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Leadership in die Tasche gesteckt

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Kreativität zeigt sich auch in der Krise. Als ihre Produktion kollabierte und Geld verschwand, dachte Designerin JULIA SKERGETH alles radikal neu. Heute produziert die erfolgreiche Unternehmerin mit einem rein weiblichen Team Luxustaschen nach ihren Vorstellungen.

Was tut man, wenn man als junge, kreative Designerin mithilfe einer Crowdfundingkampagne die erste Kollektion finanziert und plötzlich die gesamte Produktion zusammenbricht? Wenn das Unternehmen, das alles abwickeln soll, Insolvenz anmeldet? Und schlimmer noch: wenn der Produktionsleiter mit dem gesamten mühsam eingesammelten Geld untertaucht?

Für Julia Skergeth, damals Mitte 20, war diese Situation Realität. „Am wichtigsten war es, einen kühlen Kopf zu bewahren“, erinnert sich die heute 34-jährige Designerin. Leicht sei das nicht gewesen, erzählt sie, aber alternativlos. Skergeth, deren Taschenkollektionen heute zwischen Tokyo und New York gefeiert werden, musste ihre Karriere gleich zu Beginn einem unfreiwilligen Stresstest unterziehen. Und das in einem Land, das sie kaum kannte: Indonesien.

Nach ihrem Modestudium in London zog es die Oberösterreicherin nach Südostasien. In Java, einer der bevölkerungsreichsten Inseln des Landes, begann sie zunächst ganz klein: „Ich habe damals Schuhe für mich selbst entworfen und von einem lokalen Schuhmacher anfertigen lassen“, erzählt sie. Die Modelle kamen gut an – nicht nur bei ihr selbst, sondern auch im Freundeskreis. „Die Anfragen wurden mehr, irgendwann meinte der Schuhmacher, ich müsse mir eine größere Produktionsstätte suchen.“

Die fand sie auch – doch mit fatalen Folgen. Der neue Produktionsleiter in Westjava stellte sich als unzuverlässig und schließlich als kriminell heraus: Mit 12.000 Euro aus der Kickstarter-Kampagne verschwand er über Nacht. Kein Geld, keine Ware, keine Ansprechpartner. „Also habe ich die Produktion selbst übernommen“, berichtet Skergeth nüchtern. Sie ließ sich davon nicht entmutigen, sondern strukturierte alles neu, organisierte Zwischenfinanzierungen durch kleine Einzelaufträge und kommunizierte offen. „Mit ein bis zwei Monaten Verzögerung konnte ich schließlich doch liefern.“

Für viele Arbeiter war es anfangs ungewöhnlich, dass eine Frau das Sagen hat.

Julia SkergethUnternehmerin

Learnings.

Diese Zeit war prägend – geschäftlich wie persönlich. Skergeth lernte, dass Kreativität nicht nur im Design, sondern auch in der Krisenbewältigung eine Schlüsselrolle spielt. Gleichzeitig übernahm sie fortan die volle Kontrolle über ihre Produktionsprozesse. „Ich musste eigentlich nur noch die Arbeiter bezahlen – die Marge, die zuvor der Werkstattleiter einbehielt, fiel ja weg.“ Auch Einzelanfertigungen und Sonderwünsche fanden nun Platz im Sortiment.

Die größte Herausforderung war es aber, sich als junge Frau in einer männerdominierten Branche durchzusetzen. „Indonesien ist ein muslimisches Land, und für viele Arbeiter war es anfangs ungewöhnlich, dass eine Frau das Sagen hat.“ Doch mit Empathie, Respekt und konsequenter Kommunikation auf Augenhöhe gewann sie das Vertrauen ihres Teams.

Drei Jahre blieb Julia Skergeth in Indonesien, dann zog es sie zurück nach Europa. In Wien schlug sie ein neues Kapitel auf – und eine strategische Richtungsänderung ein: Schluss mit Schuhen, Fokus auf Taschen. „Schuhe sind online extrem schwer zu verkaufen – allein wegen der vielen Größenoptionen. Sie fressen enorme Produktionskapazitäten.“ Mit Taschen hingegen eröffnen sich neue kreative Freiheiten – bei geringerem Risiko. Ein entscheidender Vorteil, insbesondere im E-Commerce.

Die Entscheidung zahlte sich aus. Was als persönliche Vorliebe begann – Skergeth entwarf immer wieder Accessoires, die sie so nirgendwo finden konnte – wurde zur neuen Stärke ihres Labels. 

Neue Strategien.

Heute produziert sie luxuriöse, funktionale Taschen mit klarem Designanspruch und starkem Fokus auf Qualität, Ethik und Langlebigkeit. Und zwar mittlerweile in Padua – in jener norditalienischen Stadt, in der auch renommierte Luxuslabels ihre Taschen fertigen lassen. Der Weg dorthin war allerdings verschlungen: Skergeth testete mehrere Produktionsstätten quer durch Europa, ehe sie die passende fand.

Auch der ursprüngliche Plan war ein anderer: „Ich wollte das Label gleich von Beginn an international aufziehen“, erzählt Skergeth, die weltweit gut vernetzt ist. 2019 präsentierte sie ihre erste Taschenkollektion daher gleich in zwei Showrooms – in Tokyo und in New York. Think big, lautete die Devise.

Doch die Coronapandemie machte der Jungunternehmerin einen Strich durch die Rechnung. „Ich musste meine Strategie komplett umdrehen“, erinnert sie sich. Der Onlineshop wurde überarbeitet, das junge Label konzentrierte sich nun auf den österreichischen und den deutschen Markt. „Das hat von Beginn an sehr gut funktioniert. Vielleicht lösten wir so eine Art Unterstützerinstinkt aus“, scherzt Skergeth – und tatsächlich gelang es ihr, ihre hochwertigen Taschen im Premiumsegment zu etablieren. 

Ein mittlerweile ebenfalls stark umkämpftes Marktsegment. Denn wer Qualitätsbewusstsein mitbringt, verzichtet zwar auf Fast Fashion, möchte sich aber auch nicht mit überteuerten Luxuslabels identifizieren. Wie behauptet man sich also dazwischen? „Indem wir alles transparent machen“, sagt Skergeth. „Wir schlüsseln auf unserer Website für jede Tasche genau auf, was an Material-, Produktions- oder Marketingkosten sowie an Aufschlägen vom Handel anfällt. Kein Luxuslabel würde so etwas jemals machen.“ Transparenz als Geschäftsmodell also. „Wir haben den Anspruch, höchste Qualität zu einem leistbaren Preis zu liefern.“ 

Meiner Erfahrung nach bringen Frauen einfach mehr Leidenschaft in den Beruf mit.

Julia SkergethUnternehmerin

Gute Führung.

Das funktioniert mittlerweile sehr gut. Von einer großzügigen Altbauwohnung im siebten Wiener -Gemeindebezirk aus wird das kleine Taschenimperium heute geführt. „Aktuell habe ich zwei Mitarbeiterinnen und eine Praktikantin“, erzählt Skergeth. „Wir sind ein kleines Team, aber sehr effektiv – und machen neben Produktion auch Marketing und den Onlineshop in-house.“ Dass ihr Team ausschließlich weiblich ist, hat einen guten Grund. „Meiner Erfahrung nach bringen Frauen einfach mehr Leidenschaft in den Beruf mit. Außerdem will ich einen Safe Space für meine Mitarbeiterinnen schaffen.“ Überhaupt sollte es in der Modebranche mehr Frauen in Führungspositionen geben. Vor allem bei Luxus-Labels ist die Quote erschreckend niedrig. „Ich bin überzeugt, dass weibliche Führungskräfte einfach die besseren Skills haben.“ 

Und wie führt Skergeth selbst? Als Chefin behält sie am Ende des Tages den Überblick, ohne sich in alles einzumischen, erzählt sie: „Ich versuche schon, möglichst viel abzugeben und zu delegieren. Mir ist jedenfalls Struktur besonders wichtig“, erklärt Skergeth den Grundpfeiler ihrer Führungsphilosophie. Und ergänzt: „Das Team steht an erster Stelle.“ 

Ihren Führungsstil würde sie jedenfalls als emphatisch und weich, mit Strenge dort, wo es nötig ist, zusammenfassen. Gleichzeitig bedeutet erfolgreiche Leadership für sie vor allem, die Stärken der einzelnen Mitarbeiterinnen herauszuarbeiten und gleichzeitig Raum zur persönlichen Entfaltung zu schaffen. Nicht nur Safe Space, sondern auch Space zur Entwicklung also. 

Beim Rekrutieren neuer Mitarbeiterinnen wird daher besonders auf die Chemie geachtet. Neue Teammitglieder durchlaufen einen längeren Auswahlprozess, bevor sie an Bord geholt werden – aus gutem Grund. „Im Fashionbereich ist es schon so, dass man oft die Extrameile gehen muss. Etwa wenn Fotoshootings am Wochenende stattfinden oder zu sehr frühen oder sehr späten Zeiten. Wer ganz strikt von neun bis 17 Uhr arbeiten will, wäre definitiv falsch bei uns.“

Neben regelmäßigen Strategiesitzungen gibt es einmal im Monat eine Feedbackrunde im Vieraugengespräch. „Mir ist einfach wichtig, dass jede sagen kann, was funktioniert, was nicht funktioniert, was man verbessern oder anders machen kann und wo wir effizienter werden können.“ Zu guter Leadership gehört auch eine gelebte Fehlerkultur. „Natürlich darf man Fehler machen. Wir versuchen, sie zu vermeiden, und es ist nicht immer toll, aber es ist auch menschlich.“ Einmal im Jahr geht das Team außerdem auf ein mehrtägiges Team-Retreat, um gemeinsam enger zusammenzuwachsen.

Was mit einer verlorenen Crowdfunding-Summe und einem Neuanfang in Indonesien begann, ist heute ein kleines, selbstbestimmtes Label mit Haltung – und einem ganz eigenen Weg zwischen Design, Unternehmertum und gelebten Werten.

Zur Person

Julia Skergeth, 34, setzt auf Minimalismus, Handwerkskunst und Transparenz. Nach dem Modestudium in London zog es die oberösterreichische Designerin nach Indonesien, wo sie ihre ersten Kollektionen produzierte. Heute führt sie ein Taschenlabel mit Sitz in Wien – mit klarer Haltung, viel Struktur und einem starken Fokus auf Nachhaltigkeit.

juliaskergeth.com

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