vorgaben durch die Regulatorik können mittelständische Unternehmen nichts ändern, da bleibt nur die Flucht nach vorne“, sagt Jochen Schönfelder, Senior Partner bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, „und das bedeutet Internationalisierung und Expansion in neue Märkte“

Wie KMU in kaum erschlossenen Märkten agieren

Ohne Frage sind Geschäfte in neuen, bisher kaum erschlossenen Märkte keine 08/15-Deals, aber sie sind machbar. „Besondere Herausforderungen gab es kaum“, berichtet Heinz Fleischmann, Gesellschafter und Vertreter der vierten Generation bei Englisch Dekor. 

Der Name klingt nach britischem Landhausstil, dahinter steht aber ein urösterreichisches Familienunternehmen. 1866 von Eduard August Englisch gegründet, wurde es 1902 von der Familie Fleischmann übernommen und wird jetzt in fünfter Generation von Lorenz Wymetal geführt. Der Betrieb mit seiner 45 Mitarbeitenden ist auf schwer brennbare Möbelstoffe und Vorhänge spezialisiert, beliefert werden vor allem Kunden aus den Bereichen Hotellerie, Gastronomie und Healthcare. 

Produziert wird überwiegend in Südeuropa, ergänzt durch Importe aus Asien und der Türkei – österreichische Webereien gibt es keine mehr. Mittlerweile wird in 80 Länder geliefert, der Exportanteil liegt bei 55 Prozent. Der Marktzugang erfolgt über Messen, Mundpropaganda und Handelsvertretungen 

Für die Oper in Jerewan wurden „nur“ die Stoffe geliefert, die Verarbeitung vor Ort übernahmen lokale Handwerker, was das Risiko reduzierte. „Aber selbstverständlich brauchen Exporte in ‚exotische‘ Märkte klare Regeln“, sagt Fleischmann. Dazu gehören präzise Verpackung und Transportplanung sowie entsprechende Versicherungen. Geliefert wird nur gegen Vorauskasse. Als Handelsunternehmen trägt Englisch Dekor weniger projektbezogene Risiken als technische Anlagenbauer, „doch professionelle Logistik und Dokumentation bleiben entscheidend“, so Fleischmann.

Kampf um die Lebensdauer

Wie komplex die Herausforderungen bei technischen Anlagen in exotischen Märkten sein können, weiß man beim Umwelttechnikunternehmen Komptech. Der steirische Abfall- und Recyclingspezialist hat in Ghana zwei große Anlagen zur Bearbeitung von Hausmüll errichtet – in einem Land, in dem nichts selbstverständlich ist. „Wir werfen fast täglich ein Auge auf die Anlage, um einen dauerhaften Betrieb sicherzustellen“, sagt Andreas Kunter, Knowledge Manager bei Komptech. Möglich macht das ein Condition-Monitoring-System, mit dem man auch in Österreich über den aktuellen Betriebszustand der Anlagen informiert ist.

Entstanden ist das Projekt durch die Präsenz von Komptech auf einer internationalen Abfallwirtschaftsmesse. Dort wurden die Steirer von Vertretern der Jospong Group angesprochen, auf dem afrikanischen Kontinent eine große Nummer. Der in Ghana ansässige Mischkonzern ist in verschiedenen Bereichen tätig, von der Abfallwirtschaft über den Telekom-Bereich bis zum Finanz- und Automobilsektor. 

Ghana gehört im Bereich der Abfallwirtschaft zu den Vorreitern in Afrika. Die Regierung bemüht sich, die Müllproblematik des 30-Millionen-Einwohner-Landes Schritt für Schritt in den Griff zu bekommen. Die Jospong Group bestellte zunächst eine Anlage, die in der Hauptstadt Accra täglich bis zu 600 Tonnen Hausmüll verarbeiten soll. Kurz darauf folgte der Auftrag für eine zweite Anlage in Kumasi, der zweitgrößten Stadt. 

Exportbilanz: Die leeren Ladeflächen werden mehr

Europäische Standards für neue Märkte

„Technisch entspricht die Anlage in Kumasi vollständig europäischem Standard“, betont Kunter, „ein Qualitätsanspruch, der im ghanaischen Markt keineswegs selbstverständlich ist und das Projekt zu einem wichtigen Referenzobjekt für uns macht.“

Doch um das zu erreichen, waren einige Maßnahmen notwendig. Unterschiedliche technische Ausbildungsniveaus, kulturelle Unterschiede, logistische Hürden und eine weniger stabile Werkzeug- und Lieferkettenqualität erwiesen sich als Hürden und führten immer wieder zu Verzögerungen. 

Komptech reagierte darauf mit großzügigen Zeitpuffern, intensiver Betreuung und vor allem dem gezielten Aufbau lokaler Wartungsstrukturen. Um Betrieb und Service langfristig sicherzustellen, wurde eine eigene lokale Präsenz in Ghana aufgebaut. Ein Servicetechniker des lokalen Partners Correct Engineering ist ständig erreichbar und führt regelmäßige Inspektionen sämtlicher Anlagen durch. 

„Diese lokale Verankerung ist entscheidend, um Wartung, Schulung und Ersatzteilversorgung zuverlässig abzusichern“, erläutert Andreas Kuntner. Auch wurden immer wieder österreichische Spezialisten nach Ghana geschickt. „Das war organisatorisch und kulturell anspruchsvoll, ist aber für Know-how-Transfer und Qualitätssicherung essenziell“, so Kunter. 

Das Fazit des Komptech-Managers: „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in langfristigen Strategien, starken lokalen Partnern und der Bereitschaft, interne Strukturen für internationale Projekte zu entwickeln.“ Kurzfristige „Spotgeschäfte“ würden sich nicht lohnen. 

Davon ist auch Stephan Jantscher überzeugt. „Projekte in weit entfernten oder regulativ anspruchsvollen Märkten sollten nie wegen eines einzelnen Auftrags durchgeführt werden“, so der Geschäftsführer des Grazer Unternehmens Solid – Solar Energy Systems. Der Erstaufwand sei enorm, ebenso die Risikoexponierung. 

Vorsicht bei Einzelprojekten

Das große Problem: Im Gegensatz zu großen Konzerne verfügen KMU weder über eigene Rechts-, HR- und Zollabteilungen, noch können sie Markteintritte über lange Anlaufphasen finanziell abfedern. KMU punkten zwar mit Flexibilität und kurzen Entscheidungswegen, „Know-how, Partnernetzwerke und Strukturen amortisieren sich aber erst bei mehreren Projekten“, so Jantscher.

Er weiß, wovon er spricht: Der Grazer Solar-Pionier mit 30 Beschäftigten musste Ende des Jahres 2023 wegen einiger Verzögerungen und Baukostenüberschreitungen bei Projekten sowie Problemen durch geänderte Förderungs- und Genehmigungsverfahren Insolvenz anmelden. 

Nach dem Einstieg der börsennotierten israelischen TIGI Solar konnte das Unternehmen aber weitergeführt werden – und macht jetzt mit einem prestigeträchtigen Großauftrag Schlagzeilen: Für die neue Sternwarte der europäischen Forschungsorganisation ESO (European Southern Observatory) wird Solid ein solarbetriebenes System in Kombination mit einer High-End-Speichertechnologie entwickeln und umsetzen, das Tag und Nacht den Bedarf an Kühlung, Heizung und Warmwasser deckt.

Die Sternwarte La Silla liegt am Rande der chilenischen Atacama-Wüste, 600 Kilometer nördlich von Santiago de Chile und auf einer Höhe von 2.400 Metern. Dort betreibt die ESO zwei der leistungsstärksten 3,6-Meter-Teleskope der Welt, die Astronomen nutzen, um Objekte aus dem Sonnensystem und dem Universum zu untersuchen.

Das Konzept von Solid sieht eine PV-Anlage in Kombination mit Warm- und Kaltwasserspeichern, modernen Wärmepumpen und einer hocheffizienten elektrischen Kältemaschine vor. Das System wird Warmwasser, Strom und Heizung für die Wohngebäude des Observatoriums, Kühlenergie für ein Teleskop und ein Onlineüberwachungssystem für die Wartung und Leistungsverfolgung bereitstellen. Die ESO will so die CO2-Emissionen aus dem Betrieb des Observatoriums erheblich reduzieren. Auftragsvolumen für Solid: 1,8 Millionen Euro.

Um der möglichen Einzelprojekt-Falle zu entgehen, ist Jantscher dieses Mal einen anderen Weg gegangen: Solid hat eine EU-weite Ausschreibung der Forschungsorganisation ESO gewonnen, die auch der Auftraggeber ist. Alle Probleme löst das dennoch nicht. Da die Sternwarte EU-Hoheitsgebiet ist, gelten sowohl europäische Richtlinien als auch nationale chilenische Gesetze – etwa beim Netzanschluss der PV-Anlage. Zusätzlich musste Solid eine eigene Tochtergesellschaft gründen, um lokale Steuersysteme korrekt abzuwickeln.

Warum sich Schritt in neue Märkte lohnt

Darüber hinaus soll die Sternwarte auf der Projektliste in Chile nicht lange allein bleiben. Jantscher prüft bereits weitere Standorte in dem südamerikanischen Land, etwa auf dem Berg Paranal, wo es ebenfalls ein Observatorium gibt, oder in große Minenregionen, um vom wachsendem Zugang zu lokalen Partnern und behördlichen Abläufen zu profitieren. 

Mit solchen Plänen ist er nicht allein. Für den Abfallspezialisten Komptech sind die Ghana-Projekte ein wichtiger Baustein für die Strategie, die Präsenz in Westafrika auszubauen. Über einen ehemaligen Mitarbeiter wird an einem Großprojekt für die Abfallbearbeitung in der nigerianischen Hauptstadt Lagos gearbeitet. 

Für Fleischmann von Englisch Dekor steht jedenfalls fest: „Der Schritt in entfernte Märkte lohnt sich, wenn Qualität, Referenzen und Verlässlichkeit stimmen. KMU sollten Risiken realistisch einschätzen, aber keine Scheu vor internationalen Chancen haben.“

Der Artikel ist in der trend.KMU-Ausgabe von Dezember 2025 erschienen.

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