Politik Backstage von Josef Votzi: Der "nette Werner" muss Zähne zeigen

Werner Kogler hat sich mit der Kür von Irmgard Griss als Schiedsrichterin eine Atempause verschafft. Die Fronten bei Flüchtlingen und Asyl bleiben einzementiert. Ein Koalitionsbruch mitten in einer Pandemie stand nicht zur Wahl - weil für Türkis und Grün ein Harikiri mit Anlauf.

Thema: Politik Backstage von Josef Votzi
Grünen-Chef Werner Kogler

"No more nice guy": Grünen-Chef Werner Kogler

So medial umtriebig wie in den letzten Tagen war der Grüne Parteichef schon lange nicht mehr. Werner Kogler wählt die Medien, wo er seine Botschaft platziert, sehr gezielt aus. In den "Oberösterreichischen Nachrichten" proklamiert er spitz in Richtung seines christdemokratischen Koalitionspartners: "Wir Grüne vertreten christliche Werte." In den "Vorarlberger Nachrichten" formuliert er angriffig, er vermisse in der ÖVP "Gefühl, Herz und Hirn".

Es ist eine gezielte Taktik der Nadelstiche gegen den türkisen Koalitionspartner.

In Oberösterreich stehen im Herbst Landtagswahlen an. Am Prüfstand steht die einzig verbliebene schwarz-blaue Regierungskoalition im Land. Die ÖVP tut alles, um von den absehbaren blauen Stimmenverlusten zu profitieren. Die Grünen wiederum hoffen mithilfe schwarzer Leihstimmen wieder so stark zu werden, dass ein Comeback von Schwarz-Grün unausweichlich ist. In Oberösterreich gibt es eine vielfältige, vor allem christlich motivierte Bürgermeister- und Aktivisten-Szene, die schon bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen 2015 eine tragende Rolle spielte. Zudem hat auch der langjährige grüne Landesrat Rudolf Anschober – zuletzt mit seiner Lehrlings-Initiative "Ausbilden statt Abschieben" – nachhaltig Spuren hinterlassen.

Ähnlich christlich-humanistisch ist auch das schwarze Biotop im westlichsten Bundesland durchwoben. In Vorarlberg gab es unter Schwarz-Blau wiederholt breit getragene Bürgerdemonstrationen gegen geplante Abschiebungen und massive Proteste gegen Asyl-Maßnahmen.


Die Causa weckte Erinnerungen an den Fall "Arigona"


Erst die fruchtlosen Appelle, zumindest hundert Kinder aus dem Elends-Flüchtlingslagern auf der Insel Lesbos aufzunehmen. Jüngst die mit der WEGA und Polizeihundestaffeln abgesicherte nächtliche Abschiebe-Aktion von zwei Familien samt Kindern nach Georgien und Armenien. Ein Teenager, die zwölfjährige Gymnasiastin Tina, die einen Großteil ihres Lebens in Österreich zugebracht hatte, gab dem Dutzendfall Gesicht und Stimme.

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Die Causa weckte schlagartig Erinnerungen an den Fall "Arigona", der vor mehr als einem Jahrzehnt wochenlang Schlagzeilen und Politik beherrschte.

Demonstration gegen die Abschiebungspolitik der Regierung am 28. Jänner 2021 in Wien.

Demonstration gegen die Abschiebungspolitik der Regierung am 28. Jänner 2021 in Wien.

Die Grünen und allen voran ihr Parteichef sind unter medialem und internem Druck wie nie zuvor.

Mit der Kür von Irmgard Griss als Leiterin einer "Kindeswohl-Kommission" ist Werner Kogler zu allererst intern ein Befreiungsschlag gelungen. Im grünen Klub drohte eine Spaltung. Einige Abgeordnete waren wild entschlossen, den Appell von Rot und Neos an den Innenminister zu unterstützen, die abgeschobenen Familien zurück ins Land zu lassen. Rot-Pink blieb mit seinem Parlamentsantrag, der auch den Zweck hatte den türkis-grünen Zwiespalt zu befeuern, am Ende allein. Eine Zustimmung von grünen Mandataren wäre zwar kein Koalitionsbruch gewesen, weil nachhaltiger Dissens in Asylfragen im Koalitionsvertrag ausdrücklich als Vertragsverletzung ausgenommen sind. Das Koalitionsklima hätte bei einer rot-pink-grünen Achse aber noch mehr gelitten.


Kogler und Griss: gemeinsame Hypo-Vergangenheit


Mit der breit anerkannten Ex-Höchstrichterin als Schiedsrichterin im Kinderrechte-Streit hat sich Kogler auch innerhalb der Regierung zumindest eine Atempause bis zum Sommer verschafft. Bis dahin soll Griss ihren Bericht vorlegen, in der Auswahl ihrer Kommissionsmitglieder ist sie frei.

Kogler und Griss haben einander rund um den Hypo-Skandal kennen und schätzen gelernt. Die ehemalige Höchstrichterin leitete 2014 auf Wunsch des damaligen ÖVP-Chefs und Finanzministers Michael Spindelegger eine Untersuchungs-Kommission wie es zu dieser Mega-Bankenpleite im staatsnahen Bereich kommen konnte.

Kogler machte sich als Aufdecker im Hypo-Untersuchungsausschuss einen Namen.

Griss´ Urteil vom "Multiorganversagen" wurde zum geflügelten Wort und zur Startrampe für ihre Politkarriere. 2016 trat sie bei der Bundespräsidentenwahl an, unterlag im ersten Wahlgang knapp ihrem Mitbewerber Alexander Van der Bellen und schaffte es nicht in die Stichwahl gegen Norbert Hofer. 2017 war sie eine der Wahlkampflokomotiven der Neos und zog sich nach Ibiza endgültig in die Pension zurück.

Politisch untätig war sie weiterhin nicht. In einem Gastkommentar in der "Kleinen Zeitung" widersprach sie im türkis-grünen Asylstreit im Fall "Tina" juristisch vehement dem Innenminister. Als Kogler sie danach anrief und ihr die Leitung einer Reform-Kommission anbot, sagte sie umgehend zu.


Kurz, erst last minute eingeweiht, reagiert schmallippig


Rein formal wird die Griss-Kommission von der Justizministerin zu ihrer Beratung eingesetzt. Derzeit ist das Werner Kogler in Vertretung von Alma Zadic, die in Babypause ist. Er braucht dazu nach der Papierform keine Zustimmung des Koalitionspartners. Wie es um das Koalitionsklima steht lässt sich daran ablesen, wann und wie Sebastian Kurz darüber informiert wurde.

Wie es um das Koalitionsklima derzeit steht lässt sich daran ablesen, wann und wie Sebastian Kurz darüber informiert wurde.

Mittwochabend (am 3. Februar) befriedete Kogler mit der Griss-Initative den grünen Klub. Eine Stunde bevor er damit am Donnerstagnachmittag auch an die Öffentlichkeit ging, informierte Werner Kogler darüber auch Sebastian Kurz.

Werner Kogler

Werner Kogler bei der Erklärung zur Installation der Kindeswohlkommission im Justizministerium.

Die Botschaft wurde überrascht und einsilbig aufgenommen, machte bei den Grünen kurz danach die Runde.

Die Kommission sei eine von vielen, die Minister zu ihrer Beratung eingerichtet hätten, heißt es bei den Türkisen. Am Asylrecht werde kein Punkt und Beistrich geändert.

"Uns geht es um eine Lösung in der Sache und um Empfehlungen für den Vollzug des Asylrechts, damit Kinder von Asylwerbern nicht weiter Angst haben müssen, dass sie in der Nacht in einen Bus gesetzt werden", ließ Werner Kogler die Türkisen wissen. Und grün-intern gab er sich überzeugt: "Irmgard Griss ist breit anerkannt, sodass man an ihren Vorschlägen nicht einfach vorbei kann."

Damit geht der größte und existentiellste Konflikt im Kabinett Kurz & Kogler nach einer kurzen Atempause in die Verlängerung.


Türkis: "Auch unseren Wählern dreht es oft den Magen um"


Die Türkisen geben sich weiter unbeirrbar. Dass bei Asyl und Flüchtlingen zwischen beiden Parteien Welten liegen, kann für Kogler & Co keine Überraschung sein. Schon bei den Regierungsverhandlungen habe Türkis den Grünen trotz harten und langen Ringens hier null Zugeständnisse gemacht. Im Regierungsprogramm sei so nicht nur ein Bekenntnis zur Sicherungshaft verankert worden. Auch Milde im Fall Lesbos sei nicht vorgesehen: Türkis und Grün hätten sich auch darauf verständigt, auf EU-Ebene keine Initiativen bei der Verteilung von Flüchtlingen zu setzen.

"Die Grünen müssen ihr Rendezvous mit der Realität machen", resümiert ein ÖVP-Insider nüchtern und erinnert an historische Parallelen in Deutschland. "Joschka Fischer hat als grüner Außenminister im Kosovo einen Krieg ohne UN-Mandat führen müssen. Das ist der Preis des Regierens."

"Diskussion versachllichen, Rechtslage analysieren." Imgard Griss, Leiterin der Kindeswohlkommission im Justizministerium, erklärt am 4.2.2021 im ZIB2-Interview mit Martin Thür ihre Aufgabe.

"Diskussion versachllichen, Rechtslage analysieren." Imgard Griss, Leiterin der Kindeswohlkommission im Justizministerium, erklärt am 4.2.2021 im ZIB2-Interview mit Martin Thür ihre Aufgabe.

Auch intern lassen die türkisen Strategen unmissverständlich wissen: "Auch unseren Wählern dreht es oft den Magen um. Wenn etwa plötzlich SUVs um 15.000 bis 20.000 Euro teurer werden, weil die Nova erhöht wird." Auch die Parole "Co2 muss einen Preis kriegen" würde es mit der ÖVP allein so nicht geben.

Harscher Nachsatz eines türkisen Strategen: "Die FPÖ und die Grünen repräsentieren die Ränder im politischen Spektrum. In beiden Parteien gibt es Teilgruppen, die nicht mehr in den Verfassungsbogen passen. Auf der FPÖ-Seite sind es die Rassisten, die alle Ausländer ablehnen. Bei den Grünen sind es jene Linken, die sagen es darf jemand auch gegen einen eindeutigen Gerichtsentscheid bleiben."


Gezielte Provokation oder türkis-blauer Reflex?


Bei Grünen vermuten einige bereits, die ÖVP wolle den Juniorpartner in Sachen Asyl weiterhin derart provozieren, dass Kogler & Co gar nichts übrig bleibt als vom Tisch aufzustehen. Denn einen neuen Bruch einer Koalition von sich aus zu verkünden, könne sich Kurz nicht mehr leisten. Nach der Koalition mit der SPÖ und der FPÖ wäre die mit den Grünen die dritte Regierungsehe, die er in die Luft sprengt.

Eine Neuwahl mitten in einer Pandemie und Wirtschaftskrise auszulösen, wäre freilich für beide Regierungsparteien Harakiri mit Anlauf.

Die Mehrzahl der Grünen glaubt daher nicht an eine gezielte Provokation, sondern an einen taktischen Schachzug der Türkisen mit kalkuliertem Kollateralschaden.

Das Wiedererstarken der FPÖ als Anti-"Corona-Wahnsinn"-Partei bereitet Kurz & Co zunehmend Sorgen. Türkis nutzte so die binnen weniger Tage zum Medienthema gewordene Abschiebungs-Causa als willkommene Einladung zu einem neuerlichen Signal an türkis-blaue Wähler: Wir stehen weiter für harten Anti-Ausländer-Kurs.

Ein Indiz mehr dafür: Karl Nehammer wurde regierungsintern von Grünen bisher nicht als Sheriff, sondern eher wie ein Dorfpolizist erlebt, der im Fall des Notfalles auch mit sich reden lässt. So sagte der Niederösterreicher noch am Vortag der spektakulären Abschiebung Kogler & Co eine Prüfung der heiklen Asyl-Causa zu. Karl Nehammer hätte für ein Aussetzen der Abschiebung durchaus Spielraum gehabt.


Der "nette Werner" muss Pause machen


An die sofortige Gewährung humanitären Bleiberechts glaubte zwar auch in der grünen Regierungsmannschaft niemand. Kogler & Co hätte auch ein Aussetzen der Abschiebung aus gesundheitspolitischen Gründen gereicht. Plausibles Motto: In einer Pandemie wolle man weder für die beteiligten Polizisten noch die Betroffenen ein Risiko eingehen.

Die Order für Polizeiknüppel aus dem Sack kam aus dem Kanzleramt.

Für den grünen Kumpeltyp Werner Kogler war ab dem Moment schlagartig klar. Der Ruf des "netten Werner", der den verbindliche Grünen schon lange begleitet und von dem auch Sebastian Kurz gerne profitiert hatte, muss etwas Pause machen.

Wollen die Grünen in der Pandemie-Regierung auf Sicht überleben, bleibt dem bislang öffentlich blass gebliebenem grünem Vizekanzler nur eine Wahl: Werner Kogler muss und wird nach einem Jahr Türkis-Grün künftig wohl öfter Zähne zeigen.


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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