Schwarzer-Peter-Spiel bei den Türkisen [Politik Backstage von Josef Votzi]

Der Fehl-Start in den Corona-Herbst ist der Oberösterreich-Wahl geschuldet. Vor allem die ÖVP steht im Bann der Testwahl über Corona, Chats & Impfgegner.

Themen: Politik Backstage von Josef Votzi, Sebastian Kurz - Aufstieg und Fall
Schwarzer-Peter-Spiel bei den Türkisen [Politik Backstage von Josef Votzi]

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer steht trotz großem Optimismus unter Druck. Neben ihm Bettina Stelzer-Wögerer und Bundeskanzler Sebastian Kurz kürzlich beim Wahlauftakt in Linz.

Mittwochvormittag ist für alle, die im Regierungsviertel etwas zu sagen haben, ein unverschiebbarer Fixtermin. Minister, Klubobleute, Kabinettschefs und Strippenzieher finden sich zur wöchentlichen Ministerrats-Sitzung samt fraktionellen Vorbesprechungen im Kanzleramt ein. Mit Start des Schulbeginns im Westen ist das ganze Land seit Anfang der Woche wieder in Volllast-Modus.

Nur am Wiener Ballhausplatz stehen die Fahnen noch auf Halbmast. Über den Sommer hat der Ministerrat pausiert. Auf der Tagesordnung der zweiten Regierungssitzung seit Saisonstart steht nach wie vor nichts, was auch nur eine Kurzmeldung Wert wäre. Sang- und klanglos nach Hause zu gehen, würde die inhaltliche Leere erst recht zum Thema machen.

Also muss auch heute dem Ritual Tribut gezollt werden, nach Sitzungsende vor die wartenden TV-Kameras zu treten. Hauptdarsteller und Plot werden in der Regel spätestens am Abend davor ausgemacht.


Überraschendes Solo für Schramböck


Das Los der türkisen Message Control fiel diesmal auf Margarethe Schramböck. Die Wirtschaftsministerin soll den eben im Ministerrat routinemäßig abgesegneten Jahresabschluss-Bericht des European-Recovery-Program (EPR) als Erfolg des segensreichen Wirkens von Türkis-Grün bei der Konjunkturbelebung nach der Corona-Krise verkaufen.

Ein Solo-Auftritt nach der wöchentlichen Ministerratssitzung blieb bisher allein dem Kanzler überlassen. Sebastian Kurz war freilich schon nach nicht einmal einer halben Stunde dem Meeting mit seinen Ministern enteilt.

Vor dem wöchentlichen Lunch unter vier Augen mit Vizekanzler Werner Kogler im Kreisky-Zimmer waren noch einige Telefonate zu erledigen. Bei diesem intimen Jour fixe der beiden Koalitionskutscher sind weder Mitarbeiter noch Arbeitsunterlagen mit am Tisch. Es werden vielmehr Stimmungsberichte ausgetauscht, heikle Personalfragen erörtert und Spielräume für Kompromisse ausgelotet.

Bei einem waren sich Kurz und Kogler an diesem Mittwoch unabgesprochen einig. Am Thema Nr. 1 wollte dieser Tage ohne Not keiner der türkisen oder grünen Spitzen anstreifen. Seit einer Woche hagelt es wieder negative Schlagzeilen in Sachen Covid. Eltern, Lehrer und Schüler berichten laufend von Pannen in den Schulen. Die Zahl der Klassen, die in Quarantäne geschickt werden, ist kurz nach Schulstart Bereits hoch dreistellig. Der Bildungsminister macht eine Vollbremsung, halbiert die Quarantäne-Zeit von zehn auf fünf Tagen und will nur noch unmittelbare Sitznachbarn von infizierten Kindern in die Selbstisolation schicken.

Zudem sorgte die just am Tag der Regierungssitzung startenden neuen Regeln zur Maskenpflicht für breites Unverständnis und Verwirrung. Motto: Keiner kennt sich mehr aus, was gilt und wer das kontrollieren soll.


Stelzers magische 40-Prozent-Hürde


Der politische Start in den Corona-Herbst ist der Regierung heillos entglitten. Und das wenige Tage vor der, vor allem in Augen der ÖVP, wichtigsten Test-Wahl des Jahres. Am kommenden Sonntag, dem 26. September, sind 1,1 Millionen Oberösterreicher zur Stimmabgabe aufgerufen.

Die Ausgangslage schien bis vor kurzem auf dem Papier für Landeshauptmann Thomas Stelzer ein Win-Win-Spiel. 2015 war die ÖVP Partei noch unter Vorgänger Josef Pühringer um 10 Prozentpunkte auf 36 Prozent abgestürzt.

Die FPÖ hatte einen Sensationserfolg eingefahren und sich auf 30 Prozent verdoppelt. Das Gefühl des Kontrollverlusts in Folge der großen Flüchtlingswelle forderte in Oberösterreich einen ersten und heftigen Tribut. Eine Tilgung dieser historisch einmaligen Schmach sechs Jahre danach und ein Ergebnis von 40 Prozent plus schien für die oberösterreichischen Schwarzen daher ausgemachte Sache. Jüngste Umfragen signalisieren freilich, dass Thomas Stelzer Grund hat, sich über jedes einzelnen Prozent zu freuen, dass ihn über den historischen Tiefstwert von 36 Prozent hebt. 40 Prozent sind für Stelzer so längst die Demarkations-Linie für eine schwere Niederlage.

Für die oberösterreichischen Schwarzen ist im Fall einer neuerlichen Abstimmungs-Schmach der Schuldige freilich schon ausgemacht: Da sind zum einen die hochnotpeinlichen Chat-Orgien des Thomas Schmid. Das ist zum anderen der - auch von honorigen Bürgerlichen als respektlos empfundene - Umgang einiger Spitzentürkiser mit dem Verfassungsgerichtshof und generell der Justiz.

Ein Ergebnis unter 40 Prozent würde das alles andere als harmonische Verhältnis zwischen Thomas Stelzer und Sebastian Kurz nachhaltig beschädigen.


Großer Zulauf für bürgerliche

Anti-Corona-Liste


Eine größere Rolle als erwartet spielt auch eine Liste von Impf- und Corona-Skeptikern, die aus dem bürgerlichen akademischen Milieu kommt. Umfragen billigten der neuen Liste mit der sperrigen Parteikürzel "MFG, Menschen-Freiheit-Grundrechte" den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde zu.

Diese Anti-Corona-Maßnahmen-Liste fischt nicht allein im blauen Teich, sie ist auch für schwarze Wechselwähler, die 2015 zu Blau überliefen, attraktiv. Feinanalysen von Demoskopen ergeben zudem, dass auch Frauen mit grünen Sympathien dort eine neue politische Heimat zu finden glauben.

Der größte Angstgegner für Türkis trägt wieder Blau. Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner und FPÖ-Chef Herbert Kickl haben sich - trotz großer persönlicher Antipathie - im Wahlkampf als Win-Win-Duo positioniert und suchen mit unterschiedlicher Tonlage das blaue Wählerreservoir maximal auszuschöpfen.


Kurz & Co bei

Anti-Corona auf der Bremse


Kurz & Co standen und stehen vor allem deshalb bei allen neuen Maßnahmen gegen die längst wogende vierte Corona-Welle auf der Bremse. Der Präsentation des 3-Stufen-Plans vor zehn Tagen war ein wochenlanges Tauziehen vorausgegangen. Das Ergebnis ist entsprechend verwirrend und schwer vermittelbar.

Schon das Grundgerüst der Drei-Stufen-Regelung erschließt sich nur, wenn man es als Ergebnis eines politisches Kompromisses liest. Das Gesundheitsministerium wollte Verschärfungen sobald eine neue besorgniserregende Prognose der Belegung von Intensivbetten mit Corona-Patienten vorliegt.

Das Kanzleramt beharrte auf fixen Zahlen und Schwellenwerten. Ergebnis war die bekannte Stufenregelegung, was passiert wenn 200, 300 und 400 Patienten intensivpflichtig sind. Dass jeweils noch sieben Tage bis zum Erlass neuer Maßnahmen angehängt werden ist der Orientierung am Prognose-Modell geschuldet.

Inhaltlich liegen Türkis und Grün bei der Wahl der neuen Anti-Corona-Waffen nicht weit auseinander, was sie trennt ist die Begleitmusik. Für Kurz & Co gibt es nur noch eine simple Botschaft: "Leben Sie normal ihr Leben", die vierte Corona-Welle ist eine "Pandemie der Ungeimpften". Die neuen Hürden haben daher allein diesen zu gelten. Diese sollen im Vorfeld der Oberösterreich-Wahl aber mit Schalmeien-Tönen verkauft werden: Ziel der Regierung sei es, ab sofort die Ungeimpften zu schützen.

Der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein stemmt sich zwar rhetorisch gegen eine "Spaltung Österreichs in Geimpfte und Ungeimpfte". Beim Maßnahmen-Mix ziehen Türkis-Grün im Moment aber weitgehend in die gleiche Richtung.

Den - vor allem kommunikativ - rasanten Fehlstart in den Corona-Herbst öffentlich erklären, will wenige Tage vor einer Wahl, bei der Impf-Gegner und Corona-Maßnahmen-Kritiker erstmals politisch gewogen werden, keiner der türkis-grünen Polit-Spitzen.

Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck kam so angesichts des Feuerwerks an miesen Schlagzeilen nicht umhin, das Drehbuch ihres Solo-Auftritts am Mittwoch nach dem Ministerrat last minute zu adaptieren. Der Schnellschuss ging aber eher nach hinten los. "Wir müssen die vierte Corona-Welle abschwächen, dafür braucht es leider Gesundheitsmaßnahmen auch im Handel. Mir als Wirtschaftsministerin ist ganz klar, dass es dazu viele Fragen gibt. Klar ist aber auch, dass die Regelungen vollkommen klar sind", proklamierte Schramböck allein auf weiter Flur.


Pisten-Spaß im 3-G-Modus?


Kommende Woche steht die nächste Runde in Sachen neuer Covid-Regeln an. Seit Anfang der Woche verhandeln Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, Branchen- und Ländervertreter über Spielregeln unter Pandemie-Bedingungen für den Wintertourismus.

Nicht nur die mächtige Tiroler Seilbahnwirtschaft sorgt dafür, dass sich die Verhandlungen länger als geplant ziehen. Wie eine Neuauflage des Kitzloch-Desasters und ein Ischgl 2.0 verhindern soll, wollen Köstinger, Mückstein, Platter & Co nun im Laufe der kommenden Woche verkünden.

Im Regierungsviertel ist dieser Tage intern zwar noch deutlicher die Parole ausgegeben worden: Die (Gratis)-Tests sind als Zugangs-Ticket ein Auslauf-Modell, die Zukunft gehört der 2-G-Regel. Sprich: Freie Fahrt in allen Lebensbereichen für Geimpfte und Genesene. Das soll Geimpfte mit der (Corona)-Politik wieder versöhnen und vor allem noch mehr Druck auf Umgeimpfte ausüben.

In Sachen Winter-Tourismus stehen die Zeichen aber weiter anders. Die Parole lautet derzeit: Skispaß und Après-Ski im 3-G-Modus. Das Regelwerk soll sich an jenem komplizierten Drei-Stufen-Plan in Sachen Masken und Zugangshürden orientieren, der bisher für mehr kollektives Hyper-Ventilieren als für erleichterndes Aufatmen sorgt.


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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