Vollgas gegen Gewessler [Politik Backstage von Josef Votzi]

Johanna Mikl-Leitner sieht "zehntausend Arbeitsplätze" in Gefahr. Der türkise Kanzler macht auf Druck der schwarzen Landesfürsten nun gegen seine grüne Ministerin mobil. Und: Warum Kurz-Gottseibeiuns Peter Pilz zum Spiritus Rector für den nächsten U-Ausschuss werden könnte.

Thema: Politik Backstage von Josef Votzi
Leonore Gewessler

Leonore Gewessler

Magnus Brunner ist in der ÖVP im Augenblick ein besonders gefragter Mann. Der Vorarlberger führt an sich ein bislang unauffälliges Dasein als Staatsekretär im Ressort mit dem längsten Namen: Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, regierungsintern kurz BMK gerufen.

Brunners Insider-Wissen ist bei den türkisen Spitzen derzeit aber nicht zu einer der vielen Ressort-Agenden, sondern allein zur Person der Ressort-Chefin gefragt: Was reitet BMK-Chefin Leonore Gewessler bei der plötzlich verordneten Nachdenkpause für Lobau-Autobahn & Co – und wo ist die grüne Vorzeige-Ministerin am ehesten verwundbar.

Die türkise Riege hat die Suche nach deren Schwachstellen noch nicht abgeschlossen, eines steht aber intern schon fest: Alles was bei Türkis bis drei zählen kann, hat sie ab sofort politisch ins Visier zu nehmen. Frei nach Sebastian Kurz' Chat-Order an Thomas Schmid in Sachen widerspenstiger Kirchenfürsten: Vollgas gegen Gewessler.

Der Kanzler himself packt diese Woche den populistischen Dreschflegel aus. Kurz warnt vor einem Rückfall in die "Steinzeit" und gar einem "Klima-Lockdown". Im Gegenzug proklamiert er, Klimaschutz geht ohne Verzicht allein mit Innovation und technologischem Fortschritt.


Kontrollfreak Kurz wusste von nichts


Sebastian Kurz ist auf Leonoere Gewessler gleich mehrfach nicht gut zu sprechen. Der kontrollsüchtige Regierungschef hatte – wie in dieser Kolumne jüngst berichtet – am Rande seiner vierstündigen Einvernahme im Ibiza-Ausschuss in einer Sitzungspause erst durch Journalisten von den aufsehenerregenden Plänen der grünen Ministerin erfahren: Leonore Gewessler lässt 36 Straßenprojekte durch die Asfinag auf ihre Verträglichkeit mit dem Klimaschutz überprüfen.

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Ihr Argument: Als die Projekte in die Genehmigung geschickt wurden, war von den jüngsten ambitionierten EU-Vorgaben zur CO2-Reduktion und noch ehrgeizigeren heimischen Vorhaben zum Klimaschutz noch keine Rede.

Die Nachricht schlug nicht nur im Wiener Regierungsviertel wie eine Bombe ein. In den Bundesländern laufen Landespolitiker unabhängig ihrer Couleur gegen das Ansinnen, geplante Straßenprojekte in Frage zu stellen, Sturm.

ÖVP-intern machen sich zuvorderst Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Finanzlandesrat Ludwig Schleritzko, in dessen Kompetenz auch der Straßenbau fällt, gegen die Evaluierungs-Pläne von Leonore Gewessler stark. Mikl-Leitner übermittelte Sebastian Kurz eine Rechnung, dass zehntausend Arbeitsplätze durch die grüne Klima-Ministerin gefährdet sind.

In einer "Schnellschätzung" der niederösterreichischen Landesregierung heißt es: Derzeit seien österreichweit Projekte mit einem Volumen von 4,6 Milliarden Euro in Kürze baureif. Entsprechend einer einschlägigen Formel von Wirtschaftsforschern würden von diesen Milliarden-Investitionen pro Jahr rund zehntausend Jobs abhängen.


Klimasturz beim Klimaschutz


In Niederösterreich ist vor allem die Marchfeld-Schnellstraße S 8 der Landesherrin ein Herzensanliegen. "Als der Kanzler kürzlich den Auftakt zu seiner Sommertour in Niederösterreich gehabt hat, haben wir ihm klar gesagt: Wir erwarten uns, dass es für diese Projekte keinen Baustopp gibt", sagt ein teilnehmender Beobachter in der niederösterreichischen Landesregierung.

Die grüne Umweltministerin ist nach dem Abgang von Gesundheitsminister Rudolf Anschober das neue Feindbild der Türkisen. Die Unterstützung einer Resolution gegen die Gewessler-Pläne durch eine Vorarlberger ÖVP-Abgeordnete als Zünglein an der Mehrheits-Waage in Bundesrat war nur ein harmloses Vorspiel. Die Grünen nötigten als Retourkutsche für den inkriminierten "Koalitionsbruch" der ÖVP diesen Montag im Nationalrat ein zähneknirschendes Ja zur Evaluierung der S 18, dem umkämpften Projekt einer Bodensee Umfahrung, ab.

Das parlamentarische Geplänkel in Sachen Klimaschutz hatte ein Nachspiel, das für das Koalitionsklima nach hinten los ging. Vom Kanzler bis zum Landeshauptmann des Ländle rückten die Türkisen aus, um die S 18 politisch einzuzementieren.

Der Zorn der Landesfürsten über Leonore Gewessler geht längst weit über Niederösterreich hinaus.


Grüne: Fanal dritte Piste

in Wien-Schwechat


Bei den Grünen gibt man sich ob des Klimasturz beim Klimaschutz noch gelassen. "Das ist ähnlich wie mit der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat, die erst unumgänglich war und ohne die es jetzt genauso gut geht. Auch im Straßenbau gibt es einige Projekte, die niemand braucht, aber zu denen sich kein Lokalpolitiker Nein zu sagen traut. Da gibt es sicher auch Projekte, die einer Überprüfung Stand halten werden", sagt ein Spitzengrüner: "Der nüchterne Blick ist ja die Spezialität von Leonore Gewessler. Sie wird einmal mehr sehr sachlich bleiben und zeigen, dass sie weiterhin an gemeinsamen Lösungen interessiert ist."

Nachsatz: "Wir sind im Klimaschutz in allen Rankings auch deshalb weit hinten, weil es in Europa kaum ein Land mit einer so großen Autobahn- und Straßendichte wie in Österreich gibt. Wir werden eine Verkehrswende herbringen müssen, damit wir beim Klimaschutz mehr weiterbringen."

Der politische Herbst wird nach der Justiz-Front nun auch an der Umwelt-Front heiß.


Die große Stunde

des Magnus Brunner


Markus Brunner, plötzlich geforderter türkiser Bodyguard der grünen Klima-Ministerin, hatte diesen Montag einen vergleichweise anspruchslosen Zusatzjob zu erledigen – moralische Unterstützung für Gernot Blümel.

Die Opposition prangerte in einer Sondersitzung im Nationalrat neuerlich die Taktik von Gernot Blümel bei der Aktenlieferung an den Ibiza-Ausschuss an: Bremsen, tricksen und erst liefern, wenn der Rollbalken bereits unwiderruflich runtergeht.

Das Verhalten der Türkisen bei der Sondersitzung entspringt dem gleichen Drehbuch: Das unvermeidliche Ereignis mit demonstrativer Missachtung aussitzen. Allein Gernot Blümel findet sich nolens volens als Spitzentürkiser auf der Regierungsbank ein. Weil ein einsam sitzender Finanzminister kein besonders gutes Bild abgeben würde, kommt Magnus Brunner neuerlich ins Spiel. Türkis kommandiert den Staatssekretär als niedrigstrangiges Regierungsmitglied als moralische Unterstützung für Blümel auf die Regierungsbank ab. Parlamentarismus à la Türkis: Beistand und Missachtung in einem.

Auffällig: Der Koalitionspartner glänzt durch totale Abwesenheit auf der Regierungsbank und schickt – wie im Fall von Misstrauensanträgen Usance - nicht einmal im Gegenzug seine Staatssekretärin.

Bei Türkis-Grün lässt der Frust in Sachen Ibiza-U-Ausschuss selbst ein gängiges Symbol des Zusammenhalts nicht mehr zu. Die Grünen halten sich auch vom Rednerpult aus nicht mit Kritik an Blümel zurück.

Das ist auch ein Ventil dafür, dass sie sich von der Opposition neuerlich verhöhnen lassen müssen: Die koalitionär gefesselte Kontrollpartei kann aus Regierungsräson auch die letzte Gelegenheit nicht nutzen, dem Antrag auf Verlängerung des U-Ausschuss die fehlende Mehrheit zu liefern.

Blümels Akten-Verzögerungstaktik ist so voll aufgegangen. Ob und wie brisant die last minute gelieferten E-Mails und Dokumente tatsächlich sind, muss offen bleiben. Denn sie dürfen nicht mehr verwendet werden. Nach endlich kompletter Lieferung müssen sie in Kürze wieder komplett geschreddert werden.

Gipfel der Absurdität wäre, wenn die gleichen Akten im nächsten U-Ausschuss wieder eine Rolle spielen und neuerlich angefordert werden sollten.


Ibiza-U-Ausschuss reloaded

by Peter Pilz


Ende September, soviel steht so gut wie fest, wird die Opposition ihr wieder auflebendes Recht nutzen, eine Neuauflage oder modifizierte Fortsetzung des Ibiza-U-Ausschuss zu initiieren. Einige Oppositions-Abgeordnete spielten auch mit dem Gedanken, die andernorts bereits begonnene Untersuchung des Umgangs der Regierung mit der Corona-Krise zum U-Ausschuss-Thema machen.

"Das käme uns sehr gelegen", feixt ein türkiser Mandatar, "Denn von Corona will niemand mehr etwas hören."

Mehr Stoff böte wohl ein weiteres Kapitel in der Causa "Ibiza-Video und die Folgen", meinen Mandatare, die bereits in das neue Buch eines Ausschuss-Profis a. D. hineingeschnuppert haben.

Peter Pilz brachte diesen Donnerstag eine Abrechnung mit dem "Regime Kurz" im Verlag Kremayr & Scheriau auf den Markt.

Der Begriff Regime ist für eine vor zwei Jahren demokratisch bestätigte Kanzler-Partei und ihren obersten Repräsentanten bei aller berechtigten Kritik eine maßlose Übertreibung. Der Ex-Grüne, Gründer der Liste Jetzt und nunmehrige Chef des Online-Mediums Zack.Zack formuliert gewohnt spitz und kurzweilig, sein Stil ist und bleibt aber nicht jedermanns Sache.

Ein breites und uneingeschränktes Interesse verdient aber, was Peter Pilz über das Innenleben des Sicherheits- und Justiz-Apparats zu Papier bringt. Hochspannend und brisant malt Pilz minutiös das Bild eines Zusammenspiels zwischen der Hochbürokratie von Polizei und Justiz, das alles im Sinn hat, nur nicht die Aufklärung von politischen Missständen.

Pilz deutet auch das Beharren der ÖVP auf eine Ablöse von Herbert Kickl als Innenminister im Mai 2019 und damit das endgültige Platzen von Türkis Blau in diesem Kontext so: "Die ÖVP braucht die Kontrolle über das Innenministerium, damit sie als SOKO Ibiza eine SOKO Türkis einsetzen kann. Es gibt noch einen Grund, warum Kickl um jeden Preis entfernt werden muss. Der FPÖ-Innenminister will seine BVT-Reform bald abschließen. Kurz, Nehammer und Sobotka wissen, dass es in diesem neuen BVT eines nicht geben wird: einen maßgeblichen Einfluss der ÖVP (...) Noch beherrscht die ÖVP große Teile des BVT, die wichtigsten Sektionen des Innenministeriums und die gesamte Kriminalpolizei. Aber Kickl macht aus Türkis Blau. Das Ibiza-Video bietet eine einmalige Chance, ihn loszuwerden."

Was bei manchen nach Verschwörungstheorie klingt, wird mit einer vielgliedrigen Indizienkette belegt. Sebastian Kurz und die Türkisen werden nach 15 Monaten U-Ausschuss wohl auch mit dieser Abrechnung des Aufdeckers a.D. nach bewährten Muster umzugehen suchen – kleinhalten dank der Devise "Nicht einmal ignorieren".


Kanzler-Demütigung: Applaus für Warnung

vor "kurzatmiger Justiz"


Weithin unübersehbar verstört haben dürfte den Kanzler gleich mehrfach seine dieswöchige Stipp-Visite bei den Bregrenzer Festspielen. Alexander Van der Bellen las in seiner Eröffnungsrede Kurz & Co öffentlich wegen mangelnden Respekts vor den Institutionen die Leviten.

Als Beispiel führte der Bundespräsident – ohne einen der Protagonisten beim Namen zu nennen – den Umgang des Finanzministers mit dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs in Sachen Aktenlieferung an.

Nicht nur dafür gab es heftigen Applaus aus dem Publikum. Der türkise Kanzler muss an diesen Mittwoch in der ersten Reihe neben Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner zudem über sich ergehen lassen: Ein Künstler nimmt Kurz noch unverblümter als Van der Bellen ins Visier und streift dafür unverhohlen Lacher und Applaus ein.

Als der Bundespräsident die Bühne für seine Eröffnungsrede betritt, begrüßt der Zeremonienmeister des Eröffnungsreigens, der Puppenkünstler Nikolaus Habijan, Van der Bellen enthusiastisch so: Danke dafür, "dass Sie der Justiz den langen Atem stärken". Und setzt in den Applaus hinein nach: "Bitte tun Sie das weiterhin, damit sie net kurzatmig wird."

Der Bundespräsident verzieht bei diesem Wortspiel auf Kosten des Kanzlers keine Miene. Sebastian Kurz ist sichtlich für länger not amused.


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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