Politik Backstage von Josef Votzi: Türkis-blauer Scherbenhaufen

Erst gegen Alma Zadić, jetzt mit voller Kraft gegen HERBERT KICKL: Die ÖVP schlägt nach der Pannenserie im Anti- Terror-Kampf panisch um sich - um nicht gänzlich im BVT-Skandalsumpf zu versinken.

Thema: Politik Backstage von Josef Votzi
Politik Backstage von Josef Votzi: Türkis-blauer Scherbenhaufen

HOCH ZU ROSS. Seine Vergangenheit als Innenminister wird FPÖ-Klubchef Herbert Kickl so schnell nicht los.

Es ist Tag zwei der Staatstrauer, alle Fahnen sind auf Halbmast. Auch auf der Bühne des Hohen Hauses ist alles auf gemeinsame Besinnung nach dem Schock des Terrorattentats ausgerichtet. Auf der Regierungsbank dunkle Kostüm- und Anzugfarben, die türkis-grünen Minister tragen demonstrativ schwarze Krawatten.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka eröffnet die außerordentliche Parlamentssitzung dem Anlass angemessen nicht mit der üblichen Routine, sondern mit einer Grundsatzerklärung: "Wir sind alle stärker als der Hass. Wir sind eine wehrhafte Demokratie", proklamiert der protokollarisch zweite Mann im Staate.

Ausgerechnet der Parlamentspräsident, von Amts wegen zu Überparteilichkeit und Ausgleich verpflichtet, fällt kurz danach aus der Rolle - nicht auf der Vorderbühne, sondern klammheimlich hinter den Kulissen. Er übergibt den Vorsitz und zieht sich zu einem dringenderen Termin zurück. Während im Plenarsaal die Debatte über die politischen Folgen des ersten IS-Terroranschlags in Österreichs wogt, begrüßt Wolfgang Sobotka in seinem Büro eine Handvoll Journalisten.

Der Termin ist vom Einlader als höchst vertraulich deklariert. Dass Sobotka weder direkt noch indirekt zitiert werden soll, versteht sich bei einem Hintergrundgespräch von selbst. Außergewöhnlich bleibt: Nicht einmal die Tatsache, dass dieses Gespräch stattgefunden habe, dürfe nach außen dringen, werden die Teilnehmer eingeschworen. Einziges Thema: Wolfgang Sobotka geißelt Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl als "Zerstörer des BVT".


Sobotkas Top-Secret-

Offensive gegen Kickl


Der ungewöhnliche Termin hinterlässt nur auf den ersten Blick mehr Fragen als Antworten: Warum fühlt sich ausgerechnet der ehemalige ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka auch in seiner neuen Rolle als überparteilicher Nationalratspräsident bemüßigt, seinen Amtsnachfolger und Ex-Regierungspartner hinterrücks derart massiv anzupatzen?

Denn die ÖVP-Strategie nahm schon in den ersten Stunden nach dem Attentat nicht die Blauen, sondern Kurz' neuen Lieblingsfeind, die Justiz, ins Visier. Hätte diese den zu 22 Monaten Haft verurteilten IS-Anhänger nicht frühzeitig entlassen, ließ Sebastian Kurz himself wissen, wäre es so nie zu dem Attentat gekommen.

Das war nicht nur faktisch falsch. Die türkise PR-Maschinerie setzte sich damit in der Folge noch mehr dem Verdacht aus, die grüne Justizministerin anzupatzen, um vom Mega-GAU in den eigenen Reihen abzulenken. Zumal weniger als 48 Stunden nach der Wahnsinnstat Innenminister Karl Nehammer eingestehen musste, dass sein Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) seit dem Sommer über Hinweise verfügte, dass der Attentäter versucht hatte, in der Slowakei Munition für seine Mordwaffe zu kaufen.

Wolfgang Sobotkas Flüsterpropaganda gegen seinen Vorgänger war offenbar nur der Auftakt und Versuchsballon, einen neuen Schuldigen für das abscheuliche Verbrechen in die Auslage zu stellen.

Der türkise Plot: Seit der von Kickl angezettelten Hausdurchsuchung im BVT stünde dort kein Stein mehr auf dem anderen und die Moral der Truppe sei nachhaltig geschädigt. Die Anti-Terror-Pannen gehen so allein auf das Konto des blauen "BVT-Zerstörers".


"Nicht nur Pferdemist hinterlassen"


Herbert Kickl tat auch im Gefolge des Attentats alles, um sich bei den Türkisen unbeliebt zu machen. Er outete nicht nur eine - für den frühen Morgen nach dem IS-Anschlag in der Wiener City - geplante Anti-Terror-Razzia. Er machte auch publik, dass der Schwedenplatz-Attentäter seit dem Sommer im Rahmen einer breitflächigen Anti-Terror-Observation ("Operation Ansa") unter Beobachtung stand. Der Ex-FPÖ-Ressortchef hat offensichtlich im " zerstörten BVT" immer noch genug Verbündete, die ihn mit vertraulichen Informationen versorgen.

In den Tagen danach trommelte die ÖVP nicht nur zu Recht gegen das vorsätzlich fahrlässige Outen einer anstehenden Razzia.

Politisch schmerzvoller für Nehammer & Co ist allerdings, dass sich auch durch Kickls Enthüllungen das Bild verfestigt: Das BVT hatte den IS-Attentäter von Wien vor allem dank Hinweisen befreundeter Dienste immer schärfer im Visier, ist ihm aber nicht rechtzeitig in den mörderischen Arm gefallen.


Das BVT gemahnt weniger an James Bond als an MA 2412.

Je näher diese Einschläge kommen, desto lauter schreien nun immer mehr Türkise: "Haltet den Dieb!" Nach Sobotkas Auftakt hinter den Kulissen rückt jetzt zuvorderst Klubchef August Wöginger coram publico gegen den Ex-Regierungskollegen aus: "Kickl hat im Innenministerium einen Haufen Mist hinterlassen, nicht nur Pferdemist. Er hat das BVT zerstört."

Hört man sich bei Kennern des BVT um, dann haben sich weder Schwarz-Türkis noch Blau im Umgang mit dem polizeilichen Geheimdienst mit Ruhm bekleckert. Der nicht unwesentliche Unterschied: Herbert Kickl war ganze 17 Monate für dessen Führung verantwortlich. Kenner des Ministeriums behaupten, dass Kickl es heute zunehmend bereue, dass er seinem Generalsekretär Peter Goldgruber beim "Aufräumen im BVT" zu sehr freie Hand gelassen habe. Denn je länger die spektakuläre Hausdurchsuchung zurückliegt, desto mehr setzt sich die Einschätzung durch: Hier habe eine Polizisten-Partie wegen persönlicher Kränkungen und Eifersüchteleien an der anderen Rache nehmen wollen.

Die in der Ära Kickl angezettelte Razzia und der Versuch der Aufarbeitung im BVT-Untersuchungsausschuss haben die Behörde nachhaltig demoralisiert. Die Grundlagen für den nun breit sichtbar gewordenen skandalösen Zustand der Terror-Schützer wurden freilich davor gelegt. Der Umbau der einstigen Staatspolizei zum BVT geht auf die Ära von Innenminister Ernst Strasser Anfang der 2000er-Jahre zurück. Bis heute steht die Geheimpolizei - bis auf die kurze blaue Unterbrechung - unter ÖVP-Regentschaft.

Das BVT hatte schon vor den Enthüllungen der Zustände im U-Ausschuss den Ruf, ein Zufluchtsort für jobsuchende niederösterreichische Parteigünstlinge zu sein. Viele Zeugenaussagen belegten zudem den Verdacht: Das BVT gemahnt weniger an "James Bond" als an "MA 2412".


Grüne Schützenhilfe

light für Kickl


Wo parteipolitische Willkür statt professioneller Führung herrscht, kann auch bei gutwilligen Beamten, so ein Kenner des Ministeriums, keine überschäumende Motivation aufkommen.

Die nach wie vor vorhandene Fachexpertise werde, so ein Insider, aufgrund des - zuletzt auch durch Kickl - massiv beschädigten Images aber unterschätzt. So spielte etwa das BVT bei der Aufdeckung des mutmaßlich russischen Cyberangriffs auf das Außenministerium Anfang dieses Jahres eine Schlüsselrolle.

Einen weitaus besseren Ruf haben sich auch die meisten der nachgeordneten Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) verdient. Sie gaben mit den jüngsten Razzien in der Szene der Islamisten und Rechtsextremen ein kräftiges Lebenszeichen.

Nicht primär als Schützenhilfe für Herbert Kickl, sondern aus Selbstschutz beziehen nun auch die Grünen nach tagelanger Schockstarre in der von der ÖVP in eigener Sache angezettelten Sündenbockjagd Position.

Die grüne Regierungsspitze ließ mit dem Vorarlberger Landesvize Johannes Rauch sicherheitshalber einen grünen Spitzenfunktionär ausreiten, der für die türkise Message Control nur schwer greif- und sanktionierbar ist. Der Kogler-Vertraute, der auch den türkis-grünen Koalitionspakt verhandelte, lässt spät, aber doch wissen: "Es war ein grobes Foul, alles Alma Zadić in die Schuhe zu schieben." Und: "Nicht nur Kickl ist verantwortlich, auch die ÖVP. Das BVT ist ein Scherbenhaufen, mit verursacht durch 15 Jahre ÖVP-Innenminister."


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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