Politik Backstage von Josef Votzi: Parteichefin auf Widerruf
Das Sesselsägen in der SPÖ macht nun bis nach der Wien-Wahl Pause. Je besser die SPÖ am 11. Oktober abschneidet, desto schärfer wird das die FÜHRUNGSDEBATTE neu beleben. Immer mehr Fans als Rendi-Nachfolger hat Peter Hacker.

Der einzige rote Landeskaiser, der noch mit absoluter Mehrheit regiert, tat es am Tag davor noch einmal kund. "Das war eine Abstimmung, die keiner in der SPÖ wollte", ließ Hans Peter Doskozil im ORF-Report unmissverständlich wissen. Weniger direkt, aber im Kern gleichlautend formulierte es auch Wiens SPÖ-Chef Michael Ludwig. Die beiden derzeit mächtigsten Männer der SPÖ ließen die Parteichefin dieser Tage einmal mehr auch öffentlich spüren, wer die wahren Parteichefs sind -und auch bleiben.
Pamela Rendi-Wagner wirkte am Tag der Verkündigung ihrer Vertrauensabstimmung dennoch sichtlich entspannt und erleichtert. Das Ergebnis lag sowohl bei Beteiligung (41 Prozent) und Ergebnis (71 Prozent Zustimmung) über den im Vorfeld bewusst tief gestapelten Erwartungen.
Aber auf Dauer hilft wohl auch das bezauberndste ostentative Lächeln nichts: Es wird auf Sicht nur ein vermeintlicher Triumph von Pamela Rendi-Wagner über ihre Kritiker bleiben. Deren Rechnung ist kühl: 160.000 Mitglieder führt die SPÖ noch in ihren Büchern. Nicht einmal jeder Dritte hat sich mobilisieren lassen, der Parteichefin das Vertrauen auszusprechen. Knapp über eine Million Stimmen brachte die SPÖ bei der jüngsten Nationalratswahl im September des Vorjahrs gerade noch auf die Waagschale. Würde heute gewählt würde die SPÖ weit unter eine Million Wähler abstürzen.
Die Tendenz bleibt seit Antritt Rendi-Wagners stark fallend, - das vermochte selbst ihre Kompetenz als Pandemie-Expertin nicht zu drehen. Die Staatspartei a. D. liegt derzeit deutlich unter ihrem schlechtesten Wahlergebnis von zuletzt 21 Prozent. Das ist die harte Währung, die für die Parteigranden zählt. Das Mitglieder-Votum wird die rote Personaldebatte bestenfalls von der Vorderbühne wieder in die Hinterzimmer verlagern.
Rendi & Co "können das einfach nicht"
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Denn je näher sich jede Recherche dem Wiener Rathaus nähert, desto eindeutiger bleibt zu vernehmen: Jetzt heißt es einmal bis nach der Wiener Wahl durchatmen. "Aber danach sollte man die ganze Partie rund um Rendi auch gleich möglichst schnell mit wegräumen", so ein SPÖ-Insider: "Die können es einfach nicht."
Wer Rendi-Wagner rechtzeitig vor den nächsten Wahl ablösen könnte, ist da und dort noch ein vages Wunschbild auf Polit-Tinder: "Es kann durchaus jemand sein, der noch nicht breit bekannt ist. Aber es muss eine Person sein, die ein politisches Talent hat", sagt ein SPÖ-Stratege. Die besten Chancen haben freilich nach wie vor erfahrene Polit-Profis.
Der burgenländische Landeschef Hans Peter Doskozil hat - sofern es seine Gesundheit es zulässt - vor allem in der Wiener Parteispitze besonders viele einflussreiche Fans als möglicher SPÖ-Chef. Die von SPÖ-Linken für diesen Fall an die Wand gemalte Parteispaltung halten die "Dosko"-Anhänger für ein taktisches Gespenst.
Immer mehr Anhänger gewinnt freilich einer, der weder im rechten noch im linken SPÖ-Lager sofort einen Nesselausschlag auslöst.
Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hat sich vom ersten Tag der Corona- Krise an als selbstbewusster Antipode zum Kanzler positioniert. Nicht nur Parteiinsider werten dieses Engagement als auffällig und über das notwendige Maß und den Anlassfall hinausgehend. Klopft da einer gar symbolisch mit beiden Fäusten an die Tür des Ballhausplatzes: "Ich will da rein"?
Angesichts einer fast absoluten Umfrage-Mehrheit für die ÖVP kann Hackers lautstarkes Auftreten vorläufig aber nicht mehr als eine Mutinjektion für eine - mal sentimentale mal depressive - Partei sein.
Peter Hacker ist die seltene Mischung aus pragmatischem Macher und streitlustigem Sozialdemokraten alter Schule. Er hat in der Wiener SPÖ aber null klassische Hausmacht, also weder einen großen Bezirk, die Gewerkschaft oder eine Teilorganisation hinter sich. Aber in einer Partei, die sich vom Virus des Niedergangs bedroht sieht, gelten in der Not bald andere Maßstäbe als die Aufstiegshilfen von gestern.
Wer immer die Bundes-SPÖ in die nächsten Wahlen führt, er übernimmt einen Torso. Ein ehemaliger Spitzenfunktionär, der sowohl die Wiener als die Bundespartei von innen kennt, beschreibt die Befindlichkeit der SPÖ so: "Auch die berühmte Schlagkraft der Wiener SPÖ ist längst ein Potemkinsches Dorf." Die wichtigsten Kader der Roten, feixt der Genosse, sind "die roten Boxen vor den U-Bahnstationen, aus denen die Wiener ihre Gratiszeitungen nehmen". Sprich: Ohne das Wohlwollen des Boulevards wäre - frei nach Fred Sinowatz - die Partei bald nichts.
Der Scherbenhaufen geht freilich nicht auf das Konto von Pamela Rendi-Wagner. Sie hatte eine politisch und personell weitgehend leere Hülle übernommenen. Die Verantwortung für den inneren Zerfall der Roten hat Werner Faymann als längstdienender der SPÖ-Chef der letzten beiden Jahrzehnte auf seine Kappe zu nehmen.
Die SPÖ wurde schon in den 1990er- Jahren zunehmend zu einem Kanzler-Wahlverein ausgedünnt. Unter Faymann, dem Weltmeister des politischen Mittelmaßes, wurde jedes politische Talent in der SPÖ als Bedrohung wahrgenommen und intern kaltgestellt, bevor es auch nur in die Nähe von Macht kam. So dominierte in der SPÖ bald überall das Faymann'sche Mittelmaß: Beim roten Nachwuchs und auch beim Regieren. Bei Wahlen reichte das nur noch für wachsende Stimmenverluste.
Krise als Turbo für rote Renaissance?
Nicht wenige Genossen sehen die Corona-Krise nun als unverhoffte Chance für eine Renaissance der Sozialdemokratie. "Wir müssen offensiv die Frage stellen: Wer hat den Menschen in der Krise geholfen?", analysiert ein SPÖ-Intellektueller: "Ein starkes staatliches Gesundheitssystem gegen die Corona-Epidemie, das starke staatliche Sicherheitsnetz des AMS bei Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit und ein starker staatlicher ORF bei der Information der Bevölkerung. Alle drei Säulen, die uns sicher durch die Krise brachten, wurden in den letzten Jahren massiv in Frage gestellt und von der SPÖ gegen Einschnitte verteidigt."
In ersten Wochen des Shutdowns blieb aber auch der SPÖ keine Wahl, als in den nationalen Schulterschluss einzustimmen und keinen oppositionellen Ton von sich zu geben. Die Wiederbelebungs-Chance der abgehalfterten Konkurrenz witterten derweil auch die Berater um Sebastian Kurz.
Ausgerechnet die türkisen Wanderprediger des Nulldefizits, Kurz und Blümel, gaben zur Bekämpfung der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren die Parole aus: "Koste es, was es wolle." Die SPÖ sah sich kurzfristig entwaffnet. Nachhaltig Sorge bereitet nachdenklichen roten Strategen, dass es Kurz bei der einmaligen Anleihe, sich in Kreisky-Manier die staatlichen Spendierhosen anzuziehen, nicht belassen dürfte. Der Türkisen-Chef erklärt sich nun nicht nur zum obersten Kämpfer gegen Steuerflucht und Steuervermeidung, sondern auch zum Garanten einer noch breiteren Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen als angekündigt.
"Kurz merkelt", analysiert ein SPÖ-Mann besorgt. Auch die deutsche christdemokratische Kanzlerin habe durch konsequente Übernahme sozialdemokratischer Politikrezepte den Mitbewerbern links der Mitte immer weniger Luft gelassen.
Die vielen kleinen und größeren Pannen bei der praktischen Umsetzung der staatlichen Krisenhilfe in Sachen Corona sorgen jetzt zwar für breiten Ärger - zuletzt auch zunehmend in der traditionell linksliberal dominierten Kulturszene. "Hier paaren sich Desinteresse und Inkompetenz", sagt ein SPÖ-Spitzenmann: "Das ist bedauerlicherweise aber innenpolitisch nicht spielentscheidend und wird daher auch bei den Wiener Wahlen wenig bewegen."
Die Abstimmung über den nächsten Bürgermeister am 11. Oktober dürfte aber alles in allem den Sozialdemokraten in Wien die Chance für ein Erfolgserlebnis geben. Die jüngsten Umfragen signalisieren, dass Michael Ludwig derzeit bis auf einen Prozentpunkt an das letzte Wahlergebnis in der Ära Michael Häupl von knapp 40 Prozent herankommen könnte. Nicht zuletzt auch dank selbstbewusster Auftritte wie denen von Peter Hacker, so ein einflussreicher Fan des roten Anti-Kurz.
Je besser die Wiener SPÖ im Herbst abschneidet, desto schärfer wird der Kontrast zu den Erfolgsaussichten der Bundes-SPÖ ausfallen - und die Debatte über die SPÖ-Spitze und Pamela Rendi-Wagner dann neu beleben.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend beleuchtet er wöchentlich Österreichs Politik.
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