Rot-Schwarz-Fans wittern Morgenluft [Politik Backstage von Josef Votzi]
Warum Türkis-Grün mit Ende der Pandemie das Aus droht und die Fans von Rot-Schwarz wieder Aufwind haben. Wie der entzauberte Wunderknabe Sebastian Kurz an seine Reinwaschung und an ein Comeback glaubt.
Der gefallene Kanzler Sebastian Kurz glaubt weiter an ein Comeback.
"Nehammer ist nun dem Geist vom Achsensee, ob er will oder nicht, verpflichtet: Wesentliche Entscheidungen sind mit den Ländern abzustimmen, bei heiklen Causae wie Corona am besten auch unter Einbindung der SPÖ", resümiert ein schwarzer Ländermann. In der ÖVP mehren sich vor allem in Wirtschaftskreisen zudem die Stimmen, aus der akuten Corona-Not eine langfristige Tugend zu machen. Mit roten Granden wie Wiens Michael Ludwig käme man oft schneller und besser auf einen Zweig als mit den zu neuem Selbstbewusstsein erwachten Grünen.
Nach Türkis-Blau sorgt nun auch Türkis-Grün in der ÖVP immer öfter für Ärger und Frust. Mit der Kickl-FPÖ, davon sind selbst hartnäckige Fans eines ÖVP-FPÖ-Comebacks überzeugt, ist auf Sicht kein Staat zu machen. Für ein Bündnis mit den Grünen gibt es am Wählermarkt auf Sicht schlicht keine Mehrheit. Was für die machtbewussten Schwarz-Türkisen noch schwerer wiegt: Das Regieren mit den Grünen droht immer öfter auf Kosten der ÖVP zu gehen.
Neues ÖVP-Feindbild
"Steinzeit"-Gewessler
Die immer noch zahlreichen Kurz-Fans in der ÖVP verzeihen Grünen-Chef Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadić den "Abschuss" ihres Idols nicht. Erst die "zügellosen Ermittlungen der Justiz und Attacken im U-Ausschuss", so der Tenor in diesen Kreisen, dann das grüne Diktat: "Kurz ist nicht mehr handlungsfähig und muss als Kanzler weg."
Dazu kommt eine neu entfachte Grün-Aversion in Wirtschaftskreisen. "Wenn wir uns weiter von den Grünen so vorführen lassen, dann sind wir bald bei 15 Prozent", empört sich ein Vertreter des ÖVP-Wirtschaftsflügels. Pate steht hier einmal mehr das neue schwarz-türkise Feindbild Nummer eins: die grüne Umwelt- und Klimaministerin Leonore Gewessler.
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Schon Sebastian Kurz war auf Leonore Gewessler seit dem Frühsommer nicht gut zu sprechen. Der kontrollsüchtige Regierungschef hatte am Rande seiner vierstündigen Einvernahme im Ibiza-Ausschuss in einer Sitzungspause erst durch Journalisten von den Plänen der grünen Ministerin erfahren, drei Dutzend Straßenbauprojekte auf ihre Klimaverträglichkeit zu überprüfen. Die Nachricht schlug auch in den Bundesländern wie eine Bombe ein. Landespolitiker fast aller Couleurs liefen gegen das Ansinnen Sturm. In der ÖVP machte sich zuvorderst Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gegen Leonore Gewessler stark.
"Wir erwarten uns, dass es für diese Projekte keinen Baustopp gibt", ließ die schwarze Landeshauptfrau den türkisen Kanzler anlässlich seiner Sommertour durch Niederösterreich wissen. Ein Diktum, das erst recht für den neuen Kanzler mit niederösterreichischen Wurzeln, Karl Nehammer, gilt. Bei den Grünen gab man sich ob des Klimasturzes in der Koalition beim Klimaschutz anfangs noch gelassen.
Die große Stunde
des Magnus Brunner
Seit dem unerwarteten Wechsel im Finanzministerium blinken die Signale bei den Grünen freilich auf Rot. Sie fürchten nach Blümels Abgang, dass sich Ex-Staatssekretär Magnus Brunner für jene Rollenverteilung, die ihm Leonore Gewessler aufzwang, revanchieren könnte. Die grüne Ministerin überließ ihrem ÖVP-Staatssekretär lediglich die Agenda für Luft- und Schifffahrt. Energie- und Klimafragen, für die der Ex-Energie- und Ökostrom-Manager durchaus Expertise mitbrachte, blieben unteilbar grüne Ministerinnensache.
Brunner ließ in Gesprächen mit Parteifreunden bereits feixend wissen: Er freue sich schon auf den Tag, an dem Gewessler im Finanzministerium um zusätzliches Geld für neue Wunschprojekte einkomme.
Im grünen Lager gibt man sich trotz der neuen türkis-grünen Familienaufstellung noch entspannt. "Das Budget ist verhandelt. Die Steuerreform steht." Eines steht auch felsenfest: Die Grünen, die nach dem Rauswurf aus dem Parlament nicht nur stark zurück sind, in einer Regierung sitzen und zuletzt auch den Ton angeben, haben null Interesse an raschen Neuwahlen. Zumal sie danach wieder zwischen allen Stühlen landen könnten.
Auffällig ist aber, dass Werner Kogler und Sigi Maurer dieser Tage, wo immer sie können, gleichlautend kundtun: Natürlich gibt es - wie von Pamela Rendi-Wagner und Beate Meinl-Reisinger zuletzt ventiliert - derzeit auch gute Argumente, zu wählen, sobald die Pandemie vorbei sei. Schließlich seien in der ÖVP seit der Wahl 2019 die Karten personell total neu gemischt worden. Die kecke Ansage ist ein Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Nehammer & Co.: Wenn die ÖVP den Grünen aus Rache oder Angst vor weiteren Terraingewinnen keine Luft lasse, könnten die Ökos ihr Glück nach vorzeitigen Wahlen mit Rot-Pink-Grün suchen.
Geschäftsgrundlage dieses Pokers ist: Die ÖVP, die nach dem Kurz-Sturz verzweifelt um ihre Zukunft ringt, hat auch ihrerseits null Interesse, die dramatischen Umfrageverluste umgehend an der Wahlurne zu realisieren. Das taktische Geplänkel der Grünen sehen vor allem die reanimierten Großkoalitionäre in der ÖVP besonders gelassen. Sie glauben zu wissen, dass die wahren SPÖ-Spielmacher wie Michael Ludwig - auch nach zehn Jahren Rot-Grün in Wien - wenig Lust auf das Risiko einer Dreier-Koalition haben - und für das Comeback von Rot-Schwarz zu haben wären.
Kurz rüstet auf
und träumt von Comeback
Mit dem bis vor Kurzem alles dominierenden Player rechnen derzeit weder Rot noch Schwarz. Sebastian Kurz selber, sagen Vertraute, ist aber weiterhin wild entschlossen, mit allen Mitteln an seiner Reinwaschung zu arbeiten. Seine Anwälte argumentieren: Nicht nur der Vorwurf der falschen Zeugenaussage im U-Ausschuss stehe auf schwachen juristischen Beinen. Auch beim Verdacht der Beitragstäterschaft oder gar Anstiftung zur Untreue gebe es keine Indizien und schon gar keine Beweise, dass Kurz von missbräuchlicher Verwendung von Steuergeldern für mutmaßlich gefälschte Umfragen und/oder Inseratenkorruption gewusst haben musste oder tatsächlich wusste.
Es zeichnet sich eine ähnliche Verteidigungslinie ab wie jene, die das Medienhaus Österreich schon seit Wochen fährt: Der manische Chat-Schreiber Thomas Schmid habe sich erfolgreich als umtriebig darstellen und damit in ein besseres Licht rücken wollen, um persönlich besser zu reüssieren.
Die Vision eines Märtyrer-Wahlkampfs und eines fulminanten Comebacks ist für den 35-jährigen türkisen Altkanzler so noch lange nicht vom Tisch.
Sebastian Kurz, reloaded - mehr als eine private Traumabewältigungsstrategie eines tief gefallenen Spitzenpolitikers? Kurz' Rückkehrchancen in die Politik auf längere Sicht gänzlich ausschließen wollen aber auch erfahrene ÖVP-Strategen nicht.
Einer von ihnen sagt es so: "Das große Comeback mit sauberer Weste, das klingt derzeit ziemlich schräg. Das Sensations-Comeback, dass einer nach einer längeren Pause zum zweiten Mal wieder die Nummer eins wird, das hat bisher nur Niki Lauda geschafft. Wenn Sebastian Kurz das gelingt, dann wäre er endgültig der Niki Lauda der Politik."
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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